Warum billige Zykliker teuer sind – und umgekehrt

Gerne wird ja das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Anlegern benutzt, um einzuschätzen, ob eine Aktie "billig" oder "teuer" ist. Wie sehr dieses Kriterium aber bei Zyklikern in die Irre führt, will ich mit Ihnen heute besprechen.

Zyklische Aktien wie zum Beispiel Stahl, laufen ja in der Regel mit der Konjunktur in Wellen - auch Schweinezyklus genannt. Der Ablauf ist dabei immer der gleiche. Eine anziehende Konjunktur sorgt für erhöhte Nachfrage. Das treibt bei bestehendem Angebot die Preise und die Gewinne der Unternehmen. Was wiederum zur Kapazitätsausweitung und Investitionen der Zykliker führt - siehe die neuen Stahlwerke von ThyssenKrupp. Diese Kapazitätsausweitungen werden solange vom Markt aufgesogen, solange die Nachfrage weiter steigt, was wiederum zu erneuten Kapazitätsausweitungen führt.

Irgendwann steigt die Nachfrage nicht mehr, die Kapazität steigt aber weiter, weil diese Investionen ja Jahre brauchen bis sie den Markt erreichen. So trifft dann am Höhepunkt der Konjunktur eine seitwärts laufende oder leicht fallende Nachfrage auf immer weiter steigende Kapazitäten, was zwangsläufig den Preis ins Bodenlose drückt. Der sinkende Preis sorgt für die Abschaltung oder Aufgabe von Kapazitäten, solange bis die Nachfrage nicht mehr fällt und eine wieder steigende Nachfrage auf immer noch fallende Kapazitäten trifft. Und so setzt sich eine neue Runde des Schweinezyklus in Bewegung.

Der Grund für diesen Effekt liegt also in der zeitlichen Disparität zwischen der Entwicklung der Nachfrage und der Entwicklung der kapitalintensiven Produktionskapazitäten.

Schauen wie uns nun einmal an, wie sich die Aktien der Zykliker und das KGV entwickeln. Und hier haben wir auch eine massive Disparität zwischen den Gewinnschätzungen und dem Kursverlauf, die von unerfahrenen Anlegern immer wieder falsch interpretiert wird. Denn die Gewinnschätzungen laufen der Wirklichkeit um Monate nach. Die Kursentwicklung läuft aber der Konjunkturentwicklung vor, weil der Aktienmarkt ein ausgezeichneter konjunktureller Frühindikator ist.

Am Höhepunkt des Booms werden die Gewinne der Zykliker in die Folgejahre fortgeschrieben, was auf dem Papier zu sehr geringen KGVs führt. Auf dem Höhepunkt sehen die Aktien also "billig" aus. Und wenn dann der Frühindikator "Mr. Market" schon zu fallen beginnt, werden die Kurse optisch nur noch billiger, was viele veranlasst, dann 20% unter dem Zyklushoch die Aktien für "sehr billig" zu halten. Sie sehen aber nur so aus, weil die Gewinne des Aufschwungs einfach fortgeschrieben wurden. In Wirklichkeit hat der Absturz gerade erst begonnen.

Umgedreht ist es am Tiefpunkt. Der Tiefpunkt ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass die Firmen kein Geld mehr verdienen, weil der Marktpreis ins Bodenlose gefallen ist. Genau dann werden die Entscheidungen getroffen Kapazität abzubauen und aus dem Markt zu nehmen. Und genau dann sehen die KGVs extrem hoch aus, da sind 50 oder 60 durchaus möglich - was kein Wunder ist, wenn die Firmen kaum mehr Geld verdienen. Genau dann stabilisiert sich aber der Marktpreis und die Gewinne beginnen wieder zu fliessen, was die KGVs dann ganz schnell wieder in normale Regionen bringt.

Abweichend von dem was unerfahrene Anleger erwarten würden, gilt also:

-> Der beste Zeitpunkt einen Zykliker zu verkaufen ist dann, wenn die Aktie optisch billig aussieht und die Kurse aber schon fallen und sich gerade ein neuer Abwärtstrend etabliert.

Genau in diesem Moment kauft Otto Normalanleger aber, weil die vermeintlich billigen Kurse den "Buy-the-Dip" Reflex auslösen.

-> Der beste Zeitpunkt einen Zykliker zu kaufen ist dann, wenn die Aktie optisch teuer aussieht und die Kurse aber wieder steigen und sich gerade ein neuer Aufwärtstrend etabliert.

Genau in diesem Moment traut sich Otto Normalanleger aber nicht zu kaufen. Vielmehr ist der Kursanstieg bei so "hoher" Bewertung für ihn das Signal, nun endlich seine Verluste zu realisieren und endgültig auszusteigen, nachdem er den gesamten Absturz bis dahin brav ausgesessen hatte.

Börsenregeln Reloaded: Sell in May and go away?

Ein Gastartikel von Tokay

Börsenregeln reloaded: Sell in May and go away?

Ich möchte hier in lockerer Folge einige der alten Börsenregeln untersuchen und danach fragen, ob diese Regeln noch relevant oder jemals relevant gewesen sind. Den Anfang mache ich aus gegebenem Anlass mit der Regel :“ Sell in May and go away“.

Derzeit gibt es in der Finanzmarktberichterstattung ein Raunen, dass am Aktienmarkt eine Konsolidierung bevorstehe. Der Markt ist seit Jahresanfang über alle Maßen gut gelaufen und so ist dies in der Tat keine abwegige Vermutung.Und dann gibt es ja auch noch die alte Regel „Sell in May and go away“. Man weiß nicht genau, wie die Regel entstanden ist. Vielleicht deswegen: Sind die Marktteilnehmer im Frühling aus irgendwelchen Gründen euphorisch, dann würde es Sinn machen, zu verkaufen, solange diese Euphorie anhält. Vielleicht haben sie eine Dividende vereinnahmt, dann macht es vielleicht Sinn, zu verkaufen, nachdem die Zahlung erfolgt ist und niemand mehr auf seine Dividende wartet – Dividenden können einen erklecklichen Betrag ausmachen. Vielleicht möchte mancher auch nur den Kopf frei haben für den Sommer, für die Urlaubsreise, für schöne Erlebnisse und sich nicht bei sonnigem Sommerwetter mit der Börse beschäftigen müssen.

Wie dem auch sei, sollte es wirklich eine solche Gesetzmäßigkeit geben, dann wäre es unter Umständen sinnvoll seine Aktienbestände im Mai zu verkaufen und ein paar Monate später wieder zu vermeintlich günstigeren Kursen zu kaufen. Es gibt ja die Methode des sogenannten „Formula Investing“, mit der manche versuchen, sich bestimmte (vermeintliche) Marktgegebenheiten zunutze zu machen.

Um herauszufinden, ob eine solche Anomalie hier vorliegt, habe ich drei Beispielfälle konstruiert und getestet. Dazu nehmen wir an, es hätte schon in 1959 den DAX gegeben und dass man eine „DAX-Aktie“ im Verhältnis 1 DAX-Punkt zu 1 € hätte kaufen können. Weiter nehmen wir an, das Depotkonto wäre nicht verzinst worden und es wären keine Depotgebühren berechnet worden.

Im Fall 1 haben wir einen Investor, der am 31.12.1959 den Gegenwert von 100.000 € auf seinem Anlagekonto hatte. Dann hätte dieser Investor mit diesen 100.000 € so viele Aktien wie möglich gekauft und Ende Mai 1960 zum geltenden DAX-Stand wieder verkauft. Ende August 1960 hätte er zum dann geltenden DAX-Stand wieder gekauft. Die gleiche Operation hätte er in allen Folgejahren durchgeführt. Für jede Transaktion wären 0,5 % der Kaufsumme fällig geworden.

Fall 2 wäre genau gleich wie der Erste, aber hier wären keine Transaktionskosten fällig geworden.

Im Fall 3 hätte dieser Investor zum selben Zeitpunkt einmalig für 100.000 € DAX-Aktien gekauft und bis Ende 2011 behalten.

Und so sieht das Ergebnis aus:


Bezieht man die Transaktionskosten mit ein, so hätte der Investor im ersten Fall eine Jahresrendite von 2,8 % erwirtschaftet. Wären keine Transaktionskosten angefallen, dann hätte diese Rate bei 4,4 % per annum gelegen.. Hätte der Investor die „DAX-Aktie“ erworben und einfach nur behalten, dann hätte er per Jahresende 2011 einen Zuwachs von 5,2 % zu verzeichnen gehabt.

Diese Zahlen sind beeindruckend. Denn sie zeigen mehrerlei:

  • Nämlich zum einen, dass der Zinseszinseffekt unerbittlich wirksam ist. Das Fälligwerden von Spesen bei jeder Transaktion führt nämlich dazu, dass dieser Zinseszinseffekt nachhaltig abgebremst wird.
  • Zum zweiten entsteht eine Art negativer Cost-Average-Effekt: Sofern die Kurse bis August steigen, können nur noch kleinere Stückzahlen gekauft werden und der spätere Wertzuwachs wird durch die verringerte Positionsgröße vermindert. Gibt es im darauffolgenden Jahr einen Kursrückgang, dann muss diese geringer gewordene Stückzahl zu einem geringeren Kurs verkauft werden.
  • Weiterhin entsteht ein Effekt, den man vom „Money Management“ her kennt. Ein Kursrückgang von z.B. 20 Prozent muss erst wieder durch einen neuerlichen Anstieg um 25 Prozent aufgefangen werden.

Das Markttiming durch „Sell in May“ kann alle diese Effekte bei weitem nicht kompensieren.

Der Vorsprung von „Buy and Hold“ zeigt sich durchgängig, besonders aber während der langen Hausse 1982-2000. In diesem Zeitraum stiegen die Kurse sehr oft durchgehend. Wer hier also nach der Methode „Sell in May“ verkaufte, der musste nicht nur Transaktionsgebühren bezahlen, die im Zinseszinseffekt zum Tragen kamen und somit für das spätere Investment fehlten. Sondern ihm entgingen auch noch Kursanstiege, die in der gleichen Zeit stattfanden (Stichwort „Sommerrallye“). Ein Vorteil durch „Sell in May“ entstand nur dann, wenn ab dem Sommer tatsächlich ein scharfer Kursrückgang erfolgte, den man sich durch den vorzeitigen Ausstieg ersparte. Im vergangenen Jahr 2011 war dies auf spektakuläre Weise der Fall. Aber es scheint nicht sehr oft so gewesen zu sein.

Vergleichen wir einmal die verschiedenen Kapitalkurven. Einmal die Kapitalkurve mit „Sell in May“ inklusive Transaktionskosten gegenüber Buy and Hold, und das zweite mal „Sell in May“ ohne Kosten versus „Buy and Hold“:


Es zeigt sich also, dass „Sell in May“ nicht die geeignete Methode ist, um langfristig besser abzuschneiden als der Markt. Fairerweise muss man aber dazu sagen, dass die Jahresrenditen beider Methoden sehr stark schwanken und unser Ergebnis nur eine Momentaufnahme ist – allerdings eine, die nicht eben besonders stark für „Sell in May“ spricht. Zwar ist die Anzahl der Jahre, in denen die Zuwächse von August bis Mai höher sind, deutlich in der Überzahl – doch dies verhilft dieser Methode nicht zu einem durchschlagenden Effekt. Es mag allerdings sein, dass kurzfristig agierende Investoren mit der Methode sehr wohl erfolgreich sein können. Jedoch ist das Risiko sehr hoch, dass das ausgerechnet in jenem Jahr nicht der Fall ist, in dem gerade investiert wird.

Wer „Sell in May“ praktizieren möchte, kann das gerne tun – aber er/sie sollte dies nicht damit begründen, dass der Mai generell ein besonders günstiger Monat wäre. Außer man möchte den Sommer unbeschwert genießen und sich nicht über Börsenkurse den Kopf zerbrechen...In den allermeisten Fällen, und wir erfahren es auf „Mr-Market“ jeden Börsentag aufs neue, werden andere Gründe für die Kursentwicklung ausschlaggebend sein.

Die Börsenregel lautet übrigens vollständig: „Sell in May and go away, stay away till St.Leger's Day“ (Anmerkung dazu: St.Leger ist in England das erste Pferderennen im September).

Tokay

Vom Elend der Charttechnik und der Börsenkultur – Eine Wutrede

Vor kurzem hatte das Handelsblatt wieder zum Frankfurter Gespräch geladen und was dort vorgestern als Ergebnis den Weg in die Presse fand, hat das Zeug als perfektes Anschauungsmaterial für das ganze Elend der Charttechnik und die nicht existente Börsenkultur in Deutschland zu dienen.

Lesen Sie vielleicht zunächst einmal -> hier <- den Artikel mit dem reisserischen Titel "Experten erwarten heftigen DAX-Einbruch".

Da haben wir also auf der einen Seite diese sogenannten "Experten", die in dem Artikel mit Aussagen zitiert werden, die für mich persönlich irgendwo zwischen Trivialität und Blödsinn liegen. Jetzt will ich zugunsten der Herren annehmen, dass ihre Argumentation im Gespräch tatsächlich weit differenzierter war, als es der Artikel vermuten lässt. Nur warum lässt man sich dann derart oberflächlich darstellen ? Ich würde mir das verbitten und wenn die Redaktion darauf nicht eingehen will und meine differenzierte Argumentation nicht drucken will, dann sollen die halt was von anderen Leuten veröffentlichen. Niemand wird doch gezwungen daran teilzunehmen.

Als ob das aber nicht reicht, werden in dem Artikel wieder fröhlich Zukunftsaussagen gemacht und konkrete DAX Ziele genannt. Die Schlagzeile ist ja das beste Beispiel. Dabei macht seriöse Markttechnik gar keine exakten Zukunftsaussagen, aber dazu später mehr. Darüber hinaus waren diese "Experten" in den vergangenen Jahren eher die perfekten Kontraindikatoren. Letztes Jahr wurde beim Frankfurter Gespräch lauthals das Ende der Goldhausse ausgerufen. Das Ergebnis durften wir dann bei 1900 USD bewundern. Das es immer noch Leser gibt, die diesen "astrologischen" Zukunftsbetrachtungen Beachtung schenken ist wirklich erstaunlich. Aber schon zwei Tage später ist es halt vergessen nach dem Motto "was interessiert mich mein Geschwätz von gestern" und wenn dann der Markt in einer Woche tatsächlich kräftig absackt - und irgendwann wird er das aus ganz anderen Gründen ohne Frage tun - dann kann man sagen "ich habs ja gesagt".

Auf der anderen Seite haben wir nun aber die Reaktion von Otto Normalanleger, die man in den Kommentaren zum Artikel nachlesen kann. Da werden Kübel an Häme über solche Zukunftsaussagen und die Charttechnik perse vergossen und man könnten deshalb meinen, dass die Anleger doch klüger geworden sind. Wenn man aber genau hinsieht merkt man, dass viele der Kommentatoren zwar erkennen wie unsinnig diese pauschalen Zukunftsaussagen sind, mit dem Kind aber gleich das Bade mit ausschütten und die Charttechnik perse als "bunte Linien" verunglimpfen. Ganz verdenken kann man es diesen Kommentatoren ja nicht, denn wenn diese Technik so dilettantisch verkauft wird, muss man sich auch nicht wundern, wenn die Mehrzahl der Normalanleger keinen Zugang dazu entwickelt. Da man eine Linie auch schnell gezogen hat, gibt es ja leider auch zu viele die damit hausieren gehen, ohne die Grundlagen und Prinzipien - und damit auch die Grenzen - der Technik wirklich verstanden zu haben.

Warum erklärt eigentlich nicht mal jemand seriös, was man mit Charttechnik erreichen kann und wo ihre Grenzen liegen ? Denn richtig und seriös ausgeführte Chartanalyse ist weit mehr als "bunte Linien" und gleichzeitig weit weniger als der "heilige Gral" zur Zukunftsvorhersage. Es ist einfach eine für Anlageentscheidungen wichtige Technik, die Indizien über den Marktzustand liefert, nicht mehr und nicht weniger. Indizien, aber keine Gewissheiten - der Unterschied ist bedeutend !

Das ist ja auch kein Wunder, denn die Charts bilden ja nur das Verhalten der Massen an Menschen ab, die in der Vergangenheit am Markt gehandelt haben. Mit bunten Linien hat das wenig zu tun, mehr mit der Visualisierung der Massenpsychologie - auch Marktsentiment genannt. Und menschliches Massenverhalten hat halt schon seine Muster, wer das nicht sehen will beraubt sich selber freiwillig eines wichtigen Bausteins, der ihm einen kleinen Vorteil bei der Anlage verschaffen könnte.

Im Gegensatz zu dem was solche Schlagzeilen implizieren, macht seriöse Charttechnik auch keine verbindlichen Aussagen über die Zukunft, sie beschreibt nur das Verhalten der Marktteilnehmer in Gegenwart und Vergangenheit. Und aus diesem Verhalten kann man mit Erfahrung Rückschlüsse für die Wahrscheinlichkeiten zukünftigen Marktverhaltens ziehen. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger !

Ein weiterer Punkt der gerne verkannt wird - besonders von noch unerfahrenen Jüngern der Charttechnik: man darf sie auch nicht zu exakt nehmen, denn sie unterliegt massiv der Selbstbezüglichkeit. Wenn zum Beispiel der ganze Markt auf eine exakte Marke wie 7000 starrt, werden die Marktteilnehmer sich adaptieren und versuchen schon vorher zum Zug zu kommen. So ist der Erfolg einer charttechnischen Marke auch gleichzeitig ihr Untergang, denn alleine durch die gemeinsame Beobachtung der Marke verändert sich schon das Marktverhalten und die echte Reaktion findet etwas verschoben an anderer Stelle statt. Wer also mit allgemein bekannten, auf die Kommastelle exakten Marken bei Widerständen und ähnlichem operiert, macht sich was vor und wird garantiert von den Haien im Markt abgefischt. Das bedeutet aber nicht, dass Widerstände nicht existieren, man muss sie nur als Zonen verstehen, deren exakte Ausprägung im permanenten Fluss von Beobachtung und Handlung aller Marktteilnehmer ist. Denn auch für die Charttechnik kann man den Spruch von Warren Buffet anwenden: Sie ist simpel, aber nicht einfach !

Und so weiter, ich könnte endlos so weitermachen. Im Kern - und richtig eingesetzt - ist Charttechnik und Markttechnik aber ein sinnvoller Weg um Massenpsychologie sichtbar zu machen. Und es ist nicht die Schuld dieser Technik, wenn jemand damit unseriösen Kokolores betreibt. Genauso wenig wie es Schuld der Physik ist, wenn sie jemand verbiegt um verquere Weltanschauungen zu verbreiten. Wenn die Mehrzahl der privaten Anleger begreifen würde, wie wichtig die Massenpsychologie für die Kursentwicklung ist und das diese durchaus ihre Muster hat, dann wären wir in der Börsenkultur einen erheblichen Schritt weiter und Otto Normalanleger würde an der Börse weit erfolgreicher sein.

Mit solchen Artikeln wird aber auf jeden Fall genau das Gegenteil erreicht und alle können sich nun fröhlich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen.

Mich ärgert das - und deshalb habe ich mir diese Wutrede hier mal erlaubt. Ich hoffe Sie sehen mir das nach ....

Marktupdate – zur Technik eines „Runaway Move“

Mit seiner dynamischen Bewegung über 6600 im DAX, hat der Markt heute die Wahrscheinlichkeit meines -> hier <- skizzierten Szenarios (1) weiter erhöht, die Möglichkeit eines Runaway-Move im DAX sollte man nun sehr ernsthaft in Erwägung ziehen ! Zwar sieht dieser Ausbruch über 6600 kurzfristig eher nach einem kleinen Top im DAX aus und ich rechne eher damit, dass der Markt nun noch einmal Luft holt, die Dynamik der Bewegung ist aber nun so hoch, dass es durchaus bald weiter nach oben gehen könnte.

Leider ist ein solcher "Runaway-Move" keineswegs so positiv, wie sich das auf den ersten Blick anhört. Denn auch für die Bullen unter uns ist es sehr schwierig, eine solche Bewegung erfolgreich mitzugehen. Denn leider ist in so einer Phase das normale Schwingen des Marktes zwischen einem "überkauften" und "überverkauften" Marktzustand völlig ausser Kraft gesetzt. Und damit verliert die Kursentwicklung jede Berechenbarkeit. Denn der Druck durch frisches Geld von der Seite ist so hoch, dass es kaum noch zu relevanten Korrekturen kommt. Und wenn, dann dauern diese gerade mal einen Tag, danach wird wieder aggressiv gekauft. So füttert die Hausse sich selbst und am Ende rennt alles in den Markt, weil es scheinbar nur noch nach oben geht.

Das Ende einer solchen Bewegung ist aber leider zu oft ein kleiner Crash und das Problem dabei ist: wann der kommt ist nicht wirklich vorhersagbar, da Marktzyklen und Sentimentanalyse in so einer Bewegung ausser Kraft gesetzt sind. Wer aber den bewährten Methoden von Zyklen und Sentiment folgt, wird bei einem Runaway-Move garantiert viel zu früh aussteigen und den Hauptteil der Bewegung nach oben verpassen.

Grund genug, dass wir uns deshalb mal am Beispiel anschauen sollten, was so ein "Runaway-Move" wirklich bedeutet. Glücklicherweise haben wir perfekten Anschauungs-Untericht bei der Kursentwicklung von Silber im letzten Frühjahr:

Wie Sie sehen, startete Silber die Bewegung im Januar 2011 bei gut 25USD um 3 Monate später im April 2011 bei fast 50USD zu toppen - eine Verdoppelung in nur 3 Monaten ! Danach folgte ein crashartiger Absturz bis fast 30 USD.

Schaut man sich den Chart genau an, lassen sich daraus für mich die folgenden Lehren ziehen:

1. Wer den klassischen Methoden der Markttechnik gefolgt war, hat den Markt schon nach einem Monat bei ca. 33 USD verlassen, weil Silber da schon überkauft war. Und hat damit den Schwerpunkt der Bewegung verpasst. Bitte beachten Sie, dass rein vom Zeitablauf her, dieser Moment im Februar 2011 mehr oder weniger dem heutigen Ablauf der Rally entspricht. Es waren gerade mal ein guter Monat vergangen. Das heisst keineswegs, dass die Bewegung aktuell genau so laufen muss. Ich will nur klarmachen, dass eine solche Bewegung meistens länger andauert als man denkt.

2. Wer einmal rausgeflogen war, dem gab der Markt keine Chance via signifikantem Rücksetzer wieder aufspringen zu können. Selbst wer die Korrektur im Februar richtig getimed hatte und bei vielleicht 33 USD abgesprungen war, kam später nicht mehr zu besseren Kursen an Bord.

3. Gegen Ende der Bewegung gab es eine Art Kaufpanik, die sich an der Beschleunigung des Anstiegs nachvollziehen lässt. Auch diese Kaufpanik dauerte Wochen und damit länger als sich die meisten vorstellen konnten.

4. Das Top wurde genau dort markiert, wo der Markt nach einem kurzen Rücksetzer nicht mehr in der Lage war, kurz danach neue Höchststände zu erreichen.

5. Wer beim Top nicht in Windeseile aus dem Markt war, hat in kürzester Zeit fast seine gesamten Gewinne wieder verloren.

Was ich daraus lerne:

-> Der Versuch das Ende der Bewegung vorher zu ahnen wird scheitern und man wird zu früh aussteigen.
-> Sich keine Gedanken zu machen und einfach mitzulaufen führt zwangsläufig dazu, dass man seine Gewinne wieder abgibt.

Die einzige für mich sichtbare Lösung aus so einem Dilemma ist daher:
Stur und ohne langes Grübeln mit einem Trailing Stop agieren !

Ein Trailing Stop ist ein Stop, der jeden Tag nachgezogen wird, so dass der Abstand zum Kurs immer gleich bleibt. Entscheidend ist dabei, den Abstand so zu wählen, dass man durch die normalen Korrekturen nicht ausgestoppt wird.

Würden wir dazu die Korrektur von gestern im DAX als Massstab nehmen, hatten wir Intraday eine Bewegung von 120 DAX Punkte nach unten. Mit Sicherheitsspielraum könnte man also aktuell vielleicht 150 DAX Punkte Abstand wählen und dann hoffen, dass einen ein Runaway-Move in so luftige Höhen zieht, dass die 150 Punkte oder 2,5% potentieller Verlust nicht ins Gewicht fallen.

Auch diese Taktik ist keine Garantie für Erfolg, denn Mr. Market fällt dann sicher gerne mal 152 Punkte bevor er zu neuen Höchstständen aufbricht, diesem hinterhältigen Kerl ist das allemal zuzutrauen. 😉 Aber eine brauchbare Strategie ist es trotzdem und nach meiner Erfahrung allemal besser als nach "Bauchgefühl" irgendwas zu machen. Denn so erwischt man einen Runaway-Move garantiert nicht, der Bauch sagt einem viel zu früh: raus, raus !

Soweit ein paar hoffentlich hilfreiche Gedanken zu solchen Marktbewegungen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, die Möglichkeit eines solchen "Runaway-Move" ist nun durchaus vorhanden, garantiert ist das aber keinesfalls ! Alle drei von mir genannten Szenarien sind nach wie vor möglich, auch wenn sich die Wahrscheinlichkeiten nun weiter Richtung Szenario (1) verschoben haben.

Betrachten Sie obigen Vergleich mit Silber 2011 also bitte nicht als Vorlage wie es nun im Markt weitergeht, ich garantiere Ihnen, es kommt nicht genau so, bestenfalls ähnlich !

Aber ich finde man kann sich anhand des Beispiels klar machen, wie man im Falle des Falles bei einer solchen Bewegung agieren sollte und welche Fallstricke auf dem Weg lauern.

Und eine Wahrheit sollte man aus dem Beispiel Silber in jedem Fall mitnehmen: selbst wenn wir jetzt noch wochenlang im DAX hoch laufen und vielleicht sogar die 7000er Marke erreichen, wir werden dann definitiv im ersten oder zweiten Quartal einen scharfen Einbruch erleben. Bei aller positiven Stimmung ist nun also nicht die Zeit um gedankenlos dem Markt hinterher zu laufen ! Es ist aber auch nicht die Zeit um sich nur aus Bauchgefühl gegen den Markt zu stellen !

Bleiben Sie also geduldig und wachsam. In diesem Sinne wünsche ich erfolgreiches Handeln.

SAP – meine grösste Fehleinschätzung. Oder warum man „Experten“ nicht immer trauen sollte.

Es war Anfang der 90er Jahre, ich berichtete zu dieser Zeit als Assistent an den damaligen deutschen IBM Research & Development Chef und hatte so durch meinen Chef die seltene Gelegenheit, ein denkwürdiges Treffen zwischen IBM und SAP aus nächster Nähe mitzubekommen. Die damals immer noch markbeherrschende IBM traf sich mit einer kleinen, aufstrebenden Softwareschmiede namens SAP, die seit 1988 an der Börse notierte und in Person von Hasso Plattner einen charismatischen Anführer hatte.

Es war zu diesem Zeitpunkt sichtbar, dass SAP mit R/3 einen Treffer gelandet hatte und die IBM hatte grosses Interesse, ihre Systeme und Datenbanken als Plattform für R/3 zu etablieren. Aus diesem Grund setze sich auch Topmanagement der US Division ins Flugzeug, um an diesem Meeting teilzunehmen.

Und da waren sie nun in einem Raum, die IBM Herren über zehntausende Mitarbeiter und Milliarden an Umsatz und dieser Herr Plattner, dessen SAP zu diesem Zeitpunkt noch einen Umsatz im dreistelligen Millionen-Umfang hatte. Hier traf also David auf Goliath.

Was dann aber geschah war, dass die Rollen völlig vertauscht wurden. Hasso Plattner bot in der ihm eigenen Art eine extrem selbstbewusste Vorstellung und setzte klar die Bedingungen, die IBM Herren wurden von ihm in die Rolle eines Bittstellers gedrückt. Dieses Meeting zeigte ganz klar, wer in diesem Moment Koch und wer Kellner war.

Mit meinem heutigen Wissen und meiner Erfahrung wäre ganz klar gewesen, was ich nach diesem nachhaltigen Eindruck gemacht hätte. Ich wäre am nächsten Tag mit allem Ersparten an die Börse gegangen und hätte SAP gekauft. So eine Gelegenheit, an der man die Chance hat ein Unternehmen zu erkennen, das vor Kraft kaum laufen kann – und dieses noch dazu, bevor es die breite Masse an der Börse bemerkt – so eine Gelegenheit, hat man nicht so oft im Leben.

Und was tat ich ? Ich war ja Experte für Software. Ich rümpfte die Nase über die vermeintliche Selbstüberschätzung dieser SAP. Einzig und alleine, weil ich einen rein technischen Blick auf deren Software hatte, die in meinen Augen vom Design her nichts Besonderes war. Ich war viel zu jung und unerfahren, um das zu erkennen worum es wirklich geht – um Geschäftspotentiale und nicht um Software-Design.

Auch Windows 3.1 ist ja nicht deshalb erfolgreich geworden, weil es eine technologisch besonders ansprechende Implementierung war. Ein gutes Stück spielte bei meiner Fehleinschätzung auch mein Dünkel eine Rolle, sich als Betriebssystem-Experte im Vergleich zu diesen Anwendungs-Programmierern der SAP wie ein Kampfpilot vorzukommen, der herablassend auf eine Cessna unter sich blickt. Völlig ungerechtfertigter Dünkel zwar, wie ich heute weiss, aber nicht unüblich für sogenannte „Experten“ mit ihren fachlichen Scheuklappen.

Ich kaufte also keine SAP, sondern irgendwelche Softwareaktien die technologisch tolle Software machten. Wer am Ende mehr Geld an der Börse verdient hat, hat das Schicksal dann ja eindeutig bewiesen. Ich brauchte ein paar Jahre und jede Menge Erfahrung mit geschäftlicher Verantwortung im Management, bis ich meinen Fehler erkennen konnte. Nur leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon eine mehrfache Verdoppelung des Kurses der SAP verpasst.

Und was lernen wir aus dieser Anekdote ? Dass sogenannte „Experten“ alles andere als verlässliche Ratgeber bei der Frage sind, ob eine Firma mit ihren Produkten in der Zukunft Erfolg haben wird und ob sie viel Geld verdienen wird. „Experten“ sind zu oft zu stark spezialisiert, als dass sie den Wald vor lauter Bäumen noch sehen könnten. Und sie unterliegen zu oft einem Experten- oder Standes-Dünkel, der in keinster Weise gerechtfertigt ist, sobald sie ihr kleines, beschränktes Wissensgebiet verlassen.

Heute könnte mir dieser Fehler nicht mehr passieren, heute interessiere ich mich aber auch nicht mehr für einzelne Bäume, sondern habe immer den Wald im Auge.

Über Investoren und Trader

In Deutschland wird der Begriff "Trader" gerne mit einem leichten Anflug von Abscheu benutzt, es scheint nicht politisch korrekt zu sein, sich als solcher zu erkennen zu geben, obwohl es ja nur die englische Form von Händler ist. Und obwohl es für einen Händler - oder Kaufmann - ja durchaus so etwas wie eine Kaufmanns-Ehre gibt.

Auffällig ist auch, wie nahezu jeder Normalanleger der sich für Aktien interessiert, sich in der Öffentlichkeit nach dem Motto: “Ich bin Investor, aber kein Trader” positioniert.

Viele unterliegen dabei in meinen Augen einem Missverständnis. Das kommt daher, dass sie durch Medien und Politik immer mit dem polemischen Gedanken bombardiert werden: Trader sind schlecht, Investoren sind gut. Jeder will ein Investor und wie Warren Buffet sein, Trader dagegen sind böse "Zocker".

Klären wir doch also mal was ein Investor wie Warren Buffet so wirklich macht:

1. Er analysiert die Bücher des Ziel-Unternehmens bis ins allerletzte Detail
2. Er redet selber mit dem Management und verschafft sich einen persönlichen Eindruck
3. Er analysiert detailliert den Wettbewerb und den Markt und redet mit Mitbewerbern oder Branchenspezialisten
4. Er berechnet den inneren Wert des Unternehmens nach einer der diversen Methoden wie zb DCF

Jeden dieser Schritte macht ein Investor und mehr. Jeden dieser Schritte beherrscht ein Warren Buffet zur Perfektion. Und zum Schluss:

5. Ihm ist es völlig egal ob der Kurs kurzfristig etwas hoch oder runter geht. Er kennt den inneren Wert und verkauft erst dann, wenn er diesen Wert gemehrt hat und dafür den Preis bekommt, den er erwartet. Und wenn das Jahre dauert.

Das ist ein Investor.

Und jetzt frage ich alle, die aufgrund von Berichten in Magazinen und nach maximal einer Stunde Überlegung Aktien kaufen weil sie sie für "billig" halten - und sich dabei als "Value-Investoren" fühlen: Sind Sie wirklich Investoren? Wenn ja, warum sorgen Sie sich über eine momentane Börsenpanik? Sie kennen doch den wahren Wert Ihres gekauften Unternehmens. Oder? 😛

Nachdem ich uns so ironisch den Spiegel vorgehalten habe, sage ich Ihnen was die meisten von uns sind: Anleger, die sich wie Trader verhalten. Denn Trader bedeutet keineswegs nur Day-Trader. Es gibt unzählige Methoden und viele Stile, bei denen Aktien auch über Monate gehalten werden.

Der Trader unterscheidet sich aber vom Investor dadurch, dass er die Schritte oben nicht oder nur oberflächlich macht. Und er unterscheidet sich dadurch, dass ihn sehr interessiert wie sich der Kurs entwickelt, weil er in einem überschaubaren Rahmen von Tagen, Wochen, Monaten mit Gewinn verkaufen will. Und um das zu erreichen setzt er Techniken (Charts, Sentimentanalysen etc) ein, mit denen er sich einen Vorsprung vor den anderen Marktteilnehmern holen will.

Aber jemand der eine Aktie nach ein oder zwei Empfehlungen in Medien einfach an der Börse kauft und sich dann schon am nächsten Tag um den Kurs sorgt und von “Verlusten” redet, ist definitiv kein Investor, sondern eher ein Trader. Und dieser jemand tut gut daran sich nichts vorzumachen, sondern sich schnellstens die Tools und Techniken anzueignen, die es braucht um an den Märkten zu überleben. Warren Buffet weiss das natürlich, er kann aber jahrelang warten bis sich seine Investition auszahlt. Können Sie das auch?

In den hektischen und volatilen Märkten dieser Zeit ist es sowieso erste Bürgerpflicht flexibel zu sein. Was ist also schlimm daran sich wie ein Trader zu verhalten? Ich sage nur: Willkommen im Team!

Der Erfolg kommt nicht durch das richtige Etikett das man darauf klebt, sondern nur dadurch, dass man seine Sache gut macht. Und dazu ist es sehr wichtig zu verstehen, was die eigene Sache überhaupt ist. Denn nur dann kann man die richtigen Techniken einsetzen.