Das 2. Quartal – Sechs klare Thesen



Das 2. Quartal liegt vor uns und damit auch wie immer die Frage, wie es an der Börse weiter gehen wird.

Nun habe ich, wie Sie wissen, im Gegensatz zu den "Crash-Propheten" und anderen Grossmeistern der Zukunftsvorhersage, immer noch keine Glaskugel. Insofern lassen wir konkrete Zukunftsprognosen hier weiter mal sein. Wenn Sie Derartiges suchen, finden Sie vielfältige Angebote im Web und sind hier eher falsch.

Warum jemand der die Zukunft kennt, nicht schon längst an der Börse zum Milliardär geworden ist, verstehe ich zwar immer noch nicht, aber wahrscheinlich sind das einfach alles ganz herzensgute, altruistische Menschen, die für ihre Mitmenschen völlig selbstlos nur das Beste wollen. 😉

Aber lassen wir mal den Sarkasmus, hier sind für Sie sechs klare Statements bzw Thesen zum Nachdenken, die ich zum 2. Quartal mal in den Raum stelle - dann können Sie damit machen, was immer Sie wollen:

(1) Trump oder Konjunktur? Beides!

Seit dem Wahlsieg Trumps befindet sich der Markt in einer eindrucksvollen Aufwärtsbewegung. Da lag und liegt es doch nahe, diese Bewegung mit Erwartungen an Trumps Politik in Verbindung zu setzen, insbesondere zum Thema Steuerreform, Infrastrukturprogramm und Deregulierung des Finanzsektors.

Da ist auch was dran und insbesondere der erste Schub im November/Dezember letzten Jahres, dürfte stark damit korreliert sein. Auch heute ist dieser Faktor sicher noch im Spiel.

Aber - ein dickes Aber - an der aktuellen, fortdauernden Stärke dürfte in zunehmendem Masse auch die konjunkturelle Entwicklung beteiligt sein. Denn die Konjunktur-Signale sehen zunehmend positiv aus, selbst im bisher anämischen Europa.

Diese Rally als reine Hoffnungsrally abzutun und ihr einen Zusammenbruch zu prophezeihen, sobald die Hoffnung der Realität weicht, ist also viel zu kurz gedacht. Diese Rally hat eine fundamentale Unterlegung, auch wenn sie schon von recht hohen Kursniveaus aus erfolgt.

(2) Sell in May?

Im letzten Jahr habe ich mich in -> Sommerstarre statt Sell in May <- klar gegen den Sell in May Effekt ausgesprochen und so ist es dann auch gekommen.

Dieses Jahr dürften diese Art Prognosen daher spärlicher werden, gleichzeitig hat der Markt aber nach dem starken Anstieg bis in den April hinein durchaus Raum für eine Pause. Insofern sind die Chancen eines "Sell in May" Events dieses Jahr ungleich höher als letztes Jahr.

(3) Überschätztes politisches Risiko Europa?

Für die Kurse ist nicht nur wichtig, was wird. Wichtig ist vor allem die Differenz zwischen der in den Kursen enthaltenen Erwartung und dem was wird.

Und was die Erwartung angeht, ist der Markt in Europa mit diversen Katastrophenszenarien ins neue Jahr gegangen, die von einem Zerfall der EU bis zum Auseinanderbrechen des Euros reichen. All das war also schon in den Kursen und hat Europas Aktienmärkte gegenüber den US Indizes zurück fallen lassen.

Und nun bricht sich langsam eine realistischere Sicht Bahn, die man mit "not yet!" umschreiben könnte. Was bedeutet, dass die Sorgen zwar berechtigt sind und die strukturellen Mängel von EU und Euro ja objektiv da sind, diese aber wohl noch nicht in 2017 zur Eskalation führen werden.

Das politische Risiko in Europa wird also eher überschätzt und diese Anpassung der Erwartung treibt aktuell die Kurse und könnte sie weiter treiben.

(4) Überschätztes Risiko einer Zinswende?

Auch die in den US durch die FED laufende Zinswende, wird gerne als Grund für eine Wende an den Aktienmärkten argumentativ missbraucht. Und selbst die EZB beginnt ja ganz leicht zu zucken und der Markt beginnt ein Ende der Negativzinsphase in Europa zu antizipieren.

Auf den ersten Blick hört es sich ja auch logisch an, wenn Bonds höhere Renditen abwerfen, erzeugt das Druck auf die um das Anlagegeld konkurrierenden Aktienmärkte. Diese Logik dürfe aber überschätzt und übertrieben sein.

Denn erstens gibt es keinen historischen Automatismus, nachdem die Zinswenden schlecht für die Kurse waren. Erst viel später im Prozess, wenn die Zinsen sich wieder attraktiven Niveaus wie 3 oder 4% annähern, wird das zunehmend zum Problem, davon sind wir aber noch Jahre entfernt, wenn es dazu überhaupt je wieder kommt.

Und zweitens haben wir durch die von den Notenbanken induzierte Blase bei den Bonds sowieso eine historisch völlig einmalige Situation, in der Bonds auch bei marginal erhöhten Renditen weiter skeptisch gesehen werden dürften. An Aktien als Produktivvermögen führt weiter kein Weg vorbei und deshalb ist die Zinswende kein guter Grund für Sorgen.

(5) Unterschätztes politisches Risiko USA?

Trotz aller Fragezeichen um die Person Trump, die von den Medien in lächerlicher Art und Weise aufgebauscht wurden, hat der Markt die Schultern gezuckt und kalt die politischen Implikationen positiv gewertet.

Was die Person Trump angeht, ist das wohl auch die richtige Herangehensweise, denn der versucht seine Agenda umzusetzen und auch wenn er persönlich peinlichst selbstverliebt ist, ist die Agenda doch eher börsenfreundlich und nur das zählt.

Nun hat Trump aber selber Bekanntschaft mit der Dysfunktionalität der GOP (Grand Old Party = Republikaner) gemacht, die durch die ca. 30% der Abgeordneten aus dem -> Freedom Caucus <- mit Nähe zur fundamentalistisch-gläubigen "Tea Party" Fraktion fast lahmgelegt wird.

Dort herrscht eine völlig fehlende Bereitschaft zum politischen Kompromiss, die die GOP zu zerreissen droht. Dabei ist die Bereitschaft zum Kompromiss die Kernkompetenz aller Demokraten. Wer fundamentalistisch nur noch mit dem Kopf durch die eigene Wand will, legt auf Ausgleich und Teilhabe ausgerichtete demokratische Systeme mit der Zeit lahm.

Dabei geht es gar nicht um die politische Orientierung, es geht um die fundamentalistische Haltung, die keine andere Wahrheit als die eigene akzeptiert und diese Haltung findet sich links wie rechts und besonders gerne dort, wo die eigene Haltung mit moralischen und/oder religiösen Grundsätzen überhöht wird. Kurz und gut, wer sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnt, kann im Inneren kein Demokrat mehr sein, denn wie kann er dann eine Regierung der politischen Gegner noch demokratisch akzeptieren?

Dieses Problem ist erheblich und es relativiert die Mehrheiten, die die GOP nun in Repräsentantenhaus und Senat hat, die bei einer funktionalen Partei ein "Durchregieren" ermöglichen würden. Und Trumps ist nun erhebliche Risiken gegangen, als er den -> Freedom Caucus den Krieg erklärt <- hat.

Ich halte dieses Risiko für unterschätzt und es wird vielleicht schon bald sein Haupt erheben, wenn der "Government Shutdown" wieder ansteht, weil die US (mal wieder) gegen die immer weiter verschobene Schuldenobergrenze stossen, wobei ich da nicht mit echten Problemen rechne, das wäre zu lächerlich. Vor allem wird es aber Trumps für den Markt entscheidendes Projekt behindern, die Steuerreform. Die darf nicht scheitern, sonst wird der Markt weit schärfer reagieren, als nach der Trumpcare vs Obamacare Diskussion.

(6) Unterschätzer Einfluss der Algos?

Niemand kennt die exakten Zahlen, aber geschätzt 70-80% der Marktbewegungen werden mittlerweile von algorithmischen Systemen und nicht mehr von Menschen durchgeführt. Diese Systeme sind noch von Menschen programmiert und keineswegs "intelligent" im eigentlichen Sinne des Wortes - die Zeit von "Skynet" aus dem "Terminator" ist also noch nicht gekommen.

Aber es verändert das Marktverhalten entscheidend. Sentimentdaten werden unwichtiger, weil wo keine Menschen handeln, hat deren Angst und Gier keinen Einfluss mehr. Und Trends und Marktstrukturen werden ausgeprägter, weil die Algos diese gezielt handeln und damit verlängern. So hat die andauernde, korrekturlose Stärke des Marktes im ersten Quartal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eben auch mit dem Einfluss der Algos zu tun.

In Summe wird der Einfluss der Algos in der medialen Kommentierung immer noch unterschätzt. Viele Marktteilnehmer lesen Charts immer noch so, als ob da nur Menschen handeln würden und das Wiederkäuen von alten Grundregeln, die für emotionsgetriebene Menschen galten, bringt in der Gegenwart auch nicht wirklich weiter.

Wer seine Auge offen hat sieht, wie der Markt sich wandelt und zum Beispiel V-förmige Rebounds oder Fakeouts von der Ausnahme zum Standard wurden. Es ist Zeit aufzuwachen und alte Gewissheiten bei Seite zu schieben. Die Marktmechanik verändert sich und nur wer dem offen folgt, kann weiter erfolgreich sein.

Soweit meine sechs Thesen zum Markt und zum 2. Quartal. Wie Sie das nun in Ihr eigenes Handeln am Markt umsetzen, das ist Ihre Entscheidung. Oder Sie stossen zu uns dazu und finden heraus, wie die anderen der Community und ich damit umgehen.

Ihr Hari

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