Der Trader – Das unbekannte Wesen – Reloaded

Da ich am morgigen (heutigen ;-)) Donnerstag in Frankfurt und nicht im Blog unterwegs bin (siehe Live-Tips), habe ich mir überlegt, was ich Ihnen noch an sinnvollem Lesefutter liefern könnte.

Dabei bin ich wieder auf diesen über einen Jahr alten Artikel aus dem Februar 2012 gestossen, in dem ich nicht nur die Anforderungen an einen privaten Trader auseinander dividiere, sondern auch meinen persönlichen Lebenslauf und Stil erkläre.

Viele der neuen Leser dürften diesen Artikel damals nicht gesehen haben und das wäre schade. Zumal der Artikel gut vermittelt, bei wem Sie hier eigentlich mitlesen. 🙂 Also schiebe ich ihn erneut hoch und wünsche Ihnen erneut viel Spass beim lesen !

Übrigens, die letzten Zeilen zur "Häutung" waren scheinbar prophetisch, im Moment sieht es fast so aus, als ob ich schon ein bisschen auf dem Weg zum Autor und Verleger bin. Schaun mer mal. 😉

Und nun geht es los:

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Vor kurzem habe ich per Kommentar vom Leser und Trader "Micha" die folgende Frage erhalten:

"Hari ich habe mal eine ganz persönliche Frage an Dich: Du warst ja in Deinem vorigen Leben als Manager ziemlich eingespannt und wahrscheinlich auch viel unterwegs. Wie hast Du es geschafft, sich in die Börsenmaterie zu einzuarbeiten? Hast Du das alles am Abend nach Feierabend gemacht, oder auch zwischendurch? Meine Frage zielt dahingehend, dass ich es faszinierend finde, wie Du es geschafft hast Profi trader zu werden, ohne vorher an der Börse als Makler oder Analyst tätig gewesen zu sein. Ich finde es für mich erstrebenswert, so einen Weg ebenfalls zu gehen. Allerdings bin ich auch vollzeit berufstätig und als Vertriebler viel in der Welt unterwegs. Ich fände es sehr interessant zu erfahren, wie Du Dich über die Jahre darauf vorbereitet hast. "

Da ich neben aktuellen Börseninformationen mit diesem Blog meinen Lesern auch Hilfestellung zur Selbsthilfe an den Märkten geben möchte, will ich auf diese Frage gerne sehr persönlich antworten. Und ich möchte Sie vorab warnen: Vorsicht langer Artikel 😉

In der obigen Frage stecken drei Ebenen, die ich vorher unbedingt detailliert "aufdröseln" muss, da eine persönliche Antwort ansonsten nur zu Missverständnissen führt. Denn

(1) muss überhaupt erst einmal klar sein, was man unter dem Begriff "Trader" versteht, damit man nicht völlig aneinander vorbei redet.
(2) gibt es ein paar abstrakte Fähigkeiten und Voraussetzungen die jeder erfolgreiche, private Trader braucht und
(3) gibt es dann meinen sehr persönlichen, aber nicht notwendigerweise übertragbaren Weg - wie ich persönlich in Anbetracht meiner individuellen Stärken und Schwächen mit dem Thema umgehe.

Auch wenn Sie vielleicht nur (3) interessiert, müssen (1) und (2) vorher unbedingt erklärt werden, damit (3) verständlich ist. Wenn ich schon über mich persönlich aus dem Nähkästchen plaudere, dann will ich wenigstens, dass es auch richtig eingeordnet wird. Denn in ein und das selbe Wort können zwei Menschen sehr unterschiedliche Dinge hinein interpretieren und ein Begriff wie "Trader" ist dabei besonders gefährdet.

(1) Was bin ich, ein Trader oder Investor ?

Leider ist der Begriff "Trader" in Deutschland sehr negativ belegt, darunter stellt man sich einen "finsteren Zocker" vor, der mit dubiosen Konstruktionen die reale Welt wie ein Blutegel aussaugt. Das ist insofern besonders absurd, als von allen Bevölkerungsgruppen die erfolgreichen, pivaten Trader wahrscheinlich die letzten sind, die "zockend" ihren Fuss in ein Spielkasino setzen oder einen Lottoschein zur Annahmestelle bringen würden - dazu aber später mehr. Was manche Händler in Grossbanken machen, die mit dem Geld fremder Leute arbeiten, ist eine ganz andere Geschichte. Ich spreche hier über Trader, die mit dem eigenen Geld unterwegs sind. Und ob man mit dem eigenen oder fremden Geld operiert, macht einen Unterschied wie Tag und Nacht.

Dann gibt es als Begriff noch den "Investor", das ist in der öffentlichen Meinung der positive Antipode zum "bösen" Trader, denn der Investor ist "gut", "nachhaltig" und was auch immer und das wollen ja alle sein. Weiterhin gibt es den Begriff des "Spekulanten", für den die gleichen negativen Assoziationen wie für den Begriff "Trader" gelten. Und zu guter Letzt gibt es noch den "Anleger", dieser Begriff passt aber eher zu einem Bürger der sein Geld passiv irgendwo hin bringt damit es sich mehrt. Zu einem aktiven Handeln an der Börse wie wir es hier besprechen, ist der Begriff nicht wirklich passend, auch wenn er manchmal in diesem Zusammenhang genannt wird.

In Ermangelung anderer Alternativen bleibt zu dem was ich bin also nur "Trader" oder "Investor" übrig. Eine wie ich finde sehr klare Definition zum Unterschied lautet wie folgt:

-> Der Trader kauft Anteile an einer Wirtschaftseinheit, um diese nach einer überschaubaren Zeit wieder zu verkaufen. Dabei kann eine überschaubare Zeit sehr wohl Monate oder auch ein Jahr sein. Aber der Verkauf mit Gewinn ist schon beim Kauf das eigentliche Ziel.

-> Im Gegensatz dazu kauft der Investor Anteile an einer Wirtschaftseinheit um dauerhaft (sprich über Jahre) an dem Erfolg dieser Wirtschaftseinheit Teil zu haben. Ein Verkauf ist beim Investor zwar auch irgendwann möglich, er ist aber nicht der Zweck der Investition und beim Kauf noch nicht angelegt.

Etwas vereinfacht gesagt, Ziel des Traders ist es, etwas teurer zu verkaufen als er es eingekauft hat. Ziel des Investors ist es, dauerhafte Erträge aus dem eingesetzten Kapital zu ziehen.

Die deutsche Übersetzung des Traders ist übrigens "Händler". Und genau das macht ein Händler: billig einkaufen, teuer verkaufen. Beim einen sind es Bücher und Strümpfe, beim anderen Unternehmensanteile.

Im Sinne dieser Definition bin ich mit Teilen meines Depots ein Investor. Mit dem Schwerpunkt meiner Aktivitäten und mit dem was ich hier im Blog beschreibe aber ein Trader - wie übrigens die Mehrzahl der an den Märkten aktiv handelnden Personen, wahrscheinlich auch Sie.

Ich würde mir wünschen, es gäbe einen Begriff der in Deutschland weniger negativ verzerrt ist wie Trader. Wenn Sie einen kennen, lassen Sie es mich wissen. Es würde mir erleichtern den Menschen zu erklären was ich tue. 😉

Zur volkswirtschaftlichen Bedeutung von Märkten und Handel (Trading):

Übrigens, noch ein kleiner Abstecher zum volkswirtschaftlichen Sinn von Märkten und damit auch von Trading. Gerne wird ja aus purem Unwissen so getan, als hätte das keinen Sinn und wäre nur "Zockerei" wie ein Spielkasino. Und bei manchen abgefahrenen Finanzderivaten ist die Frage nach dem Sinn ja auch durchaus berechtigt. Kommen wir aber zum Kern dessen was wir hier tun - nämlich Aktien kaufen und verkaufen - dann besteht der Sinn aus zwei ganz wesentlichen Elementen:

1. Unternehmen holen sich an der Börse Kapital für ihre Aktivitäten. Jeder der eine Aktie hält, finanziert damit letzlich die Aktivitäten des Unternehmens. Und wenn sich ein Unternehmen eine bestimmte Summe an der Börse geholt hat, dann ist es dem Untenehmen auf der Ebene der Finanzierung prinzipiell egal, ob diese Summe von einem Aktionär das ganze Jahr gegeben wird, oder von 12 Aktionären nur einen Monat, oder von 365 Aktionären je nur einen Tag. Alle finanzieren das Unternehmen und es gibt keinen prinzipiellen "Qualitätsnachteil" der kürzeren Haltedauer. Aus Sicht des Unternehmens sind alle Aktionäre wichtige Kapitalgeber, auch die Daytrader.

2. Ohne Handel keine Märkte und ohne Märkte keine Zivilisation. Hört sich platt und übertrieben an, ist es aber nach meiner Überzeugung nicht. Schauen wir doch mal ins Mittelalter, wo die Welt noch überschaubarer und daher leichter zu verstehen war. Nicht ohne Grund war der Markt das Zentrum der Stadt, denn hier bekamen (durch den Handel) die Waren der Bauern/Handwerker überhaupt erst einen Preis. Und erst der Preis der Ware ermöglicht dem Bauern über den Transmissionsriemen "Geld", für seine Kartoffeln nebenan beim Schneider ein Kleid kaufen zu können, obwohl der Schneider vielleicht gar keine Kartoffeln braucht. Deswegen ist die Arbeitsteilung zwischen unterschiedlichen Berufen nur mit einer zentralen Stelle möglich, die den Preis der individuellen Leistung/Produkte ermittelt und damit zwischen den Berufen verrechenbar macht. Diese Stelle ist der Markt und bei Firmenbewertungen eben die Börse.

Und ohne Arbeitsteilung gäbe es keine Zivilisation. Denn erst die Arbeitsteilung hat es den Menschen ermöglicht, abseits des täglichen Kampfes ums Überleben Zeit zu finden für Dinge wie Kunst, Wissenschaft etc. Dieser elementare Zusammenhang wird immer vergessen, wenn über die "bösen" Märkte hergezogen wird. Man kann den Markt natürlich theoretisch auch durch eine zentrale "Preisfindungsstelle" ersetzen, bei der der Preis durch Menschen einfach festgelegt wird. Den Versuch hatten wir schon - der nannte sich Sozialismus.

Das sind die für mich beiden zentralen Punkte zu denen ein "Trader" von Aktien volkswirtschaftlich beiträgt. Ich kenne definitiv Berufe mit geringerer volkswirtschaftlicher Bedeutung.

So weit zu den Begrifflichkeiten, nun zu den Voraussetzungen.

(2) Was braucht man, um privater Fulltime-Trader zu werden ?

Zunächst einmal sage ich Ihnen was man nicht braucht: einen Doktor der Volkswirtschaftslehre, der ist manchmal sogar hinderlich 😉

Spass beiseite, es gibt unzählige Arten und Techniken um als Trader am Markt erfolgreich zu sein. Und deswegen gibt es auch keine einfache Antwort nach dem Motto "lern das mal". Aber es gibt schon ein paar Muster, die für die meisten gültig sind. Deshalb hier meine ganz persönliche und höchst subjektive Liste - ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit. Und Interesse an den Märkten und der Börse setze ich mal voraus bei jemandem der Trader werden will:

Kapital - genügend davon um mit ihren Trades bei kontrollierbarem Risiko ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Denn wenn Sie 10.000€ Kapital haben wird das nicht möglich sein. Sicher können Sie mal in einem Jahr den "goldenen Schuss" landen und Ihr Kapital verfünffachen. Im nächsten Jahr sorgt Mr. Market garantiert dafür, dass es anders herum läuft. Mit nur 10.000€ Kapital stehen Sie dann beim Sozialamt.

Reserven - selbst wenn Sie genügend Kapital haben um ihre Tradingstrategie umzusetzen, brauchen Sie genügend Reserven um Dürreperioden zu überstehen. Und diese Perioden werden kommen, ich garantiere es Ihnen. Sobald Sie aber anfangen um Ihr wirtschaftliches Überleben zu bangen, haben Sie als Trader schon verloren. Denn diese Emotionen werden Sie so belasten, dass Sie garantiert die emotional schweren Trades nicht mehr machen können, die Sie zwingend brauchen - denn nur da wo weh tut, liegt in der Regel der Gewinn. Eine schöne und praktikable Abart von "Reserven", wäre zum Beispiel ein ganz regulärer, sicherer Job Ihres Partners, der auch in schlechten Zeiten für einen sicheren Einnahmestrom sorgt.

Einen "Edge" (Vorteil) - wenn Sie eine Aktie kaufen, muss es dafür jemanden geben der sie Ihnen zu genau dem Preis verkauft, den Sie gerade als "günstig" empfinden. Und Sie können nur Gewinn machen, wenn der andere in dem Moment "dümmer" war als Sie. Trading ist also ein intellektueller Wettbewerb darum wer gerade "klüger" ist. Und den kann man nur gewinnen, wenn man sich einen Vorteil gegenüber den anderen Martkteilnehmern erarbeitet hat - "Trading Edge" genannt. Nur wenn Sie also wissen, was Sie besser als andere verstehen, haben Sie Chance auf Erfolg. Können Sie diese Frage (noch) nicht beantworten, wird es schwierig.

Genau aus diesem Grund haben sich viele erfolgreiche Trader auf ein sehr enges Marktsegment spezialisiert, dass Sie dafür rauf und runter beherrschen. Der "Edge" entsteht da also durch Spezialisierung. Deswegen geht der typische Trader auch nicht ins Kasino oder spielt Lotto. Weil er weiss, dass er da keinen "Edge", sondern sogar einen Nachteil hat. Denn den "Edge" hat im Kasino die Bank und beim Lotto der Staat. Kasino und Lotto, das ist für die wahren Zocker, erfolgreiches Trading hat mit Zocken rein gar nichts zu tun. Ein Treppenwitz, dass genau diese Leute auf Trader zeigen und "Zocker" rufen 😉

Eine Strategie - selbst wenn Sie Ihren "Edge" kennen, müssen Sie diesen Vorteil erst einmal umsetzen und in eine Trading-Strategie giessen. Und das ist oft schwerer als gedacht, denn da stehen Ihnen dann auch noch so profane Dinge wie "Gebühren" etc im Weg, die Ihren kleinen Vorteil gleich wieder wegknabbern. Ein weiteres typisches Problem ist, dass Sie zwar theoretisch eine Strategie haben, aber gar nicht an die aktuellen Daten kommen, die Sie dafür bräuchten. Auch Ihre zeitliche Verfügbarkeit ist ein zentrales Thema. Was nützt Ihnen Ihr schöner Edge, wenn Sie genau dann nicht auf die Märkte schauen, wenn er gerade zum Tragen kommt ?

Risiko-Management - eigentlich ein Unterpunkt der Strategie, aber so wichtig, dass ich ihn heraus heben will. Egal wie gut Ihre Strategie ist, glauben Sie mir: Mr. Market wird Sie auf dem falschen Fuss erwischen, Sie werden Verluste erleiden, Sie werden in Situationen völlig überrascht werden. Und wenn Sie nicht vorher genau wissen, wie Sie Ihre Risiken für Ihr Kapital begrenzen, werden Sie sich durch Ihre Emotionen noch tiefer in den Sumpf reiten. Sie müssen unbedingt immer wissen, wann mit einem Trade schluss ist und müssen sich unbedingt an diese Regeln halten. Und damit ein einzelner Trade nicht zu eine grossen Desaster für ihre gesamtes Depot werden kann, müssen Sie auch immer wissen, wie viel Risiko Sie für einen einzelnen Trade eingehen wollen.

Disziplin und Fleiss - für einige ja "Sekundärtugenden", aber ohne diese ist ein Erfolg unmöglich. Absurderweise ist ja die landläufige Vorstellung das genaue Gegenteil, da sitzt der "Spekulant" mit der Zigarre, drückt locker auf den Knopf und "Puff" ist er um ein paar Millionen reicher. Schön wärs. 😉 Ohne Fleiss haben Sie keine Chance sich gegenüber den anderen einen Edge zu erarbeiten und zu erhalten, denn die anderen im Markt sind ja auch nicht doof. Und ohne Disziplin werden Sie Ihre Strategie garantiert nicht durchhalten, denn genau dann wenn es weh tut, dann liegt das grosse Geld auf der Strasse.

Eine stabile Psyche - darunter verstehe ich das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen und die Fähigkeit zur Reflexion um sich selbst voller Ehrlichkeit der schärfste Kritiker zu sein. Denn sich etwas vorzumachen, wenn auf der anderen Seite der Markt steht, mag sich zwar kurzzeitig gut anfühlen, macht aber garantiert die Tasche leer. Und unsere eigenen Emotionen sind unser grösster Feind bei dem Versuch, die gewählte Strategie auch umzusetzen. Ohne eine gereifte, stabile Psyche wird Mr. Market mit Ihnen Rodeo fahren und Sie am Ende vernichten.

Ein unterstützendes Umfeld - Trading kann sehr einsam sein, während man gleichzeitig unter hohem emotionalem Stress steht, den die Aussenwelt aber nicht nachvollziehen kann. Wenn Sie kein Umfeld haben das Sie dabei unterstützt, bei Verlusten nicht gleich in Panik gerät und Ihnen signalisiert, dass es Ihnen vertraut, dann lassen Sie es lieber. Denn es wird garantiert Zeiten geben, in denen Mr. Market dafür sorgt, dass Sie sich wie der letzte Idiot fühlen. Und wenn Ihnen dann Ihr Partner auch noch Vorwürfe macht, dann wars das ganz schnell. Und wir wissen ja alle, genau der Tag an dem Sie hinwerfen, wird der Tag sein, an dem der Markt nach oben dreht ....

Und zum Abschluss dieses zweiten Teils noch eine oft gehörte "Weisheit" die ich für grundfalsch halte. Man hört oft, man sollte sich fürs Trading von Emotionen frei machen. Das halte ich für groben Unfug ! Denn erstens geht es gar nicht, wir sind Menschen und keine Maschinen und zweitens führt es nur zum Versuch die Emotionen zu unterdrücken, was komplett kontraproduktiv wäre und das Handeln erst recht belastet und irrational macht.

Richtig ist etwas anderes. Man muss sich der eigenen Emotionen bewusst sein. Und man darf sich beim Handeln nicht zum Sklaven dieser Gefühle machen. Denn die eigenen Emotionen sind ein guter Ratgeber insofern, als die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass auch andere Marktteilnehmer so fühlen. Unterdrücken Sie Ihre Emotionen also nicht, sondern wenn Sie zB Panik fühlen, dann seien Sie sich dieses Gefühls bewusst. Und handeln Sie rational aus der Erkenntnis heraus, dass Sie und andere gerade Panik fühlen. Wenn Sie das können, dann haben Sie einen "Edge". Dann haben Sie aber auch die "stabile Psyche" die ich oben beschrieben habe und die unerlässlich für Erfolg ist.

So weit meine Gedanken zu den wichtigen Voraussetzungen, die ein privater Fulltime-Trader braucht. Wenn Sie erst einmal "Parttime" anfangen wollen, können Sie natürlich bestimmte Punkte abschwächen. Prinzipiell sind sie aber auch für den Parttime-Trader gültig.

Nun endlich zu der Frage:

(3) Wie ich persönlich zu meinem jetzigen Leben als Fulltime-Trader (bzw zunehmend Fulltime-Blog-Schreiber ;-)) gekommen bin.

Sagen wir es einfach mal so, es hat sich so ergeben ....

Denn neben meinem Beruf war ich schon immer aus Interesse und Spass an den Börsen unterwegs und hatte daher schon viele Erfahrungen gesammelt und auch die meisten Fehler schon selber schmerzhaft gemacht. Und hatte mich auch schon lange für all das Hintergrundwissen in Form von Techniken und Tools interessiert. Letztlich bin ich also Autodidakt, wie die meisten erfolgreichen Trader übrigens, denn das wirklich kompetente und umfassende Lehrbuch "wie werde ich Trader" habe ich noch nicht gefunden. Und ich werde es auch nie finden, denn dafür ist das Thema zu individuell mit dem Charakter der handelnden Person verknüpft.

Und da ich dann später ja über viele Jahre als Unternehmer und Vorstandschef einer mittelgroßen AG im Bereich Finanzsoftware tätig war, gehörte das Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen und aktuellen Entwicklungen selbstverständlich schon "qua Job" zwingend dazu, von Bilanz-Kosmetik ganz zu schweigen. Seit bestimmt 20 Jahren gibt es kein relevantes Finanz- oder Wirtschaftsmagazin im deutschprachigen Raum, dass ich nicht regelmässig studiere. Mit dem Internet ist dieser Informationsfluss weiter gestiegen, ich bin zu einer einzigen "Informations-Verarbeitungs-Maschine" geworden. Ich habe diesen Informationsfluss aber nie als Last empfunden und habe gerade auf Reisen jede Minute genutzt um zu lesen, reden, diskutieren, lernen.

Glücklicherweise bin ich ein sehr schneller, effizienter Leser und es bleibt vieles hängen und fügt sich in ein Gesamtbild. So kamen also über Jahrzehnte Mengen an passiver Information zusammen, die mit aktiven Erfahrungen als Anleger, als Manager und als Unternehmer verknüpft werden konnten. Und zuletzt war ich ja dann noch mehrere Jahre im M&A Geschäft aktiv und habe direkt daran mitgewirkt, andere Unternehmen - auch solche an der Börse - zu veräussern.

All das gibt mir nun ein Grundgerüst aus Wissen und Erfahrungen, mit dem ich alleine schon einen "Edge" gegenüber normalen Anlegern habe und manchmal schon Zusammenhänge und Entwicklungen erkenne, wo bei anderen noch "weisses Rauschen" vorherrscht.

Als ich dann Mitte des letzten Jahrzehnts mein Unternehmen verkauft hatte, stand ich also mit Mitte 40 vor der Wahl ob ich im Geschäftsleben weitermache oder ob ich einen harten Schnitt vollziehe und einen neuen Lebensabschnitt beginne. Da ich schon genug in der Welt rumgereist war um zu wissen, dass es zu Hause am schönsten ist - und da ich auf den ganzen Status als "CEO Mr. Wichtig" keinen gesteigerten Wert legte - und da ich gerne eine Familie und Kinder wollte, deren grösserwerden ich dann auch vor Ort erleben und als Papa begleiten kann - genau deswegen war der Gedanke mein Hobby Börse nun zum Beruf zu machen ja naheliegend. Und so konnte ich nach Jahrzehnten der Reiserei endlich mal heimisch werden.

Trotzdem ist mir bewusst, dass so ein Schritt sozusagen auf dem Höhepunkt des Erfolges eher ungewöhnlich ist. Die meisten anderen hätten wahrscheinlich als CEO beim nächste Unternehmen angeheuert, damit aber in meinen Augen letztlich nur das Gleiche noch einmal gemacht. Vielleicht liegt es daran, dass mir sehr bewusst ist, dass dieses Leben endlich ist und man sich gut überlegen sollte, was man damit anstellt.

Und warum sollte ich etwas noch einmal 10 Jahre machen, was ich nun schon erfolgreich einmal hinter mich gebracht hatte ? Der einzige Grund wäre die Notwendigkeit gewesen, meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch den Verkauf meines Unternehmens hatte ich mir aber glücklicherweise eine gewisse Unabhängigkeit erworben.

Und meine Voraussetzungen als Trader waren ja nicht die schlechtesten, viele Punkte der Liste aus Teil 2 waren schon vorhanden. Am schwierigsten war für mich dabei aber das Thema meines "Edge". Denn eigentlich kannte ich Ihn, es war meine Fähigkeit Zusammenhänge zu erkennen und Entwicklungen frühzeitig zu riechen. Es war gerade meine Breite und mein "Radar" der mir immer wieder hervorragende Dienste geleistet hatte. Diese Fähigkeit die schon immer dafür gesorgt hatte, dass ich längst schon unterwegs war, wo andere noch rätselten und überlegten was überhaupt los war.

Nur war das eine allgemeine Stärke und die meisten Trader haben gerade mit Spezialisierung Erfolg und nicht mit Breite. Genau diese Spezialisierung wollte ich aber nicht und lehnte ich instinktiv ab, mir war und ist das zu langweilig. Denn ich war und bin ein Generalist und Informationsjunkie, der an der Welt und an dem was in ihr passiert teil haben will. Monatelang an einer einzelnen Tradingsstrategie bis ins letzte Detail zu werkeln, nur um diese dann diszipliniert aber auch stupide durchzuziehen, das konnte und kann ich mir nicht vorstellen. Dabei ist mir sehr wohl klar, dass genau in dieser Spezialisierung der normale Weg zum Erfolg an den Märkten liegt.

Ich wollte aber Erfolg an den Märkten und trotzdem an der Breite der Geschehnisse in der Welt teilhaben. Und so habe ich es gewagt, meine Fähigkeiten als "Trüffelschwein" zur Strategie zu machen. Ich habe mich auf europäische und amerikanische Aktien beschränkt und versuche nun aus der Breite der Geschehnisse und Informationen für mich die "Trüffel" heraus zu suchen und per Trade zu Gewinn zu machen.

Dabei fahre ich eine Kombi-Strategie zwischen fundamentalem und technischem Ansatz. Ich trade grundsätzlich nur Unternehmen, die ich als "Trüffel" identifiziert habe und daher fundamental interessant finde. Unternehmen die ich also auch als Investor und nicht nur als Trade in Erwägung ziehen könnte. Wetten auf Pennystocks fallen da nicht darunter. Ich steige aber nur ein, wenn ich den Zeitpunkt auch technisch für günstig halte, der Trade selber läuft dann rein über Markttechnik. Die fundamentale Sicht auf den "Trüffel" ist dafür nur noch ein Sicherheitsnetz, die verhindert, dass ich eine Gurke im Depot liegen habe, die mir dann überraschend um die Ohren fliegt. Solange ich die Aktie fundamental mag, begleite ich sie aber auch und steige immer wieder ein und aus um die Wellenbewegungen des Marktes in der Aktie mitzunehmen.

Genau genommen denke ich also eher wie ein Investor, der am Markt interessante Unternehmen aufspürt, setze dann aber die Techniken eines Traders ein, um aus der Entwicklung des Unternehmens Kapital zu schlagen. Das ist mein persönlicher Stil, mit dem ich gute Ergebnisse erziele. Eine andere Person mit anderen Voraussetzungen wird wahrscheinlich einen anderen Stil pflegen und kann damit ebenso erfolgreich sein. Beim Trading gibt es unzählige Wege nach Rom, alle sind aber lang und mühsam.

Wenn ich mir meinen Erfolg in den letzten Jahren dabei anschaue, funktioniert das erstaunlich gut. Ich bin selber über meine Trefferquote erstaunt, wo man doch eigentlich meinen müsste, dass das bei der Breite in der mein Radar scannt gar nicht funktionieren kann. Denn zwangsläufig gehe ich dadurch nicht so in die Tiefe bei den einzelnen Unternehmen, dass ich jetzt zum Beispiel wirklich Bilanzen auseinander pflücken würde. Ich schaue da zwar bei kleineren Unternehmen vor einer Investition manchmal quer darüber, um zu sehen ob mir gerade etwas ins Auge springt. Aber mehr mache ich auf dieser Ebene nicht.

Aber erstaunlicherweise kostet mich dieser Mangel an Tiefe bei der Trüffelsuche kaum Performance. Es bestätigt mir, dass ich mit meinem "Edge" richtig liege: ich kann in einer komplexen Welt offensichtlich Zusammenhänge und Entwicklungen antizipieren, die andere eher noch nicht auf dem Radar haben. Und das verschafft mir einen Vorteil der sich in Gewinn ummünzen lässt.

Schaue ich mir jetzt aber meine Performance im Depot an, ist diese trotz der objektiven Erfolge aber nicht ganz so ideal, wie sie in Anbetracht der Trefferquote bei der "Trüffelsuche" theoretisch sein könnte. Denn manchmal stehe auch ich mir bei der Umsetzung dann noch selber im Weg - auch ich bin ein Mensch. Manchmal traue ich meinem Riecher selber einfach nicht genug, so dass ich zu vorsichtig agiere und damit Chancen verspiele. Wie ich überhaupt nie grosse Einzelrisiken eingehe, die mich Nachts schlecht schlafen lassen. Oder ein klassisches Problem, gerade bei den harten Trades, mit denen man sich gegen den Konsens stellt, verlässt mich dann nach dem ersten Gewinnschub manchmal der Mut und ich nehme lieber via engem Stop mit - zumindest teilweise. Oder noch ein klassisches Problem, wenn es zu langweilig wird, laufe auch ich manchmal Gefahr Trades vorzuziehen, denen ich vielleicht eher noch etwas Zeit und Geduld angedeihen lassen sollte. Aber Geduld ist auch für mich manchmal eine Herausforderung.

Natürlich kenne ich alle diese klassischen Fallstricke auch selber, sonst könnte ich ja nicht so darüber schreiben. In diesem Bereich der Umsetzung und Abwicklung des Trades habe ich also wie jeder noch Verbesserungspotential, der Weg des Traders ist eben eine beständige Reise. Über den Zustrom an "Trüffeln", den mir mein Radar verschafft, kann ich mich aber nicht beklagen. Neben dem leicht missionarischen Drang anderen etwas von meiner Erfahrung und meinem Wissen weiterzugeben, ist das Thema Umsetzung übrigens auch ein weiteres Argument für mein Schreiben in diesem Blog. Denn diese Gedanken öffentlich auf Papier zu bringen, hilft auch mir selber dabei, meiner Strategie treu zu bleiben und diese zu verfeinern. Denn mein Problem ist ja nicht zu wissen, wie ich den Trade theoretisch richtig abwickeln müsste, sondern wie bei uns allen eben auch, es dann auch in jeder Situation immer ohne Zögern zu tun.

Und wer weiss, vielleicht ist dieser Blog ja der Beginn einer erneuten "Häutung" in meinem Leben und ich gehe als Autor und Verleger in meinen nächsten Lebensabschnitt. Das Leben ist voller Überraschungen und Veränderungen - viele fürchten sich davor, ich freue mich eher auf Sie und sehe die Chancen die in der Veränderung stecken. Meine kindliche Neugier habe ich mir auf jeden Fall bewahrt, vielleicht ist auch das ja ein Grund, warum ich an den Märkten erfolgreich sein kann, denn beständig ist dort nur der Wandel.

In diesem Sinne hoffe ich, Ihnen in diesen 3 Teilen einen interessanten Eindruck zum Thema "Fulltime Trader" vermittelt zu haben. Und ich hoffe lieber "Micha", ich habe Deine Frage nun wirklich erschöpfend beanwortet 😉 Über ehrliche Kommentare freue ich mich sehr.

Ihr Michael Schulte aka Hari Seldon

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42 Gedanken zu „Der Trader – Das unbekannte Wesen – Reloaded“

  1. Ein sehr interessanter Artikel. Ich finde es auch recht ansprechend, WIE du schreibst. Das lässt sich meistens gut weglesen. Vielleicht ist die Idee des Autors gar nicht so abwegig 😀 Ich habe übrigens mal ein wenig durch den Kirk-Report gestöbert in meiner freien Zeit. Er hat dort einen Artikel über seinen Arbeitsplatz und die verwendeten Systeme, seine Hard- und Software und Arbeitsbedingungen geschrieben. Könntest du dir vorstellen, so etwas hier auch mal zu veröffentlichen, vielleicht in Form eines Artikels oder einer Rubrik?

  2. Im Prinzip ja Ramsi, aber jetzt habe ich erst einmal genug über mich geschrieben. Jetzt ist erst einmal der Markt wieder dran. Vielleicht mal irgendwann in der Zukunft.

  3. Hallo Hari,

    ich finde du solltest bei der „Selbst-Therapie“ bleiben. Und das schreibe ich jetzt nicht aus einem eigennützigen Blickwinkel 😉

    Gruß
    JS

    P.S. Toller Artikel. Vielen Dank für den Einblick!

  4. Erstmal Gratulation zu deinem langen Bericht und schönen Lebensaufgabe, die du dir aufgebaut hast. Ein schönes Hobby, wahrlich und dabei um die eigene Familie zu kümmern ist für vielen arbeitenden Menschen ein allzu grosser Luxus, das schwer zu machen ist.
    Und Dank dir, kann ich meinen Investmenterfahrung weiter ausbauen. Dein Blog bleibt mein ständiger Begleiter ;o)

  5. Lieber Hari,

    ich möchte mich sehr bei Dir bedanken, dass Du dir soviel Zeit genommen hast, um meine Frage zu beantworten. Und ja Du hast meine Frage wirklich erschöpfend beantwortet 😉 Aber das macht Deinen Blog auch wirklich aus! Das mit dem Edge Vorteil habe ich so nie gesehen, hat mich aber sehr zum Nachdenken angeregt, wo ich meine Vorteile in Bezug auf die anderen Marktteilnehmer habe… Nochmals vielen Dank, das hat mich wieder eine ganze Ecke weiter gebracht!
    Liebe Grüße Micha

  6. Hari, echt super deine Beiträge bzw. NEWS! In meinen Augen der Beste und immer aktuellste Blog in Deutschland!! Bitte weiter so!!! Gruss tom

  7. Lieber Hari, ein großes Dankeschön für deine Großzügigkeit mit der du mich an deinem Wissen und an deinem persönlichen Leben teilhaben lässt. Seit gut einem Jahr, bis dahin war die Finanzwelt für mich ein Buch mit 7 Siegeln, verfolge ich deine Kommentare und versuche die Puzzelteile aus der Börsenwelt in eine Ordnung zu bringen. Deine Ausführungen finde ich gerade deswegen so hilfreich, weil du deine Einschätzungen mit vielen Hintergrundinformationen, sei es charttechnisch, emotional, politisch etc., unterlegst. Aufmerksam verfolge ich deine Tradingbewegungen, um mein Gespür für den Markt zu schulen. Dankbar bin ich über links und damit die Hinweise wie und wo ich noch Informationen aus dem Netz ziehen kann. Mein Herz aber hast du damit gewonnen, wie du unhöfliche Teilnehmer klar und sachlich in ihre Schranken verweist.
    Danke Dana

  8. Hallo Dana, herzlich willkommen und Danke für die netten Worte, das motiviert. Ich bemühe mich sehr, diese komplizierte und für viele undurchschaubare Welt der Märkte mit Analogien und Metaphern fassbar zu machen, ohne gleichzeitig ins Triviale abzugleiten. Wenn Du Fragen/Kommentare hast oder Dir Dinge unklar sind, zögere nicht Dich einzubringen. Wir wollen uns hier gegenseitig helfen und in diesem Sinne gibt es keine dummen Fragen. Wir sind alle nur demütige Schüler der Volten von Mr. Market.

  9. Lieber Hari,

    nach einiger Zeit des passiven Mitlesens Deines äußerst interessanten Blogs habe ich mich nun auch bemüßigt gefühlt, mich bei Dir anzumelden, um Dir einen Kommentar zu diesem schönen Beitrag zu hinterlassen:
    Danke für’s Teilhaben lassen an Deiner sehr persönlichen Ansicht, die ich mindestens ebenso gerne gelesen habe, wie Deine sonstigen Einschätzungen und Kommentare.
    Bitte immer weiter so! Hoffentlich motiviert Dich das Lob Deiner Leser hier noch lange viele gute Berichte einzustellen 😉

    Viele Grüße, Hellau und Alaaf,
    Frank

    P.S.: Zum Thema „Trader“ möchte ich Dir gerne vorschlagen dies schlicht als (Wertpapier-)Händler zu bezeichnen, denn nichts anderes ist es was Du und viele andere an der Börse machen; wir handeln mit Wertpapieren – ganz gleich ob auf eigene Rechnung oder als Angestellte im Auftrag z.B. einer Bank.
    Für weitere sinnvolle deutsche Wörter zu Anglizismen verweise ich übrigens gerne auf den Anglizismen-Index des Vereins Deutsche Sprache unter http://www.vds-ev.de/index

  10. Lieber Hari,
    Dein ausführlicher und spannender Artikel hat mich aufgrund seiner persönlichen Note berührt und einmal mehr davon überzeugt, dass du ein echter Profi bist und außerdem einen guten Charakter hast. Ich lese deine kompetenten Beiträge seit einigen Monaten und habe darin viele konstruktive Denkanstöße gefunden, für die ich mich bei dieser Gelegenheit ausdrücklich und herzlich bedanken möchte. Ich befinde mich bereits im fortgeschrittenen Alter und am meisten fasziniert mich mittlerweile die Psychologie des Marktgeschehens, das Wechselspiel zwischen Angst und Gier, zwischen übertriebener Euphorie und Panik, … wo letztlich für einen klaren Kopf mit guten Antennen die größten Chancen liegen. Natürlich mache ich trotzdem noch viele Anfängerfehler und habe in meinem etwa 20-jährigen Kleinanlegerleben reichlich Federn gelassen. In gewisser Weise kann man die ständige selbstkritische Beobachtung und Weiterentwicklung seines Verhaltens als Bestandteil einer lebenslangen Therapie oder Selbstheilung auffassen. Es ist befriedigend, mit richtigen und mutigen Entscheidungen an der Börse Geld zu verdienen, aber im Mittelpunkt steht für mich die Auseinandersetzung, der unaufhörliche Wandel, die geistige und emotionale Beweglichkeit. Abgesehen davon bin ich dir natürlich auch für die zahlreichen konkreten Tipps und „Trüffel“ dankbar, die du mit hoher Treffsicherheit aufspürst. Es ist mir ein großes Vergnügen, abends spät nach Hause zu kommen und als erstes deine tägliche Markteinschätzung zu lesen. Ohne dich persönlich zu kennen, habe ich das Bild eines außergewöhnlichen Mannes gewonnen, der in seinem Leben bestimmt noch anderweitig von sich hören (und lesen) lassen wird. Das sagt mir meine gut entwickelte „Spürnase“, die eher auf Menschen- als auf Börsenkenntnis getrimmt ist. Nur leider kann man auf dich keine „Wetten“ abschließen. In der Hoffnung, dass du deinen treuen Lesern noch lange erhalten bleibst, wünsche ich uns allen ein erfolgreiches Händchen.

  11. Hallo Frank, auch Dir von meiner Seite herzlich willkommen und danke für die netten Worte !

    Deinen Link kannte ich noch nicht und werde ich mal mit verschiedenen Worte testen, natürlich habe ich sofort „Trader“ eingegeben und rate mal was da als erster Eintrag kam:
    Daytrader = Börsenzocker, Netzspekulant
    LOL, nette „Übersetzung“ oder ? So weit ist es also schon gekommen. Und das vom Verein deutsche Sprache, ich glaube ich muss denen mal was schreiben ….

    Deinen Vorschlag mit Abarten des Begriffs „Händler“ zu operieren habe ich schon versucht, bin damit aber auch nicht so glücklich geworden. Denn der Laie denkt bei „Händler“ eher an den Edeka an der Ecke und hat dann die Vorstellung, ich stehe in einem Laden und verkaufe Aktien 😉

    Aber ich werde mit dem Begriff „Aktienhändler“ mal einen Feldversuch in meiner Umgebung machen, mal schauen was die Reaktionen sind. Inhaltlich ist „Aktienhändler“ ja treffend, auch wenn ich nicht nur auf Aktien beschränkt bin. Hier im Kreis der sowieso am Markt interessierten, ist der international eingeführte Begriff „Trader“ aber am treffensten und insofern bleibe ich im Blog dabei.

  12. Lieber Hari,
    Ich kann mich nur den geposteten Kommentaren anschließen. Du und auch die aktiven Lesers des Blogs haben mir bisher einen eindrucksvollen Einblick in die Aktienmärkte gegeben. Ich selber hatte ebenfalls bis ca April letzten Jahres keine großartige Ahnung von der Finanzwelt und somit einen suboptimalen Einstieg in die Aktienwelt gehabt. Durch Investorinside und im speziellen mr marktet erhielt ich sehr wertvolle Hinweise auf was man achten sollte. Im Nachhinein habe ich wahrscheinlich bisher mehr gelernt als in einem vergleichbaren Zeitraum im Jahre 2010 und da habt ihr alle sehr dazu beigetragen. Insofern ist die Idee eines Buhes nicht sonderlich abwegig. Du sprichst oft von technischen Indikatoren. Neben den mehrmals angeführten Schulter-Kopf Formationen liest man auch viel über die Candlesticks. Kannst du ein Buch oder ähnlich empfehlen um sich dort einzulesen?

    Nochmals vielen Dank für deine gute und aktuelle Arbeit (speziell Haris Märkte am Abend)

    Viele Grüße
    Jacky

  13. Hallo Sanglier, auch Dir ein herzliches Willkommen und Danke für die netten Worte. Ich bin ein bischen Rot geworden und warne Dich, auch ich bin eitel wie jeder Mensch, also füttere den Affen nicht zu stark, sonst bekommt er noch Flausen im Kopf 😉

    Was Deine Worte zum Markt angeht, hast Du glaube ich damit schon ein sehr weiten Weg zurück gelegt und liegst genau richtig. Der Markt ist die Summe der Ängste, Hoffnungen und Erwartungen seiner Spieler – also von uns. Und deswegen kann Erfolg im Markt nur dann gelingen, wenn man versteht wie diese Ängste, Hoffnungen und Erwartungen in Preisen und Kursen kristallin werden.

    Einer meiner Lieblings-Weisheiten stammt von der 92 Jahre alt gewordenen Schauspielerin Helen Hayes und lautet:

    Wir hören nicht auf zu spielen, weil wir alt werden.
    Wir werden alt, weil wir aufhören zu spielen.

    Dabei darf man das Wort „spielen“ jetzt nicht nur im engen Sinne von „Mensch ärgere Dich nicht“ verstehen, sondern als Metapher für die von Dir genannte Bereitschaft zur geistigen und emotionalen Beweglichkeit.
    Wer sich die Neugier bewahrt und Freude am Wandel behält, der wird geistig jung bleiben.

    PS: Falls Du es noch nicht kennst, möchte ich Dir und allen anderen das Buch von „John Kenneth Galbraith: Eine kurze Geschichte der Spekulation“ (ISBN-10: 3821865113) wärmstens ans Herz legen. Das ist in meinen Augen Pflichtlektüre !

  14. Auch Dir herzlich willkommen Jacky und Danke für die netten Worte.

    Ein ideales Buch zu Candlesticks fällt mir aus dem Stegreif nicht ein, ich habe es mir selber beigebracht. Geholfen hat mir dabei der „Candlestick-Papst“ Thomas Bulkowski der auch in meinen Links ist. Die Seite sieht etwas merkwürdig aus, steck aber voller Informationen. Wenn einer der Leser eine Buchempfehlung zum Thema hat, nur raus damit 😉

  15. Hallo Hari,

    toller Artikel – wieder mal – muss ich sagen. Wie immer vorzüglich geschrieben, fundiert, reflektiert und nie eine Sekunde langweilig. Für mich schon jetzt DER FinanzBlog 2012 – trotz der relativ kurzen Zeit, die Du den Blog nun richtig aktiv betreibst.

    Frage an dieser Stelle: Du äußerst Dich selten (nie?) zu Entwicklungen an den Rentenmärkten. Woran liegt das?

    Großes Dankeschön
    Tomte

  16. @ Tomte, das liegt daran, dass ich an den Rentenmärkten fast nichts mache und Staatsanleihen bis auf seltene Ausnahmen im Moment sowieso nicht anfasse. Mit der Breite der Aktienmärkte bin ich gut ausgelastet, man kann nicht alles im Auge haben 😉

    Wenn Du aber zum Thema Renten etwas beizutragen hast immer raus damit, es wäre sicher eine Bereicherung für den Blog. Wie ich schon an anderer Stelle schrieb, freue ich mich auch immer über Gastbeiträge.

  17. Hallo Hari,
    habe mich jetzt auch angemeldet nachdem ich schon länger auch bei Investors inside bei Dir mitlese, kann mich im Dank nur meinen Vorrednern anschließen; wenn man Dir in der Gesellschaft vorwirft Du würdest nur ein weiterer Hai im Haifischbecken sein – so weißt Du das Du mit dieser Seite auch vielen etwas Gutes tust und die Leute inkl. meiner Person hier gerne lesen und Orientierung finden und dankbar sind…So long, keep on going
    John Doo

  18. Hallo Hari,
    auch wenn der Artikel schon etwas „älter“ ist, so habe ich doch noch die ein oder andere generelle Frage.

    Ich verfolge deinen Blog schon seit einiger Zeit und finde für mich immer wieder gute Ansatzpunkte.
    Selber bin ich noch nicht so lange aktiv im Börsenhandel tätig. Ich habe mit großem Interesse deine Anlagestrategie gelesen, da ich z.Z. am Ausbau der meinigen bin.
    Wie bewerkstelligst du das Tracken deiner Performance zu den erwähnten Referenzwerten/indizes? (Woher weißt du, dass du den Markt geschlagen hast?)
    Hast du dafür ein spezielles Tool oder nur eine Excelliste. Mir wäre es wichtig hier nicht ewig Daten zu übertragen um zum gewünschten Output zu kommen.
    Eine weitere und damit auch die letzte Frage wäre, wie lang du in der Regel deine Postionen im Investmentdepot hältst und ob dir hierbei nicht die Gebühren einen guten Teil der Rendite nehmen. (Hängt natürlich vom Einsatz ab, aber vielleicht verrätst du mir/uns bei welchem Broker du bist :))

    VG
    Wastl

  19. Hallo Wastl,

    (1) Zum Referenzwert für die Performance

    Mein Referenzwert entsteht ganz einfach. Es lohnt sich in meinen Augen auch nicht, da zu viel Energie rein zu stecken, weil DEN perfekten Referenzwert gibt es nicht. Wie denn auch, wenn man quer durch die Welt anlegt ?

    Ein guter Referenzwert ist also nahe an dem normalen Anlagestil, damit man keine Äpfel und Birnen vergleicht. Denn was nützt es zB den MSCI World zum Massstab zu machen, wenn man primär im DAX unterwegs ist. Man würde sich nur selber betrügen. Und ein guter Referenzwert ist gleichzeitig einfach, damit man ihn immer leicht vor Augen haben kann.

    Mein Massstab ist daher der Durchschnitt aus der Performance des S&P500 und des DAX. Liefert der DAX also dieses Jahr zb +5% und der S&P500 +15%, wäre mein Massstab mindestens +10% zu erreichen.

    Warum ist das für mich ein ausreichend guter Wert ? Weil ich tendentiell in ähnlichem Volumen in den US Märkten (in USD) und in Europa (in EUR, Schwerpunkt Deutschland) unterwegs bin. Und weil alle anderen Anlagen ausserhalb der beiden Kernmärkte bei mir in der klaren Minderheit sind. Perfekt ist der Massstab sicher nicht, aber gut genug und gleichzeitig einfach zu handhaben. Ich habe also kein Tool, sondern einen Taschenrechner für zwei Werte 😉

    Was für Dich ein sinnvoller Referenzwert ist, hat also primär mit Deinen Anlageschwerpunkten zu tun – eine mathematische Doktorarbeit würde ich rund um das Thema nicht machen.

    (2) Zur Haltedauer im Investmentdepot

    Im Investmentdepot halte ich so wie in der -> Anlagestrategie <- beschrieben, also von wenigen Tagen bis wenige Jahre. Die Differenz zu den Aussagen im Artikel (Tage bis Wochen) entsteht dadurch, dass ich im Investmentdepot auch Titel halte, die ich nicht mehr als „Trade“ sondern als „Investment“ bezeichnen würde. Ich habe zuletzt für 2011 meine mittlere Haltedauer im Investmentdepot berechnet, und die lag damals etwas oberhalb 1 Monat. Das war eher unterdurchschnittlich, aber der Hektík des letzten Herbst geschuldet. Ich rechne damit, mich 2012 wieder mehr in Richtung 2 Monate zu bewegen (hoffentlich lässt der Markt das zu ;-))

    Aber wie gesagt, dass ist nur ein statistischer Mittelwert und ich habe da auch keine Ziele, es ergibt sich einfach so wie es sich ergibt. Man kann daran aber auch meinen Stil gut erkennen, ich versuche bestimmte Trends von Aktien zu reiten und die laufen halt in diesem Markt typischerweise ein paar Monate, wie zb auch der Anstieg im DAX dieses Jahr von Januar bis März.

    (3) Gebühren

    Gebühren fressen immer an der Performance. Für mich das ist aber kein bedeutendes Thema mehr. Ich habe diverse Konten/Depots und will das hier nicht en Detail aufdröseln. Der Schwerpunkt liegt aber bei einer deutschen Direktbank, bei der ich Sonderkonditionen habe, die auf ca. 0,1% pro Aktien-Trade hinaus laufen. Mein Handelssystem liegt bei der dänischen Saxo-Bank, da hat man sowieso 0,1% Gebühren auch ohne Sonderkonditionen. Über das Jahr summiert sich das je nach mittlerer Haltedauer auf 1-2 Prozent Performance, die so verlustig geht und bei den Banken ladet. Ärgerlich, aber nicht zu vermeiden und bei beiden Banken bekomme ich dafür auch gute Systeme und guten Support. Insofern habe ich kein Problem mit meinen Gebühren.

    Ich hoffe ich konnte helfen.

  20. Sehr guter Artikel! Danke! Besonders der Begriff “Informations-Verarbeitungs-Maschine”; tatsächlich vielleicht die wichtigste Eigenschaft in unserer Informationsgesellschaft.
    Besonders „Big Data“ ist derzeit ein riesiges Thema; jedoch sind Daten nicht gleich Informationen und Informationen nicht gleich Einsichten! Die wichtigste und gleichzeitig schwierigste Eigenschaft in der heutigen Zeit ist eigenständiges, kritisches Denken und das lernt man leider nicht in der Schule oder Universität. Im Gegenteil: Konformität verhindert diese Eigenschaft. Wie schon Kostolany sagte, kann ein VWL-Studium dabei hinderlich sein, besser wäre ein Studium der Kunstgeschichte.

  21. @Hari, Du schreibst: „Seit bestimmt 20 Jahren gibt es kein relevantes Finanz- oder Wirtschaftsmagazin im deutschprachigen Raum, dass ich nicht regelmässig studiere. “ Was sind denn aus Deiner Sicht empfehlenswerte Magazine, und welche kann man in der Pfeife rauchen? Das Manager-Magazin und Finanz+Wirtschaft(CH) glaube ich, gehören dazu, gibt es noch weitere, was ist mit Börse Online?

  22. Gute Frage Tokay.

    Ich nehme jetzt mal nur die Wochen und Monatsmagazine und beziehe mich nur auf Print.

    Kategorie A –
    Must Read – hier lese ich fast jeden Artikel und beziehe immer wieder wichtige Informationen:
    (1) Wirtschaftswoche (1x pro Woche) – hier darf man sich von der optisch zu werbelastigen und unruhigen Darbietung der Artikel Online nicht täuschen lassen. Online verkauft sich die Wiwo in meinen Augen leider unter Wert, es fehlt die optische „Qualitätsanmutung“, die der Content durchaus verdient hätte. Die Print-Ausgabe ist aber ein „Must Have“ und übrigens auch mit einer sehr kompetenten Anlage-Sektion. Man merkt, dass hier fachliche Substanz in der Redaktion ist.
    (2) Manager Magazin (1x pro Monat) – das Flagschiff des Wirtschaftsjournalismus aus dem Spiegel Verlag. Oft hervorragend recherchierte Hintergrundartikel. Hier liest man Dinge, die man oft nirgendwo anders finden kann.
    (3) Finanz und Wirtschaft (2x pro Woche) – Seriosität pur, bei grosser Aktualität durch den 2x pro Woche Rhythmus. Gerade der Blick von „ausserhalb“ aus der Schweiz bereichert, zumal auch die Schwerpunkte leicht anders gesetzt werden.
    Die drei sind – neben dem Handelsblatt – hier im Blog die von mir meistverlinkten Quellen im deutschen Sprachraum. Wer die drei vollständig liest, weiss eigentlich alles Notwendige zu Wirtschaft und Finanzen im deutschen Sprachraum. Der Rest der Wochen- und Monatsmagazine ist „nice to have“.

    Kategorie B
    Kann man mal reinschauen – blättere ich aus professionellem Interesse immer durch, um nichts zu verpassen – lese aber nur Teile davon, weil vieles schlicht uninteressant oder einfach zu oberflächlich ist:
    (4) Focus Money (1x pro Woche)
    (5) Börse Online (1x pro Woche)
    (6) Capital (1x pro Monat)
    Wenn es eine dieser drei Publikationen sein muss, dann am ehesten noch Focus Money. Da sind manchmal ganz gewitzte Ideen drin. Neben dem üblichen „Otte und Müller Gähn Kram“, den muss man halt überblättern.
    Börse Online wurde bei Gruner&Jahr immer dürftiger, nun durch den Besitzerwechsel muss man mal schauen, was daraus wird. Allerdings ist der übernehmende Finanzenverlag (Euro) in letzter Zeit nicht gerade durch journalistisch anspruchsvolle Kost aufgefallen. Und das Konzept mit den ewig langen Kurslisten, die die Hälfte des Heftes füllen, fühlt sich eher wie Börse für Internetverweigerer an. 😉 Insofern: muss man nicht haben.
    Ja und Capital ist ein ganz merkwürdiges Magazin geworden, weder Fisch noch Fleisch. Die haben immer genau einen gut recherchierten Leuchtturmartikel – dafür reicht die Redaktionspotenz wohl noch – der Rest ist aber eher dürftig. Und einige der Kolumnisten sind in meiner Wahrnehmung eher von der Kategorie „naja“, besonders „beliebt“ bei mir die inhaltlich extrem „dünnen“ Artikel des VWL Professors Sebastian Dullien. Da frage ich mich immer, wer solche Leute in so Magazine holt, das kann ich aber mit links besser und vor allem mit mehr Substanz.

    Kategorie C
    Ignoriere ich, weil ohne Nutzwert für mich:
    (7) Euro
    (8) Impulse
    (9) Finanztest

    Nimmt man die Finanz-Tageszeitungen dazu, kommen natürlich zwingend Handelsblatt und Börsenzeitung mit täglichen Auflagen. Beide sind auch „must have“. Als privater Anleger kann man auf die Börsenzeitung noch verzichten, aufs Handelsblatt nicht. Beide lese ich aber nur noch Online und nicht mehr Print. Früher war das noch anders.

    Rein Online scanne ich dann auch noch zusätzlich so Postillen wie „Der Aktionär“, einfach um zu schauen, was mal wieder für Otto Normalanleger „gepusht“ wird. Lesen tue ich da aber höchst selten und wenn, kann man diese Zwei-Absätze „Artikel“ auch kaum „lesen“ nennen. „Scannen“ passt eher. 😉 Es ist aber wichtig, um auf dem Laufenden zu sein, welche Sau gerade wieder durchs Dorf getrieben wird.

  23. Danke, Hari, schöner Überblick! Börse Online gefiel mir früher recht gut, aber das ist schon sehr lange her.

    Heutzutage gefällt mir Finanz+Wirtschaft ganz ausgezeichnet, ganz besonders die Artikel zur Eurokrise sind sehr gehaltvoll. Nicht immer teile ich die dort vertretenen Meinungen, aber die Standpunkte sind i.d.R. überaus fundiert.

    Was ist mit der FAZ? Aber die liest ja ohnehin „jeder“, die braucht man nicht noch extra anpreisen… ;-).

    Dann Gute Nacht,

    Tokay

  24. Ich lese keine breit aufgestellte Tageszeitung mehr, nur Online Nachrichten. Und die FAZ fällt für mich primär unter Tageszeitung. Der Wirtschaftsteil ist für sich nicht so stark, dass man wegen ihm unbedingt noch die FAZ neben den obigen reinen Wirtschaftspublikationen lesen muss.

    Ich habe in der FAZ im Finanzenteil auf jeden Fall schon haarsträubende Sachen gesehen, so Empfehlungen! zu Mikrofirmen mit unter 2 Millionen Umsatz ! Siehe zum Beispiel hier:
    http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/aktien-analyse-jost-aktie-bleibt-ein-lukrativer-dividendenbringer-1593196.html
    Angepriesen als lukrativer Dividendenbringer. Familienbetrieb mit unter 10 Mitarbeitern, der Steuerberaterkanzleien bei der Nachfolgesuche hilft. Und für mich persönlich hochgradig unseriös, so ein Mikrounternehmen mit geringem Streubesitz in der FAZ aktiv anzupreisen. Da gibt es Tage, an denen das Handelsvolumen Null ist. Und das ist nicht der einzige derartige Fall in der FAZ Finanzsektion. Seit diesen Erlebnissen, ignoriere ich die FAZ völlig was Finanzen angeht und ich hatte seitdem nicht das Gefühl was zu verpassen.

    Davon abgesehen, stossen mir in der FAZ zunehmend die Herausgeber mit ihrem Habitus auf, Stichwort beispielsweise Schirrmacher. Klar, wenn ich jetzt unbedingt noch eine deutsche Tageszeitung lesen „müsste“, wäre es wohl zwangsweise die FAZ, weil seit dieser Heribert Prantl bei der Süddeutschen in der Chefredaktion ist und mit seinen „Kommentaren“ die Titelseite prägt, ist die für mich nicht mehr zu ertragen.

    Aber glücklicherweise brauche ich ja keine Tageszeitung mehr, gelobt sei das Internet, da stelle ich mir meine eigene Tageszeitung zusammen.

  25. @Hari, und was hast Du gegen Kurt Kister? Das würde mich mal interessieren, denn was ich so von ihm gelesen habe, fand ich immer sehr pointiert und auch witzig. Weil er nichts von Finanzen und Wirtschaft versteht? Oder hat er das „falsche“ politische Bewusstsein? Und wenn ja, welche Kommentatoren hätten dann das „richtige“ Bewusstsein?

    Okay, allgemein werden die Kommentatoren etwas profilloser, das stimmt. Wer mir zurzeit sehr gut gefällt, ist Mark Dittli von „Finanz und Wirtschaft“(CH). Früher hab ich sehr gerne gelesen die Kommentare von Franz Thoma und Helmut Maier-Mannhart/ beide Süddeutsche Zeitung. Bei den politischen Kommentaren finde ich Günter Bannas/FAZ ganz ausgezeichnet. Wenn einer weiß, was politisch in Berlin läuft, dann der. Schirrmacher…nicht schlecht, geht so. Die jüngeren Leute vom Feuilleton der FAZ gefallen mir viel besser.

  26. @Tokay, ich bitte um Entschuldigung. Das war eine Fehlleistung. Ich meinte nicht Kurt Kister – ich bin zwar nicht direkt sein Fan, aber gegen den habe ich nichts und gegen seine Schreibe auch nicht – sondern diesen (für mich unsäglichen) Heribert Prantl, der als „Chefkommentator“ zunehmend das Bild der Süddeutschen prägt und auch zur Chefredaktion gehört.

    Und was mir daran so aufstösst, ist weniger die politische Orientierung – obwohl ich mit seinen Denkwelten sicher wenig anfangen kann – sondern es ist diese moralische Bugwelle, zwischen Zitathuberei, selbstverliebter Eitelkeit und moralischem Rigorismus, die mich peinlich berührt, um es mal noch freundlich zu bezeichnen. Der Fleischhuber vom Spiegel hat es so beschrieben: „eine Diskursmacht, die sich für besser hält und die Menschen zum Besseren bekehren will, überall Opfer erkennt und sie verteidigt, die darüber aber vor allem die eigene Machtposition zu stärken versucht.“ So ungefähr empfinde ich das auch.

    Und ähnliche Strukturen sehe ich eben auch ein wenig (nicht so schlimm wie bei Prantl) bei Schirrmacher, der mir auch zunehmend auf den Wecker geht. Und da der ja nun politisch anders zu verorten ist als Prantl, sieht man daran, dass es mir hier primär nicht um politische Orientierung geht, sondern um den Habitus des selbst ernannten Gross-Inquisitors der Moral. Bei so Leuten werde ich aggressiv, die sind mir höchst suspekt und ich bekomme ungute Assoziationen zu Personen der Vergangenheit, wo sich dieser Habitus oft in Machtpositionen befand und Leid über Menschen brachte.

    So weit so kurz um zu beschreiben in welche Richtung mein Problem geht. Man könnte auch sagen, ich habe einen starken Abstossungseffekt bei von mir als eitel empfundenen Menschen, die ihre Eitelkeit hinter einer Fassade des Moralismus verstecken. Da habe ich den dringenden Wunsch, die Fassade herab zu reissen. Das aber zu vertiefen und die dahinter stehende Lebensauffassung herüber zu bringen, die mich solche Charaktere so stark ablehnen lässt, übersteigt so einen Blog und gehört auch nicht hier her. Wenn wir uns mal zum Wein treffen, dann gerne direkt, ein Clubsessel und ein Wein/Drink in der Hand, wäre dafür der richtige Rahmen. 😉

    Also nochmal sorry, ich weiss nicht warum mir der Kister in die Tasten ging, wenn ich den Prantl meinte.

    PS: Ich habe es auch in meinem Kommentar geändert.

    PPS: Dittli ist sehr in Ordnung. Sehe ich auch so. Den Bannas finde ich auch OK, er begeistert mich selten, aber ich lese es als kompetent und insofern gerne.

  27. Aaah ja, versteh schon, wie Du’s meinst….hätte ich mich auch sehr gewundert, ehrlich gesagt…na ja, den Prantl finde ich eigentlich nicht sooo schlimm, aber ich kann es nachvollziehen, dass mit seinem moralischen Rigorismus nicht jedermann klar kommt. Die Welt ist eben wie sie ist, und da gibt es eben verschiedene Ansichten dazu. Wäre ja auch komisch, wenn das in einem freien Land nicht so wäre. Wahrscheinlich ist es so ein Gedanke wie: Man darf das Gute nicht nur Wollen, man muss auch ein sachverständiges Urteil sich bilden können, wie man dahin kommt, da müssen Kausalzusammenhänge in Betracht gezogen werden, nicht bloß Glaubenssätze. John Lennon kann man so was zubilligen, aber nicht unbedingt einem politischen Chefkommentator. Im Clubsessel bei einem Wein über die Welt rechten, das klingt sehr gut… :-).

    Ein moralisches Urteil, um den Punkt noch zu schließen, finde ich besser wie überhaupt kein Urteil. Aber ein Urteil á la Prantl, da liest man halt immer irgendwie das Gleiche. Spannend finde ich eine Debatte im Rahmen der Finanzkrise á la: „Vielleicht hat der Kommunismus doch recht“. In „The Times“ in England wurde diese Debatte tatsächlich geführt. Was ich damit meine, ist nicht, ob der Kommunismus wirklich recht hat (wohl eher nicht), sondern, vom Denken her in Betracht zu ziehen, dass er theoretisch recht haben könnte. Genauso mit Wahlen: Klar, der Grillo ist ein Populist und Schreihals, aber sind die 25 Prozent der Wähler, die ihn gewählt haben, deswegen alles Deppen? Das glaube ich irgendwie nicht. Genauso bei Aktienkursen: Diese sind Folge einer freien Willensbildung. Und wir müssen sie ernst nehmen, ob sie uns gefallen oder nicht. Und das ist doch das maßgebliche Prinzip, dass man die menschliche Willensbildung ernst nehmen muss. Denn nur dann ist ein offenes System möglich.

    Auch auf die Gefahr hin, mich damit aufs Glatteis zu begeben, aber selbst die Nazi-Herrschaft in Deutschland kam dadurch zustande, weil der „Kurs“ von Adolf und Konsorten immer weiter stieg, und zwar in erster Linie deswegen, weil die demokratisch gewählten Regierungen die Probleme entweder nicht lösen konnten oder die verfügbare Zeit kleiner war als die Geduld der Wähler. Er wurde von vielen gewählt, die ihn in „normalen“ Zeiten nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätten. Der „Kurs“ stieg deswegen,weil die Lage so furchtbar war. Mit der Offenheit war es dann vorbei, als er es geschafft hatte. Er und seine Bande sind zu verurteilen, aber dass er gewählt wurde, ist ein Faktum. Er hatte 1933 eine Reichstagsmehrheit. Seine Wahl war das Ergebnis einer freien Willensbildung, welche wiederum zum Ergebnis hatte, dass in der Folge keine freie Willensbildung mehr möglich war. Dies geschah deswegen, weil eine Mehrheit glaubte, das Prinzip der freien Willensbildung sei für das Wohlergehen eines Landes von untergeordneter Bedeutung.

    Ich merke, ich bin jetzt sehr abgeglitten, wir müssen das hier und heute nicht vertiefen. Was ich nur sagen wollte: Man darf es sich nicht zu einfach machen, und über irgendwelche tatsächlichen oder vermeintlichen Verrückten einfach nur schimpfen oder sich lustig machen. Man muss sich auch über die Gründe Gedanken machen, die dazu führen, dass die „Verrückten“ Gehör finden.

  28. Hi,
    moechte mich generell den positiven Kommentaren anschliessen! Es ist eine echte Bereicherung hier deine Kommentare zu lesen.
    Weiter so!

  29. Tokay, da liegt ja mein Problem. Bei den Gründen dahinter. Insofern ist Dein Bezug zur Nazi-Herrschaft durchaus nicht so unpassend, denn ich bin mir der Prozesse sehr bewusst, die zu totalitären gesellschaftlichen Systemen führen.

    Wenn es nicht in Form eines Putsch von oben stattfindet, sondern vom Volk so gewählt passiert, wie bei Adolf eben auch, haben vorher Prozesse stattgefunden, in denen die Welt in Gut und Böse, in Gläubige und Ungläubige, in Schuldige und Opfer eingeteilt wurde.

    Wenn man so will, findet vorher eine Radikalisierung der Gedanken statt, die IMMER im Gewand des vermeintlich moralisch Richtigen kommt. Das ist nötig, weil die Menschen im Herzen gut sein wollen. Um sie zu motivieren andere auszugrenzen, muss man die Gegner erst einmal in der öffentlichen Wahrnehmung entmenschlichen, Stichwort RAF und „Schweinestaat“ oder eben „Untermenschen“ oder „Hexen“ oder, oder.

    Passend dazu, hat mir gestern hier ein Leser von der aktuellen Illner Sendung berichtet (ich schaue so was nicht), in der scheinbar von einem sogenannten „Experten“ Trader (als Synonym für am Finanzmarkt agierende) mehr oder wenig als geistig kranke Gestalten dargestellt wurden. Natürlich unter der Zustimmng der Masse. Was der Bauer nicht versteht, das mag er nicht. Früher waren das mal die „Hexen“ in Form von weisen Frauen, deren Kenntnisse der herrschenden Macht (Kirche) nicht gefielen.

    Die Mechanismen die da vorher ablaufen sind aber immer die Gleichen. Da die Menschen nicht schlecht sind, sondern gut sein wollen, muss man Ihnen vorher ein Deutungsmodell einpflanzen, nach denen „die anderen“ unwert, ungläubig, schlecht, böse usw sind. So grenzt man aus, senkt die Mechanismen des Mitgefühls und bereitet den Boden für was da kommt.

    Und denen die diese Deutungsmodelle wie eine Monstranz vor sich her tragen – den selbsternannten Grossinquisitoren der öffentlichen Meinung – geht es natürlich primär um ihre eigene Machtausübung. Die Moral ist eine scharfe Waffe, weil sie die Massen diszipliniert. Das moralische Deutungsmodell dient also als Machtmittel dazu, die Gegner zu beherrschen.

    Diese Mechnismen sind uralt. Und funktionieren immer gleich. Leider lernen wir in der Schule, dass Hakenkreuze und gegen Juden zu sein „böse“ ist. Dabei sind das nur die oberflächlichen Symbole, die jederzeit gegen andere ersetzt werden können. Das wirklich Böse, die gedankliche Radikalisierung vorher, die immer im Mantel des „Gerechten“ und moralisch „Guten“ daher kommt, die wird den Menschen nicht gelehrt. Und deshalb kommt das Böse beim nächsten Mal mit anderen Symbolen, die Mechanismen dahinter sind aber die gleichen.

    Ich sehe auf jeden Fall mit Grausen, wie unser öffentlicher Diskurs mehr und mehr von Denkverboten und Glaubensätzen geprägt wird, gegen die mit offenem Geist zu verstossen (siehe Sarazin) mit sofortiger Exkommunikation oder Schlimmerem beantwortet wird. Auch in der Gesellschaft entsteht so eine Kultur der politisch korrekten Kommunikation, die mich grausen lässt.

    Und die Anführer und Hohepriester dieser neuen Form von Gedankenpolizei, sind für mich Leute wie dieser Prantl mit seiner dröhnenden moralischen Bugwelle. Und gerade weil ich historisch extrem interessiert und belesen bin und die Mechanismen zu verstehen glaube, nach denen Gesellschaften von einer weltoffenen, liberalen Ordnng in totalitäre Strukturen abgleiten, graust es mich bei solchen Leuten und ihrem Habitus.

    Und da ich bei diesen Entwicklungen eine gewisse Hilflosigkeit verspüre, denn mehr als wie hier meine Stimme zu erheben steht mir nicht zur Verfügung, ist Abschalten und Ignorieren noch die beste Methode für mein Seelenheil. Letztlich nützt das natürlich nichts, das ist mir wohl bewusst.

    Und wo ich meine Stimme für die Freiheit – gerade der Gedanken und Wertmodelle – erheben kann, tue ich das auch.

  30. @Hari, absolut bedenkenswert, was Du schreibst. Was sicherlich äußerst bedenklich ist, wenn man versucht, Missstände an bestimmten Personengruppen festzumachen. Das kann nicht nur menschlich verletzend für die Personengruppen sein, die von solchen Angriffen betroffen sein, es lenkt vor allen Dingen ab von der Klärung der Fragen, die zu den Missständen geführt haben. So ist die Menschheit aber gestrickt, so herum ist es nämlich viel einfacher. Außerdem ist es nicht zuletzt auch eine Frage des Verkaufs, Wenn es dafür ein Publikum gibt, wird es auch geschrieben.

    Und es ist zudem eine Erkenntnis der politischen Theorie, dass, wie Du ganz richtig schreibst, Menschen sehr viel leichter gegen etwas als für etwas mobilisiert werden können. Wo man steht, erkennt man am besten daran, wo man nicht steht, und wer diejenigen sind, wogegen man steht. Das ist menschlich gesehen sogar teilweise verständlich, aber ich gebe Dir Recht, wenn ein solche Einstellung sich allgemein durchsetzte, dann gute Nacht. Man sieht es ja in der ganzen Diskussion bezüglich Finanz- und Eurokrise. Wenn man etwa die entsprechenden Ökonomie-Blogs(z.B. Ökonomenstimme) mitverfolgt, dann erkennt man, wie kompliziert die Zusammenhänge sind. Und das dann an bestimmten Personen oder Personengruppen festmachen zu wollen, ist einfach nur lachhaft. Der Mensch verhält sich nämlich im großen und ganzen rational. Wenn eine spanische Apartmentanlage mehr bringt als sie kostet als der Kredit, dann kommt sie für eine Investition in Frage. Wo solche Angriffe allerdings gerechtfertigt sind, sind unbestreitbar fragwürdige Verhaltensweisen. Etwa die Tatsache, dass die reichen Griechen so wenig von ihrem Vermögen abgeben. Sie bekommen es allerdings auch von einem ineffizienten Staat leicht gemacht. Anders herum in Amerika, wo sogar Warren Buffett und Bill Gates das Gefühl haben, sie sollten noch etwas an soziale Einrichtungen abgeben. Und zwar dorthin, wo sie denken, dass es gut „angelegt“ ist.

    Das Bedenkliche ist, und jetzt komme ich nochmal auf Adolf zurück, wenn sehr große Missstände vorhanden sind, dann lassen sich umso leichter solche unberechtigten Angriffe vortragen, Ja, es stimmt ja nicht, dass die Juden böse sind, wird vielleicht mancher gesagt haben(Es gab aber auch sehr viele, die tatsächlich der Meinung waren). Aber warum sollen wir schuld am ersten Weltkrieg gewesen sein? Warum müssen wir so viel dafür bezahlen? Warum gibt es so viele Arbeitslose? Hitler hat ja Themen aufgegriffen, wo er mit dem allgemeinen Empfinden auf einer Linie war. Sonst hätte er sich nicht durchsetzen können.

    Eine Formulierung von Dir finde ich etwas hinterfragenswert: „Leider lernen wir in der Schule, dass Hakenkreuze und gegen Juden zu sein böse ist. Dabei sind das nur die oberflächlichen Symbole, die jederzeit gegen andere ersetzt werden können. “ Nun, also so sehe ich das nicht. Diese Verbrechen sind in der Menschheitsgeschichte etwas einmaliges und es nicht vorstellbar, dass die Menschheit das je vergisst. Es war ein Verbrechen, und es wurde von Deutschen begangen. Also war es nicht etwas abstrakt Böses, sondern etwas Böses, das konkret stattgefunden hat. Und dagegen sollte man sich auch wenden, gegen das konkret Böse. Und damit auch in der Jetztzeit gegen das, was hier und heute böse ist. Das abstrakt Böse geht zu sehr in Richtung Sonntagspredigt(„Irgendjemand“ oder „Irgendetwas“ ist böse). Aber ich kann ungefähr nachvollziehen, wie Du es gemeint hast, es war nur wegen der Formulierung.

    Den Fall Sarrazin hast Du völlig mit Recht angesprochen. Auch ich sehe es mit völligem Befremden, wie man auf diesen Mann losgegangen ist. Das allermeiste, was Sarrazin vorgetragen hat, war absolut fundiert. Allerdings nicht alles, und daher die Angriffe. Das war die Sache mit der Genetik. Die, einen kleinen Teilausschnitt, hat man sich vorgenommen und alles andere links liegen lassen. Also ob Teufelsaustreibung so funktionieren würde, dass man sich ersatzweise einen anderen, kleineren, vermeintlichen Teufel sucht.

    Dennoch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass in unserem heutigen Internetzeitalter, wo die Möglichkeiten , zu Wissen und Aufklärung zu gelangen, dramatisch gestiegen sind, die Menschheit hiervon vermehrt Gebrauch macht. Wir mit unseren Diskussionen hier bei Mr. Market leisten dazu einen, wenn auch bescheidenen Beitrag.

  31. @Tokay, ich sehe wir sind weitgehend einer Meinung. Übrigens auch zum Thema „Hakenkreuz als Symbol“. Vielleicht war meine Zeilen etwas zu kurz und damit potentiell missverständlich. Es ist bei so komplexen Themen, wo schon einzelne Worte eine unheilschwangere Bedeutung haben, extrem schwierig so zu formulieren, dass es keine potentiellen Missverständnisse gibt. Ich habe schon permanent den Zensor im Kopf, der überlegt wie könnten meine Zeilen denn missverstanden werden und das zu vermeiden sucht, trotzdem passiert es halt gelegentlich.

    Also zur Klarstellung in längerer Fassung:

    Selbstverständlich ist es richtig sich zu erinnern und auch an den Symbolen das reale und konkrete Böse festzumachen. Eben damit es nicht nur abstrakt, sondern erlebbar bleibt. Völlige Einigkeit, das ist sehr wichtig.

    Das Problem ist aber, dabei stehen zu bleiben. Denn die Symbole sind nicht der Kern. Frag doch mal beim durchschnittlichen Bürgern rum, was sie von der Nazizeit wissen und warum das „böse“ war bzw wie es überhaupt dazu gekommen ist. Wenn da einer unter hundert wirklich *versteht*, welche Mechanismen der Ausgrenzung, der Demagogie und der moralischen Verblendung da gewirkt haben, dann ist das viel. Dabei waren doch unsere Grossmütter und Grosseltern genau so „gute“ Menschen wie wir und wollten eigentlich auch nur „gutes“ tun. Und wir sind keineswegs „besser“ als diese Generation damals. Warum also ?

    Wenn es also darum geht, so ein totalitäres System in der Zukunft zu verhindern, dann ist eine zu starke Fokussierung auf die Symbole eher schädlich. Es führt auch nicht weiter, sich alleine an grenzdebilen „Glatzen“ fest zu beissen. Denn eines ist klar: das nächste totalitäre System wird nicht die Symbole der Nazizeit benutzen. Es wird wieder im Gewand des „Guten“ kommen, wie der Nationalsozialismus oder Faschismus auch. Und zwar im Sinne: „Wir müssen die Welt vor *denen da* retten“. Und es wird sich durch den moralischen Rigorismus auszeichnen, der Menschen anderer Art oder Gedankenschule herabsetzt und für „unwert“ erklärt. DAS ist das gemeinsame Muster der totalitären Systeme und das hat mit links oder rechts nichts zu tun. Dafür aber umso mehr mit moralischem Rigorismus, der auf andere herab sieht.

    Würde man das begreifen, müsste man aber auch konstatieren, dass diese Mechanismen auch in der Gegenwart vielfältig wirken. Besonders leicht sichtbar in aggressiven, fundamentalistischen Religionen, in denen auch Andersgläubigen die reale Lebensberechtigung abgesprochen wird. So wird halt Macht ausgeübt, in dem die dumme Masse aufgehetzt wird und von alleine – aus vermeintlich moralisch gerechtfertigtem Furor – das Geschäft der Machtelite erledigt.

    In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig daran zu erinnern, dass schon diese Kategorisierungen in „Links“ und „Rechts“ im Zusammenhang mit Totalitarismus völliger Unsinn sind. Und damit auch insbesondere die Lebenslüge der „Linken“, nach der Links gut und Recht böse sei.

    Denn jedem müsste klar sein, dass der Faschismus wie der Nationalsozialismus eine zutiefst von linken Idealen geprägte Bewegung waren. Ideale wie Gemeinschaft, Solidarität, Brüderlichkeit, Kameradschaft oder Gerechtigkeit eben. Mussolini hat das auch immer wieder betont. Und der von den Nazis immer wieder verwendete Begriff der „Volksgemeinschaft“ trifft es genau so. Und die Deutschen haben sich auch lange genau so im positiven Sinne gefühlt, als Teil einer „begnadeten“ Volksgemeinschaft. Darauf fusste auch die Akzeptanz des Systems und auch der Führermythos. Erst mit dem späteren Kriegsverlauf und Tod und Vernichtung änderte sich das. Hinterher ist man halt immer klüger, nicht nur an der Börse. 😉

    Nicht ohne Grund sind in der Weimarer Republik *auch* viele klassische Wähler der Sozialisten direkt quer rüber zu den Nationalsozialisten gewechselt. Schon der Begriff der „Bewegung“ zeigt es worum es hier ging, denn eine Bewegung war der Nationalsozialismus wirklich. Ich weiss es zum Beispiel noch von meinen Grosseltern, die waren in der Wandervogelbewegung, einer Jugendbewegung die viel mit Natur und Freiheit im Sinne Nudismus zu tun hatte. Eine Jugendbewegung die sich von der verklemmten und durch 10 Lagen Kleidungen eingeschnürten Kultur des Kaiserreiches abgrenzen wollte. Gerade in diesen Gruppen, war nationalsozialistisches Gedankengut extrem populär. Und alle diese Menschen – auch meine Grosseltern – waren „gute“ Menschen, im Sinne das sie von einer vermeintlich moralisch richtigen Sache beseelt waren. Der „Teufel“ kommt immer im Mantel des moralisch Guten – anders lassen sich Menschen nicht verführen.

    Der „Teufel“ kam also nicht in Form der Symbole. Er kam mit dem Rigorismus, der anderen die Gleichberechtigung, ja sogar die Lebensberechtigung abspricht. Und Menschen können nur mit Moral zu solchen Denkstrukturen bewegt werden. Insofern ist Moral das schärfste Machtmittel überhaupt. Und wer es einzusetzen weiss, hält die Massen unter Kontrolle. Und diese Mechanismen haben nichts mit rechts oder links zu tun und finden sich auch in unserem politischen Diskurs. Leider immer mehr. Der „Teufel“ ist schon wieder unter uns. Die politischen Diskussionsverbote und Totschlägerargumente, sind seine Ausscheidungen an denen man ihn erkennt. Solange wir aber nach Hakenkreuzen suchen, werden wir ihn nicht erkennen. So dumm ist der „Teufel“ nicht.

    So … das war der Versuch der längeren Erklärung was ich meinte. 😉

    Und deshalb verabscheue ich die selbsternannten Grossinquisitoren der öffentlichen Moral so sehr. Und zwar egal ob Sie im (linken) Gewand eines bürgerlichen Salonsozialisten daher kommen oder im (rechten) Gewand des moralisierenden Religionsführers.

  32. @Hari, ich danke Dir sehr für diese fundierte Erklärung und bin eigentlich sehr bemüßigt, darauf ausführlich einzugehen. Nur leider muss ich gleich weg, eventuell schreibe ich heute Abend noch etwa dazu, wenn nicht die Gedanken an die kommende Woche überhand nehmen.

    Nur eine Sache: Die Wähler der Nationalsozialisten kamen m.E. NICHT überwiegend aus dem linken Lager, sondern überwiegend aus dem Kleinbürgertum. Noch bei der allerletzten Reichstagswahl im März 1933, wo die Wahlfreiheit bereits eingeschränkt war(also vor fast genau 80 Jahren!) hatten die Nationalsozialisten KEINE Mehrheit in den Städten und in den katholischen Regionen. Einbrüche gab es vor allem bei den liberalen Parteien(also DVP/rechtsliberal und DDP/DSP/linksliberal). Das war deswegen so, weil das katholische Milieu und das Arbeitermilieu weltanschaulich ziemlich gefestigt waren.

    Aber wie dem auch sei, ich bin mit Dir der Meinung, dass es grundlegend wichtig ist, für Freiheit, Toleranz und Offenheit ein- und der Unfreiheit, der Intoleranz und Entschlossenheit entgegenzutreten(Wort zum Sonntag… ;-)).

    So viel für den Moment. Bis vielleicht heute Abend.. 🙂

  33. Mach Dir einen schönen Tag.

    Nur kurz, auch hier wieder ein Missverständnis. Ich habe nicht gesagt, dass die Wähler primär aus dem linken Lager kamen, die Mehrheit kam aus dem Kleinbürgertum, da hast Du recht. Sie kamen aber „auch“ aus dem linken Lager. Aber darüber wollte ich gar nicht reden. Ich wollte klarmachen, dass die Werte für die die Nationalsozialisten (und Faschisten in Italien) standen und gewählt wurden, durchaus „linke“ Werte wie „Gemeinschaft, Solidarität, Brüderlichkeit, Kameradschaft oder Gerechtigkeit“ waren. Gewürzt mit den niederen Instinkten der Rache an denen, die dem Kleinbürger das (die Weltwirtschaftskrise) vermeintlich eingebrockt hatten. Und deshalb waren die Nationalsozialisten eben auch für politisch „linke“ Menschen attraktiv. Diese Kategorisierungen in links und rechts waren schon damals am wahren Thema vorbei.

  34. @Hari
    Deinen Ausführungen kann ich nur beipflichten. Wir alle sind es gewohnt in den gegensätzlichen Kategorien rechts, links bzw. Sozialismus und Kapitalismus zu denken. Dabei wirbelt eine „moralischen Bugwelle“ nicht selten Denkfehler an die Oberfläche.
    „Was haben wir das nötig: Sozialisierung der Banken und Fabriken . Was das schon besagt, wenn ich die Menschen fest in eine Disziplin eingeordnet habe, aus der sie nicht mehr hinaus können“ sagte Adolf. Ob nun die Sozialisierung des Kapitals oder die des Menschen; gemein ist diesen Ideologien, den Menschen kollektiv zu organisieren -möglichst von der Wiege bis zur Bahre- wie es Sebastian Haffner in seinen “Anmerkungen zu Hitler“ geschrieben hat. Apropos Faschismus. Vielleicht darf ich ja Haffners Sichtweise dazu kurz zitieren:
    „Nichts ist irreführender, als Hitler einen Faschisten zu nennen. Faschismus ist Oberklassenherrschaft, abgestützt durch künstlich erzeugte Massenbegeisterung. Hitler hat wohl Massen begeistert, aber nie, um dadurch eine Oberklasse abzustützen. Er war kein Klassenpolitiker, und sein Nationalsozialismus war alles andere als ein Faschismus“ und so folgert er auch zur sogenannten Oppositionsbewegung: „Der 20.Juli war in der Substanz ein hochkonservatives Unternehmen (…)Es war die einzige Opposition, die ihm bis zum Schluß zu schaffen machte; …. Und diese Opposition kam von rechts. Von ihr aus gesehen stand Hitler links. Das gibt zu denken“ Also mir auf jeden Fall.
    Manchmal ändert sich nur das Vokabular. Was vorher klassenlose Gesellschaft hieß, wurde zur Volksgemeinschaft. Praktisch war es dasselbe. Aber das eigentliche und virulente Wesen des Nationalsozialismus, war selbstverständlich etwas ganz anderes wie wir ja leider wissen.
    P.S. wenn dies nun zuviel der Kommentare sein sollte: bitte einfach löschen!

  35. @Toni: Das sind sehr interessante Ausführungen. Deswegen hierzu und auch doch noch zu Hari noch ein paar kurze Bemerkungen.

    Was ich sehr bedenklich finde, ist, die Nationalsozialisten als „verkappt“ linke Bewegung einzusortieren und die Unterscheidung links/rechts als irrelevant zu erklären. Klares Nein. Der Nationalsozialismus ist zwar in gewisser Hinsicht als Gegenreaktion auf die Oktoberrevolution 1917 in Russland zu sehen. Im Januar 1919 sollte etwas ähnliches in Deutschland durchgeführt werden; mithilfe der sog. Freikorps wurde es vereitelt. Der Begriff „Auf der Flucht erschossen“ kam zu der Zeit erstmalig auf. Sebastian Haffner schreibt dazu, die SA, die SS, „es war alles schon da“. Es war somit keine revolutionäre Bewegung, es war eine kleinbürgerliche Bewegung(Die Protagonisten entstammten ohne Ausnahme dem Kleinbürgertum), es war eine Bewegung der Gegen-Revolution, einer Revolution GEGEN die Revolution. Wie H.A. Winkler schreibt, war der Nationalsozialismus das Ergebnis der Ungleichzeitigkeit von wirtschaftlicher und politischer Modernisierung. Es hätte 1918 und 1933 nicht gegeben, hätte es wie in Amerika, in England, in Frankreich eine politische Modernisierung gegeben. Diese Modernisierung hätte 1848/49 angestanden; aber das deutsche Bürgertum, das diese Modernisierung zu tragen gehabt hätte, hat diese Gelegenheit nicht ergriffen. Das lag entscheidend daran, dass der deutsche Liberalismus gespalten war in einen fortschrittlichen/linken und in einen konservativen/rechten Flügel. Bismarck hat sich später diese Spaltung zunutze gemacht und mit der Nationalliberalen Partei(also den Rechtsliberalen) koaliert. Das spätere Deutsche Reich wurde also getragen aus einer Mehrheit von Konservativen und Nationalliberalen. Diese Mehrheit war nicht gewillt, einem parlamentarischen System den Weg zu bereiten. Dieses parlamentarische System kam dann doch, aber unter der, wie sich herausstellte, zu großen Last des verlorenen ersten Weltkrieges. Dieses parlamentarische System, das die Nazis abschafften, wurde getragen von der Mitte im weitesten Sinne(also von Mitte-Rechts bis Mitte-Links), es wurde abgelehnt von den politischen Rändern. Um die Weimarer Republik vor dem Nationalsozialismus zu bewahren, hätte sie bereits vor dem ersten Krieg gut etabliert sein müssen. Mit der Last des verlorenen Krieges war sie letztlich überfordert. Insofern trägt die politische Rechte in der Tat die entscheidende Verantwortung dafür, dass der Nationalsozialismus an die Macht kam. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war, wie wir heute wissen, nichts anderes als eine gigantische Fehlkalkulation der monarchistischen und konservativen Strömungen. Das ist in keinster Weise bestreitbar. Dass die extreme Linke in völliger Verblendung ebenfalls die parlamentarische Demokratie bekämpfte und so ihren eigenen Untergang beschleunigen half, steht auf einem anderen Blatt.

    Wir dürfen nicht vergessen, dass bis zum ersten Weltkrieg in Deutschland eine Klassengesellschaft herrschte, die heute nicht mehr herrscht. Zwar ist nicht alles gleicher geworden, aber doch einiges. Dass so vieles, wenn nicht alles, ungleich war, bewirkte, dass der Gegensatz links/rechts eine entscheidende Rolle spielte. Dies ist heute in Deutschland nicht mehr so. Wir haben heute ein breites Spektrum von Mitte/Links bis Mitte/Rechts(einen gewissen „närrischen Randstreifen“ können wir getrost vernachlässigen, und auch Frau Wagenknecht, die aber nur wenige Prozente für sich in die Waagschale werfen kann). Dies mag vielleicht der Grund sein, weshalb Euch die Unterscheidung links/rechts als irrelevant erscheint. Das ist sie heute überwiegend in der Tat. Dass das aber nicht immer so war, und auch etwas ist, was die deutsche Geschichte maßgeblich geprägt hat, das hat Gründe, die sehr weit zurückreichen.

  36. @Tokay, ehrlich weiss ich nicht, worauf sich Deine Erklärung der Geschichte bezieht. Welche Kräfte den Aufstieg der Nationalsozialisten ermöglicht und befördert haben und wer an der Machtergreifung mitgewirkt hat, wissen wir alle aus den Geschichtbüchern. Und ja, das haben wir auch gelesen. Ich auf jeden Fall.

    Worum es ging war, dass Du wissen wolltest, warum ich einen Prantl (und ähnliche) so ablehne. Und meine Antwort war, aufgrund des eitlen, moralischen Rigorismus, hinter dem ich den Versuch der Selbstdarstellung und Machtausübung sehe.

    Worauf sich die Schlussfolgerung anschloss, dass totalitäre Systeme sich genau durch diese Ausgrenzung „anderer“ auszeichnen und mit einer als Dogma vor sich her getragenen Moral die Welt in gut und böse teilen, weil sie dadurch die Kontrolle über die Massen ausüben. Und weil über den Glauben „gut“ zu sein, die Menschen hervorragend zu (ver)führen sind.

    Zitat:
    „Wenn man so will findet vorher eine Radikalisierung der Gedanken statt, die immer im Gewand des vermeintlich moralisch Richtigen kommt.“

    Und das diese Mechanismen uralt sind, Stichwort Hexen, und immer gleich ablaufen und zwar unabhängig davon ob auf dem Regime links oder rechts drauf steht.

    Über dieses Thema habe ich lange geschrieben, wie Du schnell feststellst, wenn Du nochmal liest.

    Und ich habe den Bezug hergestellt, dass die Attraktivität der NS Ideologie für breite Massen quer durch die Bevölkerung gerade auch auf dem Transport linker Ideale wie Gemeinschaft und Solidarität bestand. Und das war auch so. Man beachte erneut das „auch“. Auch hier also, die Erfolgsmechanismen des totaliären Systems waren unabhängig von links oder rechts. Deswegen war die NSDAP aber immer noch eine rechte Partei, das sind aber völlig unterschiedliche argumentative Ebenen.

    Die Frage durch welche politischen Kräfte die NSDAP an die Macht befördert wurde, hat also mit dem was ich versuche zu kommunizieren nichts zu tun. Da haben die dahinter stehenden „Rechten“ wie Hindenburg jede Menge Beitrag zu geliefert. Das steht alles in Geschichtsbüchern. Und war bei mir nie Thema.

    Wohl aber, warum breite Massen aus allen Schichten die NSDAP wählten und sich dann in der zweiten Hälfte der 30er Jahre in diesem Regime wohl und heimisch gefühlt haben. Womit wir wieder beim gemeinsamen Muster sind, das totalitäre Systeme auszeichnet. Und das war mein Thema.

    Schade, aber trotz meiner Bemühungen den Punkt deutlich zu machen, scheint das die Möglichkeiten eines schriftlichen Austausches zu überfordern. Es ist halt auch extrem schwer, die Themen moralischer Machtausübung zu diskutieren, weil die Worte selber Assoziationen auslösen und vom Höckschen aufs Stöckchen führen.

    Die geschichtlichen Abläufe finde ich auch nicht diskussionswürdig, weil das haben andere schon besser dargestellt als wir. Andere, die das sogar real erlebt haben. Spannend und wichtig finde ich aber die dahinter stehenden Muster, mit denen Menschen immer wieder verführt werden und glauben die Welt zu retten, während sie gerade das Werk des Teufels tun. Und diese Muster sind eben von rechts und links unabhängig, was aber im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass es keine linke oder rechte Politik gäbe, wie gesagt, ganz andere Baustelle.

    Und nur wer diese Muster versteht, wird erkennen können, wenn moralische Ausgrenzung und Entmenschlichung wieder ihr übles Haupt erhebt. Die Symbole und Kategorisierungen in politschen Schubladen helfen da nicht weiter. Das Böse ist weit grundsätzlicherer Natur.

    Ich lasse es damit gut sein. Nuff said. 😉

  37. Zitat Hari: „Diese Mechnismen sind uralt. Und funktionieren immer gleich. Leider lernen wir in der Schule, dass Hakenkreuze und gegen Juden zu sein “böse” ist. Dabei sind das nur die oberflächlichen Symbole, die jederzeit gegen andere ersetzt werden können. Das wirklich Böse, die gedankliche Radikalisierung vorher, die immer im Mantel des “Gerechten” und moralisch “Guten” daher kommt, die wird den Menschen nicht gelehrt. Und deshalb kommt das Böse beim nächsten Mal mit anderen Symbolen, die Mechanismen dahinter sind aber die gleichen.“

    Ich zitiere diesen Abschnitt, weil ich dies für die wichtigste Nachricht der gesamten Diskussion dieses Wochenendes halte. Soweit ich mich erinnere, wurde dies in meinem bayerischem Abitur in den 90ern nicht gelehrt. Natürlich ist es wichtig, die Geschichte zu kennen, aber wenn es da schon aufhört, haben wir nichts aus der Geschichte gelernt. Wir sehen ein demokratisches und freiheitliches System als einen Wert, sind aber nicht in der Lage, zu erkennen, welche Entwicklungen eine wirkliche Gefahr für dieses System darstellen.

    Über die Jahre habe ich zwar eine gewisse Sensibilität für gefährliche Tendenzen entwickelt, das immer gleiche Muster war mir aber so nicht klar. Auch gehen ein paar der in dieser Diskussion genannten Beispiele über meine eigenen Beobachtungen hinaus. Ich freue mich, wieder mal meinen Horizont erweitert zu haben:)

    PS: Auch wenn Themen wie dieses eher off-topic in diesem Blog sind, ist es einfach angenehm, diese Themen hier zu lesen und zu diskutieren, weil hier vernunftbetont, realistisch und ohne ideologischen Käfig diskutiert wird. Falls ihr einen gesellschaftskritischen Blog empfehlen könnt, der ein ähnlich hohes Niveau hat, bitte her damit.

  38. Hari,okay, ist in Ordnung. Mir ging es wie gesagt um die Frage, ob die Unterscheidung links und rechts eine Rolle spielt, diese Frage war irgendwann im Lauf der Diskussion aufgekommen. Worauf ich darlegte, weshalb diese Unterscheidung damals eine Rolle spielte. Nicht mehr und nicht weniger. Nur musste ich deswegen etwas weiter ausholen. Mag sein, dass es länger war als unbedingt nötig gewesen wäre. ich bitte um Nachsicht hierfür.

    Totalitarismus im Gewand des Guten – alles einleuchtend, kann ja auch nur so funktionieren. Ganz bestimmt nicht, indem gesagt wird: „Wir müssen die und die Gruppe liquidieren“. Ich habe den Punkt schon sehr gut verstanden. Allerdings, das „Wohlfühlen“ in der „Volksgemeinschaft“, das war etwas was erst hinterher kam. als das ganze etabliert war. Die wirtschaftliche Erholung kam ja auch noch dazu. Weshalb sich die Nazi-Herrschaft etablieren konnte , lag keineswegs an den vermeintlich „linken“ Idealen, das lag vielmehr daran, dass viele von denjenigen, die sich dem entgegenstellten, gefoltert und ermordet wurden in den KZ’s und den Folterkellern der SA und der SS. Das ging los nach dem Reichstagsbrand, und die Opferzahlen gingen in die Tausende. Das konnten viele wissen, aber wollten es nicht wissen, denn dann wäre man bald selbst bedroht worden. Insofern war die Nazi-Herrschaft eben KEINE Herrschaft im Gewand des Guten, sondern das Nazi-Reich war ein Reich des Bösen, und zwar von Anfang an. Die Vernichtung der Feinde wurde von Anfang an angekündigt. Das mit der „Volksgemeinschaft“ war eine Fassade, und zwar eine sehr verlogene. Sie konnte letztlich nur mithilfe des Terrors aufrechterhalten werden.

    Herr Prantl mag sein wie er will, aber er ist ganz bestimmt nicht jemand, dem man die Nähe zu totalitärem Gedankengut nachsagen kann, moralischer Rigorismus hin oder her. Da gibt es nun mal unterschiedliche Geschmacksrichtungen… ;-). Insofern lenkt diese Debatte etwas auf die falsche Fährte. Denn moralischer Rigorismus führt nicht zwangsläufig zu Totalitarismus. Mit gleichem Recht könnte man behaupten, dass umgekehrt dem Totalitarismus nur dann Einhalt geboten werden kann, wenn es hinreichend moralischen Rigorismus gibt(anstatt moralfreiem Pragmatismus). Wie dem auch sei, wir werden diese Frage niemals endgültig lösen können. Mein Rückgriff auf die Geschichte erfolgte auch deswegen, um anhand der Entwicklung des deutschen Liberalismus zu zeigen, dass dieser keineswegs moralisch rigoristisch war, dass die Errichtung einer parlamentarischen Demokratie eher möglich gewesen wäre, wenn man dies entschiedener verfolgt hätte. Wenn man z.B. die Geschichte der USA verfolgt, wird man feststellen, dass die Amerikaner sehr oft sehr rigoristische Positionen eingenommen haben und auch heute noch einnehmen(„pay any price, bear any burden“). Trotzdem hat Ihnen deswegen noch niemand zum Vorwurf gemacht, totalitaristisch zu sein.

    Mit diesen Worten möchte ich schließen, mir fallen bald die Äuglein zu. Gute Nacht. 🙂

  39. Danke Hari, dass du den Artikel in Hari Live nochmal präsent gemacht hast, denn ich hatte ihn bisher übersehen. Ich glaube auch, dass es sehr interessant wäre den Artikel dauerhaft unter der Seite über Hari Seldon zu verlinken, für diejenigen die noch ein bisschen mehr lesen wollen. Das gibt noch einen besseren Eindruck und motiviert vielleicht zur Premium- oder Forenmitgliedschaft.

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