Börsenregeln Reloaded: Sell in May and go away?

Ein Gastartikel von Tokay

Börsenregeln reloaded: Sell in May and go away?

Ich möchte hier in lockerer Folge einige der alten Börsenregeln untersuchen und danach fragen, ob diese Regeln noch relevant oder jemals relevant gewesen sind. Den Anfang mache ich aus gegebenem Anlass mit der Regel :“ Sell in May and go away“.

Derzeit gibt es in der Finanzmarktberichterstattung ein Raunen, dass am Aktienmarkt eine Konsolidierung bevorstehe. Der Markt ist seit Jahresanfang über alle Maßen gut gelaufen und so ist dies in der Tat keine abwegige Vermutung.Und dann gibt es ja auch noch die alte Regel „Sell in May and go away“. Man weiß nicht genau, wie die Regel entstanden ist. Vielleicht deswegen: Sind die Marktteilnehmer im Frühling aus irgendwelchen Gründen euphorisch, dann würde es Sinn machen, zu verkaufen, solange diese Euphorie anhält. Vielleicht haben sie eine Dividende vereinnahmt, dann macht es vielleicht Sinn, zu verkaufen, nachdem die Zahlung erfolgt ist und niemand mehr auf seine Dividende wartet – Dividenden können einen erklecklichen Betrag ausmachen. Vielleicht möchte mancher auch nur den Kopf frei haben für den Sommer, für die Urlaubsreise, für schöne Erlebnisse und sich nicht bei sonnigem Sommerwetter mit der Börse beschäftigen müssen.

Wie dem auch sei, sollte es wirklich eine solche Gesetzmäßigkeit geben, dann wäre es unter Umständen sinnvoll seine Aktienbestände im Mai zu verkaufen und ein paar Monate später wieder zu vermeintlich günstigeren Kursen zu kaufen. Es gibt ja die Methode des sogenannten „Formula Investing“, mit der manche versuchen, sich bestimmte (vermeintliche) Marktgegebenheiten zunutze zu machen.

Um herauszufinden, ob eine solche Anomalie hier vorliegt, habe ich drei Beispielfälle konstruiert und getestet. Dazu nehmen wir an, es hätte schon in 1959 den DAX gegeben und dass man eine „DAX-Aktie“ im Verhältnis 1 DAX-Punkt zu 1 € hätte kaufen können. Weiter nehmen wir an, das Depotkonto wäre nicht verzinst worden und es wären keine Depotgebühren berechnet worden.

Im Fall 1 haben wir einen Investor, der am 31.12.1959 den Gegenwert von 100.000 € auf seinem Anlagekonto hatte. Dann hätte dieser Investor mit diesen 100.000 € so viele Aktien wie möglich gekauft und Ende Mai 1960 zum geltenden DAX-Stand wieder verkauft. Ende August 1960 hätte er zum dann geltenden DAX-Stand wieder gekauft. Die gleiche Operation hätte er in allen Folgejahren durchgeführt. Für jede Transaktion wären 0,5 % der Kaufsumme fällig geworden.

Fall 2 wäre genau gleich wie der Erste, aber hier wären keine Transaktionskosten fällig geworden.

Im Fall 3 hätte dieser Investor zum selben Zeitpunkt einmalig für 100.000 € DAX-Aktien gekauft und bis Ende 2011 behalten.

Und so sieht das Ergebnis aus:


Bezieht man die Transaktionskosten mit ein, so hätte der Investor im ersten Fall eine Jahresrendite von 2,8 % erwirtschaftet. Wären keine Transaktionskosten angefallen, dann hätte diese Rate bei 4,4 % per annum gelegen.. Hätte der Investor die „DAX-Aktie“ erworben und einfach nur behalten, dann hätte er per Jahresende 2011 einen Zuwachs von 5,2 % zu verzeichnen gehabt.

Diese Zahlen sind beeindruckend. Denn sie zeigen mehrerlei:

  • Nämlich zum einen, dass der Zinseszinseffekt unerbittlich wirksam ist. Das Fälligwerden von Spesen bei jeder Transaktion führt nämlich dazu, dass dieser Zinseszinseffekt nachhaltig abgebremst wird.
  • Zum zweiten entsteht eine Art negativer Cost-Average-Effekt: Sofern die Kurse bis August steigen, können nur noch kleinere Stückzahlen gekauft werden und der spätere Wertzuwachs wird durch die verringerte Positionsgröße vermindert. Gibt es im darauffolgenden Jahr einen Kursrückgang, dann muss diese geringer gewordene Stückzahl zu einem geringeren Kurs verkauft werden.
  • Weiterhin entsteht ein Effekt, den man vom „Money Management“ her kennt. Ein Kursrückgang von z.B. 20 Prozent muss erst wieder durch einen neuerlichen Anstieg um 25 Prozent aufgefangen werden.

Das Markttiming durch „Sell in May“ kann alle diese Effekte bei weitem nicht kompensieren.

Der Vorsprung von „Buy and Hold“ zeigt sich durchgängig, besonders aber während der langen Hausse 1982-2000. In diesem Zeitraum stiegen die Kurse sehr oft durchgehend. Wer hier also nach der Methode „Sell in May“ verkaufte, der musste nicht nur Transaktionsgebühren bezahlen, die im Zinseszinseffekt zum Tragen kamen und somit für das spätere Investment fehlten. Sondern ihm entgingen auch noch Kursanstiege, die in der gleichen Zeit stattfanden (Stichwort „Sommerrallye“). Ein Vorteil durch „Sell in May“ entstand nur dann, wenn ab dem Sommer tatsächlich ein scharfer Kursrückgang erfolgte, den man sich durch den vorzeitigen Ausstieg ersparte. Im vergangenen Jahr 2011 war dies auf spektakuläre Weise der Fall. Aber es scheint nicht sehr oft so gewesen zu sein.

Vergleichen wir einmal die verschiedenen Kapitalkurven. Einmal die Kapitalkurve mit „Sell in May“ inklusive Transaktionskosten gegenüber Buy and Hold, und das zweite mal „Sell in May“ ohne Kosten versus „Buy and Hold“:


Es zeigt sich also, dass „Sell in May“ nicht die geeignete Methode ist, um langfristig besser abzuschneiden als der Markt. Fairerweise muss man aber dazu sagen, dass die Jahresrenditen beider Methoden sehr stark schwanken und unser Ergebnis nur eine Momentaufnahme ist – allerdings eine, die nicht eben besonders stark für „Sell in May“ spricht. Zwar ist die Anzahl der Jahre, in denen die Zuwächse von August bis Mai höher sind, deutlich in der Überzahl – doch dies verhilft dieser Methode nicht zu einem durchschlagenden Effekt. Es mag allerdings sein, dass kurzfristig agierende Investoren mit der Methode sehr wohl erfolgreich sein können. Jedoch ist das Risiko sehr hoch, dass das ausgerechnet in jenem Jahr nicht der Fall ist, in dem gerade investiert wird.

Wer „Sell in May“ praktizieren möchte, kann das gerne tun – aber er/sie sollte dies nicht damit begründen, dass der Mai generell ein besonders günstiger Monat wäre. Außer man möchte den Sommer unbeschwert genießen und sich nicht über Börsenkurse den Kopf zerbrechen...In den allermeisten Fällen, und wir erfahren es auf „Mr-Market“ jeden Börsentag aufs neue, werden andere Gründe für die Kursentwicklung ausschlaggebend sein.

Die Börsenregel lautet übrigens vollständig: „Sell in May and go away, stay away till St.Leger's Day“ (Anmerkung dazu: St.Leger ist in England das erste Pferderennen im September).

Tokay

13 Gedanken zu „Börsenregeln Reloaded: Sell in May and go away?“

  1. Lieber Tokay,

    meinen ganz herzlichen Dank für Dein vorbildliches Engagement und diesen hervorragenden Artikel !
    Ich freue mich sehr und bin schon auf die anderen Börsenregeln gespannt ! 😉

    An alle Leser,

    ich möchte diesen schoenen Beitrag von Tokay zum Anlass nehmen, Sie erneut zu motivieren, sich hier in den Blog aktiv einzubringen.

    Dazu müssen Sie gar nicht so einen umfangreichen Artikel wie Tokay schreiben, es sind die kleinen Dinge die zählen:

    1. Als stummer Mitleser könnten Sie sich anmelden und sich mit Ihrem Wissen aktiv beteiligen.
    2. Wenn Sie eine Frage haben, stellen Sie sie hier – Sie werden staunen wie viele andere Leser die gleiche Frage haben.
    3. Wenn Sie eine Aktie oder ein Thema sehen, dass Ihnen aktuell bemerkenswert erscheint, bringen Sie es in den Blog ein. Wir alle können davon profitieren.

    Und wenn Sie Angst davor haben Ihre Frage oder Ihre Meinung könnte „dumm“ sein: trauen Sie sich !

    Denn ich verspreche Ihnen, ich sorge dafür, dass hier Anfängern freundlich geholfen wird. Es gibt keine dummen Fragen, nur dumme Antworten – wir alle haben mal bei Null angefangen und hätten wir damals jemanden gehabt, der uns kompetent ein bisschen an der Hand nimmt – uns wären einige unnötige Verluste wohl erspart geblieben !

    In diesem Sinne würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mithelfen diesen Blog zu einem Ort des Austausches und der Hilfe zu machen.

    Ihr Hari

  2. Börsenweisheiten auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen finde ich auch sehr spannend! Dummerweise gestaltet sich eine robuste (statistische) Argumentation meist enorm schwierig, da es meist schlicht zu viele „wenn“s gibt.
    Sehr gut finde ich, dass Tokay Transaktionskosten berücksichtigt, ein Punkt der mMn nach beim „Traden“ gern zu wenig beachtet wird, gerade in kleineren Depots. So nach dem Motto „was sind schon 10€“ kommt dann am Ende doch eine Menge zusammen und drückt die durchschnittliche Performance massiv.

    Kritisch bemängeln würde ich, die nicht-Einbeziehung der Kapitalverzinsung von Mai-September. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, dass da über einen so langen Zeitraum (52*3m=13j) doch einiges zusammenkommen würde, zumal „früher“ ja auch die Zinsen doch einiges höher waren(?). Insgesamt könnte das die Kapitalkurven doch etwas beeinflussen!
    Zweitens der Handelszeitpunkt: Nimmt man an, die Regel „Sell in may“ ist sinnvoll, müsste man ja konsquenterweise schon Ende April verkaufen, bevor die anderen die Regel befolgen! Sprich man müsste eigentlich schauen wann und ob es optimale Verkauf- und Rückkaufzeitpunkte gibt… Macht man dies, könnte ich mir vorstellen, dass man ein Ergbniss Pro „Sell in May…“ erhalten würde!
    Das soll jetzt natürlich keineswegs negativ gegenüber Tokays interssanten Beitrag gemeint sein!
    Ich finde nur, historische (und „statistische“) Aussagen muss man immer mit großer Vorsicht betrachten, da sie einfach schon Geschichte sind und an der Börse wird nunmal die Zukunft gehandelt! (oder?)

  3. Das Backtesting von Bauernregeln ist beliebt. Wenn man zum Beispiel „sell in may“ und „backtesting“ bei Google eingibt, erhaelt man eine ganze Menge an relevanten Ergebnissen. Je nachdem welchen Index und welchen Zeitraum man testet, scheint es da unterschiedliche Schlussfolgerungen zu geben – funktioniert die Regel oder funktioniert sie nicht? Auf jeden Fall lohnt es sich, sich ueber sowas mal Gedanken zu machen. Da gibt es viel zu lesen, besonders wenn man das Suchgebiet etwas ausweitet. Zum Beispiel:
    „Seasonal Timing“, „Calendar Effects“, usw.

  4. Hallo zusammen,

    Felix, Dein Punkt mit der Verzinsung ist sehr berechtigt und ich habe über diesen Punkt auch nachgedacht. Die Nichteinbeziehung der Verzinsung hatte sehr praktische Gründe: Es war mir vom zeitlichen ger gesehen ein zu großer Aufwand, 50 mal den Tagesgeldzins zu ermitteln und in die Berechnung einfliessen zu lassen. Dann würde, da hast Du schon recht, „Sell in May“ nicht mehr ganz so bescheiden abschneiden. So sieht man besser die grundlegendene Effekte, und was man auch sieht:“ Hin und her macht die Taschen“….zwar nicht leer, wirkt aber als Renditebremse. Den Mai habe ich durchaus absichtlich genommen, denn die DAX-Dividenden werden ja auch noch im Mai gezahlt, also hielt ich es für sinnvoll, den Mai abzuwarten. Man könnte das natürlich auch noch austesten mit Ende April, man müßte sehen, wie dann die Performance ist. Der letzte Punkt von Dir, nämlich die Gefahr von Rückschlüssen aus der Geschichte und deren Projektion in die Zukunft, findet ausdrücklich meine Zustimmung. Oftmals ist es ja gerade so, daß, eben weil etwas in der Vergangenheit funktioniert hat, es in der Zukunft nicht mehr funktioniert, weil der Effekt in den Kursen dann schon vorweggenommen wird sprich im Vertrauen auf das Eintreten des Effekts gekauft wird und folglich die Kurse steigen.

    Hans, auch was Du schreibst, ist richtig, nämlich, daß man zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen kommen kann. Dass es kurzfristig funktionieren kann, ist unstrittig – in der Mehrzahl der Fälle schneidet der Zeitraum August bis Mai in der Tat besser ab als umgekehrt. Was ich nur demonstrieren wollte, war die, so mutmaße ich, Unmöglichkeit, aus „Sell in May“ eine feste Investmentformel zu bauen. Was die Kalenderanomalien angeht, da werden in der Lieratur noch zwei ganz andere Effekte diskutiert, nämlich der Januar-(im positiven) und der September-Effekt(im negativen). Vielleicht ist es aber auch so, wie Mark Twain schrieb, nämlich, daß der Oktober ein gefährlicher Börsenmonat sei, aber die anderen elf Monate seien ebenso gefährlich.. 🙂

    Einen Punkt finde ich, muß man bei brim Thema Kapitalverzinsung auch noch beachten: Viele Leute nehmen das „freudige Ereignis“ der Dividendenzahlung oder des Kursanstiegs zum Anlaß, zu verkaufen und sich z.B. etwas zu gönnen. Das ist aber nun etwas, was einen gleichartigen Effekt wie eine Nullverzinsung hat. Denn der Abfluß von zuvor verzinstem Kapital führt ebenfalls zu einer Verringerung des Zinseszinseffektes. Das ist zwar nicht ganz modellgetreu, dürfte aber viel mit der Lebensrealität zu tun haben.

    Danke für Eure bedenkenswerten Kommentare.

    Tokay

  5. Es mag stimmen, dass an sonnigen Tagen wie diesen die Börse in den Hintergrund rückt.
    Statistisch gesehen, scheint es jedoch nicht von Vorteil, schon im Mai zu verkaufen, da es in der langfristigen DAX-Performance
    in den Monaten Juni und Juli nochmals zu Kursanstiegen kommen kann. Erst die Monate August und September sind besonders
    von übermäßigen Kursrückgängen betroffen.
    Deswegen wäre die Darstellung nicht ganz so different, wenn der Daxkauf erst im Oktober stattgefunden hätte.

    Letztlich bestätigt diese Ausführung nur eine langfristigen Erfolgsaussicht im Vermögensaufbau.
    Die überwiegende Mehrheit von uns schafft es eben nicht, besser als die Benchmark abzuschneiden.
    Viele geben vorzeitig auf, fangen zu spät an, experimentieren zu viel oder verzweifeln an dem langfristigen Denken.
    Es ist hin und wieder sinnhaft, sich in Geduld zu üben.
    Was nicht bedeuten soll, einer gewissen Passivität zu erliegen.
    In einem aktiv gemanagten Depot sind zu mindestens die Monate Mai bis September keine klaren überzeugenden Kaufmonate.

    Die Transaktionskosten sind natürlich zu gewichten und eine hohe Aktivität auf Dauer schmälert die Rendite erheblich.
    Vielen Privatanlegern neigen dazu, sich selbst zu überschätzen und ihre Chancen und eigenen Prognosen überzubewerten.
    Es liegt wohl in der Natur des Menschen dem Sentiment häufig zu verfallen, als es uns lieb ist.
    Dadurch agieren wir im Verlauf zu unruhig, übereilt und unaufhörlich.
    Der Dalai Lama hat bereits geäußert: ‚Geduld bewahrt uns davor, entmutigt zu werden.‘
    Also sollten wir uns mehr in Geduld üben.
    Der Jahresverlauf der Indizes scheint dem gerecht zu werden. 😉

    Allen noch erholsame Sonnentage.

    Tribun

  6. Hallo zusammen,

    da ich zu den hiesigen Anfängern gehöre, lese ich momentan recht viel über verschiedene Anlagestrategien, Depotaufstellungen und Verteilung derer. Nun stolpere ich auch immer wieder in einschlägigen Foren über eben diese „Regel“. Diesbezüglich wird oft noch die These vertreten, dass die Dividendenzahlungen bereits im Aktienpreis eingepreist sind und dass diese Ausschüttung auf jahressicht keinerlei zusätzlichen „Gewinn“ bewirken soll.
    Ist dem wirklich so – sprich ist die Dividende für nicht-langfristige Anleger wirkungslos, da eingepreist?

    Danke & viele Grüße aus der sonnigen Pfalz!

  7. @ Chefkoch, willkommen bei uns !

    Das ist keine These, sondern die schlichte Realität, die auch für langfristige Anleger gilt ! Die Auszahlung einer Dividende macht einen Aktionär keinen Cent reicher, aufgrund Steuereffekten oft sogar ärmer. Zum Thema Dividende gibt es in der Bevölkerung gewaltige Missverständnisse, weil sie immer mit einem Zins gleichgesetzt wird, was Unfug ist. Die Dividende ist eine Entnahme von Kapital aus dem Unternehmen, von Kapital das dem Aktionär auch schon vorher gehört hat !

    Ich versuche deshalb an einem Beispiel klar zu machen, was eine Dividende ist und was sie bewirkt. Das Beispiel ist bewusst stark vereinfacht, um den Kernpunkt deutlich zu machen.

    Nimm an, Dir gehört ein Unternehmen, das einen Marktwert von 10 Millionen € hat. 9 Millionen des Wertes stecken in Produktivkapital, also Deinen Maschinen, Patenten, was auch immer Du für Deine Produkte brauchst. 1 Million hat Dein Unternehmen als Cash auf der hohen Kante liegen.

    Nun stehst Du als Unternehmenschef vor der Frage, was machst Du mit der Million, in neue Maschinen investieren oder auszahlen (Dividende) ?

    Entscheidest Du Dich für die Dividende, ist das Unternehmen am Tag der Auszahlung nur noch 9 Millionen wert. Du hast dafür 1 Million im Privatvermögen (genau genommen weniger eben wg Steuer). In Summe hast Du also immer noch 10 Millionen Vermögen. Ist ja auch kein Wunder, warum soll es mehr wert werden, nur weil Du eine Million von links nach rechts verschiebst ?

    Ein Jahr später, warst Du mit Deinen Produkten so erfolgreich, dass Du mit Deinem Produktivkapital im Unternehmen wieder eine Million Gewinn erwirtschaftet hast, der wieder als Cash rumliegt. In Summe hast Du nun also 11 Millionen Vermögen und wieder stehst Du vor der Frage ausschütten oder reinvestieren ?

    Passiert das jedes Jahr, hast Du also ein Unternehmen mit einer Dividendenrendite von über 10%. Hört sich ja toll an, nur weil Du immer alles ausschüttest, hast Du keine Chance Deine Umsätze und Gewinne nachhaltig zu steigern. Im Gegenteil, Deine Maschinen werden immer älter und irgendwann geht dieses Spiel der Ausschüttungen einfach nicht mehr.

    So weit das Beispiel. Bei den grossen Aktien ist es nicht anders. Voraussichtlich am 25.05. wird die Dividende von knapp 7% bei der Deutschen Telekom ausgeschüttet. Beobachte an dem Tag mal den Kurs. An dem Tag verliert der Kurs der Telekom genau diese 7%, Plus/Minus den normalen Tagesbewegungen. Ist ja auch kein Wunder, der Cash der Dividende hat Dir ja am 24.05. auch schon gehört. Da war er noch im Unternehmen, am 25.05. ist er auf Deinem Konto und das Unternehmen um den Betrag weniger wert.

    Zu hohe Dividenden (wie in dem Beispiel Deiner Firma) sind sogar ein Negativzeichen für eine Aktie. Denn es bedeutet, dass das Management mit dem Geld nichts mehr anzustellen weiss, was höhere Renditen durch Wachstum abwirft. Genau deshalb findet man Unternehmen mit hohen Dividenden typischerweise in schon verteilten Märkten mit wenig Wachstum.

    Schauen wir uns dagegen mal Apple als Beispiel an. Apple hat nie einen Cent Dividende gezahlt und jeden Cent wieder in Produkte und Technologien investiert. Im Ergebnis ist Apple in den letzten 10 Jahren so unglaublich gewachsen, dass man mit dieser Aktie jede, aber auch jede, „Dividenden-Aktie“ locker geschlagen hätte.

    Nun hat Apple 100 Milliarden Cash auf der hohen Kante und weiss nichts mehr damit anzustellen. Es gibt keine Investitionen mehr, die diese 100 Milliarden wert sind. Nun ist also seit diesem Jahr auch Apple (wie Microsoft) ein Dividendenwert. Ist das ein gutes Zeichen ? Nein bestimmt nicht – es sagt ganz klar, dass sich die Zeit der gewaltigen Wachstumsraten dem Ende neigt. Deswegen ist Apple immer noch ein tolles Unternehmen, aber besser ist es durch die Dividende nicht geworden.

    So weit dazu und übrigens habe ich zu obiger Sicht einen sehr prominenten Fürsprecher, den auch Anfänger als Testimonial akzeptieren: Warren Buffet. Der hält auch nichts von Dividenden solange das Management mit dem Cash etwas sinnvolles anstellen kann und hat sie für seine Berkshire Hathaway bis zuletzt abgelehnt, bis er das gleiche Problem wie Apple bekam.

    Jetzt könntest Du nach dieser Erklärung denken, ich wäre prinzipiell gegen Dividenden. Nein, keineswegs !

    Denn da der normale Privatanleger gar nicht in der Lage ist, den Cashflow eines Unternehmens zu analysieren und die cashstarken Unternehmen mit langfristigen Gewinnen zu finden, ist die Dividende eine wunderbares, einfaches Indiz für solche Unternehmen. Denn um eine Dividende zu zahlen, muss man sie (in der Regel) erst einmal erwirtschaften.

    So kommt ein unerfahrener Anleger mit einer Dividenden-Strategie also leicht an cashstarke, solide Unternehmen, wenn er es dann auch noch schafft, die Unternehmen aus der Liste zu nehmen, die – wie aktuell in meinen Augen die Telekom – die Dividende aus der Substanz zahlen und gar nicht mehr erwirtschaften. Er nimmt sich mit so einer Strategie aber auch die Chance, eine Apple im Depot zu haben – zumindest bis vor kurzem 😉

    Insofern macht eine Selektion von Aktien über langfristige Dividendenrendite für Otto Normalanleger Sinn. ABER, und hier ist wieder das Missverständnis, die Auszahlung der Dividenden macht den Anleger nicht reicher. Nachdem er die Liste der cashstarken Unternehmen kennt, könnten diese Unternehmen auch alle die Ausschüttung streichen und den freien Cash statt dessen in profitable Investitionen stecken. Der Aktionär würde dadurch am Ende wahrscheinlich gleich oder besser da stehen. Ausnahme wären die Unternehmen, bei denen dem Management gar nichts mehr zum Thema Investition einfällt, aber will man so ein Unternehmen wirklich im Depot haben, Dividende hin und her ?

    Fazit: für alle Anleger, kurzfristige wie ganz langfristige, schaffen Dividenden keinen Wert und durch Zahlung von Dividenden wird kein Aktionär einen Cent reicher. Aber, Dividenden können ein simples Indiz für cashstarke, solide Unternehmen sein. Und als solches Selektionskriterium kann es Sinn machen Unternehmen auszuwählen, die überhaupt in der Lage sind eine derartige Dividende zu zahlen.

    So Chefkoch, ich hoffe ich habe Dir geholfen und es wurden einige Unklarheiten beseitigt.

    Gruss, Hari

  8. Guten Abend allerseits, wollte aus dem Urlaub heute mal kurz in die Diskussion reinschauen. Zur Frage, ob Dividenden relevant sind, von mir noch ein paar kurze Anmerkungen. Erstens, die Theoretiker und Praktiker sind sich darüber durchaus uneins. Hari sagt mit Recht sinngemäß, ob ich den ausgeschütteten oder einbehaltenen Gewinn da oder dort stehen habe, ist eigentlich Jacke wie Hose. Also sind Dividenden nicht relevant. Genauso richtig ist aber auch, daß der Gewinn erst einmal erwirtschaftet werden muss. Also sind Dividenden doch relevant. Ja, was denn nun?

    Angenommen, es gäbe buchstäblich keinerlei unternehmensspezifische oder allgemeinen Nachrichten, die den Kurs beeinflussen würden, dann würde der Kurs eines Papiers mit 7 % Dividende, am ex-Tag um genau 7 % absacken, auch richtig beschrieben. Ferner angenommen, im Folgejahr würden wieder 7 % Dividende ausgeschüttet werden, dann würde sich über das Jahr gesehen ein Kursgewinn von ebendiesen 7 % aufkumulieren – bis zum nächsten ex-Tag usw. Die Preisbildung wäre dann genau die gleiche wie bei einer Anleihe(wie gesagt, wenn wir alles andere ausblenden).

    Richtig und wichtig ist auch, was Hari über die Dividende als Orientierungsgröße geschrieben hat. Wer nachhaltig Gewinn erwirtschftet, der kann auch Dividenden zahlen. Da wird dann aber der Newsflow relevant: Denn wenn die Anleger glauben, ein Unternehmen kann seinen Gewinn künftig steigern, dann schlägt sich das in den Kursen nieder, mit oder ohne Dividende. Wenn sie es nicht glauben, wie etwa bei der Deutschen Telekom, dann stagniert der Kurs. In dem Fall ist eine hohe Dividendenrendite sogar eher ein Warnsignal. Denn sie signalisiert, daß künftig Dividendenkürzungen ins Haus stehen werden – so wie in 2012 bei den Versorgern, Stichwort Energiewende. Und würden dann gleichzeitig die Kurse sinken, würde sich die Dividendenrendite sogar „stabilisieren“ – allerdings auf geringerem Niveau.

    Daraus würde ich folgern, dass eine gewisse Dividendenrendite zwar bestimmt nichts schlechtes ist, aber als alleiniges Auswahlkriterium für eine Anlageentscheidung nicht ausreicht. Für das „Formula Investing“ wäre eine Dividendenstrategie gar nicht mal so verkehrt – auch wenn es wahrscheinlich bessere Strategien gibt.

    Gute Nacht

    Tokay

  9. Hallo Hari,

    vielen Dank für die sehr ausführliche Erläuterung!
    So hatte ich mir das auch gedacht – eingepreist im Sinne von „Aktien als Unternehmensanteile“. Dies würde allerdings auch bedeuten, dass durch die Versteuerung der Dividendenzahlung eine Minderung für den Aktionär festzustellen ist (vorausgesetzt, der Kurs der Aktie verliert mindestens den ausgeschüteteten Gegenwert der Dividende) – und zwar um den Steuersatz.

    Viele Grüße!

  10. So ist es Chefkoch, denn wenn von ideologisch geschulter Seite in Sachen Dividende immer wieder von der zu geringen Abgeltungssteuer gefaselt wird, zeigt das nur, das die Leute in Sachen Steuern völlig kenntnisfrei sind.

    Denn Gewinne werden auf zwei Ebenen besteuert, auf der Ebene des Unternehmens mit Körperschaftssteuer, nach der Ausschüttung dann auf Ebene des Anlegers mit Abgeltungssteuer.

    In Summe werden ausgeschüttete Gewinne damit schon heute oft mit mehr als 50% besteuert – das sollte doch reichen.

    Und wenn ein Unternehmen ein kompetentes Management hat, das profitable Investitionen mit hoher Rendite mit seinen freien Mitteln umsetzen kann, dann fährt man als Aktionär in der Regel besser, wenn die das Geld sinnvoll reinvestieren, statt es auszuschütten.

    Umgedreht, bei einem Gurken-Management, dass gerne sinnlos Geld versenkt, ist es als Aktionär natürlich besser die Dividende auf dem eigenen Konto zu haben, als das es vom Management verspielt wird. Nur will man bei so Unternehmen überhaupt Aktionär sein ?

  11. Hari, das sehe ich nicht ganz so – auch Manager sind nur Menschen und können sich irren. Deswegen zieht die Begründung nicht, das Kapital könne einbehalten und woanders „sinnvoll“ investiert werden. Nur leider wissen auch manche Manager erst hinterher, was „sinnvoll“ gewesen wäre. Wenn ein Unternehmen wirklich ordentlich Profit macht, dann kann es auch ein paar Euros pro Aktie an Dividende abdrücken. Damit meine ich nicht, daß eine Firma ihren ganzen Gewinn für die Dividende benutzen soll – der Schuß dürfte wohl in den meisten Fällen nach hinten los gehen. Nur woher wissen die Aktionäre, wie fähig das Management ist? Da zählen am Ende die Ergebnisse und nicht die „Story“. So, und jetzt ist Mittagsschlaf. ….Viele Grüße, Tokay.

  12. Hallo Hari, ist auch nicht wirklich ein Dissens, war nur so ne Idee… ;-). Und der Markt kann es ja ganz gut beurteilen, wie fähig am Ende ein Management wirklich ist.

    Danke, hab jetzt ausgeschlafen.. 🙂

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