Pfingsten 2013 – Die Ruhe Europas vor dem heissen Herbst

Pfingsten steht vor der Tür und leitet an den Börsen langsam die ruhigere Sommerphase ein. Die Strassen sind heute hier schon halbleer, halb Bayern flieht in vorgezogene Sommerferien. Eine Gelegenheit die ich nutzen möchte, um mit Ihnen ein paar emotionale Gedanken meinerseits zur Lage in Europa zu teilen.

100 Jahre ist nun der Sommer 1913 her. Ein Sommer, den meine Grosseltern noch als Kinder erlebt haben. Ein Sommer der oberflächlichen Ruhe und Gelassenheit, die Welt schien damals an der Oberfläche noch in Ordnung und fest gefügt. Man hätte damals meinen können, Europa sei in Bernstein gegossen, alles war wie es sein sollte - so schien es zumindest. Dabei waren unter der Decke schon all die Spannungen spürbar, die sich ein Jahr später so furchtbar entladen würden.

Ein Jahr später zerplatzte Europas alte Welt wie ein Spiegel, in den man einen Backstein geworfen hatte. Was sich anschloss, waren zwei Weltkriege, unsägliches Leid und brutaler Umbruch, an dessen Ende im wahrsten Sinne des Wortes kein Stein mehr auf dem anderen stand. Die Folgen dessen, was nach diesem letzten Sommer des alten Europas passierte, beschäftigen uns noch heute. Und niemand, absolut niemand, konnte sich 1913 vorstellen, wo die Welt schon Jahre später stehen würde.

Heute, 100 Jahre später, beschleicht mich ein ähnliches Gefühl einer unwirklichen Ruhe, so wie wenn sich der Himmel schon gelb in Erwartung des kommenden Gewitters färbt, während die Luft noch warm und ruhig wirkt.

Dieses Gefühl einer untergehenden Welt, wird auch schön von Tolkien im "Herrn der Ringe" durch die Worte "Galadriels" vermittelt. Was kein Wunder ist, denn Tolkien (1892 geboren) war ein Kind dieser Zeit, in der das alte Europa unterging : "
Die Welt ist im Wandel
Ich spüre es im Wasser.
Ich spüre es in der Erde
Ich rieche es in der Luft.
Vieles, was einst war, ist verloren, da niemand mehr lebt, der sich erinnert.

Jetzt werden Sie denken: ja spinnt denn der Hari ? Ist er jetzt zum neuen Nostradamus geworden ?

Definitiv nein. Erstens steht uns in Europa kein neuer Krieg bevor, zumindest kann ich mir das nicht vorstellen. Und zweitens bin ich sehr optimistisch, was die Entwicklung der Welt als Ganzes angeht. Die Welt ist auf einem guten Weg und es gibt keinen Grund für Weltuntergangsromantik. Machen wir doch die Menschen und ihr Wohlergehen - ihr Leben in Freiheit und Wohlstand - zum Massstab und vergleichen 1913 mit 2013. Dann sehen wir schnell, wie positiv sich diese Welt verändert hat. Und ich bin voller Optimismus, dass die Welt das weiter tun wird. Dafür sorgt schon der technologische und kulturelle Fortschritt, der gerade in Deutschland immer gerne mit Skepsis betrachtet wird, ohne den wir aber noch Leibeigene eines Landvogtes wären.

Dieses voraus geschickt, beschleicht mich beim Blick auf Europa und Deutschland aber doch das Gefühl einer untergehenden Welt, die noch an der Oberfläche verzweifelt an ihrer Normalität festhält. Man könnte dazu viel schreiben, woher dieses Gefühl kommt, ich will nur zwei aktuelle Ereignisse beispielhaft heraus greifen.

Da haben wir auf der einen Seite den französischen Staatspräsidenten, der sich - wenn man den Medien -> hier <- glauben darf - nicht zu schade ist zu behaupten: "Die Finanzkrise ist hinter uns, die Ursachen sind behoben." Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich jetzt laut lachen.

Wir haben aber natürlich auch unsere Bundeskanzlerin, mit Ihrer ebenso verfehlten Logik der "Alternativlosigkeit". Und das bei einem Kernthema der Gestaltung unserer Zukunft, wirklich DER Frage unserer Generation. Und wir haben unzählige Parteisoldaten, die einfach nachplappern und damit gedankenlos das genaue Gegenteil von dem verkünden, was 50 Jahre lang seit Adenauer unter der Überschrift "eine starke Währung ist gut für Deutschland" das Mantra jeglicher bundesdeutscher Regierungspolitik war.

Wir haben also auf der einen Seite eine Politik, die sich den realen Problemen in eine Phantasiewelt entzieht und glaubt, wenn man nur immer wieder und ausreichend das eigene Mantra beschwört, würde ja alles gut. Gerade wir Deutschen haben ja eine traurige Tradition darin, über den rational vertretbaren Punkt hinaus an einer Überzeugung fest zu halten. Ich will dafür gar nicht die Reichskanzlei bemühen, sondern Honeckers "Vorwärts immer, Rückwärts nimmer" ist doch das viel schönere und passendere Zitat dieser Scheuklappenpolitik.

Und auf der andern Seite haben wir eine unglaubliche, unter der Decke brodelnde Wut im deutschen Bürgertum. Eine Wut, die medial nicht richtig an die Oberfläche tritt, weil ihr bisher das Vehikel fehlte, um sich zu artikulieren. Und weil die Presse in "diesem unserem Lande" eben doch eine teilweise Symbiose mit der Politik eingegangen ist - alleine der dominante öffentlich-rechtliche Rundfunk sorgt schon dafür. Das ist ja kein Wunder, wenn 65 Jahre lang letztlich die gleichen Parteien die Macht im Staate inne haben.

Diese Wut zeigte sich bisher eher in Resignation und in Form von immer weiter steigenden Nichtwählerzahlen. Mit der "Alternative für Deutschland" hat diese Wut nun aber einen Katalysator bekommen. Und einen treffenden Blick auf das Brodeln unter der scheinbar ruhigen Oberfläche erlaubt beispielsweise das, was aktuell im Handelsblatt passiert ist.

Da hat das Handelsblatt ein Interview mit Bernd Lucke, dem AfD-Chef gebracht und das unter eine - nunja, etwas populistisch überspitze - Überschrift gesetzt, die die AfD in Richtung NPD rückte. Nicht unüblich im "Kostenlos-Web", in dem man um Aufmerksamkeit ringen muss, aber deswegen keine hinreiche Entschuldigung. Insofern eigentlich geschenkt und nichts Überraschendes, der Artikel als solcher war aber überwiegend in Ordnung, da habe ich schon Schlechteres gelesen.

Darauf hin brach ein "Shitstorm" von Lesern des Handelsblatts los, den man teilweise hier nachlesen kann: -> Unverschämte und dreiste Beleidigung <-. Und die Leser des Handelsblatts entstammen im Schnitt ja schon dem, was man gemeinhin "gebildetes Bürgertum" nennt.

Und es gab eine (für mich persönlich) kleinkarierte Reaktion des Handelsblatt Chefredakteurs, die man hier nachlesen kann: -> Liebe AfD Freunde <-

Wäre ich der Verleger, würde ich den Mann sofort ablösen, denn auch wenn man inhaltlich schon seiner Meinung sein kann, ist es für eine Führungskraft ein absolutes "NoGo", den eigenen, nicht völlig grundlos empörten Kunden, mit einem beleidigten "you made my day" sozusagen den virtuellen Mittelfinger entgegen zu strecken.

Warum erzähle ich Ihnen diese Anekdote ? Weil sie bezeichnend für die wirkliche Stimmung in Deutschlands Bürgertum unter der Decke der "Alternativlosigkeit" ist. Und weil sie zeigt, wie offen die Nerven schon jetzt liegen. Schauen Sie einfach, was auch in anderen seriösen Publikationen wie der FAZ von gebildeten Bürgern geschrieben wird. Die unterdrückte Wut ist gewaltig. Und diese Wut sucht ein Ventil. Und nicht die Wut ist verwerflich, sondern die, die sie in einer für unser aller Zukunft entscheidenden Frage hervor rufen, weil sie sich einer ernsthaften Beschäftigung mit der Realität verweigern.

Zur Sache wissen Sie, dass ich kein Mitglied der AfD bin und auch keines werde. Wie ich auch kein Mitglied einer anderen Partei werde. Und das ich keineswegs alles gut und richtig finde, was die AfD vertritt. Das ich es aber massiv begrüsse, dass diese vermeintliche Alternativlosigkeit nun aufgebrochen wird und wir endlich über diese entscheidende Zukunftsfrage diskutieren. Dem Eindruck es mit "Blockparteien" zu tun zu haben, konnte man manchmal wirklich haben, wenn man von allen Parteien des Bundestages diese identischen Glaubenssätze zum Thema Euro hörte - einem Thema das hochkomplex und eben keineswegs "alternativlos" ist.

Und Sie wissen, dass es für mich persönlich offensichtlich ist, dass dieser Euro - so wie er ist - eine völlige Fehlkonstruktion ist und uns ökonomisch zwangsläufig um die Ohren fliegt. Die einzige Frage ist, wann das passiert und ob wir damit geordnet umgehen, oder ob die Realität eine ungeordnete, chaotische Auflösung erzwingt. Und mit jedem Monat der "Alternativlosigkeit", wird das Risiko der ungeordneten Krise erhöht. Insofern ja, dieser Euro ist für mich der Spaltpilz an Europa. Und insofern liege ich in dieser Frage nahe an dem, was die namhaften Ökonomen, die die AfD mitgegründet haben, auch vertreten.

Möchte ich deshalb die D-Mark zurück. Nein, nicht notwendigerweise. Und Deutschtümelei und einen Rückfall in rein nationalstaatliches Denken möchte ich schon gar nicht. Gerade auch deshalb muss dieser Euro weg, weil er nationalstaatliche Egoismen und die alten Schubladen des alten Europas der Weltkriege befördert. Nein, ich möchte gerne eine starke, stabile Währung - egal wie sie heisst - und würde es sehr begrüssen, wenn es ein "Taler" eines Kern- oder Nord-Europas wäre, das kulturell besser zueinander passt und sich wirklich als echter integrierter Wirtschaftsraum vereint. Was dann zwangsläufig auch die Aufgabe nationaler Souveränität bedeutet.

Wenn ich diesen "Taler" aber nicht bekommen kann - und es spricht viel dafür, dass im aktuellen Europa so eine Entwicklung ohne einen Bruch unmöglich ist (was wieder an Frankreich liegt) - dann leben wir in Deutschland nach meiner Überzeugung mit einer neuen D-Mark weit besser. Die Schweiz macht es uns doch als Antithese vor unseren Toren vor, was von der Rhetorik des "Untergangs der deutschen Wirtschaft" in diesem Fall zu halten ist. Der Schweizer Franken ist völlig überbewertet und lastet schwer auf der schweizer Wirtschaft. Und die vergleichsweise kleine Schweiz hat viel geringere Möglichkeiten als ein Deutschland, das durch Binnenkonjunktur zu kompensieren. Und trotzdem, vergleichen Sie mal Arbeitslosenraten oder eben den Wohlstand und die Vermögen der Bevölkerung. Haben Sie das Gefühl, man lebt schlecht in der Schweiz ? Muss man noch mehr dazu sagen ?

Womit wir wieder zu diesem Gefühl kommen, das ich aktuell in mir drin habe. Dem Gefühl eine Welt zu beobachten, die sich in einer trügerischen Ruhe sonnt, bevor sich die Zukunft wild und dynamisch Bahn bricht. Das Gefühl nun ein paar Wochen des Sommers vor mir zu haben, bevor uns Krise und Chaos wieder einholen.

Denken Sie an diese Wut, die da latent im Bürgertum brodelt. Die manchmal noch als Resignation daher kommt, eine Resignation die sich aber schnell in Aggressivität wandelt, wenn sich dafür ein Katalysator bietet.

Denken Sie an die kommende Bundestagswahl. Denken Sie daran, wie die Börsen der Welt auf die Umfragen starren werden. Denn in Deutschland entscheidet sich die Zukunft des Euros. Denken Sie daran, was die Handelsprogramme der Grossfinanz machen werden, wenn die AfD in den Umfragen steigt und steigt. Denken Sie daran, wie sich dadurch das Haupt der Eurokrise wieder erhebt und wie es ausgeschlachtet werden wird, um Sündenböcke zu suchen. Denken Sie daran, wie hier im Lande die Stimmung giftig werden wird, wenn die Pfründe der vorhandenen Parteien in Gefahr geraten.

Vor uns liegt ein heisser Herbst. So viel ist sicher. Und wenn in diesem Prozess etwas schief geht, dann kann es auch einen Knacks geben, der weit über Deutschland hinaus geht. Und die weltweiten Börsen werden darauf in einer Art und Weise reagieren, gegen die die Sorgen um Griechenland ein laues Lüftchen waren. Und die Notenbanken werden versuchen, die Dosis der Medizin zu erhöhen und noch aggressiver Geld aus dem Helikopter werfen.

Der Einsatz steigt auf jeden Fall. Für uns in Europa geht es in den kommenden Monaten und Jahren ums Ganze. Und wenn überhaupt etwas alternativlos ist, dann die Zwangsläufigkeit, mit der uns die ökonomische Realität in Europa in diese Entscheidung hinein treibt. Denn die Realität lässt sich eine Zeit lang mit Plakaten nach dem Motto "Vorwärts zum x-ten Parteitag" überkleistern, irgendwann bricht sie sich aber Bahn.

Womit ich mit dem absurdesten Satz enden möchte, den ich seit langem gelesen habe:

Die Finanzkrise ist hinter uns, die Ursachen sind behoben.

Amen !

Geniessen wir deshalb diesen Sommer 2013. Wir werden die Ruhe brauchen. Der Herbst kommt mit Stürmen. Denn die Welt ist im Wandel ...

Ihr Hari

PS: Und ich beginne mit dem "Geniessen" am Pfingstmontag. Das ist ein normaler Handelstag, aber ich werde ihn überwiegend als Feiertag geniessen. Rechnen Sie also mit einer Meldung in "Hari Live", aber nicht mit einem Artikel. Am Dienstag bin ich wieder voll da. Wir sprechen uns auf jeden Fall vorher am Sonntag im Premium Bereich bei den "Sonntag Links".

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16 Gedanken zu „Pfingsten 2013 – Die Ruhe Europas vor dem heissen Herbst“

  1. „Die Welt ist im Wandel“. Treffender kann man es vielleicht nicht ausdrücken.
    Es herrscht eine trügerische Ruhe, fast wie vor einem Gewitter. Und Gewitter sind bekanntlich etwas Gutes, da sie die Luft reinigen, bevor die Sonne kommt.
    Der Euro in dieser Form bringt Unglück über Europa, trennt die Völker, stiftet Unfrieden.
    Doch Bürokraten und Politiker in Brüssel haben diese Stärke verbürokratisiert. Sie werden es nie begreifen.
    Künstliche, große und zentrale Systeme kollabieren immer. Die einen früher, die anderen später.

  2. Sehr treffender Artikel, danke dafür.

    Alternativlosigkeit und Blockparteien, Staatspresse die nichts dagegen sagt, Wahrheiten die nicht ans Licht kommen. Der große Teil meiner Bekannten, auch vermeintlich gebildete Leute, haben noch nie etwas von Target Salden gehört. Niemandem ist das Ausmaß unserer Verpflichtungen für europäischen „Freunde“ bewußt.

    Wir sitzen auf einem Pulverfaß!! Und wir werden einen Chrash bekommen, die Frage ist nur wann.

    Ich bin regelmäßiger FAZ Leser. Dieses Blatt ist ein wohltuender Pol in der Presselandschaft. Hier sieht man überwiegend die Lage genau so, auch in der Leserschaft.

    Jetzt aber erst mal schöne Pfingsten !!

  3. super artikel. ich denke, dass die stimmung im „bürgertum“ auch so schlecht ist, weil jeder weiß, dass es keine „alternativlosigkeit“ gibt, es aber immer so probagiert wird. warum gibt es keine sachliche diskussion über den euro? warum wird jede kritik sofort mit „keulen“ bekämpft? warum wird der bürger nicht über jede alternative aufgeklärt?

    würde dies geschehen, dann würden die etablierten parteien m.e. vollkommen an ihrer sowieso schon angekratzten glaubwürdigkeit verlieren. niemand möchte eingestehen, dass es keine saubere lösung für dieses problem gibt und niemand möchte den gläubigern (rentnern) mitteilen, dass sie jahrelang in ein system eingezahlt haben, welches von anfang an so nicht lange erhalten bleiben konnte. und warum sollten ausgerechnet die personen etwas ändern, die derzeit von diesem system noch richtig profitieren? und das sind ja auch die personen, die uns das problem eingebrockt haben 😉

    und wenn es dann wieder zu einer handfesten (spürbaren) krise kommen wird und dann ZWANGSWEISE doch über alternativen nachgedacht werden muss, dann wird man einen großteil der bevölkerung enttäuschen (müssen). ich denke nicht, dass dies einfach so hingenommen werden würde.

    die afd bietet spricht das problem zumindest an. aber welche alternative bietet sie? ich denke, dass niemand wirklich abschätzen kann, was wirtschaftlich und politisch am vernünftigsten wäre. spannende zeiten……

  4. Ein sehr schöner Artikel. In dieser Zeit, bald 100 Jahre vor dem Ausbruchs des ersten Krieges, kommt einem so manches in den Sinn. Das vereinigte Europa und als Krönung der Euro sollte einst dazu führen, dass Friede herrsche und die Völker niemals mehr Krieg gegeneinander führen würden. Auch ich glaube nicht, dass das so bald wieder passieren wird. Aber wir sind auf dem besten Weg, den Frieden in Europa und die Gemeinsamkeit wieder zu verspielen.

    Das hat die verschiedensten Ursachen. Zum einem verlassen uns allmählich die Menschen, die dies schreckliche Geschehen noch selbst miterlebt haben. Wir Nachgeborenen haben keine persönlichen Erinnerungen an diese leidvolle Zeit. Dies wird verkörpert durch die Generation der Politiker, die heute entscheiden. Adenauer, Kohl, noch heute Schäuble, alles Staatsmänner, die am Rhein, nahe der französischen Grenze aufgewachsen sind, und den innigen Wunsch verspürt haben, mit Frankreich in Freundschaft zu leben. Dies begann sich zu lockern unter Schröder, wird heute unter Frau Merkel gut sichtbar. Frau Merkel, selber aus der Uckermark kommend, schaut stärker Richtung Nordosten. Die Gemeinsamkeit mit Frankreich wird von ihr emotional nur wenig empfunden. Dies hat Rückwirkungen, die jungen Leute in den romanischen Ländern lehnen heute Frau Merkel, lehnen Deutschland ab. Aus ihren Reihen werden dereinst die Führer dieser Länder kommen.

    Der Euro spielt bei alldem eine unheilvolle Rolle. Er sollte einst die Krönung der Vereinigung Europas sein, heute ist wegen ihm Europa in Unfriede geraten. Das hat neben den politischen, neben den emotionalen Gründen ökonomische Gründe. Man könnte natürlich sagen, die fröhlichen Romanen hier , die beflissenen Mitteleuropäer dort, das kann auf die Dauer nicht gut gehen, wenn sie sich nicht zusammentun wollen. Ganz so einfach ist es nicht. Deutschland hatte seine Krise nach dem Ende des New-Economy-Booms, damals war Deutschland, nicht der Rest, der „kranke Mann Europas“. Dass es heute umgekehrt ist, liegt unter anderem an den Reformen, zu denen die Politik angesichts der ökonomischen Lage regelrecht gezwungen war. Man muss heute anerkennend sagen, dass Gerhard Schröder damals die Kraft hatte, diese Reformen in Gang zu setzen. Dadurch hat die deutsche Politik viel Vertrauen zurückgewonnen, Vertrauen, von dem sie heute noch zehrt. Und es führte dazu, dass viele nötigen Reformen durchgeführt wurden, die den südlichen Ländern erst noch bevorstehen.

    Dieses Vertrauen haben die romanischen Länder heute überwiegend nicht, auch nicht Frankreich, das andere große Kernland Europas, wo sich, wie schon so oft, die Zukunft Europas entscheiden wird. Es war heute in „Finanz und Wirtschaft“ zu lesen, dass sämtliche wirtschaftlichen Schlüsselgrößen der französischen Wirtschaft sich massiv verschlechtert haben. Läuft diese Entwicklung ungebremst weiter, dann ist ein Umsturz der politischen Verhältnisse unausweichlich. Es hängt daher sehr viel davon ab, ob die französische Führung, ob Präsident Hollande die Kraft zu einer grundlegenden Umorientierung hat. Hat er sie nicht, dann wird er rasch scheitern, aber nicht nur er, sondern auch der französische Staat. Und dies kann unvorhersehbare Rückwirkungen auf Europa haben. Das ermutigende ist allerdings, dass die französischen Wähler einsichtig sind. Die Maßnahmen, die nötig wären, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen, finden in den Umfragen Zustimmung. Und wenn dieser Weg eingeschlagen würde, dann würde die Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland auch wieder besser funktionieren. Insofern werden die kommenden Monate in der Tat entscheidende Monate werden.

    Ein Großteil der Misere liegt in der Entwicklung der Weltwirtschaft begründet. Überall altert die Bevölkerung. Überall sind mehr Ersparnisse vorhanden als Investitionsprojekte. Das Geld fließt ins Ausland, woher das Wachstum nur noch kommen kann. Damit es aber ins Ausland fließen kann, muß es dort erwirtschaftet werden. Das können die Deutschen recht gut und auch die Schweizer oder auch die Chinesen. Die Franzosen aber oder die Italiener oder Spanier können es gar nicht. Und weil die einen es können, die anderen aber nicht, entwickeln sie sich immer weiter auseinander. Diese Unterschiede hätte man früher verringert durch Abwertungen; das geht heute nicht mehr. Und irgendwann wird es gar nicht mehr gehen, weil die romanischen Länder nicht bereit sein werden, sich dauerhaft mit einer ständigen Verschlechterung ihrer Lebenssituation abzufinden. Also muß man die Dinge ändern, und zwar grundlegend. Oder sie ändern sich eines Tages von alleine.

    Die Frage ist allerdings, ob das alles viel helfen wird. Es kündigen sich in der technologischen Entwicklung grundstürzende Neuerungen: Beim Autobau, in der Robotik, bei der Energiegewinnung, in der Biotechnologie, in zahlreichen anderen Bereichen. Die Firmen, die diese Technologien entwickeln, sind gerade im Begriff, sich zu entfalten; und diese Entfaltung hat das Zeug, die heutigen Industrien von Grund auf zu verändern. Alle diese Entwicklungen finden in den USA statt, was zu deren Re-Industrialisierung und damit ihrem Wiederaufstieg führen wird. Dagegen sehen die Europäer buchstäblich alt aus. Und die Amerikaner sind nicht die einzigen; zahlreiche asiatischen Länder drängen nach oben, wir werden es erleben. Europa läuft Gefahr, zum Museum zu werden, das man sich gerne anschaut, um zu sehen, wie das war in der guten alten Zeit, um anschließend wieder nach Hause zu fahren, dorthin, wo die Musik spielt.Dass diese Entwicklungen in den USA stattfinden, ist kein Zufall, denn dies ist das Land, wo die Möglichkeiten, und vor allen Dingen die Mentalität keine Grenzen kennt; was möglich ist, kann und wird irgendwann gemacht werden, und es wird von dort kommen.

    Sind das unausweichliche Entwicklungen? Nicht unbedingt. Aber es sind Entwicklungen, die eintreten werden, wenn man glaubt, die Probleme seien gelöst, was manche Politiker tun. Sie sind es nicht; sie werden im Gegenteil immer größer werden, wenn man alles wie bisher weiterlaufen lässt, und es könnte sein, dass die heutige AfD Gesellschaft bekommen wird; aber nicht von harmlosen Bürgern, sondern von Leuten, welche die Dinge grundlegend anders verstehen. Man muss also, wie Schröder einmal sagte, die Dinge ändern, damit sie bleiben können, wie sie sind. Was den Euro angeht, so wird dieser auf die Dauer nicht funktionieren, wenn er in der heutigen Zusammensetzung bestehen bleibt. Soll aber die heutige Zusammensetzung bestehen bleiben, dann müssen die Länder an einem Strang ziehen, und zwar mit allen Konsequenzen. Das Ergebnis wäre dann kein europäischer Staatenbund mehr, sondern eher eine Art von Imperium. Genau das scheinen die südlichen Länder zu befürchten, weil sie dieses Europa als ein von Deutschland dominiertes Europa im Entstehen sehen. Tatsächlich ist es heute schon so, dass es kaum eine Entscheidung gibt, die gegen den Willen von Frau Merkel getroffen werden kann.

    Eine Richtungsentscheidung darüber, wie es in Europa weiter gehen soll, wird von uns hier in Deutschland im Herbst getroffen werden. Dabei sind die Alternativen eher entmutigend. Die ebenso alternativlose wie konzeptionsarme Frau Merkel (mit wem als Koalitionspartner eigentlich?) steht zur Wahl oder der von Agenda-2010-Gegnern eingemauerte Herr Steinbrück. Dieser ist ein wackerer Mann, aber einer ohne Truppen. Als Koalitionspartner gesellen sich hinzu vielleicht der brave, aber unbedarfte Herr Rösler oder Herr Trittin von den Grünen, der ein ganz brauchbarer Umweltminister war, aber wohl besser bei seinem Kerngeschäft geblieben wäre. Aber das muss ja alles nicht so bleiben; wenn die Bürger sehen, wenn die Mittelschicht sieht, daß ihnen jemand eine brauchbare Konzeption vorlegt, dann könnte es durchaus sein, dass sie diesem jemand folge, Dieser jemand wir aber nicht von der Linkspartei kommen, auch nicht von den Piraten. Auch die braunen Gangster will niemand wieder haben. Aber es könnte sein, dass in der kommenden Zeit neue, andere Leute in Erscheinung treten werden, die wir heute noch gar nicht kennen. So neu, wie Angela Merkel damals war, als vermeintlich harmloses Mädchen, die kurz und knapp Helmut Kohl erledigte. Vielleicht wird es wieder so jemand sein.

    Wie die neue Zeit werden wird, das wissen wir heute nicht. Aber sie wird kommen.

  5. Wenn man gegen den Euro-Wahnsinn ist, bleibt ja momentan als einzige Lösung nur die AfD zu Wählen.
    Es sei denn der von uns allen geschätzte Hari würde selber eine Partei gründen.
    Meine Stimme bei der Wahl wäre da schon mal sicher.
    Viele Leute wissen, das hier so einiges schief läuft, aber was kann man denn dagegen machen ?
    Komme mir da irgendwie etwas hilflos vor. Am besten vielleicht Auswandern, möglichst weit weg aus dem Euroraum ?

    Trotz allem, schöne Pfingsten erstmal !

  6. @hari

    na bin gespannt ob die AfD tatsächlich „steigt und steigt“ … ich denke leider, dass die Wahrscheinlichkeit ungleich größer für ungefähr 7% sind und sich ansonsten nicht viel ändert -,-
    …beneide aber Deutschland darum überhaupt irgend etwas wählbares zu haben

    Gruß und fröhlichen Genuss

  7. @fschiemann66, Danke, aber ich würde scheitern. In der Welt der Wahlen und Parteien ist Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit kein Gut, mit dem man viel besehen kann.

    Wenn ich mir anschaue wie die Gründer um Lucke bei der AfD das Thema hoch ziehen, dann machen die das schon erstaunlich gut und professionell. Man merkt dass da im positiven Sinne politische Profis beteiligt sind. Das ist jetzt keine Aussage zu den Inhalten, sondern zum Prozess. Viel besser kann man das bei diesem Gegenwind nicht hinbekommen, denn am Ende legen die sich gerade mit dem kompletten Establishment der Republik an. Und da wird jeder – absolut jeder – Griff unter der Gürtellinie versucht werden, den man sich nur vorstellen kann.

    Ich wäre auch nicht verwundert, wenn man der AfD beim Zulassungsverfahren versucht Steine in den Weg zu legen. Denn die Partei ist noch nicht zur Wahl zugelassen. Denn von wem wird die Wahlleitung und Wahlkommission ernannt ? Dreimal darf man raten. Wenn das aber passiert, dann bekommen wir hier eine Staatskrise im Land, denn die Unterstützer der AfD sind keine kraakelenden Idioten. Insofern hoffe ich sehr, dass uns die etablierten Parteien wenigstens diese Staatskrise ersparen.

    Auch mir würde man mit dem Vorwurf „braun“ zu sein kommen, das ist sicher. Und sicher würde sich auch irgendwo ein Satz von mir finden, den man so verdrehen könnte. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

    Man muss sich nur -> hier <- anschauen, was dieser unsägliche Menzel vom Handelsblatt da produziert und dann lesen, was Lucke wirklich gesagt hat. Es war – zu Recht – auch übrigens immer das Ziel der CSU, am rechten Rand keine Partei zuzulassen, weil man deren Protestwähler an sich band, statt sie in den Extremismus abwandern zu lassen. Diese Bindekraft zeichnet demokratische Parteien gerade aus. Was bei der CSU staatsbürgerliche Pflicht ist, wird bei der AfD aus höchst durchsichtigen Motiven zum Skandal erhoben.

    Was Menzel da gemacht hat ist für mich unterste Schublade und eigentlich ein Fall für die Selbstkontrolle der Presse. Ich habe schon versucht heraus zu bekommen, was der Mann für ein Parteibuch hat. Darüber schweigt das Web aber.

    Wenn ich mir vorstelle, dass man mit mir so umgehen würde und mein Sohn und meine Familie darunter leiden müsste, würde mir die Galle hochkommen um es noch vorsichtig zu formulieren. Ich bin für dieses schmutzige Geschäft seelisch einfach nicht gemacht, dafür nehme ich die Dinge zu schwer. Mir fehlt die „leck mich am A****“ Haltung, die man in Angesicht solcher Schmutzkampagnen haben muss um zu überleben.

    Und deshalb gehe ich auch nicht in die Politik, obwohl ich auch aufgrund meiner Fähigkeit frei vor grossen Menschenmengen zu reden, sehr wohl weiss, dass ich gute Wirkung erzielen könnte. Besser als so manche die da in Talkshows salbadern, bekomme ich das allemal hin.

    Nur halte ich das emotional und seelisch nicht aus, mich permanent mit diesen Verdrehern, Pharisäern und Fallenstellern auseinander setzen zu müssen. Das macht mich innerlich fertig, dafür bin ich nicht geschaffen. Ich liebe die intellektuelle Auseinandersetzung mit offenem Visier. Die darf und soll auch hart sein, aber eben mit offenem Visier und Ehrlichkeit bei der eigenen Motivation. Die Politik funktioniert anders. Die funktioniert in Hinterzimmern, mit auskungeln und antichambrieren.

    Und das liegt nicht daran, dass Politiker perse schlechte Menschen seien, es ist leider eine Folge der Selektion durch die aktuelle Form des demokratischen Systems. Denn da es von aussen für den Wähler unmöglich ist zuverlässig zu erkennen, wer rechtschaffend und wer ein Windbeutel ist, kommt es weniger auf das Sein, als auf den Schein an. Und es ist im politischen Alltag viel wichtiger welches Etikett man an einen kleben kann, als was man geleistet hat. Ich sehe keinen Weg das zu ändern, weil es in der Beschränktheit unser Wahrnehmungsfähigkeit als Menschen begründet ist. Damit müssen wir leben. Das ist der Preis der Demokratie. Immerhin können wir in der Demokratie die Maulhelden wählen, die uns dann anführen und haben ab und zu auch mal einen positiven Treffer. In einer Diktatur bekommen wir die Kims dann vorgesetzt.

  8. @Tokay, schöne Replik, hättest Du auch einen Artikel draus machen können.

    @All,

    Ich fände es übrigens ganz toll, wenn sich andere Leser finden würden, die im Stil meines Artikels den Mut haben aufzuschreiben, wie sie sich im Moment inmitten von Europa in dieser Lage fühlen. Und was sie denken und fürchten und erhoffen.

    Wäre ein ganz tolles Thema über Pfingsten, wenn sich da in Form einer kleinen Artikelreihe „Hier sprechen Europas Bürger“ ein paar weitere Stimmen finden, die den Mut zum eigenen Artikel haben.

    Man darf ja mal träumen ! 😉

    Und wer meinen Traum erhört, darf mir an meine E-Mail gerne seinen Artikel schicken. Er muss auch nicht sehr lang sein, einfach nur ein ehrliches Statement, wie man die Lage empfindet und wie man in die Zukunft schaut.

  9. @Hari

    merci vielmal. Du könntest ja, wenn noch mehr Stellungnahmen zu dem Thema kommen, einen „best of“ Artikel daraus machen oder so eine Art „Presseschau“, „Leserecho“, oder wie man das auch nennen mag. Wichtig ist das Thema allemal.

  10. Toller Artikel, der in vielem meine Gedanken und Sorgen ausdrückt.

    Bei mir ist gerade der Wurm drin. Seit dem Gold“crash“ bin ich mehr denn je der Meinung, dass die Märkte sich nach und nach manipulierten Spielcasinos annähern. Dementsprechend schwach ausgeprägt ist deswegen gerade meine Lust, mich mit den Märkten zu befassen.

    Aufgrund der leicht psychotischen Natur von Mr. Market ist es ja eh schon schwer genug, einzuschätzen, wohin sich die Märkte bewegen. Wenn aber dann noch einschätzen muss, wie sich die Politik und zuallervorderst die Groß- und Notenbanken in die Preisbildung einschalten und über das Zu- oder Abpumpen von unvorstellbaren Mengen an Liquidität ganze Märkte nach oben oder unten bewegen, dann wird es mir zu schwierig. Preisbildung aufgrund fundamentaler Gesetze wie z.B. Angebot und Nachfrage? Weniger denn je, IMHO!

    Wie geht es nun weiter? Wie Tokay schon angesprochen hat, hat die USA noch am ehesten die Mentalität, sich neu zu erfinden und sich am eigenen Schopf aus der Misere zu ziehen. Allerdings läuft dort auch die Liquiditätspumpe am ungehemmtesten.

    Für Europa sieht es nicht gut aus. Man wurstelt sich nun schon seit mehreren Jahren mit den bekannten Ad-hoc-Maßnahmen durch, die darauf abzielen, unsere Probleme über die folgenden Kompromisse zu lösen: ein bisschen Wachstum, ein bisschen Schuldenschnitt, ein bisschen Inflation, ein bisschen Staatsanleihenankauf, ein bisschen Sparen. Mal versucht man mehr vom einen, mal mehr vom anderen. Herauskommen tut dabei nicht viel, und unter der Oberfläche werden die Probleme nicht besser, sondern schlimmer.

    Als in Köln vor einigen Jahren (2009) ein U-Bahntunnel und damit das Stadtarchiv aufgrund von baulichen Fehlern und wohl auch Manipulationen eingestürzt ist, habe ich das damals als ein Gleichnis empfunden, wie die finanziellen aber auch die damit zusammenhängenden moralischen Grundlagen unseres Gesellschaftssystems unter der Oberfläche ausgehöhlt werden. Nun, ich finde nicht, dass es seither besser geworden ist in Deutschland. Die finanzielle Situation der öffentlichen Hand hat sich zwar seither nicht mehr verschlechtert (ich mache das jetzt mal vereinfachend am Schuldenstand/BIP fest), aber unter der Oberfläche gärt es natürlich weiter, und über kurz oder lang werden wir auch alle die Folgen zu spüren bekommen: Steuererhöhungen, mehr Altersarmut, höhere Strom- und Energiepreise, auf breiter Ebene schrumpfende Leistungsfähigkeit des Staates (Bildung und Ausbildung) etc. etc.

    Unsere Jugend wird uns die so hinterlassenene verbrannte Erde in irgendeiner Form danken, aber auf diese Art des Dankes würde ich ehrlich gesagt lieber verzichten!

  11. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das: -> Die Krise des Euro ist vorbei <-

    Man kann daran schon die ganz typisch Merkelsche Strategie zur Bundestagswahl erkennen. Gesundbeten und Totschweigen. Krise, welche Krise ? Das ist die Methode Blüm: „die Rente ist sicher“.

    Das dürfte die wenig überraschende – weil bei Merkel Standard – Strategie sein, mit der man die AfD klein halten will. Denn Merkel ist klar, in offener Feldschlacht – wenn die Probleme und Konsequenzen auf den Tisch kommen – ist für die „Euro-Retter“ kein Blumentopf zu gewinnen.

    Und diese Strategie hat gute Erfolgschancen, denn der grossen Mehrheit der deutschen Bevölkerung kann man in diesen Währungs-Themen problemlos etwas vor machen, die blicken das sowieso nicht. Ich weiss, das ist hart gesagt, imho aber die Wahrheit. Wenn die Eurokrise bis zur Wahl NICHT für den normalen Bürger wieder erlebbar wird, wird Merkel mit ihrer Strategie obsiegen.

    Für uns als Anleger ist wichtig zu verstehen, dass es in den Führungszirkeln der EU und der EZB garantiert einen Konsens darüber gibt, dass man bis zur Wahl Merkel das Leben leicht macht. Denn niemand in der heutigen EU Machtelite, hat ein Interesse daran, dass Deutschland wackelt und sein Kommitment zum Euro in Frage steht.

    Deshalb wird die EZB bis zur Wahl aus allen Rohren feuern, darauf müssen wir uns als Anleger einstellen. Die Geschichte vom „stabilisierten Euro“ muss unbedingt bis zu Wahl halten. Wir haben also einen echten, dicken Mario-Put im Markt.

    Es gibt bei dieser Strategie nur eine weiche Stelle, die nicht von der EZB kontrolliert werden kann. Und das ist, wenn eine der anderen grossen Währungen bzw die Bondmärkte ins Kippen kommen. Japan ist dafür ein Kandidat und es kann sein, dass die BoJ die Kontrolle über die Bondmärkte verliert. Das wäre fatal, denn bei steigenden Renditen ist Japan schnell Pleite. Und die Schockwellen die um die Welt gehen, wenn Japans Bondmarkt ausser Kontrolle kommt, die Schockwellen kann auch keine Merkel und kein Mario mehr kontrollieren.

    Trotzdem ist das wahrscheinliche Szenario bis zur Wahl:

    1. Die EZB feuert aus allen Rohren und die scheinbare „Stabilisierung“ der Eurozone bleibt erhalten. Wer will denn auch den dummen deutschen Michel mit ökonomischen Wahrheiten belästigen. Pfui, das überfordert den doch.
    2. Merkel ist mit ihrer Strategie erfolgreich. Die AfD wird klein gehalten, erzwingt aber durch die Prozente die sie CDU wie SPD abnimmt eine neue grosse Koalition.

    Und die Strategin Merkel hat dann genau das, was ihr sowieso am besten gefällt.

    So weit mal mein Blick in die nicht vorhandene Glaskugel.

  12. Extrem ausgedrückt müsste man sagen: die Euro-Krise muss eskalieren, damit eine Lösung möglich wird.
    Hari hat den Zustand und gleichzeitig das Dilemma der Politik sehr treffend beschrieben: (…) Die Politik funktioniert anders. Die funktioniert in Hinterzimmern, mit auskungeln und antichambrieren. (…).
    Was auf der anderen Seite eine Stärke unseres politischen Systems ist, ist auf der anderen Seite seine größte Schwäche.

    Das Problem sitzt jedoch tiefer. Was wir derzeit erleben, ist ein Systembruch, nicht nur eine Wirtschafts- bzw. Finanzkrise.
    Ich bin mir sicher, dass 90% unseres politischen Führungspersonals diese Krise nicht nur ansatzweise versteht. Wie will man etwas lösen, wenn man es nicht versteht. Inkompetenz und Lobbyismus sind stark verbreitet.

  13. Hari, das ist wieder ein Artikel, der ins Schwarze trifft!

    „Erstens steht uns in Europa kein neuer Krieg bevor, zumindest kann ich mir das nicht vorstellen.“

    Nein, ich auch nicht! Die europäischen Staaten können sich bestenfalls nur noch Miniheere leisten, in D ist die allgem. Wehrpflicht eh abgeschafft, und selbst die beiden europäischen Mini-Atommächte können nicht mal mehr einen Überfall auf so einen unbedeutenden Gegner wie Libyen ausrichten, wenn ihnen der große Bruder vom andern Atlantikufer nicht zu Hilfe kommt.

    Nein, Krieg wird es nicht geben, solange alljährlich ein Multimillionen schwerer Singezirkus veranstaltet wird, wo sich Millionen von TV-Abhängigen alle lieb haben (auch wenn D von diversen europäischen Pleitestaaten wiederum keine Sympathie entgegenwehte), denn wie heißt es so schön:

    „Wo man singt, da lass dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder. “

    [Ende der sarkastischen Randbemerkung]

    Das mit dem „Krieg“ ist natürlich ernst zu nehmen, denn die blödsinnige Alternativlosigkeits-These „Stirbt der Euro, dann stirbt Europa!“ soll bei tumben Wählern die Angst vor einem neuen Krieg in Europa schüren, aber diese „logische“ Kausalkette wird nicht zu Ende ausgesprochen, so dämlich ist die geistige Urheberin nicht …
    Und außerdem: „Europa“ stirbt sowieso nicht! Erstens, weil zu Europa mehr gehört als nur die EU, und zweitens stirbt höchstens die Wohlfühl- und Heile-Welt-Idee von den „Vereinigten Staaten Europas“, was in meinen Augen eher gut und nicht schlecht wäre! Man erinnere sich nur an den mit stolz geschwellter Brust initiierten „Lissabon-Prozess“ von vor 13 (!) Jahren, als es hieß, bereits 2010 werde die EU zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt „!
    Tja, da kann man nur sagen: Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet! (Und der liegt nicht nur platt auf dem Boden der Tatsachen, sondern liegt auch noch mit leeren Taschen da.)

    Hari, ich bin mit dir vollkommen d’accord, was diese Missgeburt Euro angeht, und dass dieses missglückte Experiment lieber früher als später beendet werden sollte, damit die Folgen nicht noch schlimmer werden. EU- und Euro-Kritik seitens eines Sarrazin oder diefreiheit.org konnte man noch in die Nazi-Ecke schieben, bei einem Lucke klappt das nicht mehr, dazu brodelt es schon zu heftig im Bürgertum. Deshalb ist es tatsächlich eine „unverschämte und dreiste Beleidigung“ der AfD, die das Handelsblatt verbockt hat – vom spiegel/freitag oder taz hätte man sowas erwarten dürfen, aber vom HB?!?

    „Vor uns liegt ein heisser Herbst. So viel ist sicher.“ Aber bis zur Wahl muss mit immer neuen Euro-Mrd.-Lasten der Deckel auf dem Topf gehalten werden. Erst nach der Wahl wird alles möglich, auch das Undenkbare. Auch von jenseits des Atlantiks droht Ungemach, womöglich sogar zeitgleich, denn statistisch gesehen geht’s in Nach-Wahljahren ab September runter:
    http://www.seasonalcharts.com/zyklen_wahl_dowjones_postelection.html

    So sehr wie ich mit deinem Artikel und deinen Kommentaren übereinstimme, in einem Punkt kann ich deine Sichtweise nicht nachvollziehen (oder ich interpretier dich falsch):
    „Deutschtümelei und einen Rückfall in rein nationalstaatliches Denken möchte ich schon gar nicht. … Was dann zwangsläufig auch die Aufgabe nationaler Souveränität bedeutet.“
    Deutschland hat bestimmte Interessen, andere EU-Staaten haben andere. WIR haben ein Interesse an der Erhaltung unserer Automobil-, Maschinenbau- und Chemie-Industrie, und haben KEIN Interesse daran, unsere Wettbewerbsfähigkeit künstlich einzuschränken, schon gar nicht auf Geheiß von EU-Besserwissern aus Brüssel und den Pleitestaaten. Andererseits hat zB Frankreich ein Interesse daran, seine Landwirtschaft und deren Exporte zu stützen. Spanien lebt von seinem Tourismus, GB, CH und LUX vom Finanzmarkt und niedrigen Steuern. Jeder Staat hat seine typischen, historisch gewachsenen und geographisch bedingten Interessen, und jeder hat das Recht, diese versuchen durchzusetzen. Diese unter Aufgabe der nationalen Souveränitäten nivellieren zu wollen hieße, aus einem Lahmen einen Fred Astaire und aus einem Blinden einen Van Gogh machen zu wollen.

  14. @Der Zyniker, beim letzten Absatz haben wir – glaube ich – auch keinen grossen Widerspruch. Ich bin allerdings schon der Meinung, dass sich der Ansatz des „Nationalstaates“ im 21. Jahrhundert überholt hat. Richtig ist dagegen der Ansatz eines „Kulturkreises“, die gemeinsame Kultur ist viel wichtiger als willkürliche Grenzen des 19. und 20. Jahrhunderts.

    Mit meiner Ablehnung der Deutschtümelei wollte ich damit ausdrücken, dass ich gar kein Problem damit hätte – es genau genommen sogar begrüsse – wenn Deutschland als Staat in einem Zentral- bzw Nord-Europäischen Bundesstaat aufgeht. Entscheidend ist dabei aber, dass darin Bevölkerungen mit vergleichbarer Kultur sind. Aus Sicht der Entwicklung der Welt, muss der europäische Flickenteppich unbedingt zusammen wachsen, wenn er nicht in einer Welt der grossen Blöcke in die Irrelevanz absteigen will. Nur ist die logische Grenze nicht Europa – „Europa“ gibt es gar nicht, das ist ein Kunstprodukt. Selbst die Definition des Kontinents ist geologisch willkürlich und nur politischem Willen geschuldet. Europa war halt das Machtzentrum in der Welt, als die Kontinente definiert wurden. Da musste Europa einfach ein eigener Kontinent sein. Eine geologische Notwendigkeit dafür gibt es nicht, mit gleichem Recht könnte Indien auch ein Kontinent sein. Es gibt aber grosse kulturelle Identitäten innerhalb Europas.

    Und ich hatte schon mal vor einem Jahr geschrieben – auch wenn das zu den „politisch verbotenen“ weil unkorrekten Wahrheiten gehört – dass diese kulturelle Scheidelinie immer noch viel mit der alten aus dem 30-Jährigen Krieg stammenden Scheidelinie zwischen Protestantismus und Katholizismus zu tun hat. Der Protestantismus bzw Calvinismus hat einen Arbeitsethos und ein modernes Staatsverständnis im Sinne „frage, was Du für den Staat tun kannst“ hervor gebracht. Deswegen dürfte Deutschland gar kein Problem haben, mit den meisten mittel und nordeuropäischen Ländern zusammen eine tiefere Integration hin zu bekommen.

    Ein gemeinsamer Staat mit Griechenland und Süditalien dagegen, ist von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Es fehlt massiv an einem gemeinsamen Wertesystem. Einem Wertesystem, das wir problemlos mit Niederländern oder Skandinaviern, aber selbst den Briten teilen könnten. Aber eben nicht mit den Mittelmeeranrainern, von den berühmten Ausnahmen wie Norditalien mal abgesehen.

    Insofern der Hinweis zur Deutschtümelei. „Deutschland über alles“ ist vorbei und im übrigen ein blödsinniges Konzept, denn auch Deutschland ist doch nur ein Reissbrettkonstrukt des 19. und 20. Jahrhunderts. Die kulturelle Identität Mitteleuropas ist viel wichtiger. Und in einem Bundesstaat der von einer gemeinsamen Kultur und gemeinsamen Wertvorstellungen geprägt ist, ist es auch kein Problem, wenn es dann Regionen mit grosser Industriedichte und andere Regionen mit mehr Tourismus gibt. Das ist doch in Deutschland auch nicht anders, denn Schleswig-Holstein ist nicht das Neckartal. Und trotzdem ist beides Deutschland und kommt friedlich miteinander aus.

    Ich bin also ein Europäer aus Überzeugung. Aber ich definiere Europa nicht geographisch sondern kulturell. Und es gibt auch keine zwingende Notwendigkeit, dass ganz Europa unbedingt ein gigantischer Verbund sein muss. Ein enges verbundenes und integriertes Kerneuropa wäre viel besser und würde ganz automatisch die Bindewirkung auf die Satelliten entfalten. Und das wäre dann eine positive Bindewirkung. Denn die Satelliten würden sich am erfolgreichen Kerneuropa orientieren und sich langfristig auch kulturell anpassen.

    Das Kernproblem bei all dem ist das Land, um das ich mich bisher bei den Aussagen gedrückt habe: Frankreich.

    Frankreich muss sich entscheiden, ob es ein katholisches Mittelmeerland sein will oder ein calvinistisch geprägtes Industrieland Mitteleuropas. Im einen Fall steht ein von Frankreich geführtes „Südeuropa“ dem industriellen Norden gegenüber und das schafft Konflikte. Im anderen, besseren, Fall kommt niemand an diesem gemeinsamen Kerneuropa vorbei. Dafür müsste Frankreich aber den in den Genen verdrahteten Irrglauben aufgeben, die stärkste Macht des Kontinents zu sein. Und es ist schwerlich zu glauben, dass das passieren wird.

    Letztlich ist das doch auch der Grund, warum die EU diese Fehlentwicklung hin zu immer mehr Staaten an der Peripherie genommen hat, statt das aus Deutschland, Frankreich, Italien und Benelux bestehende „Starteuropa“ der 60er Jahre weiter zu vertiefen. Frankreich war nie in der Lage die eigene vermeintliche „Gloriosität“ loszulassen und sich auf einen gemeinsamen Staat mit den Deutschen einzulassen. Zu gross ist die Sorge dabei unterzugehen. Deshalb hat man lieber immer mehr Staaten aufgenommen, die nie hätten aufgenommen werden dürfen. Die BRD wäre schon in den 60er Jahren zur Vertiefung bereit gewesen. Frankreich war es damals nicht und ist es heute immer noch nicht.

    Wenn man so will, ist das Elend der übergrossen Erweiterung eine Folge der Unfähigkeit Frankreichs sich als das zu sehen was es ist: ein mittelgrosses, durchschnittliches Land in der Welt. Frankreich will mehr sein, kann es aber nicht. Daran krankt die europäische Union seit der Geburt. Und mit der Wiedervereinigung Deutschlands wurde das Problem virulenter. Umgekehrt kann aber Deutschland ohne Frankreich kein Kerneuropa formen, weil die kleineren Satelliten um Deutschland sich nie in eine Union mit diesem Koloss Deutschland begeben würden, wenn da nicht das Korrektiv Frankreich enthalten ist.

    Frankreich müsste akzeptieren nur die Nummer 2 zu sein. 80 Millionen Menschen sind in einer Demokratie nun mal mehr als 60 Millionen. Und wenn man die Sprache zum Massstab nimmt, sind es eher 100 Millionen zu 60 Millionen. Mit dieser Realität kommt Frankreich aber nicht klar. Da ist ganz viel Emotion und Selbstverständnis im Spiel, was man auch unter anderem an der lächerlichen Legende sehen kann, dass Frankreich eine „Siegermacht“ im 2. Weltkrieg war. Absolut lächerlich, nur weil ein General namens DeGaulle im Exil mit ein paar Tausend Franzosen war. Warum ist dann Polen nicht auch Siegermacht gewesen und hatte auch einen Platz im Weltsicherheitsrat ? Mehr Polen als Franzosen sind im Kampf gegen Hitler-Deutschland allemal gefallen.

    Man sieht an diesen Legenden das massive psychologische Problem. Frankreich will mehr sein als es ist. Das verhindert einen echten Bundesstaat auf dem Kontinent. Und ich sehe keine Änderung oder Lösung des Problems.

    Bei einer gegebenen kulturellen Identität eines Kerneuropas, sehe ich aber das von Dir beschriebene Problem des Blinden und Van Gogh nicht. Schon heute hat doch Baden-Württemberg viel mehr Gemeinsamkeiten mit der Schweiz als mit Mecklenburg-Vorpommern. Und ein Friese ist einem Niederländer um Welten näher als einem Oberbayer. Auch innerhalb Deutschlands gibt es doch Lahme und Fred Astairs und trotzdem stellt niemand in Frage, dass das alles Deutschland ist.

  15. Übrigens Nachtrag zum Thema Handelsblatt und AfD : Gabor Steingart – der ehemalige Chefredakteur und jetzige Herausgeber – rudert in seinem heutigen „Morning Briefing“ zurück:

    Zitat:

    „Kann man sich mögen und dennoch streiten? Und wie! Die Handelsblatt-Redaktion und ihre Leser bringen das zuweilen fertig. Der Abdruck eines kritischen Interviews mit dem Chef der „Alternative für Deutschland“ war aus Sicht unser Leser völlig in Ordnung. Was hunderte von Leserbriefschreibern (oder sind es bereits über 1000?) auf die Palme brachte, war die Interpretation der Redaktion. Aus einer Interview-Äußerung von Bernd Lucke („Grundsätzlich ist es gut, wenn jemand uns wählt und nicht die NPD“) war ein Rechtsruck der AfD geworden. Das wurde – nicht ganz zu Unrecht – als Ausgrenzung einer unbequemen, aber lupenrein demokratischen Partei verstanden. Möge die Sonderseite mit zornigen Leserbriefen der Befriedung dienen.“

    Das ist eine deutliche und vor allem mehr als gerechtfertigte Watsche an seine Nachfolger Stock und Menzel. Wahrscheinlich war Steingart letzte Woche im Urlaub und hat seinen Augen nicht getraut zu sehen, was seine Nachfolger angerichtet haben. Deren Verhalten war eines Chefredakteurs unwürdig – „you made my day“. Offensichtlich hat es Hausintern massive Kritik gegeben, denn es gehört auch schon ein Menge Borniertheit dazu, seinen Kunden mit „you made my day“ den medialen Mittelfinger zu zeigen. Wäre ich der Verleger, würde ich die beiden ablösen, denn in solchen schwierigen Situationen zeigt sich, ob jemand das Zeug und das Format zum Chef hat oder nicht. Test eindeutig nicht bestanden !

    Auf jeden Fall hat sich das Handelsblatt damit ein übles Ei gelegt und das wird für die Zukunft sicher zu mehr Vorsicht führen. Gegen die eigenen Kunden kann man halt kein Unternehmen führen.

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