SAP – meine grösste Fehleinschätzung. Oder warum man „Experten“ nicht immer trauen sollte.

Es war Anfang der 90er Jahre, ich berichtete zu dieser Zeit als Assistent an den damaligen deutschen IBM Research & Development Chef und hatte so durch meinen Chef die seltene Gelegenheit, ein denkwürdiges Treffen zwischen IBM und SAP aus nächster Nähe mitzubekommen. Die damals immer noch markbeherrschende IBM traf sich mit einer kleinen, aufstrebenden Softwareschmiede namens SAP, die seit 1988 an der Börse notierte und in Person von Hasso Plattner einen charismatischen Anführer hatte.

Es war zu diesem Zeitpunkt sichtbar, dass SAP mit R/3 einen Treffer gelandet hatte und die IBM hatte grosses Interesse, ihre Systeme und Datenbanken als Plattform für R/3 zu etablieren. Aus diesem Grund setze sich auch Topmanagement der US Division ins Flugzeug, um an diesem Meeting teilzunehmen.

Und da waren sie nun in einem Raum, die IBM Herren über zehntausende Mitarbeiter und Milliarden an Umsatz und dieser Herr Plattner, dessen SAP zu diesem Zeitpunkt noch einen Umsatz im dreistelligen Millionen-Umfang hatte. Hier traf also David auf Goliath.

Was dann aber geschah war, dass die Rollen völlig vertauscht wurden. Hasso Plattner bot in der ihm eigenen Art eine extrem selbstbewusste Vorstellung und setzte klar die Bedingungen, die IBM Herren wurden von ihm in die Rolle eines Bittstellers gedrückt. Dieses Meeting zeigte ganz klar, wer in diesem Moment Koch und wer Kellner war.

Mit meinem heutigen Wissen und meiner Erfahrung wäre ganz klar gewesen, was ich nach diesem nachhaltigen Eindruck gemacht hätte. Ich wäre am nächsten Tag mit allem Ersparten an die Börse gegangen und hätte SAP gekauft. So eine Gelegenheit, an der man die Chance hat ein Unternehmen zu erkennen, das vor Kraft kaum laufen kann – und dieses noch dazu, bevor es die breite Masse an der Börse bemerkt – so eine Gelegenheit, hat man nicht so oft im Leben.

Und was tat ich ? Ich war ja Experte für Software. Ich rümpfte die Nase über die vermeintliche Selbstüberschätzung dieser SAP. Einzig und alleine, weil ich einen rein technischen Blick auf deren Software hatte, die in meinen Augen vom Design her nichts Besonderes war. Ich war viel zu jung und unerfahren, um das zu erkennen worum es wirklich geht – um Geschäftspotentiale und nicht um Software-Design.

Auch Windows 3.1 ist ja nicht deshalb erfolgreich geworden, weil es eine technologisch besonders ansprechende Implementierung war. Ein gutes Stück spielte bei meiner Fehleinschätzung auch mein Dünkel eine Rolle, sich als Betriebssystem-Experte im Vergleich zu diesen Anwendungs-Programmierern der SAP wie ein Kampfpilot vorzukommen, der herablassend auf eine Cessna unter sich blickt. Völlig ungerechtfertigter Dünkel zwar, wie ich heute weiss, aber nicht unüblich für sogenannte „Experten“ mit ihren fachlichen Scheuklappen.

Ich kaufte also keine SAP, sondern irgendwelche Softwareaktien die technologisch tolle Software machten. Wer am Ende mehr Geld an der Börse verdient hat, hat das Schicksal dann ja eindeutig bewiesen. Ich brauchte ein paar Jahre und jede Menge Erfahrung mit geschäftlicher Verantwortung im Management, bis ich meinen Fehler erkennen konnte. Nur leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon eine mehrfache Verdoppelung des Kurses der SAP verpasst.

Und was lernen wir aus dieser Anekdote ? Dass sogenannte „Experten“ alles andere als verlässliche Ratgeber bei der Frage sind, ob eine Firma mit ihren Produkten in der Zukunft Erfolg haben wird und ob sie viel Geld verdienen wird. „Experten“ sind zu oft zu stark spezialisiert, als dass sie den Wald vor lauter Bäumen noch sehen könnten. Und sie unterliegen zu oft einem Experten- oder Standes-Dünkel, der in keinster Weise gerechtfertigt ist, sobald sie ihr kleines, beschränktes Wissensgebiet verlassen.

Heute könnte mir dieser Fehler nicht mehr passieren, heute interessiere ich mich aber auch nicht mehr für einzelne Bäume, sondern habe immer den Wald im Auge.

4 Gedanken zu „SAP – meine grösste Fehleinschätzung. Oder warum man „Experten“ nicht immer trauen sollte.“

  1. Sehr interessanter Artikel, teilweise erkenne ich mich auch selbst darin: Bin ebenfalls Informatiker und habe beispielsweise von Anfang an den Smartphone-Hype total unterschätzt bzw war einfach nicht wirklich überzeugt davon, weil ich die ewig gescheiterten Handy-Internet-Versuche (begann ja schon vor rund ~12 Jahren mit dem alles andere als tollen „W@p“ damals) einfach satt hatte. Erst nachdem ich selbst ein Smartphone gewonnen hatte und es dadurch gezwungenermaßen ausprobierte, konnte es mich schließlich doch noch überzeugen.

  2. Übrigens: Woran hättest du denn (abgesehen von der Selbstsicherheit SAP’s) erkennen sollen, dass aus SAP noch etwas großes wird?

  3. @ Clash, diese Selbstsicherheit wurde ja von vielen hochkompetenten Leuten sehr ernst genommen, die SAP sozusagen „auf den Knien“ anbettelten, obwohl sie hundert mal so gross waren. Das bedeutet schon etwas, das IBM Management besteht nicht aus Idioten. Und SAP war auch an der Börse damals schon „on the move“, ein klarer Wachstumswert.

  4. „diese Selbstsicherheit wurde ja von vielen hochkompetenten Leuten sehr ernst genommen, die SAP sozusagen “auf den Knien” anbettelten, obwohl sie hundert mal so gross waren. Das bedeutet schon etwas, das IBM Management besteht nicht aus Idioten.“ Hatte man eine Chance als Anleger das zukünftige Wachstum von SAP zu erkennen? Wenn man nicht weiß, dass IBM an SAP interessiert war, war es doch praktisch unmöglich das zu sehen. Nur weil ein IT-Unternehmen „on the move“ ist, kann man nicht einen größeren Teil seines flüssigen Vermögens investieren. Auf der anderen Seite hast du Recht gehabt – es ging nach oben 😉

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