Die Märkte vor dem Sprung – Was gute technische Analyse leistet

Eine bei Laien weit verbreitete Misskonzeption zur technischen Analyse ist, dass von der technischen Analyse klare direktionale Aussagen erwartet werden, auch wenn der Markt selber keinen klaren Trend zeigt.

Das kann aber nicht funktionieren, denn gute technische Analyse vermittelt ein zutreffendes Bild des Marktzustandes und erfindet nichts hinzu, was nicht vorhanden ist. Oder in anderen Worten, wenn der Markt richtungslos ist, woher soll dann seriöse technische Analyse eine Richtung kennen?

Immer wieder erlebt man dann, dass sobald Anleger das begriffen haben, sie technische Analyse als "wertlos" betrachten. Der naive Wunderglaube, dass irgend jemand - wahlweise die technische Analyse, das Börsenmagazin, der Wahrsager oder der Guru - einem sagen würde, was morgen die (Börsen-) Zukunft bringt, ist einfach nicht auszurotten. Und das Ganze dann bitte noch "kostenlos" oder für 4,99€ im Abo. Lachhaft!

Dabei hat seriöse Information über den aktuellen Marktzustand hohe Bedeutung. Auch aus der Information, dass der Markt gerade trendlos ist, lassen sich wichtige Handlungsempfehlungen ableiten - in dem Fall zum Beispiel mal "die Füsse still zu halten".

Stellen Sie sich doch mal folgende, fiktive Situation vor:

Sie sind im Dschungel als Tier-Fotograf unterwegs und hocken im Gebüsch. Denn vor Ihnen liegt ein Tiger - gross, majestätisch, gefährlich. Sie schwanken innerlich zwischen Faszination und der Angst, dass der Tiger Sie bemerken und auf Sie springen könnte.

Der Tiger schläft und alles ist ruhig und Sie können so ganz langsam ihren Fotoapparat in Stellung bringen und sich erst einmal entspannen.

Dann .... plötzlich .... öffnet der Tiger die Augen, der Rücken drückt sich durch und Sie wissen, dass der Tiger nun zum Sprung ansetzt. Es stellt Ihnen die Nackenhaare auf. Schaut der Tiger auf Sie? Hat er Sie entdeckt?

Genau das ist eine Situation, in der Sie ein eindeutiges Signal haben, dass der Tiger bald zum Sprung ansetzt und "erwacht" ist. Hat dieses Signal keinen Wert, weil Sie noch nicht wissen, wohin er genau springen wird?

Natürlich hat das Signal wert und zwar jede Menge. Denn Sie können sich vorbereiten, in Stellung bringen, was immer Sie im Vorfeld tun wollen. Aber Sie wissen, bald "geht es los".

Und dann springt der Tiger, Ihre Kamera macht klick-klick-klick, der Tiger springt nicht zu Ihnen, sondern auf einen kleinen Pflanzenfresser links von Ihnen. Und Sie haben Fotos, die Sie teuer an "National Geographic" verkaufen können.

Sie haben die Fotos aber nur deshalb, weil Sie zuverlässig den Moment erkannt haben, an dem der Tiger zum Sprung ansetzte.

Nun schauen wir mal auf die aktuellen Märkte und den Leitindex S&P500 im ganz langfristigen Chart mit Monatskerzen, das bis 2002 zurück reicht:

S&P500 09.06.16

Wir haben im langfristigen Bild tatsächlich eine Menge Spannung im Chart.

Die Bollinger Bänder sind zusammen geschnurrt, was relativ geringe direktionale Aktivität zeigt. Gleichzeitig - und das ist sehr ungewöhnlich - ist der ATR Indikator (die Average True Range) aber hoch!

Heisst konkret, der Markt schwankt stark hin und her - wie ein Tiger der vor dem Sprung "wippt" - ohne dass sich die direktionale Bewegung schon in Gang gesetzt hat. Das Wippen vor dem Sprung also.

Gleichzeitig zeigt der ADX als Trendindikator, dass wir auf der Ebene von Monatskerzen, keinen starken Trend mehr haben, sondern eher die Indifferenz vor dem Sturm.

Das letzte Mal so weit unten, war der ADX 2012, bevor die grosse Notenbank-QE-Rally der Jahre 2013 und 2014 begann.

Das ist doch eine Menge an Information. Wäre der Markt ein Tiger, müssten Sie jetzt unbedingt den Fotoapparat heraus holen, um dieses preisgekrönte Foto für die National Geographic schiessen zu können.

Damit wissen wir aber immer noch nicht, wohin der Tiger S&P500 dann springt. Nach oben oder nach unten im Chart? Das wird sich zeigen, auch wenn die Struktur eine deutliche Tendenz nach oben besitzt.

Das aber die Spannung steigt und darauf bald eine Expansion folgen dürfte, das sagt uns ganz klar die technische Analyse.

Übrigens, achten Sie hier unbedingt auf den Zeithorizont. Das Chart stellt die Lage in Monatskerzen dar. Ein "bald" ist damit auch eine Aussage über einige Monate und nicht einige Tage. Und ein Chart, dessen kleinste Einheit eine Monatskerze ist, kann logischerweise keine Aussagen über die nächsten Tage oder Wochen machen.

Der Masstab (Zeithorizont) hat bei der technischen Analyse ganz entscheidende Bedeutung. Auch die Interpretation solcher Daten ist immer nur auf der Zeitebene gültig, die tatsächlich dargestellt wird. Und hier im Chart sind das Monate und Jahre, nicht Tage und Wochen!

Trotzdem, das Chart oben bietet eine Menge Information, für ein paar schnell angeschaute Indikatoren.

Gute technische Analyse vermittelt uns also ein zutreffendes Bild des aktuellen Marktzustandes, so dass wir in unseren Anlage-Entscheidungen auf festem, belastbarem Grund stehen. Die Zukunft kennt technische Analyse aber eben so wenig, wie der Guru und der Hellseher.

"Nutzlos" findet so eine Information nur, wer noch an Hellseher glaubt. 😉

*** Bitte beachten Sie bei der Nutzung der Inhalte dieses Beitrages die -> Rechtlichen Hinweise <- ! ***

2 Gedanken zu „Die Märkte vor dem Sprung – Was gute technische Analyse leistet“

Schreibe einen Kommentar