Hari´s Märkte am Abend – 06.03.12 – Risk OFF – von volkswirtschaftlichen Irrlehren

22 Uhr - Handelsschluss

Na endlich möchte man sagen. Die Bären leben und haben ihre Zähne doch nicht verloren. In vielen Aktien hat man heute zum ersten Mal dieses Jahr fühlen dürfen, wie sich der schmerzhafte Biss eines Bären anfühlt. Mit dem Bruch der DAX 6800 nach unten, haben sich die Bären heute wieder meinen Respekt erworben und ich nehme sie seitdem wieder ernst.

Und - man glaubt es kaum - aber Mr. Market macht auch mal was die Mehrheit erwartet. Alles was ich bisher sehe, spricht aber dafür, dass das nicht mehr ist, als die lange erwartete Korrektur in der Aufwärtsbewegung.

Denn der kommunizierte "Auslöser" in Form von erneuten Ängsten um den griechischen Schuldenschnitt ist für mich eher ein schlechter Witz. Insbesondere dieses "überraschend aufgetauchte" vertrauliche IIF Dokument vom 18.02.12, in dem wohl vor Schäden im Bereich von einer Billion im Falle einer Pleite Griechenlands gewarnt wird, kann ich nicht ernst nehmen. Wer immer dieses Dokument in den Markt lanciert hat, dürfte wohl einen schönen Schnitt gemacht haben, denn die Wirkung 2 Tage vor dem Fristende ist nun wirklich berechenbar, wenn sie auf einen ziellosen Markt trifft, der durch das China Thema schon angeschlagen ist.

Inhaltlich gibt es zu diesem Dokument von mir auch nur zu sagen: wenn Banken nach über 2 Jahren der Vorbereitung und nach der Möglichkeit selbst Fussballer-Darlehen an die EZB abzuschieben, nun immer noch von Griechenland oder ihrem CDS Engagement in den Orkus gezogen würden, dann sollte man die verantwortlichen Manager nach meiner Ansicht wegen erwiesener Unfähigkeit und grober Fahrlässigkeit am besten gleich vor ein Schnell-Gericht stellen. Das wird aber nicht passieren, denn so unfähig wird wohl keiner sein. Das Risiko liegt schon lange primär beim Steuerzahler und wurde sozialisiert. Das IIF Dokument halte ich für Theater um die Beteiligung an der Umschuldung zu erhöhen und die Lancierung heute hat für mich ein ziemliches Geschmäckle.

Auf jeden Fall ist der heutige - teilweise brutale - Abverkauf quer durch alle Bereiche ganz typisch für eine Korrektur aufgrund plötzlich aufwallender - und damit irrationaler - Angst. Der steile Anstieg des VIX bestätigt das auch. Dabei gibt es heute keine wirklich neuen Erkenntnisse, die sich vor allem im ungewöhnlichen Bewegungen in bestimmten Segmenten zeigen würden. Hier wird einfach alles rausgeworfen und was vorher am besten lief, leidet am stärksten - Risk OFF halt.

Und das gerade die deutschen Industriewerte am meisten leiden ist auch nichts Neues, es liegt schlicht daran, dass die Investoren der Wallstreet in jeder Korrektur zunächst die ausländischen Werte verkaufen. Deshalb fällt der DAX auch wieder viel stärker als der S&P 500. Kennen wir alles aus dem letzten Herbst.

Bleibt die Frage WANN und WO man in diesen Markt wieder einsteigen sollte. Denn sobald diese Korrektur ausläuft - unter der Annahme, dass es bei einer kurzen Korrektur bleibt - bekommt man möglicherweise den sichersten Einstieg seit Jahresanfang, weil dann gerade ein reinigendes Gewitter hinter uns liegt.

Was das "WANN" angeht, rechne ich am morgigen Mittwoch eher noch nicht mit der Wende. Für eine sofortige V-förmige Wende fehlt es Morgen unter Umständen am Katalysatoren und nach diesem langen Anstieg, wäre eine mehrtägige Korrektur auch äusserst normal. Ausserdem wird bei einigen institutionellen Investoren heute wohl erst einmal überlegt und morgen dann möglicherweise noch einmal auf den "SELL" Knopf gedrückt.

Erst ab Donnerstag wird es wohl interessant. Denn am Donnerstag haben wir die Entscheidung um die Umschuldung Griechenlands und die EZB Sitzung und am Freitag die US Arbeitsmarktdaten. Ich halte das nach meinem heutigen Erkenntnisstand für einen möglichen, groben zeitlichen Rahmen der Korrektur, also mit einem möglichen Ende im Bereich Donnerstag bis Montag kommende Woche. Jedes dieser Ereignisse hat das Potential, nach dem heutige Abverkauf das Signal zur Rally nach oben zu geben. Sollte der Donnerstag enttäuschen und von erneuten Abgaben geprägt sein, reichen am Freitag möglicherweise schon durchschnittliche Arbeitsmarktdaten für eine Erleichterungsrally.

Zum "WO" habe ich mich in Sachen DAX schon geäussert. Eine erste Auffangzone ist bei ca. 6650, die Marke die ich heute früh um 10 Uhr schon nannte und an der der Markt heute auch konsequent zunächst zum Stehen kam, bevor er in der Schlussauktion dann doch darunter schaute. Ob diese Marke aber morgen im echten Handel hält, ist für mich zweifelhaft, dafür ist sie auch nicht ausgeprägt genug. Viel wohler fühle ich mich bei der massiven Unterstützung oberhalb 6400 und es würde mich eher wundern, wenn wir im Rahmen dieser Korrektur da einfach durchfallen. In diesem Fall müsste man dann wohl auch die Frage stellen, ob es wirklich nur eine simple Korrektur der Aufwärtsbewegung ist. Aber an dieser Stelle sind wir noch lange nicht, denn solange wir oberhalb DAX 6400 drehen, ist für den Aufwärts-Trend eigentlich nichts passiert.

Und was die richtigen Aktien für einen theoretischen Rebound wären, ist auch leicht zu beantworten, denn für eine nachhaltige Sektorrotation halte ich die Aufwärtsbewegung noch für zu jung. Kaufenswert sind also in meinen Augen die klassischen Industrie-Werte, die in den letzten Wochen am besten gelaufen sind und nun in der Korrektur auch am stärksten verprügelt werden. Viele Qualitätsaktien die wir hier in den vergangenen Wochen besprochen haben, wurde heute um 5-7% nach unten geprügelt. Wenn da in den kommenden Tagen noch ein Schub nach unten kommen sollte, haben wir in meinen Augen bei einigen Titeln attraktive Kaufkurse.

Insofern erübrigen sich heute auch Kommentare zu Einzelaktien, das heutige "Meer in Rot" birgt für mich keine grossen Überraschungen was Einzelbewegungen angeht. Wenn überhaupt ist zu bemerken, dass die gestern massiv verprügelten Rohstoffwerte heute nur noch mässig im Rahmen des Marktes abgaben. Der gestern von mir am Beispiel Rio Tinto skizzierte Punkt, könnte also näher rücken.

Warten wir also einfach ab, wann und wo der Markt dreht und versuchen wir diese Korrektur optimal für unser Depot auszunutzen.

Was das Thema Iran angeht, kann ich mir gut vorstellen, dass im Weissen Haus als Kompromiss zwischen beiden Positionen nun ein letzter diplomatischer Versuch vereinbart wurde und entsprechende Aktivitäten entfalten sich ja gerade in Form von erneuten Atomverhandlungen. Sollte auch dieser diplomatische Versuch scheitern, vermute ich, dass die US aber Israel Unterstützung für einen Militärschlag zugesichert haben. Und ich denke auch, wie schon seit Monaten, dass Israel nicht nur blufft, sondern diesen Schlag auch führen wird.

Hoffen wir also, dass der Iran den Ernst der Lage und die allerletzte Chance zur friedlichen Lösung endlich erkennt. Denn eigentlich ist doch alles ganz einfach, niemand spricht dem Iran das Recht zur friedlichen Nutzung der Atomenergie ab. Lässt er also ohne Bedingungen und mit aller Offenheit internationale Inspektoren ins Land, wäre der Konflikt wohl schnell gelöst. Und wenn man den permanenten Beteuerungen Irans zur rein zivilen Nutzung der Kernenergie Glauben schenkt, gäbe es ja auch keinerlei Problem internationalen Inspektoren überall Zugang zu gewähren. Ich befürchte aber, man hat doch etwas zu verbergen. Und Israel kann und wird nicht zulassen, dass eine Regierung die Israel die Existenzberechtigung abspricht, Atomwaffen in die Hand bekommt.

Insofern halte ich die Tage und Wochen nach dem Scheitern der jetzigen - wahrscheinlich letzten - diplomatischen Initiative für die wirklich kritische Zeit. Diese Woche geht der Kelch des Krieges aber wahrscheinlich noch einmal an uns vorbei.

Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema, das aber gut zu dem heutigen Tag passt: Die Volkswirtschaftslehre mit ihren Irrlehren. Denn glauben Sie wirklich, es gäbe heute objektive neue Erkenntnisse im Markt, aufgrund derer wir gerade heute "höchst effizient" korrigieren und nicht schon gestern oder vorgestern ? Glauben Sie wirklich dieses Verhalten des Marktes heute sei rational und es basiere auf effizienter Informationsverarbeitung, dass wir heute bei vielen Qualitätsaktien um 5-7% nach unten rauschen, aber eben nicht gestern ?

Ihnen wird nicht entgangen sein, dass ich mir immer mal wieder eine deutliche Spitze gegen die traditionelle Volkswirtschaftslehre erlaube. Besonders die Adepten der "Efficient Market Hypothesis" (EMH) haben es mir schon seit Jahren angetan, die es ja immer noch schaffen für derartige Ergüsse Nobelpreise zu bekommen. Und falls Sie sich in dem Thema nicht so auskennen, dabei handelt es sich nicht um eine obskure Theorie, sondern um einen der Grundpfeiler der gängigen volkswirtschaftlichen Lehre in den letzten Jahrzehnten.

Denn ich halte die EMH - als immerhin diplomierter Wirtschaftswissenschafter, aber vor allem als erfahrener Beobachter von Märkten - für eine dogmatisch verengte Irrlehre, die schon lange hätte im Müllkorb landen müssen. Es ist nur deshalb nicht passiert, weil sich diese Herren nach meiner Ansicht nicht dazu bequemen wie eine wirkliche Wissenschaft zu agieren und ihre Hypothesen einer rationalen Überprüfung mit der wissenschaftlichen Methode zu unterziehen. Da suhlt man sich lieber über Jahrzehnte im Wohlwollen anderer Apolegeten der gleichen Irrlehre und erfreut sich an gegenseitiger Bestätigung, statt den einzigen wirklich objektiven Richter anzurufen: Mr. Market. Denn der würde ein klares Urteil sprechen, genau das ist aber scheinbar das Problem.

So werden auf derartige, schon lange empirisch falsifizierte Ideologien - denn um nichts anderes handelt es sich für mich - fröhlich abgehobene mathematische Modelle darauf gesattelt, auf Basis derer nicht nur arme Studenten gequält und Nobelpreise eingeheimst werden, sondern noch schlimmer auch Risiko-Modelle der Finanzindustrie aufgebaut werden. Die "Güte" dieser Modelle konnten wir ja vor erst kurzem in Sachen Lehman beobachten. Mathematisch gesehen sind diese Modelle ja auch durchaus anspruchsvoll, aber auch ein Haus kann so stabil konstruiert sein wie man will, wenn das Fundament auf Sand steht, ist all der Aufwand sinnentleert.

Dabei hat die EMH ja durchaus auch ihre interessanten und bedenkenswerten Ansätze und nicht alles an der EMH ist Unfug. Das Problem entsteht eher durch den dogmatischen Wahrheitsanspruch, verbunden mit der Weigerung eine wissenschaftliche Falsifizierung ernst zu nehmen. Dogmatismus und Wissenschaft sollten eigentlich ein Widerspruch in sich sein, bei bestimmten Volkswirten ist diese Erkenntnis aber scheinbar noch nicht angekommen.

Glücklicherweise mehren sich nun langsam die Stimmen der Kritiker aus der Wirtschaftswissenschaft, die sich nicht mehr länger blind diesen Irrlehren anschliessen wollen. Paul Krugman ist schon länger so einer und nun auch Thomas Straubhaar, dessen sehr lesenswertes Interview zum Thema ich Ihnen daher -> hier <- auf keinen Fall vorenthalten will.

Seien Sie also sehr kritisch, wenn Sie in Medien von irgendwelchen Volkswirtschaftsprofessoren - die sich gerne auch mal "Weise" nennen lassen - mal wieder abstrakte Vorhersagen im Diktus der Alternativlosigkeit hören. Denn wie Thomas Straubhaar richtig bemerkt, sind diese Dogmatiker mit ihrem Wahrheitsanspruch in Deutschland noch der Mainstream an den Universitäten. Und wenn Ihnen jemand erzählen will, dass Märkte in der Regel effizient seien, weil alle relevanten Informationen angemessen eingepreist seien, dann suchen Sie sich ganz schnell einen anderen Gesprächspartner, denn Ihr Gegenüber hat absolut keine Ahnung wovon er redet, Professor hin oder her ! Es ist eine Schande, dass unzählige deutsche Studenten auch im Jahr 2012 immer noch nur dann gute Noten erzielen können, wenn sie diesen Irrlehren folgen.

Vielleicht werden Sie sich fragen, warum ich bei dem Thema so aggressiv und gnadenlos reagiere. Ganz einfach, weil wir gerade eine grundlegende Krise unseres an sich ausgezeichneten Wirtschaftssystems erleben, die noch schlimme Folgen für kommende Generationen haben kann, weil sie Radikalen, Spinnern und längst vergessenen Ideologien wieder Wasser auf die Mühlen liefert. Und diese Krise wurde ganz grundlegend gerade von diesen Theorien der "effizienten Märkte" befeuert. Letztlich baut das, was man das "angelsächsische Finanzsystem" nennt, zu einem guten Teil auf diesen Irrlehren auf. Und es macht mich wütend, dass man dafür immer noch Nobelpreise bekommt, statt geächtet zu werden.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch noch ein kleines, aber ebenso unterhaltsames wie lesenswertes Buch empfehlen: Kenneth Galbraith: Eine kurze Geschichte der Spekulation. Dieser schon 1990 veröffentlichte Klassiker spannt den Rahmen von der Tulpenblase des 17. Jahrhunderts bis Heute, ist ungeheuer lehrreich und von jedermann zu verstehen - in meinen Augen ein Muss für jeden, der an den Märkten unterwegs ist. Wer danach immer noch an effiziente Märkte glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen !

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend !
Ihr Hari

12 Gedanken zu „Hari´s Märkte am Abend – 06.03.12 – Risk OFF – von volkswirtschaftlichen Irrlehren“

  1. Hallo Hari,
    ich habe den Galbraith an meinem Bett liegen – werde heute mal reinschnuppern und irgendwann berichten…
    Gute Nacht

  2. Ich denke da kommt jetzt der Herr Fama und die Wirtschaftswissenschaftler im allgemeinen doch etwas schlecht weg, auch wenn ich vielen „Lehren“ bzw. die Art und Weise wie sie interpretiert werden ebenfalls nicht teile!
    Fakt ist auch das angesprochene Problem, dass Wissenschaftler sich an den „gleichen Irrlehren und sich an gegenseitiger Bestätigung“ erfreuen. Man muss sich ja nur mal überlegen, wie Forschungsgelder vergeben werden und wie Arbeiten publiziert werden bzw. wer über deren Veröffentlichung entscheidet. Natürlich etablierte Leute, die logischerweise eher von Arbeiten ihrer eigenen Grundvorstellungen angetan sind!
    Trotzdem finde ich, dass eine Theorie „EMH“ und auch viele andere, logische und sinnvolle Annahmen in einen theoretischen Marktmodell ergeben und auch notwendig sind um weitere, modellbasierte Überlegungen anzustellen. Über deren Sinnmäßigkeit könnte man nun ewig diskutieren, trotz eventueller empirischer Widersprüche (auch hier ist nicht immer alles das Wahre). Aber es bleiben nur Modelle und ein Modell spiegelt einfach nie die Realität wieder, sonst wäre es kein Modell. Eine Tatsache die anscheinend von manchen Praktikern, die sich vielleicht sogar noch einen tollen Profit daraus versprechen, nicht realisiert wird und, wie zum Teil in den letzten Jahren geschehen, nach hinten losgeht!
    Als letztes muss man auch bedenken das die Wirtschaftswissenschaffen, speziell auch die Finanzwissenschaft, im Vergleich zu den klassischen Fächern, noch eher in den Kinderschuhen steckt und auch der betriebene Aufwand (komischerweise) vergleichsweise gering ist.

  3. Felix, ich finde das stimmt alles was Du sagst, und wenn das von diesen Leuten in der Vergangenheit mit der von Dir beschriebenen Demut kommuniziert worden wäre, wären darauf auch keine Wirtschaftsmodelle gebaut worden. Weil man dann eben gewusst hätte, dass es eben nur theoretische Marktmodelle mit extrem begrenzenden Annahmen sind, die man auf die Wirklichkeit gar nicht übertragen kann, weil diese viel komplexer ist. Theoretisch interessant aber praktisch unvollständig, weil sie einen grossen Teil der Wirklichkeit ausblenden.

    Wären diese Theorien so vertreten worden, müssten wir heute darüber gar nicht diskutieren und ich hätte kein Problem damit. Aber Thomas Straubhaar, der ja nun wirklich ein namhafter Vertreter seiner Zunft ist, hat es doch „ökonomischen Imperialismus“ genannt, eine Formulierung die genau das trifft was ich kritisiere, weil sie die Haltung vieler Vertreter der Zunft widerspiegelt. Denn darauf wurden geradezu ökonomische Ideologien gebaut. Und das ist zu kritisieren, nicht das beschränkte Modell an sich, von der Art gibt es unzählige in allen Wissenschaftsdisziplinen.

    Schau Dir doch heute nur an, wie zwei Leute aus dem Kreis derer die sich gerne „Weise“ nennen lassen, das exakte Gegenteil im Brustton der alleinigen Wahrheit verkünden können und das dann auch noch „Wissenschaft“ nennen. Ich habe ja kein Problem mit unterschiedlichen Meinungen, aber lasst bei Meinungen bitte die Wissenschaft heraus.

    Wissenschaft arbeitet mit der wissenschaftlichen Methode, die beinhaltet, dass sich jede Hypothese an der Verifizierung oder Falsifizierung messen lassen muss. Und deshalb gibt es in der Wissenschaft eben viele verschiedene Hypothesen (Meinungen) aber nicht zwei Naturgesetze, die genau das Gegenteil behaupten. Denn eine der beiden Hypothesen wäre dann falsifiziert worden.

    Wie Du richtig beschreibst, ist das Problem der Wirtschaftswissenschaft doch genau die Tatsache, dass sie bestenfalls in den Kinderschuhen steckt. Aber die Bugwelle der Vertreter impliziert permanent die grossen Welterklärer und hat damit schon jede Menge Schaden angerichtet. DAS ist in meinen Augen zu kritisieren.

  4. Lieber Hari,
    Zunächst einmal vielen Dank für deinen hervorragenden Buchtipp, den du schon einmal im Blog vom 20. Februar erwähnt hast. Bei der Lektüre der „kurzen Geschichte der Spekulation“ von John Kenneth Galbraith werden einem die massenpsychologischen Mechanismen zwischen Euphorie und „Katzenjammer“ sehr anschaulich vor Augen geführt. Mein Lieblingszitat ist aber folgendes:
    „Bei der Wahl zwischen der Änderung der eigenen Ansicht und dem Beweis, dass dies nicht nötig sei, macht sich fast jeder eifrig ans Beweisen.“
    Auch ich tue mich manchmal noch schwer, meine Meinung zum Markt und die daraus resultierenden Positionen ebenso schnell zu ändern und anzupassen wie es das Börsengeschehen erfordert. Mit diesem Hang zum Starrsinn und vermeintlichem Weitblick habe ich in den letzten Jahren nicht nur viel Zeit verloren sondern auch regelmäßig Chancen verpasst. Natürlich wollte ich mich nie bewusst gegen den Markt stellen und habe auch nie mein Herz an sogenannte Lieblingsfirmen gehängt. Trotzdem ist es oft schwierig, dem allgemeinen Trend zu folgen, wenn einem der Bauch oder der Kopf etwas anderes einflüstert.
    In der Hoffnung auf weitere Fortschritte wünsche ich dir und allen Lesern einen schönen Abend.

  5. Guten Abend Hari,

    während meines Praktikums im M&A einer Investment-Bank in Frankfurt hatte ich auf einer Autofahrt ein für mich interessantes Gespräch mit einem der Analysten, welcher eigentlich Trader (und mittlerweile wieder Senior Chief Trader) war. Da ich die Gelegenheit sofort nutze, mal mit einem „Profi“ zu sprechen, haben wir uns während der ganzen Fahrt natürlich über Börsenhandel unterhalten. Er war ein klarer Verfechter der Effizienzmarkthypothese und meinte, dass jeder erfolgreiche Privatanleger (Investoren wie Warren Buffett eingeschlossen) lediglich Glück gehabt habe. Ich fing schon bei der Aussage, alle bekannten Informationen seien grundsätzlich in einem Kurs verarbeitet, an ihm zu widersprechen, was letztlich in einer hitzigen Diskussion endete. Bis heute frage ich mich, ob an seinen Behauptungen bezüglich dessen irgendetwas dran ist und ich bei jedem Profit nur von „Glück“ reden kann. Es ist deshalb schön zu sehen, dass auch dauerhaft erfolgreiche Händler so wie du diese Ansicht als Unsinn deklarieren 😉

  6. Ramsi,

    wenn der Mann das wirklich ernst gemeint hat, wäre die Frage gewesen, wozu er als Analyst Studien schrieb, die auf öffentlich zugänglichen Informationen beruhen, wenn diese sowieso schon effizient vom Markt verarbeitet sind. Und abgesehen davon, was unterscheidet dann bitte die Sinnlosigkeit von privatem Trading von geschäftlichem Trading in seiner Investmentbank ? Er wollte Dir doch bestimmt nicht sagen, dass die da nur Insider-Informationen traden, denn das wäre illegal (LOL, ich weiss natürlich das das permanent passiert, aber die Logik der Argumentation ist da ein ziemliches Eigentor).

    Und im übrigen, es ist das Geschäftsmodell ganzer Heerschaaren an Hedgefonds, genau diese Ineffizienzen des Marktes zu finden und auszunützen. Etwas was es nach der Theorie der EMH in der Form gar nicht geben dürfte. Ich frage mich also, wovon der Mann eigentlich geredet hat.

    Dabei hat die EMH ja gar nicht mal völlig Unrecht. Der Markt verarbeitet Nachrichten schon verflucht effizient. Aber das ist eben nur ein Aspekt der Realität und nicht die ganze Wirklichkeit. Der Markt ist eben auch voller Übertreibungen, Missverständnissen, Moden etc. Eben weil er aus dem sozialen Herdentier „Mensch“ besteht und nur Maschinen rationale Informationsverarbeitung haben. Das ist so offensichtlich, dass man sich nur wundern kann, warum man da überhaupt darüber diskutieren muss. Womit wir wieder beim Wort „Ideologie“ wären.

  7. Boahey, das ist ja ein riesenlanger Kommentar, wenn ich zu jedem Punkt etwas schreiben müsste, dann würde ich wahrscheinlich morgen früh noch da sitzen…Also kurz zu einigen Punkten:

    a) Stimmt, eine längerfristige Korrekturbewegung ist damit noch nicht in Gang gekommen, am Donnerstag wird man mehr wissen, wie dann mit dem Schuldenschnitt, Griechenland usw. weitergeht. Die Makrosituation hat sich nicht so sehr geändert, nur die Risikoprämien sind wieder etwas angestiegen, daher der heutige Kursrutsch. Obwohl natürlich, Ölpreisanstieg bedeutet mehr Inflation, damit einhergehend die Erwartung, daß die Geldpolitik doch wieder etwas restriktiver werden könnte. Aber kein Donnerschlag, der alles auf den Kopf stellte.

    b) Iran, hier steht eine Hängepartie ins Haus, viel hängt im meinen Augen kurioserweise von amerikanischen Primaries ab. Denn wenn Romney durchmarschieren sollte,könnte es enger werden für Obama und damit auch der Druk für einen Militärschlag größer. Bleibt die Sache aber unklar oder kommt ein konservativer Kandidat in Vorteil, ist der Druck für Obama, im Iran eingreifen zu müssen, nicht mehr so groß. Übrigens muß man den Ausgang der iranischen Parlamentswahl als Indiz dafür werten, daß der Iran sich auf eine Verschärfung der Konfrontation einzurichten beginnt: Ahmedinedschad ist ein Auslaufmodell, Laridschani und vor allem Khamenei himself werden nun festlegen, was Sache ist.Beide sind nicht so hitzköpfig wie Ahmedinedschad , aber beide sind äusserst entschlossene Machtpolitiker.

    c) Dann EMH: Unter Börsenfreaks war die EMH noch nie sonderlich populär, in der Wissenschaft ist sie ein etabliertes Konzept und im kern durchaus auch vernünftig. Sie hat allerdings Defizite, die den an Bedeutung zunehmenden Zweig Behavioral Finance an Attraktivität gewinnen lässt. Ich denke, als Anleger tut man am besten daran, für beide Ansätze aufgeschlossen zu bleiben. Ob Mr. Market der einzig objektive Richter ist? Langfristig wohl schon, aber auch Herr Market ist ab und an etwas benebelt. Marktpreise werden von Menschen gemacht – und Irren ist menschlich. Die Stärke des Marktes liegt darin, das er seine Irrtümer schneller erkennt als jedes andere System – doch kann er darin gehörig übertreiben und auch das ist menschlich. Was die Wirtschaftsprofessoren und Markteffizienzen angeht: Ich denke, es macht einen Riesenunterschied, ob man nur darüber redet, oder selber mit eigenem Geld Erfahrungen gleich welcher Art gemacht hat. Aber das verhält sich ja mit manchen anderen Lebensbereichen genauso….

    Gute Nacht

    Tokay

  8. Tokay, ich gehe ja sogar noch etwas weiter. Für mich ist etwas keine harte Wissenschaft, dass sich den ehernen Regeln der wissenschaftlichen Methode nicht stellt und die Verifizierung bzw Falsifizierung einfach ausblendet. Das ist in Wissenschaft gekleidete Dogmatik und Ideologie. Straubhaar hat es ja auf den Punkt gebracht und festgestellt, dass die Wirtschaftswissenschaft eher eine Sozialwissenschaft ist. Wer sich aber zusammen mit Physik und Chemie Nobelpreise aushändigen lassen will, sollte sich auch an die harten Regeln von Wissenschaft halten.

    Und genau das passiert seit Jahrzehnten in bestimmten Teilen der Wirtschaftswissenschaft nicht. Und ich bin beileibe nicht der Einzige, der das so sieht. Ebenso wenig wie Herr Straubhaar. Das sehen mittlerweile eine Reihe angesehender Mitglieder der Zunft so. Insofern ist nun vielleicht ein Anfang gemacht, mal mit echter wissenschaftlicher Herangehensweise zu schauen, wie denn nun Märkte wirklich funktionieren.

  9. Ich denke, Ramsis „Profi“ könnte das durchaus ernst gemeint haben. Er schreibt dann nun die Analysen weil es von ihm verlangt wird bzw weil irgendjemand sich dafür interessiert und dafür bezahlt. Soll er jetzt sagen, „ne, mach ich nicht mehr, bringt nach EMH nichts“? Und ähnlich sehe ich das auch bei den ganzen „Weisen“: Würde sich die breite Masse noch für sie interessieren, wenn sie keine tollen Pressekonferenzen mehr hielten und nicht mehr aberwitzige Vorhersagen über mehrer Monate und Jahre machen.
    Oder noch besser sie sagen: „Leute, keine Ahnung wie sich die Wirtschaft entwickelt, macht was ihr für am besten haltet, ich blick da auf jeden Fall nicht durch.“ Tun sie aber, auch aus ganz persönlichem Interesse, nicht und würde auch jeder nicht-Weise auch so handhaben. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass was der Herr Straubhaar erzählt, war ihm auch vor vielen Jahren bekannt, nur hätte da jeder gesagt, dass er sich halt einen neuen Job suchen soll. Heute sind solche (prinzipell guten und wünschenwerten) Aussagen natürlich wesentlich populärer und eine Möglichkeit sich zu profilieren!

  10. Felix, das stimmt bestimmt was Du sagst. Und daran finde ich auch nichts schlimmes, jeder von uns ist auf seine Weise ein „Homo Oeconomicus“ und überlegt sich gut, wann die Zeit reif ist um mit einer Meinung an die Öffentlichkeit zu treten. Daran habe ich auch nichts zu kritisieren.

    Schlimm finde ich, dass in Teilen der Wirtschafts“wissenschaften“, seit Jahrzehnten der objektive und sachliche Ruf des Wortes „Wissenschaft“ missbraucht wird, um bestenfalls Meinungen oder rudimentäre Modelle, schlimmstenfalls aber Ideologien zu verbreiten, die keiner wissenschaftlichen Verifizierung stand halten.

    Auch das gibt es in anderes Disziplinen ebenso, nur haben die Wirtschaftswissenschaften einen weit grösseren Einfluss auf unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und wenn im Moment an verschiedenen Stellen von einer „Krise des Kapitalismus“ gefaselt wird, dann ist das in meinen Augen vielmehr eine Krise der Ideologien, die es ermöglicht und gefördert haben, dass Märkte überhaupt aus dem Ruder laufen.

    Denn wer Märkte kennt und real verfolgt, weiss wie leicht diese aus dem Ruder laufen, korrumpiert und manipuliert werden. Der perfekte Markt, der dann tatsächlich klüger ist alle anderen, benötigt zwei wesentliche Elemente:

    1. Klare Regeln und Grenzen, die auch exekutiert werden. Es muss immer klar sein, was erlaubt und was sanktioniert ist.
    2. Offene und sichtbare Informationsverarbeitung, sprich die Vermeidung aller Dark Pools, Insidervorsprünge usw.

    Genau gegen die beiden Punkte wird aber von der Politik permanent verstossen, die entweder zu wenig Regeln setzt oder zu ungenaue oder dann – noch schlimmer – ins Gegenteil kippt und durch direkten Eingriff erneute „Moral Hazards“ schafft, weil nun Hoheitswissen in kleinen Zirkeln entsteht. Wenn ein Markt mal an dem Punkt ist, wo man – siehe Solarmarkt – unbedingt politisches Herrschaftswissen braucht um die nächste Entwicklung antizipieren zu können, dann ist es eben kein freier Markt mehr sondern eher Planwirtschaft. Und das ist doch leider auch die aktuelle Situation an unseren Geldmärkten.

    Diese ineffizienten Märkte sind unsere Realität, der effiziente Markt der EMH ist reine Theorie. Um so perverser ist es, wenn man Märkte (wie den der US Hypothekenkredite) aufbaut, die nicht nur unreguliert sind, sondern von einem permanenten Moral Hazard der Politik befeuert werden. Über das Ergebnis muss man sich nicht wundern und unserem Weltwährungssystem – das gerade von den Notenbanken massiv manipuliert wird – wird es nicht anders gehen. Auch das ist kein wirklicher Markt mehr, sondern ähnelt stark der Planwirtschaft und wird von massivem Moral Hazard befeuert. Mir wird ganz übel, wenn ich an die absehbaren Folgen für uns alle denke.

    Fazit: Ich bin ein glühender Verfechter freier Märkte. Aber wie so oft sind die schlimmsten Feinde gar nicht die Gegner auf der anderen Seite des Flusses, sondern die vermeintlichen „Freunde“ – hier zum Beispiel die EMH Jünger – die die ganze Grundlage freier Märkte mit ihren Ideologien von innen aushöhlen. Und deswegen reagiere ich darauf so aggressiv.

    PS: Wenn ich von den traurigen Gestalten, die die Republikaner gerade zur Präsidentschaftswahl auffahren, unbedingt jemanden auswählen müsste, dann wäre mir Ron Paul mit seinen libertären Ansichten noch am liebsten, auch wenn ich da einiges für deutlich überzogen und zu radikal halte 😉

  11. Kleine Anmerkung noch zu Haris Beitrag, nachdem ich mir die Diskussion hier durchgelesen habe: Zu der Frage, was ihn vom Privatanleger unterscheide, meinte er, dass das ganze Drumherum mit Instrumentarien viel effizienter gestaltet sei. Der Profi bekommt ja nun auch verflucht schnell mitgeteilt, was Sache ist, selbst wenn es dann von irgendeinem Insider kommt. Ich habe im Devisenhandel neben einem Trader gesessen, der 30 Sekunden nach einem Rücksetzer wusste, was Sache war, obwohl selbst Bloomberg noch nichts berichtet hatte. Irgendeine „Freundin“ aus einer Londoner Bank hatte da wohl schon den Plan. Er selbst hatte die ganze Handelsabteilung als „Zockerei“ und „Glückssache“ betituliert, obwohl er selbst in höchstem Maße involviert ist. Ich konnte und wollte mit seinen Aussagen insgesamt nicht übereinstimmen und tue das auch jetzt noch nicht. Wie du gesagt hast, wird der Markt von Emotionen gelenkt und selbst Algos können diese Emotionen nicht völlig zuverlässig bewerten. Und solange der Weg der Preisfindung über Emotionen läuft, kann mir niemand erzählen dass der Markt effizient ist.

  12. @Ramsi, selbst ich als eher ein Vertreter der Richtung der „Behavioral Finance“, würde noch nicht einmal sagen, dass der Markt „von Emotionen gelenkt“ wird – beeinflusst ja, aber nicht gelenkt – denn auch die Emotionen sind nur ein Teil der Gleichung.

    Ich würde eher sagen, der Markt ist ein wilde Mischung von Fundamentaldaten, Nachrichten, Hoffnungen, Ängsten, Gerüchten, Meinungen, usw. usw. und das alles fröhlich durcheinander gequirrlt und voller Ineffizienzen. Du kannst die Liste beliebig verlängern.

    Jetzt kommt es aber noch schlimmer, selbst das reicht nicht. Denn was noch völlig unterschätzt wird, ist das Prinzip der Selbstbezüglichkeit (auch Selbstreferenzialität genannt). Denn jede der handelnden Personen am Markt verändert durch ihre Beobachtung und das daraus resultierende Handeln ja auch die eigene Wirklichkeit des Marktes, weil sie die Preise ja direkt beeinflusst. Ich habe das mal nicht ganz ernst gemeint als „Heisenberg auf Makrolevel“ beschrieben. Wenn man so will, schaffen die Handelnden am Markt also ihre eigene Realität.

    Wenn man das verstanden hat, dann kann man sich nur wundern, warum man dem Phänomen „Markt“ gerade in den Wirtschaftswissenschaften mit derart statischen, rein algorithmischen Modellen zu Leibe rückt. Die Systemtheorie wäre viel naheliegender, denn gerade selbstreferenzielle Systeme sind deren Thema.

    Aber dafür müsste man halt mal über den eigenen beschränkten Horizont hinaus schauen und alte „Weisheiten“ in Frage stellen.

    Für mich ist ganz eindeutig, dass der Markt ein selbstreferenzielles, dynamisch-chaotisches System ist, das in sich selber schwingt und sich deswegen zweidimensionalen, statischen Erklärungsmustern zwangsläufig entzieht. Und selbst wenn man mal temporär einen zweidimensionalen Zusammenhang erkannt hat, verändert diese Beobachtung und das daraus resultierende Handeln die Wirklichkeit des Marktes schon wieder so, dass sich dieser Zusammenhang im Laufe der Zeit wieder auflöst.

    Und etwas „Zufall“ zu nennen, nur weil man ein hoch komplexes, dynamisches System mit den beschränkten Fähigkeiten des menschlichen Geistes nicht in Gänze erfassen kann, finde ich ehrlich gesagt intellektuell dürftig. Dann kann man auch gleich die Hand Gottes bemühen, das läuft auf das gleiche raus …

Schreibe einen Kommentar