Pfingsten steht vor der Tür und leitet an den Börsen langsam die ruhigere Sommerphase ein. Die Strassen sind heute hier schon halbleer, halb Bayern flieht in vorgezogene Sommerferien. Eine Gelegenheit die ich nutzen möchte, um mit Ihnen ein paar emotionale Gedanken meinerseits zur Lage in Europa zu teilen.
100 Jahre ist nun der Sommer 1913 her. Ein Sommer, den meine Grosseltern noch als Kinder erlebt haben. Ein Sommer der oberflächlichen Ruhe und Gelassenheit, die Welt schien damals an der Oberfläche noch in Ordnung und fest gefügt. Man hätte damals meinen können, Europa sei in Bernstein gegossen, alles war wie es sein sollte - so schien es zumindest. Dabei waren unter der Decke schon all die Spannungen spürbar, die sich ein Jahr später so furchtbar entladen würden.
Ein Jahr später zerplatzte Europas alte Welt wie ein Spiegel, in den man einen Backstein geworfen hatte. Was sich anschloss, waren zwei Weltkriege, unsägliches Leid und brutaler Umbruch, an dessen Ende im wahrsten Sinne des Wortes kein Stein mehr auf dem anderen stand. Die Folgen dessen, was nach diesem letzten Sommer des alten Europas passierte, beschäftigen uns noch heute. Und niemand, absolut niemand, konnte sich 1913 vorstellen, wo die Welt schon Jahre später stehen würde.
Heute, 100 Jahre später, beschleicht mich ein ähnliches Gefühl einer unwirklichen Ruhe, so wie wenn sich der Himmel schon gelb in Erwartung des kommenden Gewitters färbt, während die Luft noch warm und ruhig wirkt.
Dieses Gefühl einer untergehenden Welt, wird auch schön von Tolkien im "Herrn der Ringe" durch die Worte "Galadriels" vermittelt. Was kein Wunder ist, denn Tolkien (1892 geboren) war ein Kind dieser Zeit, in der das alte Europa unterging : "
Die Welt ist im Wandel
Ich spüre es im Wasser.
Ich spüre es in der Erde
Ich rieche es in der Luft.
Vieles, was einst war, ist verloren, da niemand mehr lebt, der sich erinnert.
Jetzt werden Sie denken: ja spinnt denn der Hari ? Ist er jetzt zum neuen Nostradamus geworden ?
Definitiv nein. Erstens steht uns in Europa kein neuer Krieg bevor, zumindest kann ich mir das nicht vorstellen. Und zweitens bin ich sehr optimistisch, was die Entwicklung der Welt als Ganzes angeht. Die Welt ist auf einem guten Weg und es gibt keinen Grund für Weltuntergangsromantik. Machen wir doch die Menschen und ihr Wohlergehen - ihr Leben in Freiheit und Wohlstand - zum Massstab und vergleichen 1913 mit 2013. Dann sehen wir schnell, wie positiv sich diese Welt verändert hat. Und ich bin voller Optimismus, dass die Welt das weiter tun wird. Dafür sorgt schon der technologische und kulturelle Fortschritt, der gerade in Deutschland immer gerne mit Skepsis betrachtet wird, ohne den wir aber noch Leibeigene eines Landvogtes wären.
Dieses voraus geschickt, beschleicht mich beim Blick auf Europa und Deutschland aber doch das Gefühl einer untergehenden Welt, die noch an der Oberfläche verzweifelt an ihrer Normalität festhält. Man könnte dazu viel schreiben, woher dieses Gefühl kommt, ich will nur zwei aktuelle Ereignisse beispielhaft heraus greifen.
Da haben wir auf der einen Seite den französischen Staatspräsidenten, der sich - wenn man den Medien -> hier <- glauben darf - nicht zu schade ist zu behaupten: "Die Finanzkrise ist hinter uns, die Ursachen sind behoben." Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich jetzt laut lachen.
Wir haben aber natürlich auch unsere Bundeskanzlerin, mit Ihrer ebenso verfehlten Logik der "Alternativlosigkeit". Und das bei einem Kernthema der Gestaltung unserer Zukunft, wirklich DER Frage unserer Generation. Und wir haben unzählige Parteisoldaten, die einfach nachplappern und damit gedankenlos das genaue Gegenteil von dem verkünden, was 50 Jahre lang seit Adenauer unter der Überschrift "eine starke Währung ist gut für Deutschland" das Mantra jeglicher bundesdeutscher Regierungspolitik war.
Wir haben also auf der einen Seite eine Politik, die sich den realen Problemen in eine Phantasiewelt entzieht und glaubt, wenn man nur immer wieder und ausreichend das eigene Mantra beschwört, würde ja alles gut. Gerade wir Deutschen haben ja eine traurige Tradition darin, über den rational vertretbaren Punkt hinaus an einer Überzeugung fest zu halten. Ich will dafür gar nicht die Reichskanzlei bemühen, sondern Honeckers "Vorwärts immer, Rückwärts nimmer" ist doch das viel schönere und passendere Zitat dieser Scheuklappenpolitik.
Und auf der andern Seite haben wir eine unglaubliche, unter der Decke brodelnde Wut im deutschen Bürgertum. Eine Wut, die medial nicht richtig an die Oberfläche tritt, weil ihr bisher das Vehikel fehlte, um sich zu artikulieren. Und weil die Presse in "diesem unserem Lande" eben doch eine teilweise Symbiose mit der Politik eingegangen ist - alleine der dominante öffentlich-rechtliche Rundfunk sorgt schon dafür. Das ist ja kein Wunder, wenn 65 Jahre lang letztlich die gleichen Parteien die Macht im Staate inne haben.
Diese Wut zeigte sich bisher eher in Resignation und in Form von immer weiter steigenden Nichtwählerzahlen. Mit der "Alternative für Deutschland" hat diese Wut nun aber einen Katalysator bekommen. Und einen treffenden Blick auf das Brodeln unter der scheinbar ruhigen Oberfläche erlaubt beispielsweise das, was aktuell im Handelsblatt passiert ist.
Da hat das Handelsblatt ein Interview mit Bernd Lucke, dem AfD-Chef gebracht und das unter eine - nunja, etwas populistisch überspitze - Überschrift gesetzt, die die AfD in Richtung NPD rückte. Nicht unüblich im "Kostenlos-Web", in dem man um Aufmerksamkeit ringen muss, aber deswegen keine hinreiche Entschuldigung. Insofern eigentlich geschenkt und nichts Überraschendes, der Artikel als solcher war aber überwiegend in Ordnung, da habe ich schon Schlechteres gelesen.
Darauf hin brach ein "Shitstorm" von Lesern des Handelsblatts los, den man teilweise hier nachlesen kann: -> Unverschämte und dreiste Beleidigung <-. Und die Leser des Handelsblatts entstammen im Schnitt ja schon dem, was man gemeinhin "gebildetes Bürgertum" nennt.
Und es gab eine (für mich persönlich) kleinkarierte Reaktion des Handelsblatt Chefredakteurs, die man hier nachlesen kann: -> Liebe AfD Freunde <-
Wäre ich der Verleger, würde ich den Mann sofort ablösen, denn auch wenn man inhaltlich schon seiner Meinung sein kann, ist es für eine Führungskraft ein absolutes "NoGo", den eigenen, nicht völlig grundlos empörten Kunden, mit einem beleidigten "you made my day" sozusagen den virtuellen Mittelfinger entgegen zu strecken.
Warum erzähle ich Ihnen diese Anekdote ? Weil sie bezeichnend für die wirkliche Stimmung in Deutschlands Bürgertum unter der Decke der "Alternativlosigkeit" ist. Und weil sie zeigt, wie offen die Nerven schon jetzt liegen. Schauen Sie einfach, was auch in anderen seriösen Publikationen wie der FAZ von gebildeten Bürgern geschrieben wird. Die unterdrückte Wut ist gewaltig. Und diese Wut sucht ein Ventil. Und nicht die Wut ist verwerflich, sondern die, die sie in einer für unser aller Zukunft entscheidenden Frage hervor rufen, weil sie sich einer ernsthaften Beschäftigung mit der Realität verweigern.
Zur Sache wissen Sie, dass ich kein Mitglied der AfD bin und auch keines werde. Wie ich auch kein Mitglied einer anderen Partei werde. Und das ich keineswegs alles gut und richtig finde, was die AfD vertritt. Das ich es aber massiv begrüsse, dass diese vermeintliche Alternativlosigkeit nun aufgebrochen wird und wir endlich über diese entscheidende Zukunftsfrage diskutieren. Dem Eindruck es mit "Blockparteien" zu tun zu haben, konnte man manchmal wirklich haben, wenn man von allen Parteien des Bundestages diese identischen Glaubenssätze zum Thema Euro hörte - einem Thema das hochkomplex und eben keineswegs "alternativlos" ist.
Und Sie wissen, dass es für mich persönlich offensichtlich ist, dass dieser Euro - so wie er ist - eine völlige Fehlkonstruktion ist und uns ökonomisch zwangsläufig um die Ohren fliegt. Die einzige Frage ist, wann das passiert und ob wir damit geordnet umgehen, oder ob die Realität eine ungeordnete, chaotische Auflösung erzwingt. Und mit jedem Monat der "Alternativlosigkeit", wird das Risiko der ungeordneten Krise erhöht. Insofern ja, dieser Euro ist für mich der Spaltpilz an Europa. Und insofern liege ich in dieser Frage nahe an dem, was die namhaften Ökonomen, die die AfD mitgegründet haben, auch vertreten.
Möchte ich deshalb die D-Mark zurück. Nein, nicht notwendigerweise. Und Deutschtümelei und einen Rückfall in rein nationalstaatliches Denken möchte ich schon gar nicht. Gerade auch deshalb muss dieser Euro weg, weil er nationalstaatliche Egoismen und die alten Schubladen des alten Europas der Weltkriege befördert. Nein, ich möchte gerne eine starke, stabile Währung - egal wie sie heisst - und würde es sehr begrüssen, wenn es ein "Taler" eines Kern- oder Nord-Europas wäre, das kulturell besser zueinander passt und sich wirklich als echter integrierter Wirtschaftsraum vereint. Was dann zwangsläufig auch die Aufgabe nationaler Souveränität bedeutet.
Wenn ich diesen "Taler" aber nicht bekommen kann - und es spricht viel dafür, dass im aktuellen Europa so eine Entwicklung ohne einen Bruch unmöglich ist (was wieder an Frankreich liegt) - dann leben wir in Deutschland nach meiner Überzeugung mit einer neuen D-Mark weit besser. Die Schweiz macht es uns doch als Antithese vor unseren Toren vor, was von der Rhetorik des "Untergangs der deutschen Wirtschaft" in diesem Fall zu halten ist. Der Schweizer Franken ist völlig überbewertet und lastet schwer auf der schweizer Wirtschaft. Und die vergleichsweise kleine Schweiz hat viel geringere Möglichkeiten als ein Deutschland, das durch Binnenkonjunktur zu kompensieren. Und trotzdem, vergleichen Sie mal Arbeitslosenraten oder eben den Wohlstand und die Vermögen der Bevölkerung. Haben Sie das Gefühl, man lebt schlecht in der Schweiz ? Muss man noch mehr dazu sagen ?
Womit wir wieder zu diesem Gefühl kommen, das ich aktuell in mir drin habe. Dem Gefühl eine Welt zu beobachten, die sich in einer trügerischen Ruhe sonnt, bevor sich die Zukunft wild und dynamisch Bahn bricht. Das Gefühl nun ein paar Wochen des Sommers vor mir zu haben, bevor uns Krise und Chaos wieder einholen.
Denken Sie an diese Wut, die da latent im Bürgertum brodelt. Die manchmal noch als Resignation daher kommt, eine Resignation die sich aber schnell in Aggressivität wandelt, wenn sich dafür ein Katalysator bietet.
Denken Sie an die kommende Bundestagswahl. Denken Sie daran, wie die Börsen der Welt auf die Umfragen starren werden. Denn in Deutschland entscheidet sich die Zukunft des Euros. Denken Sie daran, was die Handelsprogramme der Grossfinanz machen werden, wenn die AfD in den Umfragen steigt und steigt. Denken Sie daran, wie sich dadurch das Haupt der Eurokrise wieder erhebt und wie es ausgeschlachtet werden wird, um Sündenböcke zu suchen. Denken Sie daran, wie hier im Lande die Stimmung giftig werden wird, wenn die Pfründe der vorhandenen Parteien in Gefahr geraten.
Vor uns liegt ein heisser Herbst. So viel ist sicher. Und wenn in diesem Prozess etwas schief geht, dann kann es auch einen Knacks geben, der weit über Deutschland hinaus geht. Und die weltweiten Börsen werden darauf in einer Art und Weise reagieren, gegen die die Sorgen um Griechenland ein laues Lüftchen waren. Und die Notenbanken werden versuchen, die Dosis der Medizin zu erhöhen und noch aggressiver Geld aus dem Helikopter werfen.
Der Einsatz steigt auf jeden Fall. Für uns in Europa geht es in den kommenden Monaten und Jahren ums Ganze. Und wenn überhaupt etwas alternativlos ist, dann die Zwangsläufigkeit, mit der uns die ökonomische Realität in Europa in diese Entscheidung hinein treibt. Denn die Realität lässt sich eine Zeit lang mit Plakaten nach dem Motto "Vorwärts zum x-ten Parteitag" überkleistern, irgendwann bricht sie sich aber Bahn.
Womit ich mit dem absurdesten Satz enden möchte, den ich seit langem gelesen habe:
Die Finanzkrise ist hinter uns, die Ursachen sind behoben.
Amen !
Geniessen wir deshalb diesen Sommer 2013. Wir werden die Ruhe brauchen. Der Herbst kommt mit Stürmen. Denn die Welt ist im Wandel ...
Ihr Hari
PS: Und ich beginne mit dem "Geniessen" am Pfingstmontag. Das ist ein normaler Handelstag, aber ich werde ihn überwiegend als Feiertag geniessen. Rechnen Sie also mit einer Meldung in "Hari Live", aber nicht mit einem Artikel. Am Dienstag bin ich wieder voll da. Wir sprechen uns auf jeden Fall vorher am Sonntag im Premium Bereich bei den "Sonntag Links".
Diskutiere diesen Beitrag im Forum
*** Bitte beachten Sie bei der Nutzung der Inhalte dieses Beitrages die -> Rechtlichen Hinweise <- ! ***