Das Elend unserer Politik – oder warum Frau Merkel keine Anführerin ist

Ein sehr persönlicher Kommentar zu Frau Merkel und zum Thema Führung:

Manchmal entstehen Gedankengänge adhoc aus dem Nichts. Sie wissen aus vielen grundsätzlichen und durchaus politischen Artikeln zur Eurokrise, wie sehr mich die Konsequenzen dieser Fragen für unsere Zukunft umtreiben.

So erinnere ich an Artikel wie -> Ja aber .. oder wie man sich selber abschafft <- oder -> Das Ende Deutschlands wie wir es kennen <-.

In Anbetracht der Meldungen zur wievielten? Abstimmung des Bundestages über die wievielte? "letzte" Stützung Griechenlands, wurde mir selber bewusst, dass selbst ich mittlerweise komplett auf geistigen Durchzug geschaltet habe, sobald von Politik, Berlin und Bundestag die Rede ist. Und ich habe mich gefragt, woran das liegt, denn an mangelndem politischen Interesse oder fehlendem Verständnis für die sachliche Problematik, kann es bei mir nun wirklich nicht liegen.

Die Antwort war mir schnell klar. Es handelt sich um eine Art unbewussten Selbstschutz meinerseits, weil ich das konzeptlose "Geschwurbel" der Politik in Anberacht der gewaltigen Konsequenzen die daraus erwachsen, einfach nicht ertrage. Es tut meinem Seelenheil gut, die Bilder der weitgehend hilf- und ahnungslosen Bundestagsabgeordneten, die da nach Fraktionsdisziplin abstimmen, zu verdrängen. Denn ansonsten würde ich jeden Tag die Verzweiflung spüren, die aus einem Gefühl der Hilflosigkeit erwächst. Hilflosigkeit, wenn man glaubt weit besser als die Mehrzahl der Politiker zu verstehen was nötig wäre, aber keinen Einfluss auf das Ergebnis hat.

So kam es zu einem Kommentar in den Live-Tips, darauf Kommentaren von Lesern und Antworten von mir, und so entstand ein Gedankengang, den ich für so wichtig halte, dass ich Ihn auch in Form eines Artikels verewigen will.

Denn eines ist doch offensichtlich. Wir haben in Europa, speziell aber gerade in Deutschland, ein gefühltes Führungsvakuum. Es fehlt dem Land an Orientierung und an Visionen, die seinen Weg in die Zukunft beschreiben. Von all den grundsätzliche Fragestellungen, die sich über Jahrzehnte aufgestaut haben, aber ohne konzeptionelle Antwort bleiben, ganz zu schweigen. Dieser gefühlte Mangel trägt wesentlich dazu bei, dass sich in schwierigen Zeiten dieses Gefühl der Hilflosigkeit breit macht, weil man glaubt sowieso nichts ändern zu können und so der Zukunft ausgeliefert zu sein.

Und wir haben mit unserer Bundeskanzlerin eine Meisterin des Machterhalts und der Organisation der komplexen Gegenwart, die aber nach meinem persönlichen Eindruck sofort ein spürbares Unbehagen zu befallen scheint, sobald es darum geht eine Richtung vorzugeben - ausser wenn diese Richtung sowieso Common Sense und damit offensichtlich ist. Denn etwas vorzugeben und sich mit seiner Überzeugung in den Wind zu stellen, ist aktiv und nicht reaktiv. Und es birgt die Gefahr in sich, dabei falsch zu liegen. Leider ist aber genau das Führung, das andere nur das Verhalten eine Verwalters. Immer nur aus der Deckung zu agieren, schützt vor Wunden, das Verhalten eines Anführers ist das nicht. Und Menschen werden so auch nicht motiviert.

Worauf sich die Frage anschliesst, warum das gerade in Deutschland so ausgepägt ist. Dem Land, auf das nun ganz Europa und die ganze Welt schaut, um in Europa Führung zu zeigen. Wer, wenn nicht Deutschland, könnte man fragen - und so sieht es auch die Welt ausserhalb Europas.

Ich befürchte wir sehen hier in Deutschland die Gegenbewegung zu den traumatisierenden Erfahrungen der zwei Weltkriege. Denn alles was mit Vision und Charisma zu tun hat, steht bei uns seit dem unter Generalverdacht.

Gerade bei den Deutschen ist das auffällig. Deutschland hatte seit der Reichsgründung 1870/71 eine beeindruckende Kraftentfaltung. Man konnte sozusagen vor Kraft kaum Laufen. Es gab so etwas wie ein kollektives Gefühl der Bestimmung zur Grösse, das dann natürlich auch primitiver Kraftmeierei eine Steilvorlage gab, statt klug eingesetzt zu werden. Mit dem Ende der Nazi-Herrschaft entstand dann ein gewaltiger Kater und seitdem ist alles diskreditiert, das mit Charisma und Vision zu tun hat.

Ich konnte es doch im Nachhinein an den Erzählungen meines Grossvaters beobachten. Ein Idealist wie er im Buche steht und überzeugtes Mitglied der Partei. Und irgendwann ist das dann umgeschlagen in ein Gefühl betrogen und missbraucht worden zu sein. Die Folge war innerlicher Rückzug in die überschaubare Welt des Schrebergartens.

Nun hindert uns diese kollektive Erfahrung, wieder in grösseren Dimensionen zu denken und die Welt gestalten zu wollen, statt sie nur zu erdulden und uns in ihr einzurichten. Und dieser Gestaltungswille ist nun im Zeitalter der Globalisierung dringend geboten ! Denn entweder wir gestalten, oder wir werden von anderen gestaltet !

Dabei ist Gestaltungswillen, Vision und Führungskraft zunächst einmal moralisch wertfrei und es sind Fähigkeiten, die immer wieder zwingend nötig werden. Moralisch “gut” oder “böse” wird Führung immer erst im Nachhinein, wenn man das Ergebnis der Führung dann bewundern und werten kann.

So können Visionen uns in den Untergang führen, aber auch in eine bessere Welt. Und wenn wir aufhören wollen, das Gute zu wagen, nur weil es auch schief gehen könnte, sollten wir in Deutschland besser gleich im Bett bleiben. Ich habe es schon einmal geschrieben, wir begehen hier in Deutschland in meinen Augen “Selbstmord aus Angst vor dem Tod !”

Und unsere Bundeskanzlerin passt perfekt dazu. Sie scheint mir persönlich so viel Angst davor zu haben, dass ihr die Kontrolle über die komplexe Situation entgleitet, dass sie darüber die wahre Rolle jedes Anführers vergisst: dem Land Orientierung, Richtung und das Gefühl eines gemeinsamen Sinns zu vermitteln. Genau die Fähigkeiten, die übrigens einen guten CEO von einem schlechten unterscheiden.

Dabei sind Führungsfragen und die Anforderungen an Führungspersonal ja nun nichts Neues und begleiten die Menschheit, solange wir Aufzeichnungen über die Geschichte haben. Und über die Jahrtausende haben sich daher auch bewährte Mechanismen heraus geschält, die jede grössere Gruppe von Menschen benötigt, wenn sie kollektiv vor schwierigen Herausforderungen steht.

So gibt es auf jedem gut geführten Schiff nicht ohne Grund neben dem Kapitän den 1. Offizier. Es ist der erste Offizier, der den Laden operativ am Laufen hält und auch die Disziplinargewalt ausübt, bewusst nicht der Kapitän. Der Kapitän dagegen bestimmt die Richtung und befeuert die Herzen der Mannschaft. Der Kapitän muss daher diese Eigenschaft besitzen, die man als Charisma bezeichnet. Diese Rollenverteilung hat sich über Jahrhunderte bewährt. Und auf einem Segelschiff über Monate eingepfercht den Naturgewalten trotzen zu müssen, hat durchaus Parallelen zu den "Naturgewalten" der einfachen Mathematik, mit denen wir uns nun im Angesicht der Staatschuldenkrise auseinander setzen müssen.

Wir in Deutschland haben mit Frau Merkel einen gut funktionierenden 1. Offizier, dem wir operativ nach aller Erfahrung auch vertrauen können. Der Kapitän ist dagegen schmerzlich “Missing in Action”.

Und nein, ich persönlich kann im derzeitigen politischen Personal niemanden erkennen, der diese Rolle des Kapitäns überzeugend ausfüllen kann. Schon gar nicht dünnhäutige Polterer, die eher Schafe im Wolfspelz als umgekehrt sind. Aber auch das ist für mich Zeichen des Elends unseres politischen Systems, das eher den angepassten Parteisoldaten fördert, als den unabhängigen, kantigen Überzeugungstäter.

Wenn wir in der globalen Weltgeschichte in Zukunft gestalten und nicht nur passiv hin- und her geworfen werden wollen, dann brauchen wir in meinen Augen eine Art Demokratie 2.0. Eine Demokratie, die die besten, klügsten und durchsetzungsstärksten Mitglieder unserer Gesellschaft dazu motiviert, sich politisch zu engagieren. Und ihnen das auch ermöglicht, ohne vorher eine stromlinienförmige Wandlung durchlaufen zu müssen. Eine Verfassung, die einer Regierung auch die Mittel gibt, dann mal "durchzuregieren" wenn sie gewählt ist, statt sie in eine permanente Quasi-Grosse-Koalition mit permanentem Vermittlungsausschuss zu zwingen, der nur graue Einheitssosse hervor bringt. Und als Gegenwicht zu dieser stärkeren Exekutive stärkere plebiszitäre Elemente, so dass der wahre Souverän, der Bürger, die Regierung zur Räson bringen kann, falls diese ihre Macht zu missbrauchen beginnt.

Und wir brauchen eine(n) Bundeskanzler(in), die/der zur Führung befähigt ist und von eigenen Überzeugungen über den richtigen Weg geleitet wird, verbunden mit der unverzichtbaren Fähigkeit, diesen Weg dem Land auch überzeugend zu vermitteln. Die operative Gestaltung der Details ist Aufgabe der ersten Offiziere, in Form der Bundesminister.

So weit meine Sicht auf das Elend unserer Politik. Und auf Frau Merkel, die ich persönlich als verlässliche Sachwalterin der Gegenwart durchaus schätze. Als Anführerin unseres Gemeinwesens aber persönlich für einen ziemlichen Ausfall halte.

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44 Gedanken zu „Das Elend unserer Politik – oder warum Frau Merkel keine Anführerin ist“

  1. @ Ramsi, das riecht danach, dass wir noch einmal die 1700 USD sehen. Man sollte sich gedanklich auf diese Möglichkeit vorbereiten. Ich bleibe ganz entspannt. 😉

  2. @ Hari, die Problematik würde ich genauso unterschreiben, ein „Nazizeit-Trauma“ als Begründung halte ich für etwas weit hergeholt. In den vergangenen 60 Jahren hatten wir durchaus charismatische(re) Spitzenpolitiker und dass das „Trauma“ sich verstärkt je weiter das „Dritte Reich“ (und die davor) zurückliegt finde ich etwas unlogisch.

    Hauptgründe für die Führungs- und damit Politikproblematik sind mMn (unter anderem) die folgenden drei:

    1. wie du sagtest, die „Persönlichkeiten“. Die besten jungen Leute gehen heute zu McKinsey oder BCG und nicht in die Politik. Die besten „alten“ Leute werden einen Teufel tun in die Politik zu wechseln um auf 80% oder mehr ihres Gehalts zu verzichten um sich dann Parteien-Nonsense und den Spott der Öffentlichkeit anzutun.

    2. Eine übertriebene „Political Correctness“ der Presse und der Öffentlichkeit. Für alles muss sich Gerechtfertig werden, alles muss nett, sozial usw. sein, nur die Meinung des „Mainstreams“ wird geduldet und ich bezweifele, dass die Masse die Wahrheit gepachtet hat noch dass diese überhaupt weis was „gut für sie selbst“ ist! Eine eigene (evtl. gegensätzliche) Meinung zu haben wird kaum toleriert oder von der Presse direkt an den Pranger gestellt! Das färbt natürlich auch auf die Politiker ab.

    3. (und vielleicht am wichtigsten) Das momentane System unsere Demokratie scheint einfach nicht wettbewerbsfähig und effizient zu sein; die Liste der Fehler riesig. Dies zeigt sich nun am deutlichsten, da nach ca. 60 Jahren der Punkt erreicht ist, an dem wir unsere Probleme nicht mehr durch Schulden machen in die Zukunft schieben können, da sich zu viele Schulden (und damit Probleme) angehäuft haben. Das soll nicht heißen, dass ich der Meinung wäre, die „Herrschaft des Volkes“ sei an sich falsch oder fehlerhaft, sondern nur die Art und Weise wie sie umgesetzt wird.

    Deswegen stimme ich wie Hari für Demokartie 2.0(3.0?)! Entweder es entwickelt sich die Einsicht dass man hier was ändern muss oder wir werden es auf die harte Tour lernen müssen, wenn wir es sind, die in einigen Jahrzehnten High-Tec Maschinen importieren oder H&M Klamotten stricken und jeder gerne die chinesische Luxuslimousine fahren würde, die er sich nicht leisten kann….

  3. @Hari und Ramsi, hab‘ mir gerade mal Gold im Tageschart genauer angesehen. Da sehe ich eine inverse Schulter-Kopf-Schulter-Formation, die am 23.11.12 (Live-Tipps von Hari) aktiviert wurde. Jetzt gibt Gold wieder ab und es sieht so aus, dass sich nun gerade die rechte Schulter einer Schulter-Kopf-Schulter-Formation bilden würde. Sehe ich das richtig und was hat das zu bedeuten? Ist damit die schon aktivierte inverse S-K-S-Formation wieder hinfällig?

  4. @Anna, die rechte Schulter ist invalidiert. Dieser „Fat Finger“ Absturz vom 28.11. hat alles auf den Kopf gestellt und der Chart von Gold ist jetzt eine einzige Mess. Die von Dir gesehene SKS bewerte ich vor dem Hintergrund nicht über.

    Was nach wie vor für den Trade spricht, ist Saisonalität, Zyklentheorie und Fundamentalargumente im Sinne „Papiergeld wird entwertet“.

    Insofern werde ich mich nicht mehr aus den Positionen pressen lassen und habe das Tief vom 05.11. zum einzigen für mich relevanten Massstab gemacht.

  5. @ Felix, ich kann Deine Skepsis nachvollziehen, ich glaube aber Du übersiehst gerade auf dem Zeitstrahl etwas Entscheidendes ! Denn mit Deinem Argument, „es gab doch charismatische Politiker und je weiter das Nazireich weg geht, desto mehr sollen sie verschwinden – das macht doch keinen Sinn“ beweist Du meine These eigentlich ohne es zu merken. Genau deswegen macht es Sinn !

    Denn zu einem charismatischen Politiker wird man ja nicht einfach so im Jahr 1952 oder 1969, sondern das hat man im Blut, weil das Teil einer lebenslangen Persönlichkeitsentwicklung ist. Die Politiker, die die Bundesrepublik gegründet haben, waren von „altem Schrott und Korn“. Sie hatten ihre Karriere wie Adenauer oder Schumacher noch in der Weimarer Republik gestartet, wo man noch für seine Überzeugungen einstehen musste und dafür am Ende zur Nazizeit im KZ landen konnte. Das waren noch überwiegend Überzeugungstäter, die inhaltlich für etwas standen und dafür im wahrsten Sinne des Worte auf die Strasse gingen.

    Diese persönliche Strukturierung legt man nicht einfach ab. Charisma und Überzeugungen hat man, oder man hat es nicht. Das nennt man „Charakter“. Und Adenauer war vom Alter her schon in den 70ern als er Kanzler war, da ändert man seinen Charakter nicht mehr. Abgesehen davon wurden diese Typus des Überzeugungstäters ja noch positiv von den Besatzungsmächten selektiert. Denn in die Gremien zur Gründung der Republik und Erstellung der Verfassung, wurden ja von den Besatzungsmächten nur die als Politiker gelassen, die sich nachweislich gegen das Nazi-Regime gestellt hatten. Am Anfang unserer Republik war es also gerade positives Selektionskriterium eines Politikers, ein starkes Rückrat und feste Überzeugungen zu haben. Aus solchen Menschen bestand zu einem guten Teil der erste Bundestag.

    Dann aber begannen sich die Parteien mit ihrem Listensystem immer weiter in der BRD auszubreiten und die Macht auf allen Kanälen, von Rundfunk bis Sparkassenvorstand und Polizeipräsident auszudehnen. Gleichzeitig wurde die Nazizeit gesellschaftlich tabuisiert. Das war eine Art Selbstschutz um den Zusammenhalt des Landes nicht zu gefährden, denn die „Nazis“ waren ja unter uns, immerhin hatten mal 46% den Österreicher aus Braunau gewählt. Und als er als Feldherr mit „unermesslichem Ratschluss“ 1940 siegreich vom Feldzug gegen den „Erzfeind“ Frankreich heimkehrte, haben nicht 46% sondern eher 80% gejubelt. Genau diese Tabuisierung erzeugte dann aber auch das Klima der „Political Correctness“. Weil wir ein kollektives Schuldsyndrom hatten, wollten wir als Deutsche nun besonders „gut“ sein und nahmen uns über unsere eigenen Interessen hinweg gegenüber der Aussenwelt zurück. Dieses Schuldsyndrom haben wir offensichtlich immer noch.

    In diesem Klima der Tabuisierung breitete sich der Parteienstaat auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus. Nun konnte man zunehmend nur noch politisch Erfolg haben, wenn man sich dem stromlinienförmigen Aufstiegssystem der Parteizentralen unterwarf und „Wohlverhalten“ zeigte. Die letzte Generation die noch durch Krieg und Nazizeit geprägt war und ihren eigenen Zugang zur Politik hatte, trat mit Helmut Kohl ab.

    Alles was an Politikern seitdem in höhere Ämter gestossen ist, ist in der Parteienlandschaft der BRD (oder nun auch DDR) gewachsen und daher eher angepasst. „Zaunruckler“ wie Schröder sind in ihrem unbändigen Machtwillen da ja geradezu löbliche Ausnahmen, was das psychologische Profil angeht.

    Gleichzeitig wurde ein Klima der „Political Correctness“ geschaffen, in dem ein selbst gestellter Führungsanspruch schon fast etwas Anrüchiges ist. Die Adenauers und Schumachers haben an der Entwicklung dieser gesellschaftliche Haltung durchaus mitgewirkt, denn wie gesagt diente es dazu dem Land einen Neuanfang zu ermöglichen. Aber sie als Charaktere waren natürlich trotzdem noch die alten. Die heutige Generation ist von diesen Denkmustern der political Correctness nun aber bis ins Mark geprägt. Und Politiker besonders, weil man anders von den Parteisystemen als „Abweichler“ wieder ausgespuckt wird. Die Zeit der Adenauers und Schumachers ist vorbei. Egal was man über seine Thesen inhaltlich denkt, wie gesellschaftlich mit einem Sarrazin umgegangen wird – der ohne Frage so ein seltenes Exemplar eines Überzeugungstäters ist – spricht Bände.

    Lange Rede kurzer Sinn, es ist geradezu logisch und zwingend, dass die Effekte der „Political Correctness“ erst jetzt bei der Generation in all ihren Problemen sichtbar werden, die davon wirklich geprägt wurde. Ein alter knarziger Fahrensmann wie Adenauer senkte zwar mal sein Haupt wenn es nötig war, das machte ihn aber nicht zu einem anderen Menschen.

    Das Problem ist nur, mit der nun in unsere gesellschaftlichen Gene übergegangenen Bereitschaft uns anzupassen, haben wir gesellschaftlich auch die Kraft verloren, das Wasser zu teilen, statt uns der Bewegung von Ebbe und Flut einfach zu unterwerfen.

  6. Ich denke, der Mangel an Visionen war auch schon der Grund, weshalb das 1870/71 neu gegründete Deutsche Reich in den ersten Krieg schlitterte. England hatte eine über Jahrhunderte hinweg gewachsene Demokratie, Frankreich hatte sich in einer Revolution von der Monarchie befreit. Die USA hatten sich mit einem Befreiungskrieg von der Monarchie befreit. Diese Tradition der Freiheit hatte das Deutsche Reich nicht. Es hatte also kaum etwas, mit dem die Bürger dieses Reiches sich positiv hätten identifizieren können.

    Warum dieser Rückgriff in die Geschichte? Weil er zeigt, daß eine Nation, will sie auf die Dauer bestehen, sich auf etwas gründen muß. Die Bürger des preußischen Staates identifizierten sich mit ihrem König, die Bürger des Südens und Südwestens mit ihren Monarchen, aber auf andere Art. Der preußische Staat war obrigkeitlich, in ihm dominierten die adligen Großgrundbesitzer, dann aber auch die rheinisch-westfäischen Magnaten. Dagegen waren etwa Baden, Württemberg und Bayern sehr viel bürgerlicher geprägt. Auch heute spürt man, etwa beim Stuttgarter Bahnhof, daß dort ein sehr selbstbewußtes Bürgertum den Ton angibt, ganz im Gegensatz etwa zu den, ich nenne sie ostelbischen Gebieten. Und so gründeten sich die Signatarstaaten der Reichsgründung auf sehr unterschiedliches, das aber in weiten Teilen wenig verbindendes hatte, außer der Sprache, außer der Kultur. Die Idee von der Nation fehlte, der Kaiser/König besaß sie nicht, Bismarck besaß sie nicht, und seine Nachfolger gleich gar nicht. Die Militärs auch nicht, und dann kamen die „Ungläubigen Jesuiten“(Bismarck). Groß wollte man sein, größer als die anderen, aber die jagte man in Angst. Und machte damit zur Realität, wovor man sich fürchtete, vor dem „cauchemar des coalitions“.

    Und so kann es in unserer Zeit wieder passieren. Man möchte „Normalität“, Frieden, Wohlstand und so weiter. Das sind aber keine hinreichenden Ziele an sich, sondern das Ergebnis weiterreichender universeller Werte und Prinzipien. Friede und Wohlstand ohne tragende Grundsätze, ohne „common values“ sind längerfristig nicht tragbar. Nun waren die Staatengründer der freiheitlichen Demokratien sich weitgehend einig über das, was sie wollten oder auch nicht wollten. Und sie erreichten es auch nicht geradewegs, sondern der Weg dorthin war teilweise auch ein Weg der Gewalt und des Krieges.

    Nun leben wir heute in einem Zeitalter, wo man nicht gleich zu den Waffen greift, aber die Gegensätze sind in vielen Bereichen immanent und werden ausgetragen werden, wie sich in den Protesten in den südeuropäischen Staaten andeutet. Wer sagt, daß so etwas nicht irgendwann in Frankreich passiert, und daß es damit dann getan ist? Die Zustände dort sind ebenfalls nicht mehr rosig. Wird man dort den Weg bis zum Ende gehen wollen, den Deutschland geht? Und wozu? Die Süd-Staaten haben eine andere Staatstradition, auch eine andere geistige Tradition. Hari, Du hast das in Deinem Artikel über Italien sehr treffend beschrieben. Die Norditaliener sind sozusagen die Schwaben, die Puritaner, während die Süditaliener völlig anders verfaßt sind. Wird man so zu den gleichen Grundüberzeugungen kommen? Schwerlich.

    Man muß sich Gedanken machen, ob der geistige Ort, wo man hin wollte, noch derselbe ist wie der, zu dem man nach dem zweiten Weltkrieg hin wollte. Man sieht es bereits an der US-amerikanischen Außenpolitik, daß diesseits des Atlantiks eine Umorientierung vollzogen wird. Man orientiert sich dort an den Interessen des Landes und die gebieten es, den Schwerpunkt Richtung Pazifik zu verlagern. Zumal sich dort mehr und mehr zivilisatorisch hochentwickelte Staaten befinden, deren Einwohner nicht auf irgendwelchen Urwaldbäumen herumturnen. Mir dreht sich immer fast der Magen um, wenn ich höre die Existenz Israels sei deutsche Staatsräson. Selbstverständlich haben wir eine moralische Verpflichtung, den Isrealis gegen Bedrohungen von Außen beizustehen., gegen irgendwelche verrückten Iraner(nicht DIE Iraner, wohlgemerkt). Aber das ist NICHT deutsche Staatsräson. Staatsräson sind vielmehr sämtliche politischen Ziele, die dazu beitragen, die Existenz unseres Landes zu sichern. Dazu gehören zum Beispiel auch Kooperation mit China und Rußland. Das ist deutsche Staatsräson.

    Das kann aber nicht heißen, daß uns gleichgültig sein sollte, was die Chinesen und Russen so treiben. Natürlich wollen wir, die wir in einem freiheitlichen Land leben und auch weiter leben wollen (sollten), daß auch in China und Rußland freiheitliche Zustände herrschen. Wir können dies aber erstens nicht erzwingen, und zweitens bin ich überzeugt, wer die Freiheit erst einmal gespürt hat, der wird immer mehr davon haben wollen. So wird es auch in China und Rußland und anderswo auf der Welt auch passieren, fast ganz ohne unser Zutun. Es kann sogar für uns noch zum großen Problem werden, denn ein freiheitliches Land macht immer auch einen großen zivilisatorischen Sprung nach vorne. Der Vorsprung, den wir gegenüber diesen Ländern haben, bleibt zwar bestehen, aber er wird zunehmend kleiner werden.

    Wenn ich also sagen sollte, wo eine Vision, eine Staatsidee liegen könnte, dann kann ich nur sagen, in der Freiheit und in der europäischen Einheit. Freiheit beinhaltet aber immer auch Verantwortung für die Folgen dessen, was man in Freiheit tut, und so kann die europäische Einheit kein Bürokratiemonstrum beinhalten, das heute dieses will und morgen jenes – denn dann wird es eine Diktatur – sondern eine Gemeinschaft freier, verantwortlicher und wahrhaft demokratischer, damit vom Volk getragener Staaten. Die Regierungen diese Staaten sollen den Volkswillen repräsentieren, nicht eine in schrecklicher geistiger Verwirrung befindliche „Schwarmdemokratie“, die nichts anderes ist als eine Ansammlung von Leuten, die nicht wissen, was sie eigentlich wollen.

  7. @Hari, danke fürs Verdeutlichen. Ich habe das schon so in die Richtung aufgefasst und kann das auch nachvollziehen.
    Ich meine nur, dass das Problem bzgl. des „Führungsvakuums“ heute , wie du ja auch selbst sagst, (u.a.) ein Problem der „Political Correctness“ ist. Das dies Nachwirkungen der „traumatisierenden Erfahrungen“ sind mag sein, aber dann ist doch trotzdem der für Veränderung entscheidende Punkt (ganz salopp) zu sagen „ihr müsst auch eure eigene Meinung haben und durchsetzten“ und nicht „ihr braucht euch keine Vorwürfe wegen der Vergangenheit mehr zu machen“.

    Abgesehen davon („Traumatisierung“), müsste man auch feststellen, ob es tatsächlich weniger begabte“Leader“ in der Bevölkerung gibt oder ob diese einfach nur keine Lust haben in die Poltik zu geben, d.h. deren Potential in ähnlichem Maß wie früher da ist, aber anderwo und evtl. auf andere Art und Weise eingesetzt wird, was wieder eher zu dem ersten von mir genannten Problem führt.
    Wäre interessant ob es zu dem Thema (quasi Entwicklung von Führungsqualitäten der deutschen Bevölkerung) Studien oder Artikel gibt.

    Nicht ganz ernstes PS: Im Prinzip könnte man deine Argumentation auch mit der Feminisierung der Gesellschaft (Gruß an Frau Merkel) in der Nachkriegszeit durchführen oder? 😉

  8. @ Felix, ich bin mir recht sicher, dass das Potential an Führungsfähigkeit in der Bevölkerung ebenso gross wie früher ist. Warum sollte es auch anders sein.

    Aber, erstens bekommen einige die durchaus „Fliegen“ wollen, vom Rest der Gesellschaft dann wieder ein Seil an den Knöchel gebunden und werden in den breiten Konsens zurück gezerrt. Und die Kandidaten, die sich auch davon nicht bange machen lassen, sondern soviel innere Stärke haben, dass sie trotzdem „Ihr Ding“ machen, die gehen dann genau NICHT in die Politik, weil sie den dort herrschenden Konformitätsdruck nicht akzeptieren.

    Aber wie auch immer, wir sind uns ja weitgehend einig. Und man kann das Thema statt analytisch von der Ursache her, auch ganz empirisch bei der Betrachtung der Gegenwart erkennen. Schaust Du nach Frankreich, England oder in die USA, findet man einen weit unverkrampfteren Umgang mit Macht, Erfolg und dem selbstverständlichen Eintreten für den eigenen Vorteil. Erfolgreiche „Anführer“ bekommen in allen drei Ländern gesellschaftliche Anerkennung. Bei uns in Deutschland ist das nicht so. Diese Menschen stehen bei uns unter Generalverdacht. Und wenn wir unsere „deutschen“ Interessen mal etwas deutlicher vertreten, glauben wir uns dafür auch gleich wieder entschuldigen zu müssen. Bis 1945 gabe es diesen Unterschied aber wahrlich nicht. Es ist einfach der Kataklymus des finalen Untergangs und der Schuld, der auf uns liegt und uns geradezu kastriert.

    Die Parallelität zur Feminisierung sehe ich nicht. Das ist eine breite Entwicklung in der westlichen Welt, die nicht nur auf Deutschland beschränkt ist. Ich sehe auch nicht, warum man die Argumentation da so anwenden könnte ? Hilf mir, ich verstehe den Gedankengang bzw den Spass nicht ganz. Klar wurde das Abziehbild von „den bösen männlichen Machos“ von aggressiven Feministinnen benutzt, um ihre eigenen Interessen durchzudrücken. Als ob Frauen immer friedlich wären. 😉 Und da hat sicher geholfen, dass der „männliche Macho“ in Deutschland seit 45 leicht diskreditiert ist – übrigens auch im Gegensatz zu England, Frankreich, USA. Aber trotzdem sehe ich den Zusammenhang nicht.

  9. @ Tokay,

    das könnte von mir stammen. Völlige Einigkeit. Auch was die Bildung der deutschen Nation angeht. Wobei ich diesen Identitätsfindungsprozess der 1870 begann nicht ganz so negativ sehe.

    Es ist durchaus normal, dass eine neue Nation – wie auch ein junger Pavian 😉 – und ein junger Pavian das war das Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts – ihre Identität zunächst durch die Abarbeitung an einem älteren und (noch) stärkeren Vorbild entwickelt. Dieses Vorbild und Gegner zugleich war England, dass Ende des 19. Jahrhunderts in der industriellen Revolution vorne lag und vom jungen Pavian Deutschland als führende Macht znehmend in Frage gestellt wurde. Letztlich haben auch die USA ihre Identität zunächst nur durch die Gegnerschaft gegen die alten Kolonialstaaten England und Frankreich entwickelt.

    Die europäische Ur-Katastrophe des 1. Weltkriegs war in meinen Augen auch nicht zwangsläufig, sondern wurde massgeblich durch diesen Idioten beeinflusst, den das Land in Form von Wilhelm II. als Kaiser hatte. Mit einem listigen Bismarck als Kanzler wäre das kaum passiert und Deutschland hätte vielleicht tatsächlich eine friedliche Identität entwickeln können.

    Aber wie auch immer, was Du zu unserer Staatsräson sagst, kann ich nur dick unterstreichen. Und da sind wir doch wieder bei dem entscheidenden Punkt. Zeig mir den Politiker der aktuellen Generation, der sich solche Gedanken macht und in solchen Kategorien denkt. Ja, ich weiss, es gibt ein paar. De Maiziere ist zum Beispiel so einer, alleine durch seine Familie lastet da zu viel Geschichte auf seinen Schultern, als das ihm solche Fragen fremd wären.

    Aber in der Weimarer Republik war die Staatsräson und Themen die Du anreisst das zentrale Thema der Politik, um das mit harten Bandagen auch in der Öffentlichkeit gerungen wurde. Und für das sich die Öffentlichkeit auch interessierte. Man studiere nur mal was in den 20ern an substantiellen Themen auf den Wahlplakaten stand und was heute an nichtssagenden „Buzzwords“ drauf steht. Heute habe wir grenzdebile Volksbelustigung im gebührenfinanzierten Staatsfernsehen und im Parlament stromlinienförmiges Abnicken nach Fraktionsdisziplin. Was hat sich geändert ? Die Menschen sicher nicht, denn die verzweifeln an dieser Führungslosigkeit wie Du und ich. Also was ? Ich behaupte die Politiker sind heute anders selektiert. Stromlinienförmigkeit ist das Kernkriterium.

    Und da liegt imho das Kernproblem. Wer dagegen in der Weimarer Republik Politik machte, hatte 1919 so oder so für seine Sache auf den Barrikaden gestanden. Und wer 1949 im ersten Parlament sass, gehörte zu einem hohen Prozentsatz zu denen, die den Mumm hatten sich dem Nazi-Regime zu entziehen. Heute sitzt im Bundestag, wer über Jahrzehnte so brav Plakate geklebt und parallel sein „Netzwerk“ in der Partei geknüpft hat, dass die Partei dann „geruht“ ihn nach Proporzkriterien hoch genug auf die Liste zu setzen. Denn anders kommt man bis auf seltene Ausnahmen nicht in den Bumdestag rein. Rückrat und eigene Überzeugungen sind auf diesem Canossa-Gang des Parteisoldaten eher hinderlich. Und wir Bürger wählen den Bundestag im Wesentlichen nicht, wir wählen nur die Anzahl der Sitze der Parteien.

    Das sich damit die Qualität und Statur der Volksvertreter zwischen 1949 und 2012 deutlich verschlechtert hat, ist für mich offensichtlich. Durch die Parteilisten und den damit verbundenen Disziplinierungszwang, hat sich die Legislative doch bei uns als ernst zu nehmendes Verfassungsorgan verabschiedet und ist zu einer Abnickveranstaltung verkommen. Ach was gab es einen lebenden Parlamentarismus in der Weimarer Republik und in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik – ich sage nur Wehner und Strauss ;-). Alles vergangen, nun ist eine Generation in der Politik, die durch den Parteienstaat abgeschliffen und selektiert wurde.

    Staatsräson ? Ach was, wer braucht den so was. Wir drehen und wenden das Schwammwort „Gerechtigkeit“ lieber solange, bis sich jeder darunter wieder finden kann. Traurig.

    Das Problem ist nur, die Geschichte lässt sich nicht aufhalten. Und wenn wir nicht wissen was wir wollen, werden es andere einfach für uns entscheiden.

  10. @Hari, so witzig ist es eigentlich nicht 😉 Es ging mir nur bei einigen Diskussionspunkten durch den Kopf, dass hier durchaus feminie Aspekte vertreten sind… Zum Beispiel
    FRAU Merkel -> „Anführerproblem“, Political Correctness -> alles muss „nett sein“, klassisches Frauending (wehe man sagt was gegen die Frauenquote), Führungspersönlichkeiten (Machos) -> Ist für die Überhaupt noch Platz in der feminisierten Gesellschaft? usw.
    Und da das quasi im gleichen Zeitraum ablief, könnte hier ja durchaus eine Verbindung bestehen, ergo Frauen sind Schuld an dem Schlamassel! 😉

    OK, deine Argumentation ist dann doch etwas plausibler…

  11. Hari, das ist richtig, daß das Schlittern in den ersten Weltkrieg mit Bismarck als Kanzler sehr wahrscheinlich nicht passiert wäre. Doch auch schon Bismarck fürchtete sich vor dem „cauchemar des coalitions“, und seine Manöver, um solche Koalitionen zu verhindern, wurden ja auch immer komplizierter und waghalsiger. Der Grund dafür war, daß das Deutsche Reich einfach zu groß geworden war. Es hatte von seiner wirtschaftlichen und politischen Kraft die Fähigkeit, ein zweites Amerika zu werden, das spürten die politischen Eliten und danach drängte es sie. Aber Deutschland ist nicht Amerika, es ist ein starkes Land in der Mitte eines Kontinents, umgeben von anderen großen Nachbarn. Die Amerikaner hingegen haben einen Kontinent für sich und die Briten wenigstens eine Insel. Ein nicht unerheblicher Unterschied. Eines der Grundprobleme heute ist wie damals das – noch – starke Deutschland. Eine Führung mit solidem intellektuellem Fundament bräuchte das aber nicht fürchten, im Gegenteil gibt es ja auch Stimmen im europäischen Ausland, die dies fordern, in Polen zum Beispiel. Und es ist auch nicht zu fürchten, wenn es „shared values“ gibt. So funktionierte ja auch die „heilige Allianz“, wenn auch unter anderen Vorzeichen.

    Was man auch sehen muß, wie Du in Deinen Ausführungen zur Weimarer Republik andeutetest, dass es bereits im Kaiserreich sehr starke Persönlichkeiten gab, die für die Hinwendung zur Demokratie eintraten. Rathenau, Stresemann, Erzberger waren bereits im Kaiserreich bzw. dann während des Krieges sehr einflußreich, auch August Bebel, der ja noch gelegentlich einer Reichstagsrede 1913 den „großen Kladderadatsch“ vorhersagte. Sehr paradox: Es gab im Kaiserreich keine parlamentarische Demokratie, aber markante Verfechter des parlamentarischen Systems. Heute dagegen gibt es zwar eine hoch entwickelte Demokratie, aber kaum prägende Persönlichkeiten. Die demokratischen Politiker des Kaiserreichs wurden angefeindet, die heutigen demokratischen Politiker sind dagegen unangefochten. Die erstgenannten Politiker konnten die Weimarer Republik nicht retten, doch schufen sie auch eine Tradition, aus der heraus das dann neu entstandene wirken konnte. Die heutige Republik dagegen könnte auch ohne ihre jetzigen Politiker weiterbestehen, doch wird das System auf diese Weise unterhöhlt und so die Grundlage geschaffen für demokratiefeindliche Entwicklungen. Ein Indiz hierfür ist die um sich greifende Politikverdrossenheit(„die machen doch sowieso, was sie wollen“). Zumindest läuft heute alles zivilisiert und gewaltfrei ab. In der Weimarer Republik hingegen waren politische Morde nichts ungewöhnliches.

    Die heutigen Entwicklungen sind in weiten Teilen sehr beklagenswert, insofern stimme ich Dir zu. Nur wie könnte man es besser gestalten? Ich denke, da haben alle Länder die gleichen Probleme. In den USA ist es kaum besser als bei uns, die Unzufriedenheit genauso weit verbreitet. Länder wie Italien können für uns nicht im Ernst der Maßstab sein. Aber in den USA gibt es für das Wahlvolk mehr Möglichkeiten, selber mitzumischen, aber auch bei uns vor der Haustüre, in der Schweiz. Wenn Du schreibst Demokratie 2.0, dann müsste das nach meinem Empfinden einen Umbau Richtung direkte Demokratie und größere Dezentralisierung von Entscheidungen beinhalten. Aber auch bei uns geht es bereits in diese Richtung: So wollte der Gemeinderat von Villingen-Schwenningen ein neues, teures Rathaus bauen lassen. Das Wahlvolk selbst hat es aber verhindert, indem es sich nämlich bei einer Volksabstimmung dagegen aussprach. Das ist wahre „Schwarmintelligenz“.

    Wenn ich mir das Prozedere der Abstimmungen über die Griechenlandhilfe anschaue, dann frage ich mich manchmal, ob die Damen und Herren Parlamentarier von allen guten Geistern verlassen sind. Man hat nicht den Eindruck, daß sie die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auch nur annähernd überblicken. Es sind natürlich auch teilweise recht komplizierte Entscheidungen. Aber selbst dann gibt es doch einige grundlegende Prinzipien, bei denen man sich bei solchen Entscheidungen leiten lassen sollte. Nichts davon ist zu erkennen. Lieber zerbricht man sich den Kopf über „Lebensleistungsprämie“, „Förderung von Putzhilfen“ und „Flexi-Quote“. Grenzdebil so etwas, in der Tat. Den Leuten geht’s einfach zu gut. Man muß sich halt mit irgendetwas beschäftigen.

    In diesem politischen Spiel werden auf Dauer die Länder die Nase vorne haben, die sich im Ernst damit beschäftigen, wie sie ihre Leute satt kriegen, wie sie verhindern können, daß sich schwere Unruhen ausbreiten. Wer sich nur mit Problemchen beschäftigt, die der Wählerklientel gefällig sind und damit den eigenen Wahlaussichten dienen, der trägt zur Weiterentwicklung nichts bei. Von solchen sich für wichtig haltenden Menschen haben wir jedoch zu viele. Und da haben wir möglicherweise einen Fehler im System.

  12. Zurueck zu Gold. Es ist zwar nicht so, dass ich zu politischen Themen keine Meinung haette, aber jedes weitere Wort ist vergeudet. Wie ich schon frueher schrieb, ich wende mich bei solchen Diskussionen grundsaetzlich ab. Schmerz, Ohnmacht, usw.

    Zurueck zu Gold. Ich finde es eigentlich nicht weiter wild was Gold macht. Diese ganzen Erklaerungsversuche, warum Gold nun 2% „abgestuerzt“ ist, sind nicht sinnvoll. Als wir im August/September die Treppe raufgefallen sind, hat sich doch auch keiner beschwert. Ist doch keine Einbahnstrasse, und ein bischen Volatilitaet muss schon sein. Meiner Meinung waere es verfrueht gewesen, wenn Gold gleich wieder abgehoben waere. Jetzt kommt erstmal ein Dreieck, welches auf ca. 1735 zulaeuft, also erstmal Luft holen, gucken was die anderen machen. In 1-2 Wochen wuerde ich dann mit der naechsten Entscheidung rechnen.

  13. @Hans, das finde ich zwar schade, dass Du solche Diskussionen für Zeitverschwendung hältst, aber sei’s drum. Ich finde, Hari hatte das Thema durchaus mit Recht aufgeworfen. Da ja die Börse vor allem die Zukunftsaussichten eines Landes und seiner Wirtschaft bewertet, ist es angebracht, sich darüber Gedanken zu machen und in dem Zusammenhang auch über die Führung des Landes. Wenn Du in dem Zusammenhang die Entwicklung des Goldpreises für relevanter hältst, warum nicht.

  14. Zu Gold: Du hattest neulich einen Artikel verlinkt, in dem auch Chartanalyse nach Elliott verwendet wurde. Nach Elliott könnte man den Rückgang des Gold – Kurses als ABC – Korrektur sehen, die wenn A = C idealerweise auch Richtung 1630 führen könnte, ohne daß der aufwärtsgerichtete Impuls in Frage kaputt wäre.

  15. Hari wirft Themen grundsaetzlich mit Recht auf 😉 Ich wollte eben nur nochmal anmerken, was meine Meinung zur der ganzen Sache ist, alle Diskussion ist umsonst. Aber davon mal abgesehen, spekuliere ich mit meinem Gold-Long Invest GEGEN eine starke Fuehrung, die weiss was sie tut. Ich spekuliere darauf, dass alles weiter laeuft wie bisher, niemand die Initiative ergreift sondern stattdessen immer weiter Ja-sagen zu immer neuen „Rettungsplaenen“. Wenn ich echte Hoffnung haette, dass sich die Dinge zum besseren wenden, waere ich nicht Long in Gold.

  16. @Hans

    „Ich wollte eben nur nochmal anmerken, was meine Meinung zur der ganzen Sache ist, alle Diskussion ist umsonst.“

    Stimmt, eine solche Diskussion kostet nichts, außer ein bißchen Mühe in den Dialog mit anderen zu investieren. Du meintest wahrscheinlich vergeblich.. 😉

  17. Hans,

    Deine Meinung dass diese Diskussionen nichts bringen und damit die Energie vergeudet sei, hast Du bisher fast jedes Mal eingeworfen, wenn ich mich zu (finanz)politischen Themen geäussert habe.

    Das ist auch ein paar mal in Ordnung, Du hast Dein Recht auf Deine Meinung und ehrlich, ich sehe das ähnlich wie Du, dass sich schnell nichts ändern wird.

    Wenn dann andere trotzdem diskutieren wollen, bekommt Dein wiederkehrender Einwurf irgendwann einen anderen, unguten Charakter. Die treffenden Adjektive werden Dir sicher selber einfallen. 😉

    Jetzt bin ich sicher, dass das nicht Deine Absicht war, aber Kommunikation ist halt immer das was ankommt. Und das Tokay, der sich viel Mühe mit ausführlichen und kompetenten Kommentaren gemacht hat, dann „not amused“ reagiert, ist denke ich auch nachvollziehbar.

    Insofern wäre bei Themen die einen nicht interessieren vielleicht Zurückhaltung die bessere Wahl. Und noch ein Gedanke. Wenn es in der Welt intellektuellen Austausch nur dann geben würde, wenn man damit etwas ändern kann, wäre sie ziemlich arm und Wissenschaft nicht existent. Denn die Naturgesetze können wir ebenso wenig ändern wie die Geschichte. Manchmal ist Erkenntnis an sich schon ein Wert. Und wenn ein paar Leser von Mr. Market eine Erkenntnis gewinnen, ist das immer noch besser, als wenn Niemand sie hat.

    Aber ich bin sicher, auch das ist Dir klar. Insofern sollten wir jetzt Frieden finden und Tokay, Felix und ich – und wer auch immer sich daran beteiligen will – werden noch lange über das Thema philosophieren.

    PS: Und um Dich näher an das Thema Führung und Gestaltungswillen heran zu ziehen ;-), mich würde wirklich mal interessieren, welche Erfahrungen Dich zum Thema so depressiv / defätistisch gemacht haben. Wenn es da in Deinem Leben einen konkreten Erfahrungsschatz gibt, wäre es sicher spannend das zu hören. Natürlich nur, wenn Du es anonymisiert darstellen kannst. Wer weiss, vielleicht warst Du ja mal Merkels Berater 😉

  18. Hallo zusammen,

    vorweg: ich finde Eure Ausführungen zu diesem Thema inhaltlich gut und sachlich vorgetragen.

    Was bei mir immer einen faden Beigeschmack hinterlässt ist folgendes: die Mitmenschen, die scheinbar vieles ganz genau wissen und analysieren können – oder vorsichtiger formuliert: für viele Probleme und Herausforderungen offenbar Lösungen parat haben – engagieren sich dann in der Konsequenz nicht. Analyse & Kritik – auch auf hohem Niveau – sind eins, wo aber bleibt dann die Initiative? Da ist dann sehr oft der Elan vorbei und mit vielen Ausreden wird mir dann erklärt, warum man sich persönlich leider nicht in der Lage sieht, sich politisch zu engagieren. Womit die feinen Ideen zwar von einigen gehört, aber letztlich nicht umgesetzt werden.

    Wie groß das Bedürfnis in der Bevölkerung nach Veränderung ist, konnte man ja am zumindest kurzfristigen Erfolg der Piraten sehen. Solche Wahleergebnisse quasi aus dem Stand bei vergleichsweise wenig Substanz sprechen doch Bände. Oder um ein anderes Beispiel zu nennen: wie lange hat die Bevölkerung einem charismatischen Guttenberg trotz längst bekannter „Vergehen“ die Stange gehalten, nur um diesen Hoffnungsträger nicht zu verlieren? Das nahm für mich persönlich schon wirklichkeitsfremde Züge in bedenklichem Ausmaß an …

    Von daher kann ich Hans verstehen, wenn er alles für vergeblich hält. Solange die „Gutwisser“ den Worten nicht auch Taten folgen lassen, wird sich kaum etwas ändern. Es ist fast wie an der Börse: Nur Weisheiten bringen das Depot nicht weiter, handeln ist gefragt!

    Ok ok, nur wenn man diese Weisheiten auch zu Gehör bekommt, können eventuell andere sich zum Handeln motiviert fühlen. Und Aufklärung alleine besitzt auch einen Stellenwert, will ich nicht bestreiten. Es wäre aber dennoch wünschenswert, wenn sich mehr von den „Vortragenden“ engagieren würden.

    Ich persönlich bin – ganz ehrlich – zu faul und zu träge für die aktive Politik. Daher äußere ich mich zu politischen Themen in der Regel auch nur im engeren Familienkreis, wenn es denn angesprochen wird. Sonst müßte ich mich nämlich an die eigene Nase fassen…

  19. @ Hoppel,

    nun ist es ohne Frage so, dass es zu jedem Fachthema der Welt – nicht nur auf Politik beschränkt – immer mehr Leute gibt, die am Stammtisch oder zu Hause darüber schwadronieren können, als die, die es auch wirklich machen/leben/drauf haben.

    Auch zum Thema Börse ist das ja so, da hält sich ja auch jeder für einen direkten Nachfahren Buffets, weil er mal zwei Artikel mit Otte-typischen Binsenweisheiten gelesen hat. Die Diskrepanz zwischen reden und handeln ist also überall da, ohne Frage.

    Im politischen Raum ist es aber tatsächlich so, dass das heutige Parteiensystem keine Durchlässigkeit mehr hat. Abweichende Meinungen haben darin keine Chance und werden als Illoyalität aussortiert. Auch den Versuch neue Parteien zu gründen gibt es genug, am Engagement vieler mangelt es da nicht, das Kernproblem ist aber es zur medialen Präsenz zu bringen. Hier wirken die etablierten Medien wie grosse Zensoren. Auch die Piraten hatten nur deshalb Erfolg, weil sie von einigen Blättern medial aufgeblasen wurden, weil sie in den vermeintlichen Zeitgeist passen. Ohne diese medial eingeblasene Luft wären die Piraten schlicht auch bei 0,2%. Sobald die mediale Luft abgelassen wird, sind sie da auch wieder. Und wenn man dann noch begreift, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk komplett von den Parteien beherrscht wird, schliesst sich der Kreis. Erfolg und Misserfolg in der Politik wird im Jahr 2012 medial „gemacht“.

    Wer etwas grundsätzlich anders machen will, vergeudet imho in den Parteien der Gegenwart nur Zeit. Die Bewegung zur „Demokratie 2.0“ muss aus dem Volk selber kommen und so stark werden, dass die Parteien sich anpassen oder untergehen. Denn letztlich muss der Teich des Parteiensystems trocken gelegt werden. Und beim trockenlegen eines Teiches, braucht man die Frösche halt nicht zu fragen, die sind sowieso dagegen.

    Fazit: Auch wenn diese Diskrepanz oft vorhanden ist, empfinde ich das pauschale Reden von „Gutwissern“ – die höfliche Form von „Klugschnacker“ – daher als hmmm …. eben pauschal, polemisch und dem Thema nicht angemessen. Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte, die von aussen nicht pauschal mit Etiketten belegt werden sollte. Es hat für mich etwas von Selbstrechtfertigung nach dem Motto: „wenn die es nicht machen, brauche ich es ja auch nicht“.

    Es gibt unzählige Formen sich zu engagieren. Und jeder der den Hintern hochbekommt um seine Stimme in der Öffentlichkeit zu erheben, gehört zu denen die sich gesellschaftlich engagieren. Dazu muss man in keiner Partei sein. Engagement kommt in vielen Formen, auch Blogs sind eine solche. Und jede Sekunde die man damit verbringt, darüber zu reden was andere *nicht* machen, ist in meinen Augen vergeudet. Nur das was man selber tut zählt.

  20. @ Hari, passt zwar nicht hier unter diese Diskussion aber zu Deinem Live Tip:“Da haben Journalisten der “Welt” eine Ermittlung angestossen“…
    ThyssenKrupp-Vorstand Jürgen Claassen (54) hat den Aufsichtsrat gebeten, ihn ‚bis auf weiteres‘ von seinen Aufgaben zu entbinden. Das teilte ein Unternehmenssprecher am Samstag mit. Er wolle mit diesem Schritt ‚angesichts der derzeitigen öffentlichen Berichterstattung‘ Schaden vom Unternehmen fernhalten, so Claassen laut Mitteilung. Der Aufsichtsrat werde sich am 10. Dezember mit der Angelegenheit beschäftigen.
    Claassen war wegen teurer Reiseeinladungen an Journalisten ins Visier der Justiz geraten. Die Staatsanwaltschaft Essen prüft die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue.
    Der Stahl-Manager soll zu teuren Informationsreisen mit First-Class-Flügen, Übernachtungen in Luxushotels und aufwendigem Freizeitprogramm eingeladen haben. ThyssenKrupp hatte mitgeteilt, das Unternehmen habe eine umfassende interne Prüfung eingeleitet.
    In der vergangenen Woche hatte ThyssenKrupp den Vorwurf zurückgewiesen, Claassen habe bei der Reise zur Eröffnung eines Stahlwerks in den USA dienstliche und private Teile vermischt. Alle privaten Anteile der Reise seien auch privat gezahlt worden. Quelle: dpa-AFX
    -> Focus <-
    Falls zu unpassend bitte entfernen

  21. Hari,

    nun lass uns nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Ich empfinde meine Worte keinesfalls als polemisch und unangemessen. Man muss eine Sache auch mal ein wenig zuspitzen dürfen, ohne diese sofort wieder relativiert zu sehen. Das habe ich sachte getan, ohne irgendjemanden persönlich zu meinen oder gar umgekehrt alle in einen Topf zu werfen. Das widerstrebt mir ebenso, nur werde ich dies nicht jedesmal auch explizit erwähnen. Ich will ja schließlich hier nicht habilitieren, sondern schlicht meine Meinung kundtun 🙂 Und ich denke, meine Gedanken waren klar zu erkennen.

    Und wenn ich mich stört, dass die „Wortführer“ nur die Zähne auseinander-, nicht aber – wie sagst Du immer so schön – den Hintern hochbekommen, finde ich das legitim und halte es keineswegs für vergeudete Zeit. Diese würde ich eher vergeuden, verhielte ich mich wie die von mir kritisierten. Wenn nach unzähligen A’s kein B kommt, brauche ich mit dem Buchstabieren nicht zu beginnen. Ich engagiere mich nicht politisch und führe deshalb auch keine stundenlangen Debatten. Eine eigene Meinung zu den Themen habe ich dennoch.

    Nur was man selber tut zählt. Wie wahr. Ich erinnere mich an einen ehemaligen Chef, der jeden Mitarbeiter, der mit Genörgel oder aber Verbesserungsvorschlägen zu ihm kam, umgehend mit der Abschaffung bzw. der Umsetzung beauftragte. Dieses Vorgehen hat die Zahl der Dampfplauderer erheblich reduziert. Jeder überlegte es sich dreimal, bevor er zum Chef ging. 95% aller denkbaren Anlässe kam über den Pausenraum nicht hinaus. Und genau so wünsche ich es mir bei den politischen Klugschnackern (ist das süddeutsch?) auch. Jeder darf seine Meinung haben, aber ab einer gewissen penetranten Beharrlichkeit, sich immer wiederholenden Tiraden sollten vielleicht auch mal Taten folgen.

    Was Du zu den Medien schreibst, sehe ich absolut identisch. Sich Gehör zu verschaffen ist heutzutage das größte Problem.

    Und daher wage ich mal eine persönliche Prognose: die Bewegung aus dem Volk, die Organisation von Unzufriedenen, der Druck der Straße wird meines Erachtens nach über das Internet kommen. Und hier eines Tages von der hauptsächlich durch die heutigen Enscheidungen betroffenen jungen Generation. Von daher sind die Piraten von der Idee her gut unterwegs (nur verheddern sie sich zu sehr) und einige junge Wilde werden sich eines Tages die Möglichkeiten von Twitter, Facebook, geschlossenen Chats etc. zu nutze machen und die notwendigen Demokratiereformen unter Umgehung der etablierten Medien organisieren. Wenn der Druck denn groß genug geworden ist. Wann dies aber der Fall sein wird, wage ich nicht zu prophezeien, der Mensch ist ziemlich leidensfähig.

    Gute Nacht 🙂

  22. @Hoppel

    hier hat Hari etwas sehr wesentliches geschrieben, nämlich die Bewegung zur „Demokratie 2.0“ muss aus dem Volk selber kommen. Ich denke, das Engagement für eine Veränderung ist eine Funktion des Veränderungsdrucks. Praktisch alle großen Bewegungen, die im heutigen politischen Leben eine Rolle spielen, sind so entstanden. Ein Adenauer bsp’weise hat sich noch zur Kaiserzeit nur in Maßen politisch engagiert; eigentlich war er ein Familienmensch. Sein Engagement in der Politik wuchs aus den Verhältnissen. Die Grünen sind auf diese Weise entstanden, weil sich die anderen nicht genügend um den Umweltschutz kümmerten. Die Bürgerrechtsbewegung in der damaligen DDR zu Zeiten der Wende resultierte aus dem Veränderungsdruck, der ab einem bestimmten Punkt unerträglich groß geworden war.

    Ich verstehe zwar die Logik: Schreibe nicht nur, sondern tu auch etwas. Aber dieses „etwas tun“ muß sich an einem bestimmten Gegenstand oder an einer Anschauung festmachen. Die Probleme einer näheren Festlegung konkreten politischen Handelns kann man derzeit an den Piraten beobachten. Das sind Leute, die vermuten, daß einiges an unserem System überholt ist. Aber wenn man sie dann fragt, welche Positionen sie zu einzelnen Themen haben, dann müssen sie passen. Schon näher kommt man der Sache, wenn man sich mit bestimmten Gegenständen befasst. Im Fall „Stuttgart 21“ etwa war die Situation, daß die Sache einfach durchgezogen werden sollte, das Volk(wenigstens sahen es viele Stuttgarter so) aber nicht „mitgenommen“ wurde. Hier entstand sehr schnell sehr viel Engagement. Und so kann es auch gehen. Nämlich sich für etwas konkretes zu engagieren. Aber abgesehen davon sind viele politische Organisationen in ihrer Themensetzung nach wie vor aktuell. Wenn es um das Eintreten für Menschenrechte geht, für Umweltschutz und so weiter. Ich denke auch, die latente Bereitschaft für Engagement ist bei vielen da. Aber es müssen eben bestimmte Dinge passieren, damit ein solches Engagement auch konkret wird.

  23. @Hoppel

    noch ein Nachtrag: Nur eine eigene Meinung zu haben genügt nicht. Man muß diese auch mit anderen austauschen können. Auch im Rahmen dieses Blogs hier. Immer nur zu sagen „Dann tu doch was“ ist sehr bequem. Das klingt, finde ich, so wie: Ich tu nix, tu doch Du was. Das ist eine negative Denkweise, und die darfst Du von mir aus auch haben, aber dann behalt sie doch bitte für Dich. Übrigens hinkt auch Der Vergleich mit Deinem Chef und seinem „Vorschlagswesen“. Darauf näher einzugehen erspare ich mir aber an dieser Stelle.

    Gute Nacht.

  24. Zum Thema hier
    @ Hari zu Deinem Satz: „Die Bewegung zur “Demokratie 2.0″ muss aus dem Volk selber kommen und so stark werden, dass die Parteien sich anpassen oder untergehen“
    Ob es das mal geben wird? m.M. wenn überhaupt jemals, ja, dann wird es noch lange, lange dauern.
    Ein Beispiel ist folgendes Video auf youtube: Und ich möchte vorher schon sagen – nein, ich bin kein Anhänger der Linken, noch irgendeiner Partei (mehr).
    -> Youtube <-
    Man beachte gleich am Anfang die „unheimliche Präsenz“ unserer Politiker – man müsste mal die leeren Stühle zählen.
    Bemerkenswert seit heute unter dem Video zu lesen: Kommentare sind für dieses Video deaktiviert. Heute Nacht (ca 2:00 Uhr sah ich es zum ersten mal ) waren es noch über 140 Kommentare – komisch nicht wahr? Leider habe ich mir das nicht kopiert. War zu spät und ich zu müde.
    Und (hier im Video) Frau Merkel ( gleich am Anfang Minute 1:26-2:06) sie geht weg.
    Rechts neben diesem Video (das immerhin 4506 Aufrufe hatte – (2 sind aber davon von mir) schaut mal auf die anderen eingestellten Videos – Aufrufe – teilweise = 0 – Nada.
    Hört oder liest man davon etwas in den „etablierten Medien“?
    Nun noch meine ganz persönliche Meinung zu all den vorherigen Kommentaren
    Für mich ist es einfach so: berufliche Tätigkeit = das mindeste 9 – 10 Stunden täglich. Für persönliche Verwaltung (damit meine ich) Haus, Steuern, Versicherungen, Börse und Finanzen etc. – rund 1-2 Std. täglich. Tja und Familie und Freunde hat man ja auch noch. Was an Zeit bleibt also für polit./ gesellschaftl. Engagement? Und so geht es doch nicht nur mir, oder sehe ich das falsch?

  25. @ Tokay,

    zwei Gedanken zu Deinem Beitrag:

    (1)

    Du sprichst „stärkere Dezentralisierung von Entscheidung“ in der Demokratie 2.0 an. Ich kann das nur bedingt teilen.

    Ich denke eher man muss die Entscheidungsebenen trennen und unterschiedlich behandeln. All das, was lokal für die Menschen erlebbar und begreifbar ist, typischerweise auf der lokalen und regionalen Ebene, sollte tatsächlich mit stärkerer Bürgerbeteiligung stattfinden. Das passt zu Deinem Beispiel des Rathauses in VS. Das hat auch den Vorteil, das es dieser unerträglichen und alles blockierenden Marotte mit Bürgerinitiaven gegen alles und jedes vorzugehen – und zwar gleichzeitig dafür und dagegen – Einhalt gebietet, Denn mit diesen nachgelagerten Klageorgien wird jede Planbarkeit zerstört. Die Bürger sollten einmal konkret und direkt mitentscheiden können, dann wird aber auch mal gemacht. So wie es zuletzt am Stuttgarter Bahnhof gelaufen ist. Auch dort hat der Bürgerentscheid am Ende befriedet. Auf der überschaubaren und für jeden verstehbaren lokalen und regionalen Ebene, glaube ich durchaus an die „Schwarmintelligenz“ der Menschen.

    Umgedreht sind die abstrakten, strategischen und grundsätzlichen Fragen unserer Zeit, insbesondere wenn sie internationaler Natur sind – die Finanzkrise ist da ein gutes Beispiel – in meinen Augen nicht geeignet für direkte Bürgerbeteiligung. Da entsteht dann in meinen Augen eher Schwarmdummheit als Schwarmintelligenz. Ich denke für diese Fragen ist die repräsentative Demokratie nach wie vor der einzige Weg. Das Problem das wir haben besteht eher aus der Qualität und Kompetenz der Repräsentanten, wie auch aus der Tatsache, dass bei uns keine Regierung wirklich regieren kann, sondern im permanenten Vermittlungsausschuss hockt. Wir haben doch bedingt durch die „Checks and Balances“ unserer Verfassung seit Jahrzehnten defacto eine grosse Koalition. Und da alle – auch die Opposition – etwas mitreden dürfen, verschwimmen Ursache und Wirkung und Verantwortlichkeiten völlig.

    Unsere Verfassungsväter wollten einen neuen Hitler verhindern. Das ist ihnen gelungen. Der Kollateralschaden ist, sie haben auch verhindert, dass irgend jemand mal auf Bundeseebene wirklich durchregieren kann. So wird jede klare Linie in einer Konsens-Sosse bis zur Unkenntlichkeit eingeebnet. Und der Bürger kann nicht mehr erkennen, wer wirklich für was die Verantwortung trägt.

    Eine Partei die bei diesen internationalen Fragen regieren will, sollte dem Bürger ihre Prinzipien und Grundsätze nach denen sie die Welt beurteilt zur Entscheidung vorlegen. Konkrete Ankündigungen sind sowieso Unfug, die Welt dreht sich zu schnell. Und wenn gewählt, sollte man die Partei auch mal für die Wahlperiode machen lassen, damit man wirklich weiss, wo Ursache und Wirkung sind bei dem, was im Sinne Kohls „hinten raus kommt“ 😉

    (2)

    Das es ein massives Bedürfnis im Bürgertum gibt, dass sich nach einer neuen Art von Politik sehnt, ist offensichtlich. Dazu darf man locker die Hälfte der Nichtwähler zählen und von den noch Kreuzchen machenden, sicher noch einmal 20%. In Summe ein gewaltiges Potential. Und da die Strategen in den Parteizentralen auch nicht dumm sind und das wissen, wird auch so vehement auf jedes bürgerliche Pflänzchen geschlagen, dass sich zu organisieren versucht. Die Piraten werden dagegen, da desorganisiert, von den bürgerlichen Strategen weniger als Bedrohung aufgefasst. Die brauchen wie die Grünen damals sowieso locker 10 Jahre zur Selbstorganisation und defragmentieren eher das linksliberale, bildungsbürgerliche Milieu, was aus Sicht einer CDU durchaus gewünscht ist.

    Auch medial haben wir das Problem ja schon angesprochen. Die sogenannte „öffentliche Meinung“ ist per gebührenfinanzierter Programme auch zu einem guten Teil indirekt durch Partei- und Proporzinteressen bestimmt und kontrolliert. Und wirklichen Wettbewerb um Ideen und die richtige politische Richtung, kann ich in den Publikationen der paar übrig gebliebenden Verleger auch nicht erkennen. Man kennt sich halt von diversen Stehempfängen und Vernisagen und braucht das Wohlwollen der Politik um wirtschaftlich zu überleben. Abgesehen davon ist das Internet ja Fluch und Segen zu gleich. Es gibt einerseits jedem eine Stimme die gehört werden kann, macht es für den Aussenstehenden aber um so schwieriger, den „Bullshit“ von der seriösen Kenntnis zu trennen. Denn aus Wikipedia abschreiben und Kant zitieren kann ja nun jeder, fröhlich verquirrlt dann mit wirren Ideen.

    Womit wir in meinen Augen wieder bei dem Thema Führung sind. Ich bezweifele ganz erheblich, dass sich eine relevante Bewegung zum demokratischen Neuanfang alleine im Netz formiert. Ja sie wird im Netz unter der Decke brodeln – das tut sie ja heute schon – aber sie kann sich so nicht formieren und ihre Energie auf die Strasse bringen. Es braucht einfach den Katalysator, den oder die „Anführer“, die die Wünsche und Hoffnungen der Anhänger auf sich vereinen. Den „Guttenberg“ des Neuanfangs sozusagen, wobei ich damit nur die mediale Wirkung meine. Wenn es diese(n) Anführer gibt, an dem sich die Wünsche und Hoffnungen kristallisieren, dann kann das Netz eine erhebliche Mobilisierungswirkung entfalten. Ohne diese „Anführer“ denen auch der Bürger einfach vertraut, den die abstrakten Themen der neuen Weltordnung überfordern, wird aber alles ein akademischer Debattierzirkel bleiben – wie unser Dialog hier. 😉 Und am Ende läuft man Gefahr sich über Nebensächlichkeiten und Verfahrensfragen zu zerfleischen. Selbst hier im Blog haben wir uns zuletzt mehr auf der Metaebene des „macht das denn Sinn“ abgearbeitet, als zur Sache selber. Der Schwarm im Netz braucht einfach einen Kristallisationspunkt, für das fühlbare Unbehagen. Manchmal kann das auch eine Idee sein, ja das stimmt, einfacher sind aber Menschen, die verkörpern was man will.

    Womit sich die natürlich spassig gemeinte, aber durchaus einen ernsten Kern beinhaltende Frage anschliesst:

    Ist hier im Blog jemand, der sich als Führer bewerben möchte ? 😉

    Wie schnell das gehen kann, können wir doch am Fall Sarrazin bewundern. Stellen wir uns mal vor, der Mann wäre zusätzlich noch mit einem Kohlschen oder Schröderschen Machtwillen gesegnet. Dann würde das jetzige Parteiensystem wohl kippen. Ist er aber nicht, er ist eher ein Eigenbrödler und bringt seine Kraft daher nicht auf die Strasse. Zum Glück für die etablierte Parteienlandschaft, die sich deswegen mit Sicherheit schon oft bekreuzigt hat, weil ihr der „Gottseibeiuns“ begegnet ist.

    Wir hatten in Deutschland in den letzten hundert Jahren wirklich nicht viel Glück mit charismatischen Anführern, da waren die USA weit gesegneter, Stichwort Roosevelt oder Kennedy. Aber ich denke wir brauchen mal wieder dringend einen, der ein paar verkalkte und verrostete Türen öffnet. Auch darum geht es in meinem Beitrag, denn ohne Führung keine organisierte Energieleistung von Menschenmassen. Hoffen wir nur, dass wir diesesmal mehr Glück haben.

  26. @ Hanna, ich stimme Dir völlig zu. Deswegen lehne ich das Argument „mach Du doch erst einmal“ auch als Totschlagargument ab, mit dem man nur den Stillstand zementiert und sich vor sich selbst rechtfertigt. Jeder kann nur für sich selber entscheiden, welchen Beitrag er zur Gemeinschaft bringen kann. Niemand kann erwarten, dass sich jeder politisch engagiert. Das geht gar nicht, da sind Beruf und Familie oft vor. Ich als Vater und (Ex-Unternehmer) , bzw Neu-Unternehmer ;-), weiss das ebenso gut, Und wäre ich nun in einer Partei sehr aktiv, würde es diesen Blog mit Sicherheit nicht mehr geben. Der Tag hat halt nur 24 Stunden.

    Was aber jeder kann, ist dann, wenn sich eine Chance auf die gewünschte Veränderung abzeichnet, es mit all den kleinen Dingen unterstützen, die jeder zu tun in der Lage ist. Mit Worten in Blogs und Taten und Reden in der Nachbarschaft und im Betrieb. Auch das ist ein gesellschaftlicher Beitrag und alles was man von einem mündigen Bürger erwarten sollte, dem sein Land nicht egal ist. Das Land in dem seine Kinder leben werden.

    Wer das tut, wer dann im Rahmen seiner Kräfte und Fähigkeiten mitmacht wenn die Zeit gekommen ist – statt sich dann auf die Seite zu stellen und zuzuschauen – der muss sich auch nichts vorwerfen. Im Gegenteil.

    Den Karren aber immer wieder zu ziehen und anzuschieben, das ist die Aufgabe von wenigen. Genau das ist Führung. Und genau die fehlt uns schmerzlich.

  27. @Hari

    was soll ich dazu schreiben, ich sehe, wir befinden uns in weitgehender Übereinstimmung. Die Mühe indes, die Du auf die Besprechung der verschiedenen Punkte verwendest, finde ich sehr anerkennenswert.

    Du hast recht, direktes Engagement am besten da, wo konkret umsetzbar. Mit der Eurokrise etwa haben schon die heutigen Volksvertreter Riesenprobleme. Sie verstehen die Probleme nicht. Das würde durch direkte Volksbeteiligung nur noch schlimmer werden. Auch wäre die Gefahr groß, daß die breite Masse den „ungläubigen Jesuiten“ auf den Leim geht. Ebenso gebe ich Dir recht mit der Zuweisung von Verantwortlichkeiten. Es entspricht wohl der menschlichen Natur, nicht an irgend etwas schuld sein zu wollen, und da ist ein Konsensbrei natürlich die beste Lösung. Zumindest hat er den Vorteil, daß Beschlüsse auf einer breiten Basis stehen. Aber wie gesagt, wenn hinterher die Frage gestellt wird, wer das entschieden hat, war’s keiner. Ein sehr wichtiges Prinzip fände ich auch, wer zahlt, bestellt, und insofern sind viele Entscheidungen der letzten Jahre sehr problematisch. Die Kommunen sind so was von pleite, mehr pleite geht fast gar nicht. Aber warum nicht auch grundsätzliche Fragen dem Volk zur Abstimmung vorlegen? Die Frage etwa, ob wir ein superbürokratisches Institutionen-Europa wollen, wird doch unmöglich von der Mehrheit befürwortet werden.

    Hanna hat, finde ich, etwas sehr wesentliches angesprochen: Nämlich wie kann man den Willen zum Engagement in konkretes Handeln umsetzten. Und da kommen in der Tat die Limitierungen des Zeitbudgets ins Spiel. Das dürfte sehr vielen so gehen, uns allen, die wir hier darüber diskutieren. Die Erfüllung der alltäglichen Pflichten hat nun mal Vorrang, das gesellschaftlich-politische Engagement kommt nur dann in Frage, wenn noch Zeit übrig bleibt. Eine sehr praktische Erklärung dafür, daß die meisten Leute sich wirklich erst dann engagieren, wenn es mit den Zuständen schon sehr arg ist.

    Was einen möglichen politischen Führer angeht, von seinem intellektuellen Potential gesehen wäre Sarrazin absolut der Kandidat dafür. Eine Reihe seiner Thesen finde ich problematisch, aber der Mann steht absolut auf dem Boden der liberalen Demokratie, auch wenn er gerne irrigerweise in die rechte Ecke gestellt wird. Dabei ist er aber ein Mann der Vernunft. Zugleich aber ist er überzeugter Sozialdemokrat, und wird wohl kaum Anführer einer neuen populistischen Bewegung werden. An Schmidt und Schröder sieht man sehr gut, daß pragmatische Sozialdemokraten sehr gut so eine Rolle einnehmen können. Bei der Union? Schwer zu sagen. Im Moment sehe ich dort niemanden – das ist wenn, dann ein Mann der kommenden Generation. Wahrscheinlich jemand, mit dem heute ganz bestimmt niemand rechnet. Vielleicht dann doch wieder Guttenberg? Ausschließen kann man es nicht. In außenpolitischen Fragen wird wohl kaum jemand an ihm vorbei können.

    Was die Macht des Internets angeht, nun ja, man sollte sie nicht unterschätzen. ich finde aber, daß das Internet doch vor allem das Medium ist, mit dem die Botschaft transportiert wird, aber nicht die Botschaft selber. Aber natürlich spielen auch der Look und die Sprechweise eine Rolle, das hauptsächlich erklärt ja den bisherigen Erfolg der Piraten. Wenn eine Partei es schaffen sollte, ihre Botschaften über das Internet zu artikulieren, dann könnte sie damit, vor allem bei den Jüngeren, beträchtlichen Erfolg haben in Zukunft.

    Was die Sache mit der Führung angeht – wenn jemand das kann und bereit ist, die Gummistiefel anzuziehen, dann werden die Leuten dem-/derjenigen folgen. Das war immer so und wird auch im Zukunft so sein.

  28. Jede Bevölkerung bekommt die Regierung, die sie verdient.

    Wenn die Bereitschaft der Bevölkerung, große Veränderungen mit ensprechenden Konsequenzen zu aktzeptieren, nicht vorhanden ist, weshalb sollte die Regierung dies tun? Das wäre doch politischer Selbstmord!
    Wir wollen endlich die Lösung der Eurokrise sehen, aber nur eine Minderheit wäre bereit, große Opfer hinzunehmen. Wir würden begrüßen, wenn unsere Merkel die Vorreiterrolle übernimmt, aber wie soll sie es anstellen, wenn ihr etliche Mitteln verwehrt bleiben? Gut, da sie keine große Reformerin ist, würde sie auch nichts großes bewegen, wenn sie die Möglichkeiten hätte.

    Der Durchschnittsdeutsche fürchtet sich vor Veränderungen, möchte stattdessen lieber den Status quo behalten. Er meckert jedoch über die derzeitige Situation und will Änderungen sehen, ja was denn nun?
    Ganz gut sieht man es an der Agenda 2010. 2004 war eine große Mehrheit gegen die Reformen, Schröder und die SPD verlieren daraufhin die Macht.

    „Und die Kandidaten, die sich auch davon nicht bange machen lassen, sondern soviel innere Stärke haben, dass sie trotzdem “Ihr Ding” machen, die gehen dann genau NICHT in die Politik, weil sie den dort herrschenden Konformitätsdruck nicht akzeptieren. “
    Leider 100% Zustimmung.
    In meiner Schulzeit habe ich mich für eine polit. Jugendorganisation engagiert. Meistens stand ich mit meiner Meinung ganz alleine, was die Argumentation ganz schön schwierig gemacht hat, da alle anderen die gleiche (diesselbe?) Ansicht vertreten haben. Nach 2 Jahren habe ich dann die Partei verlassen und sehe mit Vergnügen, wie sie heute immer tiefer in die Bedeutungslosigkeit schlendert. Tja, wenn nahezu alle dieselbe Meinungen teilen, dann erweist sich die Fehlersuche als unlösbare Herausforderung.

    Bei den meisten Parlamentsabstimmung gilt die Fraktionsdisziplin. Wer dagegen verstößt muss mit Sanktionen rechnen und dies könnte sich auf die weiterführende politische Karriere nachhaltig auswirken.

    Fazit: Es ist weder rational, noch klug seine Ideale und Überzeugungen nachzugehen, wenn die Partei und die Bevölkerung dagegen sind. Es gibt keine Anreize das „richtige“ zu tun und somit stellt das mehrheitskonforme Verhalten die optimale und dominante Strategie dar.

    Zu Demokratie 2.0: Wenn die Bildzeitung nach wie vor die erfolgreichste Zeitung bleibt, dann kann ich gut auf Demokratie 2.0 verzichten. Volksabstimmungen können nur sinnvoll sein, wenn 1) die Mehrheit daran teilnimmt und 2) die Bevölkerung sich umfassend informiert. Dass die Teilnahme nicht immer hoch ausfällt, beweist die Schweiz. Sinnvoller, wie Hari bereits erläutert hat, sind lokal und regional begrenzte Abstimmungen.
    Frage: Wäre die Agenda 2010 damals bei einer Volksabstimmung realisierbar gewesen?

  29. Hari, Fuehrung/Gestaltungswille und Politik haben zwar eine grosse Schnittmenge, bzw. sollten es haben, aber die beiden Dinge sind nicht beliebig austauschbar. An das Thema Fuehrung/Gestaltungswille muss man mich nicht erst heranziehen. Aber im Zusammenhang mit Politik …

    Ich und Merkels Berater (der Appetizer 😉 )? Dazu verweise ich auf Punkt 1 in Felix‘ Kommentar (19:53). Punkt 2 haette ebenfalls von mir sein koennen. Den letzten Absatz im selben Kommentar sollte man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich kenne China gut genug um zu wissen, dass man solche Szenarien nicht einfach vom Tisch wischen darf.

    Bleibt noch zu sagen: Es war nicht meine Absicht, diejenigen, die diese Diskussion so lebhaft fuehren, zu veraergern. Zum Glueck hat die Diskussion meinen Anschlag ueberlebt 😉

  30. Noch ein Kommentar zu dem verlinkten Artikel „A Graveyard for Tacticians“ von Joshua Brown. Ich lese seine Artikel sehr gerne, geschrieben ohne Blatt vor dem Mund und sehr gute Einblicke eines Insiders. Aber zu diesem Artikel faellt mir nur das Wort „whining“ ein. Der GD200 und major fakeouts? Wo steht denn geschrieben, dass ein Tiefpassfilter ein Garant fuer Boersengewinne ist? Und so geht das Rumgejammere immer weiter, z.B. „trend followers got smoked“ … und was ist mit anderen Strategien wie mean revresion? Klingt alles sehr danach, dass jemand den Zwang verspuert, sich rechtfertigen zu muessen.

  31. @Hans, kann ich nachvollziehen was Du zu Josh Brown sagst. Allerdings würde ich es nicht komplett unter „Whining“ einsortieren. Ich denke man kommt zu unterschiedlichen Ergebnissen je nach Zeithorizont.

    Die grossen Trends waren dieses Jahr eigentlich recht gut sichtbar und korrelierten mit den Quartalen. Sein Klagen über die bösen, bösen Fakeouts kann ich auch nicht nachvollziehen, diese Wenden haben sich gerade in der Markttechnik abgezeichnet, wenn man nicht nur auf Charts starrt, sondern zb Sentiment mit einschliesst.

    Wer meine Arbeit hier verfolgt hat weiss, wie gut ich jeweils am Anfang der drei ersten Quartale den dann kommenden Trend erkannt und hier propagiert habe. Und dann auch das Quartal dabei geblieben bin. Wer dem einfach gefolgt ist und ansonsten die Augen schloss, sitzt jetzt auf dicken Gewinnen. Nur mit dem Q4 bin ich nie so richtig warm geworden, dass ist für mich bisher weder Fisch noch Fleisch.

    Auf einer kürzeren Zeitebene von Tagen war dieses Jahr aber schon ziemlich schwierig. Das lag an den permanenten politischen Interventionen. Da hatte man technisch alles zurecht liegen und dann kam *Peng* wieder die nächste Nachricht. Auch aktuell schwingen wir ja mit jeder Fiscal Cliff Nachricht wild hin und her. Und politische Nachrichten sind einfach „untradable“.

    Insofern kann ich verstehen, wenn man dieses Jahr als für Markttaktik schwierig betrachtet. Aber man darf natürlich nicht vergessen, dass Josh Brown aus der Rolle des bärbeissigen aber ehrlichen „Reformed Brokers“ ein Geschäft gemacht hat. Ein schönes Geschäft, dass mir lieber ist als das Geschäft derjeniegen, die ihren Leser die berühmten „sicheren Tips“ versprechen – aber eben immer noch ein Geschäft. Insofern dürfte Selbstrechtfertigung durchaus Teil dieses Beitrags sein und Du hast einen Punkt.

  32. Mein letzter Beitrag:

    Ich wollte schlicht anmerken, dass mir Mitmenschen, die sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit permanent lautstark über die bestehenden Verhältnisse aufregen, vielleicht auch mal selbst aktiv werden sollten statt nur rumzujammern. Das dies nicht immer einfach ist, hat Anna ja schon anschaulich ausgeführt. Dennoch: diese Spezies findet immer die Zeit sich aufzuregen und andere Leute mit ihren Ansichten zu versorgen, nur keine zu handeln. Schon komisch. So etwas wirkt auf Dauer für mich unglaubwürdig.

    Aber offenbar ist es mir nicht gelungen, dies zu verdeutlichen oder es wird nicht gewünscht oder eben anders gesehen. Da wird mir von Hari Polemik vorgeworfen (…pauschale Reden von “Gutwissern” – die höfliche Form von “Klugschnacker” – daher als hmmm …. eben pauschal, polemisch und dem Thema nicht angemessen…), kurze Zeit später von Top User Tokay quasi der Mund verboten (… Das ist eine negative Denkweise, und die darfst Du von mir aus auch haben, aber dann behalt sie doch bitte für Dich) und gönnerhaft über angeblich hinkende Vergleiche weggegangen (…Übrigens hinkt auch Der Vergleich mit Deinem Chef und seinem “Vorschlagswesen”. Darauf näher einzugehen erspare ich mir aber an dieser Stelle).

    Bevor ich mich nun noch in Rage schreibe und damit obigen „Vorwürfen“ wahrscheinlich gerecht würde, enthalte ich mich zukünftig lieber diesem – wie schrieb Hari scherzhaft – akademischen Debattierzirkel (…alles ein akademischer Debattierzirkel bleiben – wie unser Dialog hier. 😉 ).

    Wünsche weiterhin unaufgeregte „blog-korrekte :-)“ Diskussionen.

  33. Hari ich teile Deine Meinung, dass auch ein Blogbeitrag ein lohnenswertes Engagement darstellt, nicht nur das Engagement im politischen Raum, dass -wie hier vielfach korrekt gezeichnet – bei abweichender Meinung aussichtslos wäre. Ich jedenfalls finde die Beiträge extrem befruchtend und unterstützend, weil man sich im Mainstream der Medien manchmal schon fragt, ob man als „Einziger“ allein anders denkt. Gerne würde ich auch mal den Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises fragen, auf welchen Grundlagen er zu seinem Stimmverhalten gerade zum €-Thema kommt, aber es wäre verschwendete Zeit. Es würde irgendein Hiwi Antworten und das Wort Fraktionszwang würde bestimmt auch nicht fallen. Es fehlt in der Tat im politischen Raum die Alternative und die Macht der Medien stellt eine kaum zu überwindende Einstiegshürde dar. Leider muss man wohl erst die BI.. auf seiner Seite haben, um Präsenz zu erreichen. Vielleicht bekommt ja die von Herrn Henkel unterstützte Wahlinitiative 2013 eine Chance, sie werden aber von den etablierten Parteien als „Feinde“ niedergemacht werden, es geht nur um den Macht-und Einflusserhalt. Dann wird irgendeine Antwort dieser Initiative zu einem insbesondere auch anderem als deren Kernthema zum Anlass genommen, sie zu desavouieren.
    Aus verschiedensten Äußerungen auch maßgeblicher Politiker war ja schon zu entnehmen, dass sie es als schade/störend finden, dass über die Meinungspluralität im Netz die Masse nicht mehr so gut zu lenken wäre. Ein Segen, dass hier die Politik (noch) keinen Zugriff hat. Gerade deshalb sind Diskussionen im Blog wie diese so sinnvoll und keineswegs sinnlos, sondern extrem inspirierend und motivierend, hier vor allem auch, weil sie durch Menschen geführt werden, die durch ihre bisherigen Beiträge bereits ihren Durchblick, ihre Kenntnisse, ihre Reife und Klasse bewiesen haben.
    Also weiter so und … ach ja … Einen schönen 1. Advent !

  34. @Syrakus,

    danke Dir für die netten Worte. Und es motiviert mich wiederum, das Feedback zu bekommen, dass es andere „befruchtet und unterstützt“ um Deine Worte zu benutzen.

    Ich denke auch, dass sich Meinung erst organisieren muss und das es dafür Orte geben muss, wo man sie differenziert und kritisch äussern kann, ohne die typischen Spiegelfechtereien der normalen Foren auszutragen.

    Dir – und allen anderen – auch einen schönen 1. Advent. Mein kleiner Sohn hat gestern mit leuchtenden Augen das erste Türchen an unserem „Elch“ aufgemacht. Der „Elch“ ist ein grosser Holzelch, der in Summe 24 kleine Schubladen hat – auf jeder Seite 12. Eine Art hölzener Adventskalender eben.

    Und mein kleiner Sohn weiss, dass wenn er ein Türchen zu früh aufmacht, die Fee kommt und sofort alle weiteren Schubladen leert, weshalb er unbedingt aufpassen muss, dass das niemand macht. Und er nimmt die Aufgabe sehr ernst. 🙂 Manchmal möchte ich auch mal wieder Kind sein und mir solche Gedanken wie hier zu unserer Zukunft nicht machen müssen.

  35. @Hoppel,

    alles was Dich ärgert waren Reaktionen auf Deine Beiträge. Reaktionen, wie auch diese Zeilen meinerseits. Zur Kommunikation gehören halt zwei oder in Form eines Sprichwortes „wie man in den Wald hinein ruft ….“.

    Dich jetzt als unverstandenes Opfer unfairer Vorwürfe zu positionieren und nach einer Handvoll Beiträge schon den zweiten „Abgang“ hinzulegen ist bemerkenswert. Insbesondere nicht sehen zu wollen, dass Du mit der pauschalen Einordnung als Gutwisser=Nichtstuer natürlich auch die Blogteilnehmer triffst, die hier gerade diskutieren, ist schon erstaunlich und lässt tief blicken. Kommunikation ist halt das, was ankommt – und sonst nichts.

    So viel dazu, Dein Rückzug erscheint mir nun sinnvoll und ich wünsche Dir viel Erfolg bei Deinen Börsenaktivitäten.

    @ All,

    Ein paar Worte will ich aus diesem Anlass aber zum Thema Diskussionskultur hier im Blog noch loswerden. Adressaten sind ausdrücklich alle, die hier mitwirken:

    Es ist durchaus möglich, kritisch und kontrovers zu schreiben, ohne sich zu beleidigen oder beleidigt zu sein. Und ohne den anderen pauschal Dinge zu unterstellen oder sie in Schubladen zu stecken. Es ist sogar sehr einfach.

    Ich möchte bewusst Hans und Tokay als Beispiele benutzen. Beide gehören zu den ältesten und aktivsten Schreibern und sind gestandene und erfahrene Männer mit jeder Menge Lebenserfahrung. Hans hat nun ungewollt etwas schlechte Stimmung rein gebracht und hatte die menschliche Grösse sein Bedauern auszudrücken. Tokay habe ich schon einmal darauf hingewiesen, dass nicht er es ist, der hier entscheidet was im Blog erlaubt ist und er auch nicht entscheidet, was gesagt werden darf und was nicht. Auch er hat die menschliche Grösse zu sehen, wann er mal über das Ziel hinaus geschossen ist.

    Denn im Eifer des Gefechtes kann das passieren – ausdrücklich auch mir. Entscheidend ist, wie man dann damit umgeht. Ob man in der Lage ist seinen eigenen Fehler zu sehen, denn bei Kommunikation ist man immer selber zu 50% beteiligt. Und ob man den anderen mit Respekt und Rücksichtnahme begegnet. All das erwarte ich in diesem Blog und all das funktioniert ja auch in der Regel ganz hervorragend.

    Insofern sollten wir solche kleinen Verwirrungen wie aktuell immer wieder als Anlass sehen uns daran zu erinnern, was das besondere der Diskussionskultur hier ausmacht. Sie ist darauf ausgerichtet sich auszutauschen und gegenseitig zu helfen. Es ist hier möglich, Argumente aus zu tragen, ohne befürchten zu müssen, damit in eine polemische Ecke gestellt zu werden. Denn wenn jemand das versucht, werde ich dazwischen gehen.

    Möglich ist das nur, weil ich hier als „kleiner Diktator“ das Zepter schwinge. Es ist halt mein Blog und ich entscheide, was ich hier zulasse und was nicht. So versuche ich einen kleinen Freiraum im öffentlichen Raum zu schaffen, in dem die Argumente zählen und weder Ego noch Befindlichkeiten noch Schubladen, in die die Menschen andere so gerne einsortieren.

    Und wenn Sie glauben, dass ich dabei einen falschen Weg einschlage, oder auf dem schmalen Grat zwischen Offenheit und Rücksichtsnahme zu sehr auf eine Seite kippe, dann lassen Sie mich das per E-Mail wissen, ich bin für Feedback immer offen.

    Ihr Hari

  36. @Hans

    auch von meiner Seite noch, Schwamm drüber, konzentrieren wir uns wieder auf Mr. Market, und was ihm wieder neues einfällt…

  37. @Hari
    Bezüglich Deiner Moderation kann ich Dir da ein großes Lob aussprechen. Du bemühst Dich immer um Neutralität, was bei hitzigen Diskussionen nicht immer einfach ist.
    Als junger Hüpfer bin ich sehr froh, dass ich hier durch die Meinungen von Erfahrenden, mir neue Aspekte erschließen und meine Ansicht stets überdenken kann.

    zu hanna: „Für mich ist es einfach so: berufliche Tätigkeit = das mindeste 9 – 10 Stunden täglich. Für persönliche Verwaltung (damit meine ich) Haus, Steuern, Versicherungen, Börse und Finanzen etc. – rund 1-2 Std. täglich. Tja und Familie und Freunde hat man ja auch noch. “ Das ist völlig verständlich. Lohnt sich das politische Engagement? Sich in einer Partei zu beteiligen bedeutet viel Frust. Man findet dort etliche ideologiegesteuerte Mitmenschen, die ihre Meinung als einzige Wahrheit sehen. Man kommt in einer Debatte nicht weiter, weil es den Teilnehmern an Hintergrundwissen mangelt. Man ist teilweise am Ende demotiviert und will dann nur noch Abstand zu der Politik nehmen, eine sinnvolle Abwehrreaktion des Körpers.
    Mein Vorschlag wäre, statt sich selbst zu engagieren, Politiker zu motivieren (durch Email/Brief), die richtige Entscheidungen treffen. Man zeigt Anerkennung und der Politiker ist in seinen Überzeugungen bestärkt.
    Ein gutes Beispiel ist der Fall Sarazzin: Er wurde damals hart von den Medien attackiert, bei Beckmann konnte man es ganz gut sehen. Alle Gäste waren gegen ihn, Beckmann hat ihm immer wieder das Wort abgeschnitten. Der große Zuspruch in der Bevölkerung hat Sarrazin den nötigen Mut gegeben, um seine These zu verteidigen, auch in einer gegenüber ihm sehr feindselligen Umgebung.

    Ich persönlich mag hitzige Diskussionen, sehe Vorwürfe immer sportlich. Die Kunst liegt darin, wie man diese pariert. Daher finde ich es schade, dass Hoppel sich zurückzieht. Je mehr Leute die gegenteilige Position vertreten, desto spannender sind Diskussionen und außerdem hilfreich, um neue Erkenntnisse zu gewinnen.

  38. Ich kann nur empfehlen, einmal die Analyse von Gertrud Höhler in ihrem Buch „Die Patin“ zu lesen. Natürlich hat man Frau Höhler den Vorwurf gemacht, diese sehr kritische Bestandsaufnahme zu Frau Merkel aus verletztem Stolz oder einer Nicht-Berücksichtigung bei einem Regierungsamt verfasst zu haben. Schaut man sich aber einmal ein paar Ergebnisse der bisherigen Regierungsarbeit an, z. B. die sog. Energiewende oder die im Koalitionsvertrag vereinbarte „große“ Steuerrefom oder den Hickhack um eine nachhaltige Familienpolitik, so sind Zweifel am Vorhandensein von „Werten“ oder einem roten Faden wohl erlaubt. Merkel’sche Politik erschöpft sich in Situationsreaktionen, die im Falle der Erfolglosigkeit – und das ist in letzter Zeit immer öfter der Fall – mit milliardenschweren Verpflichtungen der Steuerzahler zugekleistert werden. Beispiel Energiewende: ein völlig planloser begonnener Schwenk in der Energieerzeugung um 180 Grad, ohne sich vorher mit Fachleuten darüber zu beraten, was der Umstieg von einer zentralen auf eine dezentrale Erzeugung an Konsequenzen für einen hochindustrialisierten Standort bedeutet. Die Auswirkungen spürt jeder von uns gerade wieder mit seiner Stromrechnung zu Beginn des neuen Jahres! Und der damit in erster Linie befasste Minister Altmaier mag zwar ein vielgepriesener Kommunikator sein, was aber zur Lösung vorwiegend technischer Probleme sichtbar keine Empfehlung darstellt.

    Thema Steuerreform: es ist ja nicht so, dass alle Steuerzahler verlangt haben, sofort um etliche Milliarden entlastet zu werden. Aber wäre es nicht möglich, das Steuersystem so zu gestalten, dass nicht jedes Jahr Millionen von Steuerzahlern gezwungen sind sich durch -zig Formulare zu quälen, um mit mehr oder minder obskuren Gestaltungsmöglichkeiten ein paar Euro vor dem Fiskus zu retten? Alleine die dafür aufgewendete Zeit ist volkswirtschaftlich gesehen vergeudet und könnte in sinnvollere Aktivitäten gelenkt werden. Es muss ja nicht gleich der von Herrn Merz propagierte Bierdeckel sein. Man könnte sich aber vorstellen, dies als Ziel zu vereinbaren und sich diesem schrittweise innerhalb einer oder zwei Legislaturperioden zu nähern.

    Thema Familienpolitik: schon zu Adenauers Zeiten war bekannt, dass der Generationenvertrag nur funktioniert, wenn die Familienpolitik eine hohe Priorität und spezielle nachhaltige Förderung erfährt. Die Entwicklung der Geburtenrate ist nicht erst seit gestern ein Indiz für falsche Prioritätensetzung, die nun mit immer hastigeren finanziellen Anreizen versucht wird zu konterkarieren. Letzter Faschingsscherz hierzu: der mit Milliarden angeschobene, aber ungenügende Ausbau von Kitas soll mit anderen Milliarden (Elterngeld) vor dem absehbaren Desaster bewahrt werden! Klagen nächstes Jahr Eltern wegen nicht vorhandener Kita-Plätze, werden sie von den Gerichten Schadenersatz erhalten, natürlich wiederum aus Steuergeldern.

    Die Reihe dieses wegen mangelhafter Planung schon im Entstehungsstadium obsoleten Regierungshandelns liesse sich leider beliebig fortsetzen.

    Fazit: ich halte Frau Merkel – wie schon ein anderer Diskutant sagte – in dieser Position für überfordert. Ihre Position verdankt sie ja nicht einer äußerst erfolgreichen Ministertätigkeit, sondern dem Umstand, dass sich seinerzeit außer ihr niemand fand, der die Ikone Kohl stürzen wollte. Gemessen an den bereits realisierten Milliardenverlusten und den noch zu erwartenden Verpflichtungen aus der Eurorettung, hätte ein Manager in der Industrie bereits längst die rote Karte gezeigt bekommen. Ihre gefühlt starke Position verdankt sie unserem Verfassungsverständnis und einer – übrigens von ihr verursachten – schwachen personellen Ausstattung der Regierungspartei, bei der Fachwissen gegenüber politischer Lemmingmentalität zurückstehen muss. Ausdruck dieses Mankos ist die immer häufigere Anrufung des Bundesverfassungsgerichts, um die gröbsten Schnitzer zu begradigen.

    Was ist zu tun? Leider bietet unsere Verfassung wenig Ansatzpunkte. Am erfolgreichsten erscheint mir das Hinarbeiten auf eine breitere und frühe Beteiligung des Wählers durch Volksentscheide bei wichtigen und kostenintensiven Vorhaben. Insbesondere dann, wenn diese so in den Wahlprogrammen der Parteien nicht erkennbar waren. Zumal die im Gesetz verankerte „Gewissensentscheidung“ der Abgeordneten in der Realität durch den Fraktionszwang regelmäßig unterlaufen wird. Allerdings ist mir klar, dass die meisten Parteien dieser Selbstkastration eine Vielzahl von Totschlagargumenten entgegenhalten.

  39. Hallo Maria237, herzlich willkommen im Blog und danke für den ausführlichen Beitrag ! Vielleicht sind ja zum Einstieg auch noch ein paar Zeilen an die anderen Leser möglich, die einen Eindruck zu den Erfahrungen zum Thema „Börse“ verschaffen. Es erleicht und vertieft den weiteren Austausch und macht einfach mehr Spass, wenn man ein grobes Gefühl entwickeln kann, mit wem man es zu tun hat.

  40. Ich tu meinen Beitrag mal hierhin…Eben habe ich mir das Video mit Wolfgang Reitzle angesehen. Ein äußerst beeindruckender Mann. Wenn man in die Gesichter des Publikums, der jungen Leute vor allem, geschaut hat, die waren hingerissen. Und zum inhaltlichen, es war gnadenlos logisch, was Reitzle vorgetragen hat. SOLCHE Männer braucht das Land!

  41. Ja Tokay, ich hatte -> hier <- auch schon einmal ausführlich meinen allergrössten Respekt vor Reitzle ausgedrückt, der nicht nur Linde beindruckend führt, sondern „nebenher“ auch noch das Schäffler-Conti Desaster geordnet hat. Wo Conti heute steht kann man ja am Kurs beobachten. Unter anderem deswegen ist Linde als Aktie auch eine Bank. Es kommt eben doch auf das Management und auf einzelne Personen an. Womit wir beim Thema „Führung“ sind. 😉

  42. Hallo Hari, danke für die nette Begrüßung, die in vielen Foren nicht ganz selbstverständlich ist. Das Thema „Merkel“ und die sehr ausführliche und zivilisierte Debatte hatte mich interessiert und dann konnte ich mich nicht enthalten, einfach mal loszulegen. Mein Börsenhintergrund basiert auf 40 Jahren vorwiegend beobachtender Begleitung mit den damit verbundenen schmerzlichen aber auch glücklichen Transaktionen. Aber wie ein weitaus schlauerer Mensch einmal gesagt hat: wenn 51% der Entscheidungen positiv verlaufen sind, ist das ein beachtenswertes Ergebnis. Da ich nun altersbedingt etwas mehr Zeit habe, mich mit den reichlich angebotenen Analysewerkzeugen zu beschäftigen, hoffe ich nun, auch mal 52% zu erreichen 😉

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