Macht eine langfristig passive Bluechip Strategie Sinn?

Der folgende Artikel erschien schon Donnerstag 11.12.14 15:20 in Hari Live und wurde zwecks Anonymisierung und Verständlichkeit für den freien Bereich überarbeitet

Im Forum gab es eine Frage, die ich hier ausführlich als Artikel beantworten will, weil mir das Thema von so allgemeinem Interesse zu sein scheint, dass es jeder wahrnehmen sollte.

Es ist die Frage eines Mitglieds, ob eine langfristig passive Bluechip Strategie Sinn macht, also sozusagen "Buy and Hold" mit Bluechips a la 3M, Johnson&Johnson, MC Donalds, Kellogg, Procter&Gamble und Co.

Die Anlage in solchen Werten wird ja in Deutschland von interessierter Seite gerne als "Value-Strategie" verkauft und erfreut sich grosser Beliebtheit. Kaum fängt jemand an sich mit Börse zu beschäftigen, hat er schon "Warren Buffett" und "Value" im Mund, es hört sich ja auch zu einfach und überzeugend an. So wie ein Baby als erste Worte typischerweise "Mama" und "Papa" sagen kann, sind "Warren Buffett" und "Value" die ersten Worte deutscher Anleger. 😉

Komisch nur, dass trotz dieses überzeugenden Konsens, nur die wenigsten an der Börse wirklich erfolgreich sind. Diese Divergenz zwischen eingängigem Erklärungsmodell und mangelndem Erfolg, sollte ja zum Nachdenken anregen, tut es aber erstaunlicherweise in der Regel nicht.

Wie ich darüber denke, habe ich im Artikel -> Gedanken zum langfristigen Vermögensaufbau und zum Zerrbild des Value-Investing <-
ausführlich dargestellt - ein Artikel, den ich Ihnen auch heute zum Lesen empfehle, falls sie ihn noch nicht kennen.

Nun also meine Antwort auf die Frage des Mitglieds:

Theoretisch (zu dem Begriff komme ich noch) ist es für 80-90% der Anleger tatsächlich am Besten, sich Bluechip-ETFs wie beispielsweise den iShares Global Titans (WKN: 628938) passiv ins Depot zu legen, diese dann unter Ausnutzung des Cost Average Effektes langfristig zu akkumulieren und gut ist es!

Denn Markt-Timing bekommt nur eine Minderheit hin, erfordert viel Wissen und vor allem Disziplin und Kenntnis der eigenen Psychologie. Und wir erleben ja hier auch immer wieder, dass es trotz meiner Hinweise und meiner offensichtlich brauchbaren "Glaskugel", trotzdem immer noch nicht einfach ist. Was soll da erst "Otto Normalanleger" sagen, der nur den Mainstream Nachrichten hinterher läuft und damit sowieso immer im falschen Moment agiert, wenn der Käse schon längst gegessen ist?

Bevor ich aber zum "theoretisch" komme, noch der Hinweis, dass die Annahme, dass immer die grossen Bluechips die Besten seien, in meinen Augen ein unzulässige Annahme ist. Unzulässig ist sie deshalb, weil selbst ein Betrachtungszeitraum von 20 Jahre für die generelle Aussage zu kurz ist.

Es waren in den letzten 20 Jahren diverse Entwicklungen, wie zuletzt die finanzielle Repression, die das Geld in Bluechips als Anleihenersatz getrieben haben und daher für eine Überperformance der "grossen Brummer" zum Gesamtmarkt gesorgt haben. Ich kann mir gut Szenarien vorstellen, in denen das in Zukunft anders sein würde.

Stellen wir uns zB mal einen massiven Umbruch wie das Aufkommen der Computer vor. Ich habe das jetzt nicht historisch überprüft, kann mir aber gut vorstellen, dass ein 20 Jahre gehaltener Korb der 1970er Bluechips aus der Vor-Computer-Ära, bis 1990 keineswegs eine Überperformance gegenüber einem Wachstums-orientierten Depot gebracht haben dürfte. Im Gegenteil, einige dieser Bluechips von 1970 waren in den 90ern aus dem Geschäft. So etwas machen halt Umbrüche.

"Past Performance is no indication for future results" - diese Weisheit gilt auch für die Überperformance der grossen Adressen an der Börse, die gerade in den letzten 5 Jahren eklatant gewesen ist. Wir wissen aber auch, warum das so war, das hat mit der Notenbank-Politik zu tun.

Und dass die 2008er Krise, die Bluechips nicht im Kern erschüttert hat und diese gestählt daraus hervor gingen, liegt eben am Charakter der Krise und kann nicht verallgemeinert werden. Ich kann mir auch ganz andere Umbrüche vorstellen, die die Geschäftsmodelle einiger der grossen Namen komplett in Frage stellen und einen "Game Changer" darstellen.

Kommen wir nun aber zu dem wichtigen Wort "theoretisch". Denn die Strategie funktioniert für Otto Normalanleger nur dann besser als jeder Timing-Versuch, wenn er dann aber wirklich durch dick und dünn dabei bleiben würde.

Genau das passiert aber fast nie! Theoretisch ist das alles immer ganz einfach, aber wer noch eine Erinnerung daran hat, wie sich das alles im 4. Quartal 2008 angefühlt hat, weiss was ich meine.

Der mediale Druck war immens. Alles schien zusammen zu brechen und tiefer ging an der Börse immer. "Otto Normalanleger" mit der Strategie einfach dabei zu bleiben, hat dann ganz lange durchgehalten aber irgendwann wurde der Druck zu gross und nachdem sich 50% der angesparten Alterversorgung in Luft aufgelöst hatte, hat er dann doch entnervt verkauft - wahrscheinlich Anfang 2009 auf dem Tiefpunkt.

So ist das immer bei den grossen Einbrüchen. Theoretisch ist "Buy and Hold" immer ganz einfach. Praktisch aber brutal schwierig, ausser man zieht sich in eine Holzhütte im Wald zurück, ohne Internet-Zugang und ohne Zeitung.

Das Verrückte dabei ist, um so eine Phase mit "Buy and Hold" durchzustehen, braucht es einen erfahrenen Anleger, der so etwas schon erlebt hat. Es braucht also einen börsengestählten Geist, der ein Gefühl für Marktschwingungen hat. Denn erst aus der Erkenntnis dieser Mechanismen, erwächst das Selbstbewusstsein und die Ruhe, solche Phasen durchzustehen. Ein Anfänger hat gar keine Chance, er wird immer im falschen Moment in Panik geraten und das Falsche tun.

Heisst mit anderen Worten, wer Buy-and-Hold nicht mit einem monetären Pipifax, sondern mit seiner für das weitere Leben eminent wichtigen Alterssicherung!!! durchstehen will, muss entweder die Aussenwelt komplett aussperren können oder er muss das Wissen zu den Märkten aufgesammelt haben, das ich hier vermittele. Ohne die Sicherheit, die aus dem Wissen kommt, wird der durchschnittliche Anleger genau am Tiefpunkt die Nerven verlieren - das ist die zwangsläufige Folge der Reflexivität der Märkte.

Wenn man aber das Wissen um so Zyklen und um Risikomanagement sowieso aufgesammelt hat, fährt man emotional besser damit, wenn man sein "Blue Chip Buy and Hold" mit einem ganz trivialen Risikomanagement unterlegt, wie zum Beispiel die 200-Tage-Linie zu benutzen. Womit es eben kein "Buy and Hold" mehr ist, sondern aktives Markt-Timing, wenn auch ein sehr langfristiges und ruhiges.

Selbst wenn diese Risikomanagement-Strategie langfristig mal keine echte Überperformance gegenüber sturem Buy-and-Hold generieren sollte, ist sie für die menschlichen Anleger trotzdem besser, weil sie das emotionale Kapital schont. Es ist fühlt sich einfach besser an, wenn man sich in den Zeiten der schlimmsten Ängste der Welt einfach zurück lehnen kann, weil man seine Schäflein ins Trockene gebracht hat.

Fazit:

Ja, die grosse Mehrheit der normalen Anleger, fährt mit einer langfristigen Basis-Strategie, die mehr oder weniger dem Markt folgt, wahrscheinlich besser, als mit dem Versuch den Markt intensiv zu timen. Damit das überhaupt gelingen kann und damit man nicht im falschen Moment genau das Falsche tut, braucht es aber zwingend die Sicherheit, die nur aus einem Verständnis des Marktgeschehens resultieren kann.

Es führt in meinen Augen also kein Weg daran vorbei, sich mit den Mechanismen des Marktes zu beschäftigen, sonst hält man die grossen Krisen in der Regel schlicht nicht aus. Das ist der Unterschied zwischen Theorie und langfristiger Praxis.

Ich kann es auch etwas flapsiger formulieren: Eine schwere Weltkrise mit der immens wichtigen, grossen Alterssicherung auszusitzen, schafft in der Regel nur ein Autist, oder ein sehr erfahrener Anleger mit guten Nerven und viel innerer Sicherheit, die aus Erfahrung resultiert.

Letzter, der sehr erfahrene Anleger, kann es sich aber leichter machen, denn mit der Erfahrung hat er dann auch das Wissen um ein zumindest rudimentäres Risikomanagement. Und selbst wenn das am Ende keinen monetären Vorteil bringen sollte, lebt es sich mitten in der Krise beschwingter und glücklicher, wenn man mit seiner Alterssicherung an der Seitenlinie steht.

Es führt also kein Weg daran vorbei, nur wer den Markt wirklich versteht und das Geschehen einordnen kann, hat eine Chance - egal mit welcher Strategie, ob kurzfristige Trades oder langfristige Anlage. Alle anderen werden von ihren Emotionen in Verluste getrieben.

Und "den Markt zu verstehen" erfordert Zeit und Engagement. Mal schnell was lesen und sich zusammen reimen, reicht einfach nicht aus, dafür sorgt alleine schon die -> Reflexivität <-.

So weit meine Sicht auf die Dinge.

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2 Gedanken zu „Macht eine langfristig passive Bluechip Strategie Sinn?“

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