Sandisk und der Zyklus der Chipindustrie

Der folgende Beitrag erschien schon Dienstag 25.11.14 17:30 in Hari Live

Zunächst einmal zur Klarstellung, ich spreche hier nicht über die kurz- oder mittelfristige Sicht auf die Sandisk-Aktie. Auf dieser Zeitebene könnte Sandisk sogar erneut nach oben ausbrechen.

Ich spreche hier über das ganz grosse Bild, das bis in die 90er Jahre zurück geht. Denn am Beispiel der Chipindustrie, deren Marktführer im Bereich Speicherchips Sandisk ist, kann man gut darstellen, wie weit dieser Markt schon gelaufen ist und wie gedehnt er ist. Und warum auf der langfristigen Ebene eine gewisse Vorsicht hier nicht schaden kann.

Denn die Speicherchip-Industrie ist extrem zyklisch. Wirklich *extrem* zyklisch. Wir können das schön am langfristigen Monatschart sehen:

SD 25.11.14

Wir notieren Tiefststände von Sandisk bei 4 oder 5 USD und nun Höchststände über 100 USD. Und dazwischen (blauer Kasten) eine grosse Konsolidierung, die typischerweise die Mitte einer Bewegung ausmacht und daher eher darauf hinweist, dass die aktuelle Bewegung ihr Potential langsam ausreizt.

Nun könnte man ja meinen, dass hier sensationelle Innovationen stattgefunden haben, die einen Anstieg der Sandisk Aktie von rund 2000% seit Ende 2008 rechtfertigen.

Dem ist aber nicht so. Sandisk war auch vor 10 Jahren der Marktführer bei Speicherchips und Storage Lösungen und letztlich basieren die heutigen Produkte auf den gleichen Basis-Innovationen wie vor 10 Jahren. Sicher, jedes Jahr werden Chips im Sinne des "Mooreschen Laws" leistungsfähiger. Und der Trend zu "Big Data" hilft einer Sandisk natürlich immens.

Aber trotzdem reden wir hier über eine evolutionäre Entwicklung, die alleine 2000% Kursanstieg nicht erklären kann. Um das mal in die richtige Perspektive zu bringen, der Jahresumsatz von Sandisk hat sich seit 2009 grob verdoppelt. Die Bewertung grob verzwanzigfacht!

Den Unterschied macht dabei der extreme Gewinnhebel, den so zyklische Unternehmen haben. Und deshalb sind nun auch Parameter wie KGV oder selbst KBV mit äusserster Vorsicht zu geniessen und geben eher falsche Signale.

Im Gegenteil, Zykliker sehen am Hochpunkt immer "sehr günstig" aus. Diesen wichtigen Sachverhalt, habe ich in einem älteren Artikel erklärt, den ich Ihrer Aufmerksamkeit auch heute empfehle: -> Warum billige Zykliker teuer sind und umgekehrt <-

Fazit: Bei aller Begeisterung für ein gut laufendes Geschäft, die Chipindustrie und insbesondere Sandisk befindet sich im langfristigen Bild eher am oberen Ende einer zyklischen Margen-Expansion, als am unteren Ende. Die Luft wird dünn.

Das heisst nicht, dass da bei Sandisk nicht noch 10 oder 20% auf der mittelfristigen Zeitebene drin sind. Erfahrene Anleger behalten hier aber die langfristigen Charts genau im Auge. Denn diese - und *nicht* die fundamentalen Parameter - werden uns zeigen, wann bei Sandisk "Ende Gelände" ist und der unvermeidliche Schweinezyklus solche Aktien wieder in Tiefen zerrt, die wir uns heute kaum vorstellen können.

Das nur zur Warnung und Einordnung. Für die Kurse zum Jahresende, sind solche Überlegungen eher ohne Belang. Darüber hinaus in 2015 und 2016 hinein dann aber doch.

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Deutsche Bank, der erneute Wendeversuch und das Wort „eigentlich“.

Der folgende, kurze Hinweis erschien gestern, Montag 24.11.14 16:00 in Hari Live

Ja, Ja, die Deutsche Bank Aktie .....

Eigentlich hatte diese im August/September eine schöne Cup´n Handle bzw iSKS Formation - je nach Geschmack. Die Formation war getriggert und alles gut. Im Zuge der allgemeinen Marktschwäche kam die Aktie dann aber massiv unter die Räder und generierte ein neues Verlaufstief.

Das war also mal so ein Fall, wo die 30% eintreffen, in denen so getriggerte Formationen dann eben doch nicht zum Ziel durchlaufen.

Nun aber hat die Deutsche Bank erneut eine Wendeformation:

DB 24.11.14

Wir sehen am 16.10. ein Tief, das gute Chancen hat, der finale Ausverkauf gewesen zu sein. Und wir haben nun ein höheres Tief und damit einen Doppelboden. Und nun einen Volumenschub nach oben.

"Eigentlich" sieht das also gut aus. 😉 Und fundamental sollte bei der Aktie nun wirklich jede mögliche (Drecks-)Sau durchs mediale Dorf getrieben worden sein. In Anbetracht der wackeligen Historie, fühle ich mich was eine Wende angeht aber erst dann endgültig sicher, wenn die Aktie den grünen Stern erreicht hat und damit 200-Tage-Linie und das Verlaufshoch vom 19.09. überschritten hat.

Eigentlich sieht das trotzdem schon jetzt nach einem guten Setup aus - falls nun die Abwärts-Trendlinie genommen wird. Eigentlich. 😉

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Potash mit Momentum-Reversal dank Uralkali

Der folgende kleine Hinweis erschien Mittwoch 19.11.14 15:35 in Hari Live

Im Düngemittelsektor ist der Teufel los. Warum?

Ganz einfach, weil Uralkali riesige Probleme mit einer Mine zu haben scheint und dieser Umstand die Hoffnung auf steigende Preise in den Markt bringt: -> Uralkali evacuates Mine <-

Und tatsächlich, von allen üblichen Verdächtigen wie K+S, Mosaic und Co., sieht der Marktführer Potash Corp (878149, POT) im Chart ganz besonders eindrucksvoll aus. Achten Sie auf das Volumen!

POT 19.11.14

Man muss jetzt die nächsten Tage sehen, wie sich die Nachrichtenlage festigt. Wenn sich das aber bewahrheitet, hat der Sektor die Chance auf einige Luft nach oben - genau die Luft, die er im Zuge des Uralkali Desasters letzten Sommer abgegeben hat.

Ein Retracement hier, könnte also vielleicht zur Kaufgelegenheit werden.

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Syngenta als langfristiges Investment

Der folgende Beitrag erschien schon Freitag 14.11.14 11:05 in Hari Live

Ich habe ja schon mehrfach zum Agrarchemie-Riesen Syngenta geschrieben. Zuletzt am Montag 08.09.14 10:05.

Für mich ist das so eine Aktie, bei der ein sehr langfristiges Investment wirklich Sinn macht. Das Unternehmen hat eine starke Marktposition und ist in einem Segment breit aufgestellt, das nur dann nicht mehr benötigt würde, wenn die Menschheit vom Erdball verschwunden ist. Denn ohne Agrarchemie, lassen sich die bald 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten halt nicht ernähren. Das kann man mögen oder nicht, die Wahrheit ist es trotzdem.

Diese langfristige Stabilität bedeutet natürlich nicht, dass die Geschäfte immer perfekt laufen, auch solche Geschäfte schwanken. Es bedeutet aber, dass man Schwankungen sehr entspannt beobachten kann und einfach mit dem langfristigen Aufwärtstrend mitgeht.

Und wer nicht weiss, welchen Aufwärtstrend ich meine, braucht nur auf das langfristige Chart seit Anfang 2000 zu schauen, dann wird alles klar:

Syngenta 14.11.14

In diesem Chart sehen wir auch, dass die aktuelle Abwärtsbewegung, eigentlich nur eine Konsolidierung mit flaggenartigem Charakter ist, auch wenn sie schon seit Anfang 2013 andauert.

Und im Chart mit Wochenkerzen erkennen wir, wie sich Syngenta seit Anfang 2013 unter dieser Abwärtstrendlinie herab hangelt:

Syngenta 14.11.14 2

Im September hatte ich Ihnen dann das zulaufende Dreieck gezeigt, dass ich oben noch einmal eingezeichnet habe und das dann nach unten gebrochen wurde. Nach einem erneuten Swing befindet sich Syngenta nun mitten in einem erneuten Schub, der potentiell wieder die Abwärtstrendlinie attackieren wird.

Fazit:

Zwingender Handlungsbedarf besteht noch nicht, solange der Abwärtstrend andauert. Dafür aber um so mehr, falls Syngenta die fallende Trendlinie brechen würde.

Unter sehr langfristiger fundamentaler Sicht, erscheint mir aber auch ein Investment zum heutigen Zeitpunkt als legitim, weil Syngenta im grossen Bild genügend korrigiert hat und die Bedürfnisse der weltweiten Landwirtschaft hier früher oder später zu erneut steigenden Kursen führen werden. Wer diesen Weg gehen will, muss sich aber im Klaren sein, dass die Aktie auch noch einmal 10% fallen kann und der bestehende Abwärtstrend durchaus noch ein Jahr andauern kann.

Umgedreht ist aber Syngenta durchaus auch theoretisches Ziel eines Übernahmeversuches und ich halte den "Happen" schon heute für recht attraktiv. Und wenn so eine Nachricht in den Markt kommen sollte, dann würde die Aktie über Nacht zweistellig steigen.

Ich selber habe Syngenta nun im Investment-Depot und warte da die kommende Jahre ganz geduldig ab. Das ist zwar immer noch kein "Buy and Hold", was ich da mache - auch bei einer Syngenta muss man wissen, wo der Notausgang ist - aber es kommt "Buy and Hold" näher, als meine sonstigen, typischen Anlagen.

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Salzgitter und die ineffiziente Preisfindung des Marktes

Der folgenden Beitrag erschien schon Montag 17.11.14 15:05 in Hari Live

Dass der Markt lange nicht so effizient ist, wie sich einige einbilden, sondern dass er vielmehr immer wieder voller erstaunlicher Ineffizienzen und Übertreibungen ist, kann man wie im Brennglas mal wieder bei Salzgitter bewundern.

Sie wissen schon, Salzgitter der Stahlkonzern, über dessen Management ich vor gut einem Jahr den Stab gebrochen habe und dessen Kurs sich seitdem auch katastrophal entwickelt hat - auch im Vergleich zu anderen Unternehmen des Sektors.

Salzgitter 17.11.14

Nun schauen Sie mal im Chart, wie der Kurs ab September nur eine Richtung abwärts bis fast 20€ kannte, obwohl es eigentlich keine grossen neuen Nachrichten gab, die das rechtfertigten - die Lage war einfach stabil "bescheiden" und alle Fakten waren bekannt.

Und dann meldet Salzgitter einen Minigewinn nach einem Sparprogramm, das ebenso wie der Mini-Gewinn eigentlich keine grosse Überraschung ist. Und der Kurs braucht einen ganzen Tag um das zu verarbeiten. Und dann fängt er an zu steigen und hört nicht mehr auf zu steigen, genau wie er vorher nicht mehr aufhörte zu fallen.

Die Firma Salzgitter im September ist aber exakt die gleiche wie im Oktober und wie nun auch im November. Und auch die Erwartungen an die Zukunft haben keinen Anlass, sich in den drei Monaten gross zu unterscheiden. Und das Sparprogramm wurde schon lange vorher beschlossen und ist keine Überraschung.

Ist diese Bewegung dann "effizient" und der Lage angemessen? Ich habe meine Zweifel. Und das Problem ist weniger der aktuelle Anstieg als die Frage, ob der Rückgang ab September nicht völlig übertrieben und nur dem Herdentrieb geschuldet war.

Übrigens hat das Chart noch eine Botschaft. Es zeigt wie eine komplexe Bodenbildung aussieht - mit jeder Menge sinnlosem Hin und Her. Wer nun also bei Asset-Klassen wie Gold auf Reversals wettet, sollte sich solche Strukturen vor Augen führen, das könnte durchaus das Schicksal bis zum Jahresende sein.

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Warum Helmut Kohl unrecht hat – und Angela Merkel auch

Betrachtung zum Zeitgeschehen: Warum Helmut Kohl unrecht hat – und Angela Merkel auch

Ein Gastkommentar von Tokay

November 2014 – und Feiertage allenthalben. Fünfundzwanzig Jahre Mauerfall, Ansprachen, Gesprächsrunden, Bücher, zwei davon von Altkanzler Helmut Kohl – das eine zur deutschen Wiedervereinigung, das andere mit dem Titel „Aus Sorge um Europa“. Helmut Kohl hat maßgeblich zur deutschen Wieder-, oder sollte man besser sagen zur Neuvereinigung, entscheidend beigetragen und ebenso zur europäischen Einigung. Die deutsche Vereinigung, so kann man fünfundzwanzig Jahre später wohl sagen, ist weitgehend vollzogen. Dagegen ist auf europäischer Ebene vieles nicht mehr so selbstverständlich wie es noch vor, sagen wir zehn Jahren, schien. Kohl träumte einst vom europäischen Bundesstaat, davon, dass man dereinst auch in London und Zürich mit dem Euro bezahlen würde. Dieser Traum ist wohl ausgeträumt. Das Projekt Euro ist latent gefährdet. Einst von den Franzosen, von Mitterrand und Delors als Preis für die deutsche Neuvereinigung gefordert, zahlte Helmut Kohl diesen Preis willig, aus tiefer innerer Überzeugung. Heute läuft er unter Umständen Gefahr, dereinst als verhängnisvolle Gestalt in Erinnerung zu bleiben, die, anstatt die europäische Einigung herbeizuführen, den Keim für Spaltung und Zwietracht in Europa säte.

Helmut Kohl ist sich anscheinend dessen bewusst – daher das Buch, daher der Buchtitel. Würden die Dinge heute besser stehen, hätte man so weitergemacht wie der Mann aus der Pfalz? Wenn man liest, was Kohl schreibt, bekommt man so ein wenig den Eindruck. Man hätte die Griechen nicht in den Euro lassen dürfen, man hätte sich an die Maastricht-Kriterien halten sollen, man hätte die Agenda-Politik früher einleiten sollen....

Aber leider haben die Griechen geschummelt, vielleicht hat man ihnen zu willig geglaubt. Doch das Momentum der europäischen Einigung war sehr mächtig damals; das sollte man aus heutiger Sicht nicht unterschätzen. War das nicht ein großartiger Gedanke,möglichst viele europäische Länder mit einer einheitlichen Währung? Nie mehr Krieg, nie mehr Leid, nie mehr Unglück. All das und noch mehr lag der ganzen Kohl'schen europäischen Einigungspolitik zugrunde, und dafür hat er Dank und Anerkennung verdient.

Und leider kündigte sich das Ende des weltweiten Wirtschaftsaufschwungs, ablesbar an den Börsenkursen, bereits gegen 1998 an, ziemlich genau zu der Zeit also, als Kohls Kanzlerschaft zu Ende ging. Die Russlandkrise, eine Vorbotin der Krisen, der Crashs, die erst noch kommen sollten, aber was wusste man davon damals schon. Deswegen wollen wir ihn nicht kritisieren; niemand kennt die Zukunft. Die Defizite, das Stopfen von Finanzlöchern, das mussten Kohls Finanzminister schon, als die Wirtschaft gut da stand.

Die deutsche Einigung, die europäische Einigung, das waren Herkulesaufgaben, das waren alles Unterfangen, die gewaltig waren, die Ressourcen banden, finanzielle Ressourcen. Seien wir froh, dass die wirtschaftliche Großwetterlage damals einigermaßen mitgespielt hat. Aber die Nachfolger dafür kritisieren, dass sie mit ihrem Handeln die heutige Krise herbeigeführt hätten – ich glaube nicht, dass es sich so verhält. Hätte Kohl eine Politik im Stile der Agenda 2010 eingeleitet ? Ich kann es mir nicht vorstellen. Kohl war sechzehn Jahre im Amt, so lange wie keiner vor ihm, der Elan war dahin, die Opposition zu stark. Und zu andersartig – daher die beständigen Gefechte, die kleinen Gehässigkeiten., die ihn bis zum Ende verfolgten, denen er aber auch nicht aus dem Weg ging. Und Kohl war immer auch Sozialpolitiker, er wollte schließlich wiedergewählt werden. Kohl war kein Agendapolitiker. Natürlich hätte Schröder, sein Nachfolger, dann mit seiner Agendapolitik viel eher beginnen müssen, er tat es unter weit ungünstigeren Umständen, dann erst nämlich, als das Land schon ächzte und stöhnte und die eigenen Leute ihm nicht mehr folgen wollten. Aber er tat es – und dafür ist die Nation auch ihm zu Dank verpflichtet – wenngleich er deswegen abgewählt wurde. Übrigens besteht das gleiche Problem auch heute wieder, man ruht sich heute auf den Reformerfolgen von damals aus, aber das schreibt Kohl natürlich nicht.

Und wie hätte Kohl gehandelt, wenn er sich der Finanzkrise 2008 gegenübergesehen hätte? Wäre seine Politik eine grundlegend andere gewesen als die der Regierung Merkel/Steinbrück? Vielleicht liegt die Ironie der Geschichte darin, dass das alles gar nichts genützt hätte, und die spätere Malaise noch viel deutlicher ausgefallen wäre. Ein wirtschaftlich starkes Deutschland einerseits, erlahmende Franzosen und Italiener andererseits, das wäre auch für Kohl schwierig geworden. Doch halt, Kohl war stets spendabel, was Europa und den europäischen Gedanken angeht. Wir bekämen die Überweisungen nach Europa mit Zins und Zinseszins zurück, so sagte er immer. Doch darin liegt auch das Problem, lag es schon vor über hundert Jahren. Ein starkes Deutschland mitten in Europa, so stark, dass alle beständig darüber nachdenken, wie man es unter Kontrolle bekommt.

Das ist auch das heutige Problem von Angela Merkel: Sie steht diesem starken Deutschland vor, stark durch seine Wirtschaft, stark alleine schon dadurch, dass es ist, was es ist. Und so sehen es die anderen auch: Die Franzosen, die Italiener, die schon lange nicht mehr mithalten können; die Engländer, die sich von Deutschland in Gestalt von Brüssel-Europa, so sehen sie es wenigstens, nicht vorschreiben lassen wollen, wie sie zu leben haben. Die Amerikaner, die uns als Partner sehen, aber nicht mehr als Freunde – die Zeiten von Eisenhower-Adenauer oder Bush Senior-Kohl sind lang her. Partner darf man ausspionieren, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Die Chinesen, denen ist dieses starke Deutschland willkommen, damit können sie etwas anfangen – noch. Frau Merkel weiß es, sie hegt und pflegt die Chinesen. Doch China ist weit, und auch die Chinesen sind zwar Partner, aber keine Freunde.

Und die Russen natürlich, ohne die diese Vereinigung nicht gekommen wäre. Hätte Gorbatschow seine Armee marschieren lassen, die Wiedervereinigung wäre mausetot gewesen. Was man dem Herrn Putin wohl hätte zutrauen können, wenn er damals schon dort gewesen wäre, wo er heute ist. Man hat allen Grund dafür, Gorbatschow zu danken, und man tut es mit Hingabe. Nicht nur Gorbatschow als Person, sondern auch Gorbatschow als Vertreter des im Grunde vernünftigen russischen Staates, der damals die Einsicht hatte, dass er sich nicht dauerhaft in Mittelosteuropa würde behaupten können, der dieses Mittelosteuropa aber immer als seinen Vorhof betrachtet hat. Mit Mühe hat man Russland im 19. Jahrhundert im Zaum gehalten, erst die Engländer, dann die Österreicher, was funktionierte, solange Bismarck die Oberaufsicht hatte. Danach ging es nicht mehr. Und auch heute benötigte man eine kluge Diplomatie, denn die Russen sind da und sie werden dableiben. Man sollte sich mit ihnen arrangieren, anstatt sie wiederholt vor den Kopf zu stoßen – auch wenn man sich von Russland mehr Besonnenheit wünschen würde.

Scheitert der Euro, scheitert Europa, so Frau Merkel. Nein, umgekehrt: Scheitert Europa, scheitert der Euro. Doch hat es Europa schon gegeben, als es den Euro noch nicht gab, und wird es auch in Zukunft geben. Europa ist mehr als ein paar Staatschefs, die regelmäßig zusammentreffen. Europa ist eine Idee, eine schöne, aber auch eine sehr zerbrechliche. Insofern war es schon das richtige Projekt, das Adenauer und de Gaulle, Schmidt und Giscard, Kohl und Mitterrand verfolgten und das Merkel und Hollande heute verfolgen. Jedoch die Welt ist heute eine andere wie vor fünfundzwanzig Jahren. Vielleicht muss Europa sich neu erfinden. Auf jeden Fall muss es sich umschauen, was in der Welt so passiert. Nur mit der alteuropäischen Beseeltheit von Kohl und nur mit dem Weiter-So-Gewurstel von Merkel wird Europa nicht mehr funktionieren.

Tokay

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JPYUSD – Der Yen Carry Trade gibt den Weg vor

Der folgende kurze Hinweis erschien Mittwoch 12.11.14 09:40 in Hari Live

Treue Leser wissen von meinen diversen Beiträgen, welche zentrale Bedeutung der Carry Trade im japanischen Yen für die weltweiten Aktienmärkte hat. Denn dort wird die additive Liquidität geboren, die dann in die diversen "Risk On" Assets fliesst.

Diesen Mechanismus kann ich Ihnen nun besonders eindrucksvoll zeigen. Gleichzeitig wirft das Chart des Yen in USD aber Fragen auf, ob wir vor einer erneuten Korrekturphase an den Märkten stehen:

JPYUSD 12.11.14

Sie sehen im Chart, wie der Yen durch die Geldflutungspolitik der japanischen Notenbank nach unten geprügelt wurde. Sie sehen aber auch, wie die massive Oktober-Korrektur der Aktienmärkte punktgenau mit einer Phase des starken Yens zusammen fiel. Das ist definitiv *kein* Zufall!

Sie sehen auch, wie der 15.10. nicht nur den Wendepunkt bei JPYUSD, sondern auch in den breiten Aktienmärkten bedeutete.

Und Sie sehen, wie der folgende unwirkliche Anstieg an den Aktienmärkten, eins zu eins mit einem brutalen Abverkauf im Yen korrelierte. Auch das ist kein Zufall, sondern Ergebnis des Carry Trades.

Nun scheint dieser Abwärtsschub aber erst einmal vorbei zu sein und in Japan stehen Neuwahlen an, die zumindest bis zur Wahl, im Markt ein paar Fragezeichen aufwerfen könnten.

Im JPYUSD gibt es zwar noch keine belastbare Wendeformation und in sofern ist es noch zu früh, eine Wende auszurufen. Aber zumindest hat das aktuelle Geschehen grosse Ähnlichkeit mit dem Auslaufen des Abwärtsmomentums im September.

Sicher kann es von hier weiter runter gehen, noch ist JPYUSD ein fallendes Messer. Die Chancen für eine temporäre Wende sind aber da und was das für die Märkte bedeutet, können wir im Oktober bewundern.

Wir tun also gut daran, JPYUSD genau im Auge zu behalten. Wenn sich hier eine Wendeformation formt, ist das ein klares Signal für die Aktienmärkte Risiko heraus zu nehmen und sich auf unruhiges Fahrwasser einzurichten.

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S&P500 und DAX – Ein Markt zum Misstrauen …. und zum Mitgehen.

Die folgende Marktlage habe ich in Hari Live gestern Montag 10.11.14 08:30 in leicht anderer Zusammenstellung veröffentlicht.
Diese ist aber auch heute immer noch unverändert gültig.

Guten Morgen!

Der Markt hat ja letzte Woche im wesentlichen mitgespielt und sich wie von mir erwartet verhalten: eine leichte Konsolidierung am Wochenanfang, die im S&P500 bis 2000 führte, wurde von einem erneuten bullischen Schub abgelöst.

Allerdings haben wir im Verlauf der Woche und vor allem gegen Ende, doch ein Menge wilder Swings gesehen, die Fragezeichen aufwerfen. Und das nicht nur bei einzelnen Aktien, sondern zum Beispiel auch gewaltige "Selling on Strength" Prints im Moneyflow, wie ich sie noch nie gesehen habe.

Vor uns liegt nun eine von äusseren Einflüssen her eher ruhige Woche. Die Quartalssaison nähert sich dem Ende, Notenbank-Events stehen nicht an und auch die Wirtschaftsdaten sind eher spärlich. Und am Dienstag ist in den US auch noch der Feiertag "Veterans Day", an dem zwar die Aktienmärkte geöffnet sind, aber die Anleihenmärkte geschlossen und deswegen das Volumen eher gering.

In der kommenden Woche kann der Markt sich also mal mit sich selbst beschäftigen, was aber keineswegs bedeutet, dass es von den Bewegungen her eine ruhige Woche wird. Denn die Spannung im Markt ist immens.

Ich denke wir alle fühlen diese Spannung. Der Schub heraus aus den Tiefs war in Geschwindigkeit und Momentum geradezu unglaublich und stärker als alles, was wir in den vergangenen Jahren gesehen haben. Unzählige Marktteilnehmer wurden dabei zurück gelassen, weil auf so etwas kann man einfach nicht wetten. Diese Marktteilnehmer haben nun aber Druck, bei jeder Gelegenheit wieder einzusteigen.

Gleichzeitig fühlt sich die Bewegung im S&P500 "falsch" und "unwirklich" an, sie passt einfach nicht zu menschlichem Verhalten und ich bin auch sicher, dass hier die immer grössere Dominanz der trendfolgenden Algos ihre Spuren hinterlässt.

Diese Dynamik wirkt aber in beide Richtung und auch nach unten, wir tun also gut daran, uns in den kommenden Jahren auf immer brutalere Swings einzustellen, wie sie von Menschen nie generiert würden, weil diese weit früher auf die Seite treten würden und eine Bewegung nicht bis zum letzten Tropfen ausquetschen.

Vor diesem Hintergrund machen die gewaltigen SOS Prints natürlich ein ganz mieses Gefühl im Nacken und auch die sonstige Markttechnik ist nach oben nun so überdehnt, dass man nach "normalen" Massstäben der vor ca. 5 Jahren vergangenen Börsenwelt, in keinem Fall mehr in diese Bewegung hinein kaufen dürfte.

Auch kompetente Marktbewertungen wie die -> Weekly Market Summary <- von "The Fat Pitch", signalisieren viele gute Gründe, sich nervös am Hinterkopf zu kratzen.

Genau diese Skepsis ist aber die Wall of Worry, die den Markt nach oben treibt. Und wir tun daher gut daran, uns nur nach dem einzigen objektiven Faktor zu richten, der am Markt existiert. Und das ist die Price-Action, die übrigens auch für die Algos die wesentliche Grundlage darstellt.

Schauen wir auf die Price-Action im Tageschart des S&P500, wird dann die komplexe Lage eigentlich für uns wieder einfach. Das Retracement von Dienstag hat uns den Gefallen getan, die 2000er Marke wieder von oben zu testen. Solange diese Marke nicht mehr unterschritten wird, kann man dem Aufwärtstrend mittelfristig weiter folgen, der durchaus das Potential hat, nach oben alle zu überraschen.

S&P500 09.11.14

Sobald aber die 2000 nach unten durchschlagen werden, ist die Wahrscheinlichkeit erheblich herauf gesetzt, dass der Markt in einen "Gapfill-Modus" nach unten geht. Und da lauern jede Menge Gaps, die in dieser unwirklichen Bewegung seit dem 15.10. offen gelassen wurden.

Oberhalb 2000 dabei bleiben, unter 2000 grosse Vorsicht, so einfach sehe ich aktuell die Lage im S&P500.

Im grösseren Bild mit Wochenkerzen, sehen wir dann den Trendkanal und sehen auch, dass da nach oben durchaus noch Platz bis ca. 2100 ist, bevor dann eine Gegenbewegung eine ganz hohe Wahrscheinlichkeit bekommt. Und wir sehen, wie intakt der Trend ist:

S&P500 09.11.14 2

Insofern muss man den Einbruch vom 15.10. als "false Move" betrachten und die Regel "from false moves come fast moves", hat sich mal wieder eindrucksvoll bestätigt.

Im DAX dagegen ist die Lage komplexer als im S&P500. Ein Blick auf das Wochenchart zeigt schnell, dass selbst eine Bewegung bis 9600 immer noch zu einer grösseren Topbildung passen würde. Erst ein Erreichen des "grünen Sterns", was einem Übersteigen des Hochs vom 15.09.14 bei 9891 gleichzusetzen ist, würde dieses Risiko überzeugend vom Tisch nehmen:

DAX 09.11.14

Wir sehen in dem Chart auch, dass der Aufwärtstrendkanal im Gegensatz zum S&P500 ganz klar im August gebrochen wurde. Und im Gegensatz zum S&P500 gab es eben keinen Schub, der das schnell negierte.

In der kurzfristigeren Sicht erkennen wir, wie der Measured Move der iSKS (blaue Pfeile) nun auch im DAX unter 9400 erreicht wurde:

DAX 09.11.14 2

Wir erkennen auch, dass die Lage nun offen ist, wobei kurzfristig die bullischen Signale noch! überwiegen, denn die Trendlinie, die sich seit dem Tief vom 16.10.14 geformt hat, ist (noch) völlig intakt. Allerdings ist diese so steil, dass ein Bruch schon bald auf der Agenda stehen sollte und dann ein erstes Warnsignal generiert. Und das könnte nun sehr schnell gehen.

Nach oben wäre nun also ein erneuter, schneller Anstieg über 9400 (grüner Stern) klar trendbestätigend und würde Kursziele im Bereich 96xx eröffnen. Nach unten darf aber das Tief von Freitag bei 9239 nicht mehr unterschritten werden, das wäre dann einem Trendbruch gleichzusetzen.

Fazit:

Es gibt tausend gute Gründe, diesem Markt und dieser Bewegung zu misstrauen. Auch ich habe ein mieses Gefühl bei der ganzen Geschichte, gefühlt "passt das nicht", was der Markt da gerade macht. Alle diese Gründe sind aber nichts wert, solange die Price-Action keine bestätigenden Signale liefert.

Denn der Preis ist der ultimative Richter. Und dem folgen wir. Und mit einem Risikomanagement bei einer Bewegung im S&P500 unter 2000, sind wir so nahe an den aktuellen Kursen, dass man sich auch innerlich entspannen kann und dem Markt überlassen, wie er dieses verrückte Geschehen am Ende auflösen will.

Ihr Hari

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E-Commerce Förderung nach Art der EU-Bürokratie:
Mitglieder aus Papua-Neuguinea und Cayman Islands willkommen!
Aus Frankreich, Italien und Finnland dagegen nicht!

Es wäre ja schön, wenn das, was ich Ihnen nun schreiben muss, nur eine Satire wäre.
Oder alternativ ein böser Traum, aus dem man bald aufwacht, weil so verquer kann doch gar niemand denken.

Ist es aber leider nicht. Sondern das worüber ich nun schreiben muss, ist wohl ab 01.01.2015 Realität für alle, die im EU Raum digitale Dienste anbieten - wie eben auch ein Blog mit Mitgliedern wie Mr-Market.

Da werden sich noch einige im Internet umschauen und ich sage schon jetzt ein grosses Chaos bevor. Und dann wird vom Gesetzgeber in einem Jahr "nachgebessert".

Das von der Politik gerne verwendete Wort von der "Nachbesserung", ist sowieso Kandidat für das Unwort des Jahrzehntes, denn es ist für mich eher Ausdruck inkompetenten Handelns der Verantwortlichen. So wie manche Software-Unternehmen ihre Software beim Kunden "reifen" lassen, lässt der Gesetzgeber zu oft undurchdachte Gesetze beim Bürger und vor Gerichten "reifen". Und Bürger und Unternehmen müssen über Steuern diese Inkompetenz auch noch zwangsweise finanzieren.

Lesen Sie zunächst einmal -> hier <- in einem kurzen Überblick, worum es bei der neuen Umsatzsteuerregelung für digitale Produkte und Dienstleistungen geht.

Bisher war das alles einfach und logisch. Wenn man als Privatperson etwas kaufte, galt das Recht des Landes, in dem der Händler sass. Wenn ich mir also unbedingt etwas aus London schicken lassen wollte, war das britische Recht die Grundlage dafür. Und das galt für alle Waren, egal ob digital oder "physisch". So einfach, so logisch und so klar. Ab 2015 ist nun alles kompliziert und voller Ausnahmen.

Um es nicht abstrakt, sondern anhand dieses Blogs konkret zu beschreiben:

  • Wenn sich hier ein Mitglied mit Adresse aus Malta anmelden würde, müsste ich eine Rechnung nach maltesischen Rechnungsvorschriften mit maltesischer Umsatzsteuer erstellen und mich beim Finanzamt Maltas - wahrscheinlich in Landessprache - für die Umsatzsteuer registrieren.
  • Wenn sich hier ein Mitglied mit Adresse aus Rumänien anmelden würde, müsste ich eine Rechnung nach rumänischen Rechnungsvorschriften mit rumänischer Umsatzsteuer erstellen und mich beim Finanzamt Rumäniens - wahrscheinlich in Landessprache - für die Umsatzsteuer registrieren.
  • Wenn sich hier ....... ich denke Sie wissen, wie die Geschichte weitergeht.

Lustig oder? Nach meiner sehr persönlichen und pointierten Meinung ist das einfach: Schwachsinn!

Damit es keine Missverständnisse gibt, es geht hier um eine Sonderregelung für digitale (nicht physische) Güter. Wenn Sie sich aber physische Waren aus EU Ländern schicken lassen, bleibt alles wie gehabt (bis zu nächsten Gesetzesänderung ;)). Und die Regelung gilt auch nur für Endverbraucher, wer als Unternehmen digitale Güter in der EU bezieht, für den ändert sich auch nichts.

Oder mit anderen Worten: Wenn ich als Verleger einen Artikel per PDF verschicke, bekommt der eine diametral andere Umsatzsteuer-Behandlung, als wenn ich den gleichen Artikel ausdrucke und per Post versende! Und dann unterscheidet sich das noch einmal abhängig davon, ob der Kunde ein Unternehmen oder ein Endverbraucher ist. Und woran erkenne ich bei einer GBR eigentlich das Unternehmen gegenüber dem Endverbraucher? Wie sieht eigentlich eine spanische GBR aus? Schöne neue Welt!

Und damit das nicht wieder nur das beliebte EU-Bashing wird: unsere "kompetenten" Politiker im Parlament haben das schon längst abgenickt und es hat so auch in Deutschland und Österreich Gesetzeskraft erlangt.

Jetzt haben die verantwortlichen Bürokraten und Politiker ja irgendwann im Verlauf dieses Prozesses scheinbar eine Teilerleuchtung gehabt und erkannt, dass es wohl nicht funktionieren kann, dass jeder Einzelunternehmer ca. 20 EU Sprachen spricht und sich mit noch mehr länderspezifischen Eigenheiten im Umsatzsteuerrecht befasst. Diese Erkenntnis erfordert zwar nicht gerade den IQ eines Raketenwissenschaftlers, aber immerhin, wir wollen ja bescheiden sein.

Und so wurde die Idee des "One Stop Shops" bei den landeseigenen Finanzbehörden geboren. Wenn ich mich nun also bei der deutschen KEA (Erklärung siehe Link oben) registriere, kann ich die Umsatzsteuer weiter zentral abführen und muss mich nicht in allen Ländern registrieren und die Landessprache sprechen.

Auf den ersten Blick ja ein sinnvoller Gedanke und zu begrüssen. Nur ist der nach den mir bisher vorliegenden Informationen leider viel zu kurz gedacht. Denn:

  • Erstens ändert die zentrale Abführung nichts daran, dass ich rechtlich dann wohl dem "maltesischen" und "rumänischen" Umsatzsteuerrecht unterliege und daher auch den Strafmassnahmen ausgesetzt bin, die das lokale Recht vorgibt. Die zentrale Abwicklung entbindet mich natürlich nicht davon, mich nach "maltesischem" und "rumänischem" Recht zu verhalten, was immer das ist und was immer das bedeutet - mögliche Straftatbestände im Umsatzsteuerecht eingeschlossen.
  • Zur Rechnungsstellung zitiere ich aus dem Leitfaden der EU, den man unter obigem Link finden kann: "Für die Rechnungsstellung gelten die Vorschriften des Mitgliedstaats des Verbrauchs. Deshalb sollten sich die Steuerpflichtigen über die maßgeblichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten informieren, in denen sie Dienstleistungen erbringen." Ah ja, ich informiere mich also über die Bestimmungen von über 20 EU Ländern und beachte diese bei der Rechnungsstellung. So viel zum "One Stop Shop".
  • Auf jeder Rechnung müsste ich nun die lokale Umsatzsteuer ausweisen und die unterscheidet sich eben. Heisst unterschiedliche Rechnungen und Beträge je nach Land.
  • Nach der Preisangabenverordnung müsste ich aber jedem EU Bürger seinen Bruttopreis zeigen, was bei identischen Nettopreisen die Programmierung eines dynamischen Systems erfordert, dass je nach Nationalität des Mitglieds die jeweils richtigen Brutto-Preise zeigt.
  • Oder alternativ kann ich den Umsatzsteuer-Irrsinn in der EU auf die eigenen Schulter nehmen, die Brutto-Preise für alle gleich lassen und dafür um so weniger Netto einnehmen, je höher der Umsatzsteuersatz des Landes ist.

Motivation dieses (für mich) gesetzgeberischen Schildbürgerstreiches war möglicherweise, den Effekt einzudämmen, dass sich grosse E-Commerce Anbieter natürlich bisher als Sitz das Land ausgesucht haben, das den geringsten Umsatzsteuersatz hatte. So blieb bei identischen Bruttopreisen, Netto der grösste Gewinn bei den Konzernen hängen. Warum wohl verschickt Amazon offiziell aus Luxembourg?

Das Problem ist ja auch real vorhanden und sollte gelöst werden. Bis zu diesem Punkt, habe ich volle Zustimmung.

Auf den einzig logischen Gedanken, um das Problem an der Wurzel zu packen - nämlich die völlig sinnfreien unterschiedlichen Umsatzsteuersätze in der EU zu vereinheitlichen - ist der politisch-bürokratische Komplex aber scheinbar nicht gekommen. Beziehungsweise er hatte scheinbar keine Bereitschaft, sich hier ausreichend zu bewegen. Ist ja auch kein Problem, wenn man die Komplexität auf den Rücken der vielen kleinen Unternehmen abwälzen kann. Das ist mal E-Commerce Förderung nach Politiker-Art. Wer hier Sarkasmus findet, kann ihn behalten.

Das Absurde dabei ist, dass man damit nach meiner Vermutung ein ganz neues Problem geschaffen hat. Denn was bisher Sport der Grossunternehmen war, könnte nun vielleicht Sport der Bürger werden - Stichwort: "Wahl des Standortes zur legalen Umsatzsteuerverkürzung".

Denn im E-Commerce digitaler Güter hat die reale Adresse nur die Bedeutung, dass diese auf der Rechnung steht. Alles andere läuft elektronisch, denn physikalisch geliefert wird ja nichts. Und auch die Rechnung wird elektronisch verschickt.

Wer also nun im Land mit einer hohen Umsatzsteuerbelastung wohnt, wird sich nach meiner Vermutung erstens einen Shop suchen, in dem die Brutto-Preise länderspezifisch angepasst werden und sich zweitens dort mit einer Adresse aus einem EU Land mit geringerer Umsatzsteuer anmelden. Voila - mehrere Prozent beim Einkauf digitaler Güter gespart. So hat eine Adresse in Luxembourg nun auch für Otto-Normalverbraucher plötzlich Mehrwert, ich bezweifele, ob die Bürokraten so weit gedacht haben. Aber kein Problem, dann wird "nachgebessert", siehe oben.

Jetzt kann ich nicht sagen, ab wann die Verwendung abweichender Adressen bei der Bestellung rechtlich ein Problem für die Verbraucher darstellt und illegal wird. Wahrscheinlich ist auch das sehr länderspezifisch und jedes Rechtssystem wird das vermutlich leicht anders sehen. Wer aber eine reale vorhandene Adresse wie zum Beispiel eine Zweitwohnung oder die Wohnung der Eltern angibt, in der er sich auch immer wieder real aufhält, sollte nach meinem bescheidenen Rechtsverständnis (ohne Gewähr, ich bin kein Jurist!) zumindest in Deutschland kein Problem haben. Zumindest in Deutschland ist mir persönlich bisher kein Gesetz bekannt, das mir als Privatperson verbieten würde, eine Lieferadresse abseits meiner Hauptwohnung anzugeben. Viele lassen sich ja auch an ihren Arbeitsplatz liefern, eine völlig gängige Praxis von Endverbrauchern.

Abgesehen davon, haben doch Unternehmen sowieso keine Chance, die Richtigkeit von Adressen zu überprüfen, solange die Adresse irgendwo real existiert und nicht gerade den Planeten Mars als Lieferort ausweist. Und kleine Unternehmen haben diese Chance schon gar nicht. Was der Kunde schreibt gilt, so einfach ist das in der Realität. Und wenn einer deklariert, er wohne in Papua Neuguinea, dann muss ich das glauben, eine andere Chance habe ich doch gar nicht.

In Summe wurde nach meinem Eindruck hier "von hinten durch die Brust ins Auge" geschossen und eine etablierte und gut funktionierende Regelung ohne echten Anlass in endlose Ausnahmen überführt. Was der volkswirtschaftliche Sinn davon sein soll, ein gedrucktes Buch umsatzsteuerlich völlig anders zu behandeln, als wenn man das Buch per Kindle herunter lädt, können wohl nur Menschen mit ganz besonderen Gehirnwindungen verstehen. Ich gehöre scheinbar nicht zu dieser Spezies.

Es gäbe in meinen Augen nur eine einzige wirkliche Lösung, um das berechtigte Problem der umsatzsteuerlichen Optimierung von Konzernen ala Amazon zu lösen. Eine Lösung, die ebenso logisch wie einfach ist und funktionieren würde, ohne den Bürgern oder Unternehmen zusätzliche Lasten aufzuerlegen.

Und das wäre ein einheitlicher Umsatzsteuersatz in der EU! Denn genau da liegt das Problem und nirgend wo anders. Aber das wäre ja zu einfach und dann müsste der politisch-bürokratische Komplex sich ja mal produktiv in Bewegung setzen. Solange der Komplex aber seine Gehälter und Pensionen sowieso vom Steuerzahler erhält, egal wie unproduktiv die eigene Leistung ist, wird sich daran wohl nichts ändern.

So habe ich - wie viele andere die im Internet digitale Inhalte anbieten - nun ein Problem ab 01.01.2015.

Und ich werde das voraussichtlich auf radikale Art und Weise mit Verweigerung lösen, in dem ich Mitglieder mit Adressen aus EU Ländern (mit Ausnahme von Österreich, dazu später mehr) nicht mehr akzeptiere. Glücklicherweise haben wir ja noch Vertragsfreiheit und ich kann mir noch aussuchen, mit wem ich einen Vertrag schliessen will und wohin ich "liefern" will - und wohin nicht.

Ich bedauere sehr, das tun zu müssen, bitte aber um Verständnis, dass ich einfach keine Wahl habe. Ich habe weder die sprachlichen Fähigkeiten, noch die rechtliche Kompetenz, mich mit dem Umsatzsteuerrecht in Griechenland, Irland, Zypern, Estland, Slowenien und so weiter auseinander zu setzen und mich dort rechtlich als umsatzsteuerpflichtiges Unternehmen zu exponieren. Das können bestenfalls Grosskonzerne mit riesigen Rechtsabteilungen und selbst die, werden ihre Probleme haben.

Solange auf der rechtlichen Seite keine Vertrauensschutzregelung existiert, sehe ich persönlich keinen Weg, der mich davon entbindet, mich den Gesetzen jedes einzelnen Mitgliedslandes stellen zu müssen. Die derzeitige Konzeption der "KEA" ist so eine Vertrauensschutzregelung auf jeden Fall nicht. So eine Vertrauensschutzregelung wird bestimmt unter dem Druck und der Wut "der Strasse" kommen, daran habe ich wenig Zweifel, denn anders geht es einfach nicht. Aber diese ist eben derzeit nicht da, auch da wird wohl mal wieder in 2015 und 2016 "nachgebessert".

Mitglieder aus Papua-Neuguinea und Cayman Islands sind mir also weiter herzlich willkommen! Aus Frankreich, Italien und Finnland dagegen ab 01.01.2015 nicht mehr!

Das ist eben E-Commerce Förderung in der EU nach Bürokraten-Art. Beschwerdeschreiben richten Sie bitte an Ihren Bundestagsabgeordneten, der das potentiell abgenickt hat, ohne sich damit auch nur 10 Minuten inhaltlich zu befasssen.

Ich bin übrigens sicher, dass die Verbraucher diesen Effekt in Zukunft bei vielen kleineren Shops für digitale Güter erleben werden. Man wird als "EU-Ausländer" nicht mehr so einfach kaufen können. Es wird zu einer Renationalisierung führen und dem Gedanken des freien Binnenmarktes komplett zuwider laufen. Aber wie gesagt: -> Nachbesserung. Die "Lösung" für alle, die nicht fähig sind, etwas gleich richtig zu machen.

Diese "Nachbesserung" wird kommen. Denn dieses Gesetz macht für mich in dieser Form hinten und vorne keinen Sinn.

Günther Oettinger, bitte übernehmen Sie!

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