Börsenregeln reloaded II: Don´t fight the Fed !

Ein Gastartikel von Tokay

Börsenregeln reloaded II: Don´t fight the Fed !

Heute möchte ich meine Serie fortsetzen mit einem, wie ich finde, mindestens ebenso aktuellen Thema wie beim letzten Mal. Es geht um die Regel: „Don't fight the fed“.

Die „Fed“ - das war bei uns früher die Bundesbank und ist heute die Europäische Zentralbank/EZB. Nach dieser Regel soll man nicht gegen die Zentralbank, heutzutage also somit nicht gegen die EZB spekulieren, sondern mit ihr. Ein Aktieninvestor, der diese Regel beherzigen wollte, müsste somit Aktien kaufen, wenn die EZB ihren Leitzins senkt, und Aktien verkaufen, wenn sie ihn erhöht. Warum sollte er das tun? Wenn die Zentralbank die Zinsen erhöht, dann steigen im allgemeinen auch die Anlagezinsen. Der Investor könnte dann sein Kapital auf einem Geldmarktkonto parken und einen Zins vereinnahmen. Außerdem hat eine solche Maßnahme direkten Einfluss auf die Kreditpolitik der Geschäftsbanken und damit auf die allgemeine Wirtschaftstätigkeit.

Die wichtigste Steuerungsgröße früher unter der Bundesbank und heute unter der EZB waren bzw. sind Offenmarktgeschäfte. Über einen sogenannten Mengentender teilt die Zentralbank den Geschäftsbanken mit, zu welchem Zins sie bereit sind, Zentralbankgeld bereitzustellen bzw. anzukaufen. Die Geschäftsbanken teilen dann der EZB mit, welchen Betrag sie zu kaufen bzw. verkaufen bereit sind. Daraufhin kauft bzw. verkauft die Zentralbank Wertpapiere von den Geschäftsbanken und teilt den Geschäftsbanken nach einem festgelegten Verfahren zu den vereinbarten Konditionen Zentralbankgeld zu. Man nannte diese Geschäfte zu Bundesbankzeiten auch Wertpapierpensionsgeschäfte, da die Geschäftsbanken Wertpapiere bei der Bundesbank sozusagen „in Pension“ gaben. Zeitweise hat man auch mit Zinstendern gearbeitet, bei denen dann die Zentralbankgeldmenge fixiert wurde. Seit 2008 ist die EZB wieder zum Mengentender zurückgekehrt. Der Leitzins der EZB ist der sogenannte Zinssatz für Hauptfinanzierungsgeschäfte(main refinancing operations); er liegt derzeit bei 1,0 Prozent.

Wir haben also unsere Fälle wie folgt konstruiert:

Wir nehmen an, es hätte schon in 1959 den DAX gegeben und man hätte eine „DAX-Aktie“ im Verhältnis 1 DAX-Punkt zu 1 € kaufen können. Weiter nehmen wir an, das Depotkonto wäre nicht verzinst worden und es wären keine Depotgebühren berechnet worden.

Im Fall 1 haben wir einen Investor, der am 31.12.1959 den Gegenwert von 100.000 € auf seinem Anlagekonto gehabt habe. Dann hätte dieser Investor beobachtet, ob die Bundesbank sich in einer Phase der Zinssenkungen befunden hat. Am Ende des ersten Monats, an dem dies der Fall gewesen wäre, hätte er dann von seinem Anlagebetrag so viele DAX-Aktien wie möglich gekauft. Er hätte weiterhin beobachtet, wann die Bundesbank bzw. dann später die EZB begonnen hat, ihren Leitzins zu senken. Am Ende der ersten Monats, an dem dies der Fall war, hätte er er seinen Aktienbestand wieder verkauft. Bei einem Verkauf wäre der erlöste Betrag auf das Depotkonto verbucht und dieser Betrag bei Eintreten der Kaufbedingungen erneut investiert worden. Für jede Transaktion wären 0,5 % der Kaufsumme fällig geworden. Derartige Operationen hätte er dann bis Ende 2011 durchgeführt.

Fall 2 wäre genau gleich wie der Erste, aber hier wären keine Transaktionskosten fällig geworden.

Im Fall 3 hätte dieser Investor zum selben Zeitpunkt einmalig für 100.000 € DAX-Aktien gekauft und bis Ende 2011 behalten.

Nachfolgend sind die Monate dargestellt, an deren Ende der Investor einen Kauf bzw. Verkauf getätigt hätte. Zum Ende eines grün unterlegten Monats hätte er gekauft, zum Ende eines rot unterlegten Monats hätte er verkauft.Der Beginn der ersten Zinssenkungsphase in diesem Zeitraum fand demnach im November 1960 statt. Der fiktive DAX stand am Ende dieses Monats bei 538,4 Punkten. Somit hätte der Investor zu Ende dieses Monats eine „DAX-Aktie“ für €538,40 gekauft. Die Bundesbank senkte in der Folgezeit den Diskontsatz solange, bis sie ihn im Januar 1965 wieder erhöhte. Somit hätte der Investor diese „DAX-Aktie“ zu einem Kurs von € 489,00 wieder verkauft. Dieser Logik folgend, hätte er folgende Operationen bis Ende 2011 durchgeführt.

Wie wir sehen, trat meistens der Effekt ein, den man erwarten würde, aber nicht immer. So senkte die EZB den Zinssatz für Hauptfinanzierungsgeschäfte im Mai 2001 von 4,75 Prozent auf 4,5 Prozent. Die Börsenkurse stiegen in der Folge aber nicht, sondern gingen erst einmal deutlich nach unten, ehe es im Frühjahr 2003 während des Irakkrieges wieder zu einem Anstieg kam. Die längste Phase der Zinssenkungen gab es in den neunziger Jahren; im September 1992 senkte die Bundesbank den Diskontsatz von 8,75 auf 8,25 Prozent. Dieser Prozess kam erst gegen Ende der Neunziger Jahre zum Ende, als der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte von der EZB von 2,5 auf 3,0 Prozent erhöht wurde.

Hier ist der Betrag, der aus den 100.000 € geworden wäre: sowie die Jahresrendite über den untersuchten Zeitraum:

Die Jahresrenditen sähen so aus:

Damit hätte der Investor mit der Strategie „Don't fight the fed“ eine Überrendite erzielt. Diese Überrendite wäre durch die mit den Transaktionen verbundenen Kosten nur unwesentlich gemildert worden. Der Zinseszinseffekt hätte sich in diesem Fall zugunsten des Anlegers ausgewirkt. Sie wäre in Wahrheit sogar noch deutlich größer ausgefallen, denn natürlich hätte ein Investor den erlösten Betrag auf einem Tagesgeldkonto geparkt. Die Strategie, sich an der Zinspolitik der heimischen Notenbank zu orientieren, hätte also langfristig funktioniert.

Berechnet man das geometrische Mittel über die Phase der Zinssenkungen sowie über die Phase der Zinsanstiege, dann ergeben sich folgende Werte:

Eine Zinssenkung bewirkt also im längerfristigen Mittel einen Anstieg der Aktienkurse auf Jahressicht um fast 10 Prozent, eine Leitzinserhöhung lässt diese hingegen um gut 3 Prozent sinken. Außerdem dauert eine Zinssenkungsphase ungefähr doppelt so lange wie eine Phase der Zinserhöhungen; im Durchschnitt hatten wir also eine Zykluslänge von etwa fünf bis sechs Jahren. Auch daran sieht man, dass es sich im Allgemeinen lohnt, mit Zinssenkungen im Rücken anzulegen, und es bei Zinsanstiegen schwerer hat.

Wenn man wissen möchte, in welchem Zeitraum sich eine zinspolitische Maßnahme ausgewirkt hat, dann sieht man folgendes:

Spätestens ein Jahr nach dem Beginn einer Phase der Leitzinssenkungen kommt es also im allgemeinen zu einer sehr deutlichen Aufwärtsentwicklung der Aktienkurse. Außerdem steht nach sechs und nach zwölf Monaten der Index im allgemeinen nach Zinssenkungen deutlich höher als bei Zinsanstiegen. Anders sieht es nach drei Monaten aus: Beginnende Zinserhöhungen haben noch nicht sofort ungünstigere Auswirkungen auf die Märkte als beginnende Zinssenkungen. Genauso wenig haben in der Vergangenheit Zinssenkungen bereits nach einem Quartal positive Auswirkungen an den Aktienmärkten gehabt.

Dies hängt sehr wahrscheinlich mit der Wirkungsweise von Leitzinsänderungen zusammen. Denn das Ziel sowohl der Bundesbank als auch heute der EZB ist in erster Linie die Gewährleistung der Preisstabilität. Der Leitzins wird im allgemeinen dann erhöht bzw. gesenkt, wenn das Preisniveau in Gefahr bzw. nicht mehr von der Notenbank in Gefahr gesehen wird. Wenn aber das Preisniveau nicht mehr in Gefahr ist, dann hat sich bereits länger vorher die Geschäftstätigkeit zurückentwickelt. Bis eine Veränderung der Leitzinsen in der Realwirtschaft ankommt, vergeht ebenfalls einige Zeit.

Man erkennt allerdings auch, dass sich die Mechanismen seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 in ihrer Wirkungsweise verändert haben. So hat die EZB seither den Geschäftsbanken in bisher ungekanntem Ausmaß Liquidität zur Verfügung gestellt, da das Interbankengeschäft andernfalls vollständig zum Erliegen gekommen wäre. Der im April 2011 eingeleitete Zinserhöhungszyklus wurde im November bedingt durch die Eurokrise schon wieder abgebrochen. Die Geldmarktzinsen werden seither wieder niedrig gehalten, um eine erneute Verschärfung der Eurokrise zu verhindern. Das Problem ist hierbei die gravierende Verschuldungssituation von Staat und Privatsektor in den Euro-Peripheriestaaten. Auch wenn die Erhaltung der Preisstabilität natürlich weiterhin das vorrangige Ziel der EZB ist, so geht es ihr doch auch darum, den Euroraum vor dem Absturz zu bewahren.

Wird man die Formel „Don't fight the fed“ in naher Zukunft gewinnbringend für seine Anlagen nutzen können? Ich fürchte nein. Denn die Zinsen befinden sich bereits auf rekordtiefem Stand; eine weitere Senkung ist nur denkbar bei noch weiterer Verschärfung der europäischen Situation. Eher muss man befürchten, dass die monetäre Expansion irgendwann ihren Niederschlag in der Realwirtschaft finden könnte und die EZB sich hierdurch veranlasst sehen könnte, gegenzusteuern, was die Märkte eher dämpfen würde. Und so muss man als Anleger vor allem zum einen darauf hoffen, dass die Weltwirtschaft wieder in ein ruhigeres Fahrwasser gerät, das es den Unternehmen ermöglicht, ihre Erträge kontinuierlich zu steigern. Zum anderen könnte ein intelligenteres Management der Eurokrise als bisher dafür sorgen, dass die Risikoabschläge auf dem Aktienmarkt geringer werden. Die Notenbanken alleine, wenngleich sie Hauptakteure sind, können dies nicht bewirken.

Tokay

4 Gedanken zu „Börsenregeln reloaded II: Don´t fight the Fed !“

  1. Danke Tokay, sehr übersichtlich verfasster und lesenswerter Artikel – bitte weiter so!
    Eine kleine Frage am Rande: Sind Zinssätze unterhalb 1% seitens der EZB möglich oder ist der aktuelle Stand der Boden?

    Danke!

  2. Hallo chefkoch, Leitzinsen unterhalb 1 Prozent sind grundsätzlich möglich, und in der Tat liegen die Leitzinsen anderer (für uns) bedeutender Volkswirtschaften unterhalb dieser Marke; so in den USA, ebenso in Japan, in England und in der Schweiz. Jedoch sind die Rahmenbedingungen nicht überall dieselben; so ist das „Federal Reserve System“ in den USA( eben die „Fed“) nicht alleine der Preisstabilität verpflichtet, sondern auch der Beschäftigung und einer moderaten langfristigen Zinsentwicklung. De facto hat sich aber auch die EZB vom Stabilitätsziel ein Stück weit wegbewegt, was ja von deutscher Seite deutlich kritisiert wird; die Rücktritte des Bundesbankpräsidenten Weber und des EZB-Chefvolkswirts Stark sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Auch vertritt der jetzige Bundesbankpräsident Weidmann(wenngleich im Ton konzilianter) innerhalb des Zentralbankrats stabilitätspolitisch eine Minderheitenposition.

    Ob es unter die 1 Prozent im Euroraum druntergeht, ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, aber doch sehr unwahrscheinlich, da bereits die jetzigen 1 Prozent insgesamt eine recht expansive Wirkung entfalten. Es handelt sich hier ganz klar um eine Ausnahmesituation, von der man nicht weiß, wie lange sie noch bestehen wird.

    Viele Grüße

    Tokay

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