Finanztransaktionssteuer – Von Ahnungslosigkeit und Lobbyismus – Eine Wutrede

Nachdem die EU-Kommission einen ersten Vorschlag zur Finanztransaktionssteuer vorgelegt hat, gehen die Berichte über erste Einzelheiten durch die Welt, nachzulesen unter anderem -> hier <-.

Wenn ich lese, was sich da wieder ausgedacht wurde, steigt mir die Zornesröte ins Gesicht und ich kann nicht anders, sondern muss zu einer sehr persönlichen Wutrede ansetzen. Wer klare Worte in einem persönlichen Kommentar nicht erträgt, möge nicht weiterlesen.

Zunächst ist es mir wichtig festzuhalten, dass ich durchaus ein Freund der Idee einer - richtig umgesetzten - Börsenumsatzsteuer (Tobin Tax) bin. Die Absichten die sich damit verbinden, sind nicht nur ehrenhaft, sondern sogar sehr sinnvoll.

An erster Stelle steht für mich die Entschleunigung der Märkte. Man sollte sich darauf zurück besinnen, was der volkswirtschaftliche Sinn eines Aktienmarktes ist. Er dient dazu den Wert von Firmen und Geschäftsmodellen festzulegen und die Unternehmen daher mit Kapital für ihre Aktivitäten zu versorgen.

Über die Pervertierung des Marktes als Spielplatz von wild gewordenen Algorithmen wurde völlig vergessen, dass die Erfindung eines Marktes zum Austausch von Waren und zur Festlegung von Preisen im freien Spiel von Angebot und Nachfrage, eine der ganz wesentlichen zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit ist. Ohne die Erfindung des Marktes wäre zum Beispiel Arbeitsteilung nicht möglich gewesen, denn der Bauer der im Herbst seine Ernte zu Geld machen will, hätte keine Chance gehabt auf genügend Käufer zu treffen. Ohne Markt keine Arbeitsteilung. Und ohne Arbeitsteilung keine Zivilisation. Dieser Zusammenhang ist ebenso wahr, wie von der breiten Masse unverstanden.

Dieser volkswirtschaftliche Sinn der Aktien-, Devisen- und Anleihenmärkte ist extrem hoch und kluge Politik würde alles unterlassen, was diese wichtige Funktion der Märkte behindert. Umgedreht würde kluge Politik alles unterbinden, was das Funktionieren des Marktes als Preisfindungsorgan in Frage stellt. Und multi-millionen Pseudotransaktionen im Millisekundenbereich im High Frequency Trading (HFT) haben schlicht null volkswirtschaftliche Bedeutung, im Gegenteil, sie stellen die Funktionsfähigkeit der Märkte in Frage. Und Millionen an Derivaten, in denen die vorhandenen echten Assets in Form von Aktien, Anleihen oder Devisen nur umverpackt und duchgequirrlt werden, um in der komplexen Konstruktion die Ertäge des Finanzsektors zu verstecken, haben auch keine volkswirtschaftliche Bedeutung. Zumal keiner dann mehr versteht, was hinter der vierten Umverpackung überhaupt noch enthalten ist, wie ja wunderbar 2008 zu beobachten. Die Welt wäre eine bessere, gäbe es diese Derivate nicht. Die Welt wäre aber nicht die gleiche, gäbe es keine freien Märkte für Aktien, Anleihen und Devisen.

Vor diesem Hintergrund könnte eine kompetent ausgeführte Finanztransaktionssteuer eine gute Sache sein. Sie könnte den Finanzsektor tatsächlich beteiligen, weil sie jede Transaktion einer kleinen Umsatzsteuer unterzieht. Und sie könnte die Finanzmärkte entschleunigen, weil nur noch echte Transaktionen mit echten Assets im Hintergrund wirtschaftlichen Sinn machen. Die Algorithmen des HFT wären auf jeden Fall sofort unwirtschaftlich. Und von den Börsenbetreibern abgesehen, die weniger Umsatz machen, würde niemand auf der Welt HFT vermissen.

So weit doch eigentlich eine schöne Ausgangslage und nun schauen wir mal, was unsere ach so kluge EU-Kommission daraus gemacht hat.

0,1% Transaktionssteuer pro Aktientransaktion und 0,01% pro Derivat. Hallo ? Warum wohl soll der volkswirtschaftlich sinnvolle Transfer von Unternehmensanteilen 10x so stark besteuert werden, wie so ein sinnloses Derivat ? Kann mir das einer von den EU-Bürokraten bitte erklären ? Und damit das híer kein EU Bashing wird, weite Teile der deutschen Politik, angeführt von SPD und Grünen begrüssen das ja scheinbar auch. Von dem Teil der Bevölkerung mal ganz abgesehen, der schon bei der Prozentrechnung in der Schule abwesend war.

Ich habe eine starke Vermutung woran das liegt. Und ja, es ist meine persönliche, gemeine, unfaire und höchst subjektive Meinung und reine Vermutung. Ich habe dafür keine Beweise, nur meinen in Jahrzehnten gestählten Riecher.

Aber ich vermute stark, dass die Finanzlobby bei der Definition des Vorschlages kräftig mitgemischt hat. So läuft es halt in Brüssel. Und das ist halt die Folge davon, wenn die Politik nicht wirklich etwas von Themen versteht, über die sie Gesetze verfassen will. Wenn Ahnungslosigkeit und Lobbyismus zusammen treffen, wird es für die Bürger und Firmen die nicht mit am Tisch sitzen und keine Lobby haben, halt oft sehr teuer.

Wobei, so sehr überrascht bin ich ja nicht. Denn aus der globalen Sicht eines ideologisch beseelten Politikers ist die Welt doch auch mal wieder ganz schlicht: Aktien und dieses ganze "Zockerzeug", das muss doch was mit der bösen Finanzindustrie zu tun haben. Und wenn man das irgendwie besteuert, trifft man schon den Richtigen. Jawoll !! Leider Nein, meine lieben gerechtigkeits-beseelten Politiker, leider Nein !

An einer realen Aktientransaktion, wenn also Bürger/Firma A über die Börse von Bürger/Firma B ein Aktienpaket kauft, verdient die Finanzindustrie so gut wie nichts. Alleine die Broker und die Börsen verdienen ein bisschen Transaktionsgebühr, das ist aber nicht das Geschäft der gelgehaarten Jünglinge des Herrn Jain in London. An solchen realen Aktiengeschäften, hat die Finanzindustrie kein besonderes Interesse, daran verdient sie nicht viel.

Ein Interesse hat die Finanzindustrie aber daran, ihre unzähligen Derivate als "Produkte" umzuverpacken und teuer in die Welt zu bringen. Ein Interesse hat die Finanzindustrie daran, wenn mit diesen "Produkten" fröhlich Handel betrieben wird, je mehr desto besser.

Und jetzt frage ich Sie vor diesem Hintergrund: warum sollen volkswirtschaftlich sinnvolle Aktiengeschäfte 10x so stark besteuert werden wie Derivate ? Wer hat da "beratend" mitgewirkt ? Fakt ist, Bürger und Firmen die mit realen Assets am Markt agieren wollen, haben keine Lobby.

Richtig wäre es genau umgedreht. Wenn überhaupt, dürften alle Geschäfte mit realen Assets wie Aktien, Anleihen und Devisen nur sehr minimal besteuert werden. Gerade so, dass das HFT unprofitabel wird. Alle Derivate aber sollten einen hohen Steuersatz haben. Genau dann würde der Finanzsektor beteiligt. Das würde 90% des derivativen Mülls im Markt einfach tot schlagen. Und übrig bleiben würden nur die wenigen derivativen Konstruktionen, die tatsächlich einen volkswirtschaftlichen Mehrwert schaffen, so zum Beispiel beim Währungshedging, das viele Firmen betreiben müssen. Denn nicht alle Derivate sind perse unsinnig, weite Teile des Wildwuchses aber schon. Die Finanztransaktionssteuer wäre so das Medium, das die Spreu vom Weizen trennen würde.

Warum also 0,1% auf Aktiengeschäfte und 0,01% auf Derivate ? Kann mir das einer mal erklären und meinen Verdacht ausräumen, dass hier Ahnungslosigkeit auf Lobbyismus getroffen ist ? Ich wäre wirklich dankbar, wenn mir jemand meinen Glauben an die Kompetenz der Politik wieder geben könnte. Also her mit den Argumenten, BITTE !

Aber als ob das nicht reichen würde, um mir die Frustration ins Gesicht zu malen, tut dann "Volkes Stimme" in Form der Meinungen der durchschnittlichen Foristen zum Thema ihr Übriges, wie oben im Artikel im Forum nachzulesen.

Ich will deshalb mal in Erinnerung rufen, was diese 0,1% pro Transaktion wirklich sind und was sie für uns Bürger, für die Volkswirtschaft und für die Aktienmärkte bedeuten werden:

1. Erstens ist es eine Steuer die auf den Umsatz und nicht auf den Gewinn anfällt. Die beste Entsprechung dazu wäre die Grunderwerbsteuer, auch eine Steuer die auf die gesamte Transaktion gewinnunabhängig anfällt. Jetzt beträgt diese aktuell ca. 3-5%. Nur kauft ein normaler Bürger ohne wirtschaftliches Interesse am Immobilienmarkt im Leben vielleicht 1-3 Objekte. Selbst ein konservativer Aktien-Anleger hat aber im Jahr eine kleine zweistellige Zahl von Transaktionen.

2. Addieren sich so pro Kauf plus Verkauf 0,2%. Multipliziert mit der Umschlaghäufigkeit, die bei Lesern dieses Blogs sicher im Bereich 2-10x pro Jahr liegen dürfte, kommen so schnell 2% zusätzliche jährliche Kosten zusammen. Das ist eine gewaltige Hürde um am Aktienmarkt überhaupt Geld verdienen zu können.

3. Werden diese neu anfallenden Kosten von der vermeintlich "beteiligten" Finanzindustrie einfach umgelegt und den Bürgern in Rechnung gestellt. Am Ende verteuern sich damit nicht nur Aktientransaktionen der "bösen" Zocker, sondern Fondsparpläne werfen niedrigere Renditen ab und die Lebensversicherungen sind noch weniger in der Lage, für ihre Versicherten eine auskömmliche Rendite zu erwirtschaften, denn mit Anleihen alleine geht das nicht mehr. Am Ende zahlen alle Bürger in Deutschland gleichermassen, die Geld anzulegen haben oder für ihren Ruhestand vorsorgen wollen.

4. Wird die Steuer damit zum Konjunkturprogramm für Derivate, denn plötzlich wird es Sinn machen, statt die Aktie direkt zu kaufen, ein "umverpacktes" Derivat zu kaufen. Die eine Hälfte dieses Vorteils steckt sich der Finanzsektor in die Tasche und freut sich über die tolle Finanztransaktionsteuer, die seine Taschen füllt, statt ihn zu "beteiligen". Über die andere Hälfte "freut" sich der normale Anleger und vergisst, dass er nicht 50% gespart hat, sondern ohne Grund nun eine Schuldverschreibung einer Bank (ein Derivat) im Depot liegen hat, wo er vorher zu geringeren Kosten wirklich Anteile an einem echten Unternehmen hielt.

5. Und zu guter Letzt wird der ganze deutsche Aktienmarkt leiden. Denn nach den Prinzipien der Kommission die in dem Artikel oben erklärt werden, müsste es auch der US Anleger mit US Broker zahlen, wenn er eine deutsche Aktie kaufen will. Was wird dieser institutionelle Anleger also wohl machen ? Genau: einen Bogen um den deutschen Aktienmarkt !

Short DAX und Long S&P500 dürfte dann eine sinnvolle Strategie werden. Aber bitte mit Derivat ! 😉 Ach schöne neue Finanztransaktionssteuer !

Jetzt höre ich schon die Stimmen, die mir erklären, so weit sei es ja noch nicht und es sei ja noch so vieles unklar. Das stimmt auch. Nur hat sich die Politik zu sehr auf die Einführung einer solchen Steuer festgelegt und sie hat die öffentliche Meinung hinter sich. Und es kommt die Wahl, die ein weites Feld für Populismus darstellt, zumal wenn Wähler keine Prozentrechnung beherrschen. Also wird eine solche Steuer kommen. Und wenn nicht so, dann noch schlimmer, Hauptsache man kann behaupten, man hätte "den Finanzsektor beteiligt".

Den Glauben, dass hier von alleine eine volkswirtschaftlich sinnvolle Lösung gefunden wird, habe ich nicht. Nennen Sie mich ruhig einen Defätisten. Ich nenne mich einen Realisten.

Ihr (frustrierter) Hari

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33 Gedanken zu „Finanztransaktionssteuer – Von Ahnungslosigkeit und Lobbyismus – Eine Wutrede“

  1. Hari, ich kann deinen Frust voll und ganz verstehen ! Es ist extrem (!) frustrierend, was dem „dummen Allgemeinvolk“ als Erfolg der Politik verkauft wird ! Unser österreichische Bundeskanzler Faymann meint sogar es könnte auch ein bisserl mehr sein und unsere Finanzministerin Fekter redet von einem „großen Verhandlungserfolg“. Mein lieber Herr und Frau Gesangsverein, wer zahlt eigentlich die Gehälter dieser intelligenzbefreiten Volksvertreter ? Gute Nacht Österreich, Gute Nacht Deutschland, Gute Nacht Steuerzahler ! Die Schweizer sind davon nicht betroffen, oder ?

  2. Man muss auch bedenken, dass die reine Finanztransaktionssteuer (zumindest so wie sie in Frankreich ist und ich schätze so wird sie auch für die EU sein) HFT/DayTrader nicht trifft, da Transaktionen innerhalb eines Tages quasi zusammengefasst werden.
    Also morgens kaufen, abends verkaufen = 0 Steuer, da kein Settlement der Trades….
    Ich finde das sollte durchaus in die Contra Liste 😉

  3. @Felix, das war mir so gar nicht klar und macht das Ganze noch schlimmer. Danke für den Hinweis. So viel Irrsinn habe ich mir nicht vorstellen können, das übersteigt meine Phantasie.

  4. Hari, es ist sehr gut, dass du im Blog immer wieder auf die vorliegende Problematik eingehst, je mehr davon wissen desto besser. Aber es muss doch irgendwie möglich sein, nicht nur Lesern deines Blogs, sondern auch allen anderen die Augen zu öffnen. Gegen diesen Unsinn muss etwas getan werden solange die Möglichkeit dazu noch besteht. Wenn wir tatenlos zusehen, können wir uns nachher auch nicht mehr beschweren. Eine Wutrede alle paar Monate macht zwar auf das Problem aufmerksam, was ich wie gesagt sehr gut finde, aber es bessert die Situation leider nicht. Es muss mehr getan werden. Hat jemand vielleicht eine Ahnung, ob die Thematik auf anderen Blogs/Webseiten behandelt wird? Ein Zusammenschluss/eine Unterschriftenaktion etc wären vielleicht hilfreich.. oder zumindest auch einfach nur 1-2 Mails an diverse Politiker die anscheinend keine Ahnung haben.

  5. Vielen Dank Hari für diese wahren Worte!!! Ich habe durch meine Aktivität am Aktienmarkt und vor allem durch Deine Lehren mehr gelernt als in den letzten 6 Semester an der Uni. Ich werde Deinen Blog auch weiterhin Personen aus meinem Bekanntenkreis empfehlen, doch leider interessieren sich nur wenige für diese bedeutsamen Themen =(

    @clash: Die große Mehrheit der Bürger und Journalisten kennen den simplen Unterschied zwischen „Spekulieren“ und „Investieren“ nicht, wie sollen dann diese Menschen Haris Analysen und Lehren verstehen?

  6. @crunchyroll: Ich sage doch auch nicht, dass jeder nun Haris Analysen und Lehren verstehen soll. Es geht doch schlicht und einfach nur um die fehlerhafte Umsetzung der Finanztransaktionssteuer. Kurz gesagt soll den Menschen doch nur klar werden, dass nicht „Aktien 0,1 % und Derivate 0,01 %“ sondern „Aktien 0,01 % und Derivate 0,1%“ durchgesetzt werden sollte bzw bezüglich der Prozentsätze zumindest in Richtung nachvollziehbarer Verhältnisse gegangen werden sollte. Wenn man einfach gestrikten Menschen dann „Derivate = Böse“ und „Aktien = Gut“ vermitteln kann, reicht das auch schon aus. Auch wenn diese Assoziationen jetzt nicht gänzlich korrekt sind, aber die Tendenz stimmt auf jeden Fall. So gesehen müssen die Menschen auch nicht alle möglichen Analysen und Lehren von Hari verstehen.

  7. Hi Hari,

    das sind wahre und deutlich Worte. Ich habe den Richtlinenentwurf gelesen. Möglicherweise gibt es aber für Otto-Normalverbraucher eine Ausnahme. Punkt 14 im Richtlinienentwurf sagt:

    „Damit sich die Besteuerung auf den Finanzsektor und nicht die Bürger konzentriert und da
    Finanzinstitute die überwiegende Mehrheit der Transaktionen in den Finanzmärkten
    durchführen, sollte die Steuer von diesen Instituten entrichtet werden, unabhängig davon, ob
    sie in eigenem oder fremdem Namen, für eigene oder fremde Rechnung handeln.“

    Ich glaube man hat sich hier eine Hintertür offengelassen, falls es doch zu einer allgemeinen öffentlichen Protestwelle kommt.

  8. @clash

    Ein guter Einwand, man müsste das ganze auf die Gefühlsebene bringen und erklären, dass Pension, jegliche Art von Versicherung, und überhaupt die meisten Sparformen von „Aktien“ abhängen und dem gegenüber „Derivate“ für den (aktuell gehassten) Banker unsagbare Profite bringt.

    Das so kurz und bündig wie möglich erklärt + ein kleines youtube-Filmchen.

    Und auch dann hätte ich wenig Hoffnung, denn manchmal hab ich das Gefühl, die meisten Menschen wollen sich einfach keine Gedanken über ihre Zukunft machen und viele „verleben“ ihr gesamtes Einkommen sofort (hin und wieder auch mehr) – und interessiern sich deshalb wenig bis gar nicht für Anlage.

  9. @trendfund

    Das klingt für mich wie ne reine Formalität. Das bedeutet mMn nur, dass der Kunde das gar nicht zu Gesicht bekommen soll und die Bank das bezahlt.

    Umsatzsteuer z.B. wird auch von den Unternehmen abgeführt, kommt dir (als Verbraucher) das nun billiger?

  10. Hallo!

    Möchte mich auch am Meinungsaustausch beteiligen. Hari, Deinen Blog lese ich schon einige Zeit mit großer Begeisterung mit. Die Artikel sind wirklich toll gemacht und sehr aufschlussreich. Mach bitte weiter so. Kurz zu meiner Person: Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren aktiv mit der Börse, mal mit mehr und mal mit weniger Erfolg. Nachdem ich mit Optionsscheinen ein paar Mal böse auf die Nase gefallen bin, handle ich nur noch direkt mit Aktien. Leider macht mir die Psychologie immer wieder einen Strich durch manchen schönen (Buch-)Gewinn.

    Deine Ausführungen zur Finanztransaktionssteuer treffen alle direkt ins Schwarze. Die Politiker werden davon aber sicher nicht mehr abrücken. Zum Ersten brauchen sie dringend eine neue Einnahmequelle. Zweitens: Eine Steuer für die bösen Spekulanten kann da unter großem Jubel des überwiegenden Wahlvolkes gut verkauft werden. Drittens: Es könnte ja auch wieder Wählerstimmen einbringen, zumindest bei denen, die die bösen Finanzakteure an den Kosten für die Rettung beteiligen wollen. Und Wählerstimmen entscheiden ja auch über das Schicksal eines Politikers. Und der hat ja auch ein gewisses Interesse an seinem Arbeitsplatz (Gehalt, künftige Pension). Ich glaube nur wenige kapieren was da wirklich passiert und dass zumindest fast jeder Bürger direkt oder indirekt (z. B. niedrigere Erträge der Lebensversicherungen oder der Riesterverträge) betroffen sein wird.
    Das beruhigende für die Politik ist ja, dass die Konstruktion nur so gemacht werden muss, dass von den Kleinanlegern und Sparern, die für ihren eigenen Lebensabend vorsorgen wollen, keiner entkommt. Dann werden die Einnahmen schon fließen. Und wenn es dann ganz gut läuft, können die Politiker vor der Wahl sogar wieder mit Geschenkankündigungen viele dumme Wähler ködern. Es lebe die Umverteilung.

  11. @ Waldbauer, willkommen im Blog und danke für den schönen Kommentar. Bitte übersehe für die Zukunft auch das Forum nicht, dort kann man eigene Themen platzieren und in einem Rahmen diskutieren, der von Sachlichkeit und freundlicher Grundhaltung geprägt ist.

  12. @CDO: Genau in der Art hab ich das gemeint, man muss es den Leuten einfach auf ihre „Sprache“ übersetzen, genauso wie man als Programmierer oder Architekt nicht über handwerkliche Einzelheiten mit dem Kunden spricht, sondern eher über Dinge spricht, die er auch versteht bzw ihn interessieren. In unserem Fall wäre das meiner Meinung nach eigentlich Aufgabe der Wirtschaftsprofis in der Politik, wenn allerdings keiner davon eine Ahnung hat, ist das natürlich schwierig.. was meiner Meinung nach eigentlich eine wirkliche Frechheit ist. Praktisch dasselbe, wie wenn die Passagiere dem Piloten erklären müssten, wie er das Flugzeug zu steuern hat weil er nicht gut genug ausgebildet wurde. Sowas DARF einfach nicht vorkommen. Wenn man bedenkt, dass es Europas qualifizierteste Leute sein sollten die das Ganze regeln, weil es schlichtweg auch um die Zukunft Europas geht.. unfassbar.

  13. @CDO

    Das meinte ich mit Hintertür. Der Passus ermöglicht einen gewissen Interpretationsspielraum. Man kann das so oder so lesen.

  14. Der „Wutrede“ ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.

    Als ich die Nachrichten mit den Prozentsätzen zum ersten Mal gehört habe dachte ich, der Sprecher hat halt die Positionen vertauscht. Aber nein, die wollen das tatsächlich so umsetzen. Unglaublich.
    Ein kleines Mittel, das ich hiermit anregen möchte wäre es, diesen Beitrag an seinen jeweiligen Bundestagsabgeordneten zu schicken. Man kann hoffen, dass so wenigstens einige der Volksvertreter wissen was sie tun.

    Über den folgenden Link kann man seinen Abgeordneten filtern, die Mail Adressen sind auch hinterlegt.

    -> Bundestag Abgeordnete <-

  15. @clash: Die „Tendenz“ deiner Aussage stimmt nicht auf jeden Fall.

    Denn eigentlich sind ja Derivate Geschäfte mit Aktien, genauso wie Aktiengeschäfte selbst, nur eben auf Termin oder mit Option.

    Ich finde der Begriff „Derivate“ wird in den meisten fällen sowieso missverständlich verwendet, da hier einfach viel zu viele Dinge über einen Kamm geschert werden.
    Ich sehe z.B. nicht warum klassische, börslich gehandelte Aktienoptionen anders besteuert werden sollten als Aktien selbst (natürlich auch nicht niedriger…).

    Warum Derivate einen schlechten Ruf haben, sind hauptsächlich verbriefte Finanzprodukte, speziell im Kreditderivatebereich. Viele davon sind eigentlich keine klassischen Derivate, sonder derivate Finanz-Produkte (d.h. Produkte, die in irgend einer Weise von einem anderen Instrument abhängen). Diese werden von Banken emittiert und sind rechtlich gesehen Inhaberschuldverschreibungen. Mit diesen Instrumenten haben z.B. viele Anleger von Lehman ihr Geld verloren, weil diese Produkte ein Emittentenrisiko beinhalten.

    Die Relation „Derivate=Böse“ (oder „Derivate“= Massenvernichtungswaffen) ist natürlich eine menschlich nachvollziehbare Zuordnung, da Menschen dazu neigen, Dinge, die sie nicht verstehen, zu verteufeln…. aber nichtsdestotrotz eher schwachsinnig.

    Wenn nun Leute mit Produkten handeln sollten, die sie nicht verstehen, ist meiner Meinung nach nicht die Schuld der Banken. Das Banken durch derivative Produkte evtl. immense Risikopositionen eingehen, ist ein Bankenregulatorisches Problem und nicht ein Problem der Derivate. Da hilft auch eine Finanztransaktionssteuer herzlich wenig!

  16. @felix: Ich kann dich gut verstehen, ich wollte diese Relationen auch nur als mögliche Beispiele anführen, du hast schon Recht, dass die erwähnte Tendenz nicht auf jeden Fall stimmt. Im Grunde will ich aber eigentlich auch gar nicht behaupten, dass Derivate nun „böse“ sind und eine gut durchdachte Finanztransaktionssteuer der heilige Gral für alle Probleme wäre, ich finde es nur alles andere als gut, wenn Otto Normalanleger aufgrund dieser Steuersätze nun auf Derivate gedrängt wird, wodurch die Geldanlage für ihn noch undurchsichtiger wird.

  17. @guemo: Das halte ich für eine gute idee – habe soeben mails mit dem wutrede-link an „meine“ abgeordneten geschickt, darunter ist witziger weise auch der wirtschaftspolitische sprecher der SPD-fraktion

  18. Vorsicht Satire: Da schlägt der Staat ja viele Fliegen mit einer Klatsche, auf diese Weise stärken sie ja die Banken durch vermehrte Einnahmen aus dem Derivateverkauf und bringen so die Coba-Aktie wieder auf Vordermann und damit des Staates 25%-Anteil ;). Eigentlich ist mir aber nicht zum Scherzen zumute angesichts unserer cleveren Volksvertreter..
    Beste Grüße und ein schönes WE Allen
    John

  19. Also, ich teile hier die kritische Meinung von Hari zum EU-Kommissionsvorschlag. Immerhin gibt es aber aus Wirtschaftskreisen – insbesondere der Industrie – ähnlich kritische Aussagen (z.B. in Deutschland: -> DIHK <- und in Österreich: -> Standard <- .
    Das könnte genügend Druck aufbauen, dass im EU-Parlament noch zumindest kleine sinnvolle Änderungen erreicht werden.

  20. Stimme dem Artikel oben fast uneingeschränkt zu!

    Das einzige Argument pro Transaktionssteuer in seiner jetzigen Form, das mir einfällt: es wird den vielfach und ständig beworbenen Fondsprodukten der Großbanken und ihrer Verkaufslobby in der Form von Anlegerzeitschriften in Zukunft noch schwerer fallen, eine Outperformance gegenüber reinen ETFs auf die Indizes zu erzielen! Ein Aderlass hier kann sicherlich nicht schaden! Ich sage mal voraus, dass deswegen die Fondsbranche irgendwann auf eine Aufweichung der gesetzlichen Bestimmungen drängen wird, um stärker im Derivatehandel mitzumischen.

  21. @Plastik, das verstehe ich nicht ganz. Alle ETFs die Aktien real kaufen – die also voll replizieren – werden erheblich teurer. Swap ETFs und andere derivate Methoden haben dagegen lange nicht den Kostennachteil.Und echte Fonds werden unattraktiver als Zertifikate und anderes.

    Auch das ist imho ein Nachteil und kein Vorteil. Die ganze Regelung drängt die Anleger von direkten Assets (zu denen auch voll replizierende ETFs und saubere Fonds gehören) hin zu derivativen Lösungen, die alle Schuldverschreibungen sind und an der Existenz der Bank hängen. Am Ende haben alle Anleger nur noch Schuldverschreibungen der Banken in den Depots. Damit sind die Banken dann endgültig „unfailbar“.

  22. @Hari: ich wollte wohl nur Devil’s Advocate spielen 😉 und hab wohl nicht alles zu Ende gedacht. Dein zweiter Absatz ist absolut korrekt, und das ist das ‚Big picture‘, um das es geht!!

    Die voll replizierenden ETFs haben immerhin noch den Vorteil gegenüber aktiv gemanagten Fonds, dass letzteren in Zukunft hektisches Umherschieben von Positionen nichts mehr nützen wird. ‚Hin und her macht Taschen leer‘ (und zwar die der Anleger) wird eine neue Bedeutung bekommen und wird die schlechteren Fonds Anteile und Kunden kosten. Leider ist es aber dann so, wie Du sagst: die Kunden und Anleger werden in Derivate getrieben, während echte Stockpicker einen Nachteil haben.

    Können wir hoffen, dass hier noch nachgebessert wird? Dein Link zu den Kommentaren der Börse Stuttgart legt nahe, dass sich vielleicht noch was bewegt. Allerdings haben Privatanleger in Deutschland so gut wie keine Lobby.

  23. Habe von meinem CDU-abgeordneten bzw. von seinem büroleiter auf meine mail mit dem wutrede-link eine antwort erhalten. Ich erspare mir details daraus zu posten, hier meine rückantwort darauf:
    Sehr geehrter Herr G.,
    es ist nicht immer schön, wenn man seine Vorurteile bestätigt sieht. Leider ist ihre Antwort für mich nur BLABLA, denn sie gehen in keiner Weise auf die Problematik ein, um die es mir ging. Ebendarum hatte ich nicht auf einer Antwort bestanden. Sie sollten ihre kostbare Zeit besser nutzen!
    Mit freundlichen Grüßen
    H.

  24. Man kann nur hoffen, dass er sich nach deiner zweiten Mail vielleicht doch noch etwas näher mit der Problematik beschäftigt, schließlich sollte er wissen, dass jede Mail nicht nur eine einzelne Meinung bildet, sondern vermutlich noch hundert andere Menschen da draußen der Meinung sind und sich nur nicht darüber äußern. Wenn ihm da nichts anderes als BlaBla dazu einfällt ist das wirklich schade.. obwohl ich stark annehme, dass Politiker vermutlich ohnehin über extreme BlaBla-Fähigkeiten verfügen müssen, um ihre Position erreichen zu können..

  25. Träum nicht clash. Politiker können nicht das Ziel haben, das Richtige zu tun, zumindest wenn es über die Ebene der Gemeinderäte kleinerer Orte hinausgeht. Ziel ist der Listenplatz und die sichere Wiederwahl. Zur Verschleierung des eigenen Interessenkonflikes gibt es dann ja Phrasen wie „ist politisch nicht durchsetzbar“, „wir müssen den parlamentarischen Weg gehen“, usw,usw. So ähnliche Sätze kennst Du sicherlich auch zu Genüge.

  26. Hallo,
    Ich muss jetzt die Politiker hier mal etwas schützen.
    Ich selber bin noch Schüler und politisch bei der CSU bzw. Jugendorganisation aktiv.
    Ich wundere mich auch manchmal über Entscheidungen, man sieht mit normalen Menschenverstand,
    dass da etwas nicht passt und trotzdem interveniert keiner. Von meinen „höherer“ Politikern vor Ort kann ich mir das dann
    immer gar nicht vorstellen. Doch wenn der im Ausschuss für Innenpolitik ist und genug für ihn wichtigere Probleme hat, ist es irgendwo auch verständlich bzw. menschlich. Die Politiker erreichen auch öfter Mails von besorgten Menschen, die meinen Deutschland braucht ein Vegangesetz nach dem Motto: „Lasst doch die Banken in Ruhe und kümmert euch um die wirklich wichtigen Dinge wie Nahrung und Frieden!“ Auch die Menschen meinen, genau ihr Anliegen wird nicht richtig wahrgenommen. Naja ich finde es so auch nicht gut und werde es auch mal versuchen anzusprechen.

  27. Nach dem Entwurf zur Finanztransaktionssteuer seitens der EU-Kommission vor rund 4 Monaten (der Hari ja zur obigen Wutrede veranlasste), stehen nun immer mehr politische Akteure auf der Bremse. In einem aktuellen Artikel der taz – http://www.taz.de/!117567/ – wird nun darauf hingewiesen, dass große Investmentbanken wieder ihre Finger im Spiel haben, dieses auch für mich grundsätzlich sinnvolle Instrument einer Regulierung, zu Fall zu bringen.
    Statt den Kommissionsvorschlag deutlich zu verbessern (z.B. zugunsten realwirtschaftlicher Transaktionen wie Aktien und zuungunsten abstrakter wie den meisten Derivaten), soll er möglichst auf die lange Bank geschoben werden, noch dazu mit anscheinend abstrusen Argumenten. Das treibt mir die Wut ins Gesicht!

  28. Schweden, ausgerechnet, ist uebrigens nicht dabei – ja, wieso wohl? Weil sie diese schon in den 90er einführten – und als sie sahen, wie es mit ihrem Finanzplatz den Bach runter ging, wieder abschafften – es ist halt nicht verboten, die Fehler der anderen zu wiederholen, aus den Fehlern anderer zu lernen, aber offenbar schon…. Also meine Meinung ist klar: Nicht nachbessern, sondern schlicht nicht einführen. Denn nicht vergessen: der Weg in die Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen.

  29. Heute erfahre ich gerade über Jandayanachrichten, das Frau Merkel doch nen Ohr für Investoren hat:

    Bundeskanzlerin Merkel: Hören uns an, was Investoren zur Finanztransaktionssteuer zu sagen haben.
    vor 19 Min (14:33) – Echtzeitnachricht

    Bin mal gespannt, wie die Politiker da wirklich verstehen wird 😉

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