Der Affe und das Risiko



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Lesen Sie wie sich Homo Erectus in der Savanne verhalten hat und warum unsere natürlichen Instinkte im Wesentlichen immer noch so funktionieren und für die Börse deplatziert und kontraproduktiv sind.

Und lesen Sie auch, warum die Crash-Propheten genau mit diesem Affen in uns, ihre Klicks generieren.

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In mehr als 8 Jahren Blog, muss man bestimmte Dinge zwangsläufig wiederholen, es ist ja nicht so, dass sich das Börsengeschehen jedes Jahr völlig verändert und man muss das Rad auch nicht immer neu erfinden.

Ein so ein Thema ist dabei unser "Affenhirn", der ironisch-liebevolle Begriff, unter dem wir hier all unsere evolutionären Verhaltensgrundlagen zusammenfassen, die so gar nichts mit dem "Sapiens" des Homo Sapiens zu tun haben.

Andere nennen das das "Neandertalergehirn" und die Evolutions-Biologen kennen dagegen das -> Reptiliengehirn <-, das in uns allen steckt und auf noch einer tieferen Ebene als das "Affenhirn" unser Verhalten steuert.

Letztlich sind das alles nur Worte die beschreiben, dass unsere vermeintliche Ratio nur eine dünne Firniss ist und wir in weit höherem Maße von diesen "älteren" Gehirnarrealen und unseren evolutionären Reflexen bestimmt werden, als wir uns klar machen.

Insofern ist auch wichtig zu sehen, dass es dabei nicht nur um unser Verhalten an der Börse, sondern generell im Leben geht. Nicht nur Börsianer verhalten sich immer wieder wie "Affen" (Neandertaler), sondern alle Menschen, ohne Ausnahme. Der Vorteil - und die große Schwierigkeit der Börse - ist nur, dass uns durch die direkte Rückkopplung der Kurse permanent vor Augen geführt wird, wie teilweise idiotisch und völlig irrational unser Verhalten ist. Und vor allem, wie wir uns dabei immer selber im Wege stehen.

Wenn man so will, hält uns die Börse permanent den Spiegel vor und wir haben nur zwei Alternativen:

Entweder sagen wir "Börse ist Scheiße", weil wir die Fratze des Affen im Spiegel nicht ertragen und finden allerlei Ausreden oder stellen uns auf eine moralische erhöhte Stufe, in dem wir die anderen "Zocker" nennen. Das beruhigt die arme Affenseele in uns und wärmt das getroffene Ego, ein Affe bleibt es trotzdem.

Oder wir stellen uns der Fratze und beginnen zu verstehen und unsere Ratio zu benutzen, um uns darüber zu erhöhen. Das ist schwierig und bleibt das ganze Leben ein beständiger Kampf. Und es ist trotzdem der Weg, der uns auch über die Börse hinaus, bei Entscheidungen immens weiter bringen kann und uns reifer und erfolgreicher macht.

Viele Facetten hat dieses Affenhirn, viele haben wir in den vergangenen Jahren besprochen. Heute möchte ich in aller Deutlichkeit unsere Aufmerksamkeit auf unser Risiko-Empfinden richten, denn das ist eines der zentralen Hindernisse für praktisch alle Anleger, die gerne die Performance des Marktes mitnehmen wollen, aber immer wieder von Ängsten vor der nächsten Krise davon abgehalten werden - Aktien sind gefährlich, ja, ja. 😉

Es muss doch auch einen Grund dafür geben und kann kein Zufall sein, dass praktisch alle Menschen, auch die Börseninteressierten, an Wenden des Marktes in beiden Richtungen immer viel zu lange zögern - Zu lange zögern los zu lassen und zu lange zögern, wieder einzusteigen. Es muss doch einen Grund geben, warum die Geschichten vom nächsten Crash immer viel mehr Leser finden, als Geschichten wie ich sie erzähle, Geschichten von langsamer, inkrementeller Verbesserung, die zwar mal von Krisen unterbrochen wird, aber letztlich am Ende nach oben führt.

Nehmt den größten Idioten unter den Crash-Propheten, der seit Jahren den Lesern von der kommenden Katastrophe vorfabuliert und die Depots seiner Jünger mehrfach geschrottet hat, er wird auch heute ohne Probleme ein Vielfaches an Leser finden, als jemand wie ich mit meinen komplexen und im Mittel eher optimistischen Botschaften. Das kann kein Zufall sein und ist kein Zufall!

Mehr als 90% der Bevölkerung und bestimmt immer noch 60-70% der Börseninteressierten, denken immer noch falsch zum Thema Börse und sorgen sich mehr vor der nächsten Korrektur, als davor die immensen Chancen zu vergeigen.

Und rational kann man das wohl kaum nennen, denn rational ist das die Realität:

Und das ist logarthmisch dargestellt, absolut gesehen ist die Steigung kaum mehr darstellbar und selbst wenn man die Inflation herausrechnet, ist die Steigung beeindruckend.

Das ist die Realität und über 90% der Bürger halten Aktien für gefährlich. Und auch die Mehrheit der Anleger hat permanent "die Hose voll", siehe die locker hundert Memes, die wir in den letzten 8 Jahren gemeinsam schon erlebt haben, warum dieser Markt bald zusammenbrechen muss. Irgendwann wird mal eines recht bekommen, das muss einfach rein statistisch so sein. Schwachsinn bleibt es trotzdem, dem über Jahre hinterher zu laufen, nur weil irgendwann mal eines eintreffen *könnte*.

Wie passt das zusammen? Wir sind doch "Sapiens"? Oder etwa doch nicht?

Die Antwort ist ganz einfach, es ist unser Affenhirn, das uns kontrolliert. Und da wir vor ihm nicht weglaufen können, macht das selbst jemandem wie mir, der das Thema ganz tief durchdringt, trotzdem immer wieder mit "rumoren" Schwierigkeiten.

Hier wirkt ganz besonders unser Risiko-Empfinden, das evolutionär auf das Überleben ausgerichtet ist, damit wir uns fortpflanzen können. Denn nur das, was durch Gene weitergegeben wird, hat die Chance kommenden Generationen im Überlebenskampf zur Verfügung zu stehen.

Stellen wir uns vor, wie wir durch die berühmte Savanne laufen, in der es vielleicht Löwen, Geparden, Hyänen und in Tümpeln Krokodile gibt.

Da laufen wir als Homo Erectus also und im Gebüsch 50 Meter entfernt raschelt es. Erst vor kurzem wurde hier eine herumstreifende Löwen-Sippe gesichtet. Was machen wir?

Ganz klar und ganz automatisch, entweder machen wir einen riesigen Bogen um das Gebüsch. Oder wir werden sehr, sehr lange ruhig verharren und warten, bis wir sicher sind, was da drin ist.

Auf die Börsen übertragen sagen wir also entweder "Börse ist Scheiße", was dem weiten Bogen entspricht, oder wir warten lange, bis die Lage vermeintlich "sicher" ist, womit an der Börse die leichten Gewinne aber schon verfrühstückt wurden und wir mal wieder zu spät dran sind.

Und beide Verhaltensweisen sind höchst rational und in der Savanne richtig, weil es um unser Überleben geht und das um jeden Preis zu sichern ist. Sie sind auch dann richtig, wenn wir selber der Meinung sind, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Löwen sind.

Denn wenn wir durch das Gebüsch marschieren und uns irren, sind wir tot. Demgegenüber ist ein Umweg oder Abwarten ein kleiner und sinnvoll investierter Preis. In der Savanne ist dieser Reflex mit hohen Risiken umzugehen also genau richtig.

Was wäre dagegen an der Börse richtig? Die Antwort ist klar, einfach weiterzugehen und ohne zu Zögern durch das Gebüsch zu marschieren. Weil was ist schon ein einzelnes Rascheln, das einem einzelnen, anschlagenden Indikator wie einer invertierten Zinskurve entspricht? Nichts!

Und genau da liegt das Problem. Bei Signalen, die wir als für unser Wohlergehen hochriskant betrachten - was ein sehr großes Depot, an dem unsere Alterssicherung hängt, sehr wohl ist - schaltet sich bei uns beim Risiko-Empfinden sofort dieses Affenhirn ein. So sind wir evolutionär geprägt, so verhalten wir uns, fast wie "Zombies" - unvermeidbar.

Und weil wir natürlich den Löwen im Gebüsch unbedingt vermeiden wollen, nehmen wir so aufmerksam auch jede einzelne Crash-Warnung wahr und übergewichten die theoretisch großen Risiken instinktiv gegenüber den viel sichereren inkrementellen Anstiegen.

Vor allem agieren wir auf diese Trigger auch digital im Sinne Schwarz/Weiss, obwohl die Realität des Systems "Markt" eine Überlagerung unzähliger Indikatoren mit Wahrscheinlichkeiten ist. Aber Löwen im Gebüsch die uns fressen könnten, sind halt sehr "digital", dafür sind wir evolutionär verdrahtet, nicht für Stochastik.

Crash Sells - genau weil wir immer noch überwiegend Affen sind.

Michael Batnick hat das hier sehr schön aufbereitet, lesen Sie das unbedingt mal: -> Gradual improvements go unnoticed <-

Man kann also sagen, dass gerade die, die sich nun schon permanent auf das Ende der Welt vorbereiten und ihre individuellen "Bunker" bauen, besonders fest im Griff des Affen sind. Wahrhaben wollen die das natürlich nicht, ja sie reagieren darauf mit Aggression, aber gut, die sind dann hier auch kaum Mitglied, weil ich das ja immer predige.

Aber es hat schon etwas sehr Irrationales, sich vor dem "Weltuntergang" irgendwann in den kommenden Jahrzehnten zu Tode zu fürchten und dabei zu übersehen, dass für einen Mann in den 50ern nur Eines wirklich sicher ist: Dass er im Mittel in 20 Jahren tot ist - ganz ohne Weltuntergang.

Diese Leute sind so von diesem evolutionären Risiko-Reflex getrieben, dass sie über die Angst vor der Krise das Leben vergessen.

Und in einer weniger schlimmen Variante, sind manche Anleger so von diesem Reflex beeinflusst, dass sie über die Angst vor der nächsten Krise, das Anlegen vergessen. 😉

Aber es gibt auch das Gegenteil, wenn uns die Trigger fehlen, die unsere Risikoreflexe im Affenhirn triggern. Dann werden wir selbstgefällig und viel zu sorglos, genau dann wenn diese Signale lange nicht kommen und uns Sicherheit vorgaukeln. Denn wo nichts raschelt, kann in der Savanne nichts sein, aber stimmt das auch für das moderne Leben? Wohl kaum.

Wie oft erlebe ich zum Beispiel im Winter, dass Autofahrer die vorher bei guten Straßenverhältnissen viel zu langsam vor sich hin trödelten, bei fallenden Temperaturen und langsam glatt werdenden Straßen, den gleichen sturen Stiefel weiter herunter fahren und damit dann viel zu schnell unterwegs sind. Ursache sind zu lange fehlende Warnsignale und in Folge dröselige Selbstvergessenheit.

Wenn wir das aber erkannt haben, wenn wir den Affen in uns akzeptieren, der mit Börsenrisiken eigentlich gar nicht umgehen kann, wie können wir das vermeiden und rationale Anleger werden?

Es gibt nur zwei Wege.

Auf dem einen Weg hält man das Kapital das "im Feuer" ist immer so klein, dass dieser Angstreflex der Savanne gar nicht erst greifen kann. Das begrenzt natürlich mögliche Gewinne, man kann das aber trainieren und kann diese Grenze nach oben schieben, je öfter und ehrlicher man in den Spiegel schaut und bereit ist, das zu lange Zögern als das zu erkennen was es ist: Die Fratze des Affen. Das ist der harte, aber lohnende Weg der persönlichen Charakterentwicklung. Ein Weg den ich jedem nur empfehlen kann, weil er über die Börse hinaus weiter bringt.

Auf dem anderen Weg schafft man sich ein Regelwerk objektiver Regeln, wie in der trivialsten Form die -> gleitenden Durchschnitte <- und trainiert die Disziplin, sich daran zu halten. Denn wenn man das schafft und diese Ängste in den Griff bekommt, wird -> "Dabeibleiben" plötzlich "ganz einfach" <-. Das nennt man die *Strategie*, die ich hier immer predige.

Und man kann natürlich auch Beides machen. Der wirklich kluge Anleger entwickelt sich weiter, traut dem eigenen Affen aber trotzdem nicht über den Weg und hat eine feste Strategie, die Leitplanken vorgibt. Er macht beides.

Fazit:

Unser Risikoempfinden als "fortgeschrittene Affen", ist nicht an die moderne Welt angepasst, sondern verharrt in den evolutionören Zeiten des täglichen Überlebenskampfes.

Das führt dazu, dass wir vermeintliche Signale schwerwiegender Risiken überbewerten, weil diese bei uns massive Ängste auslösen, deren evolutionärer Sinn ist, bei uns eine lebenssichernde Vermeidungsstrategie in Gang zu setzen.

WIr reagieren evolutionär also auf unmittelbare Trigger in unserem Wahrnehmungsfeld, die Alarm schlagen. Für systemische Risiken die nicht sichtbar sind, sind wir dagegen nicht gemacht. Und wenn, versuchen wir diese wieder digital mit Triggern zu betrachten, was aber für diese komplexen, sich überlagernden, mehrdimensionalen Risiken mit Wahrscheinlichkeiten, keine adäquate Herangehensweise ist.

Mit Börse hat das rein gar nichts zu tun, denn ausnahmslos alle Menschen sind so und treffen ihre Entscheidungen genau so teilweise hochgradig irrational. Fragen Sie mal einen erfahrenen Immobilien-Makler, wie die Entscheidungen der Kunden typischerweise zustande kommen und wann diese faktisch feststehen und nur noch bestätigt werden. Sie lachen sich halb tot über diese Stories und auch das sind absolut zentrale Entscheidungen im Leben eines Menschen!

Die Börse hält uns nur permanent den Spiegel vor, weil das was wir gestern gekauft haben, heute einen neuen Preis bekommt. Dieser Spiegel macht es unmöglich, uns weiter etwas über unsere Ratio vorzumachen. Entweder findet man dann Börse früher oder später "Scheiße" oder man ist gezwungen, sich dem Affen zu stellen.

Insofern können wir uns glücklich schätzen. Wir sind die gleichen Affen wie alle anderen, aber wir wissen es wenigstens und können darüber reflektieren. Und deswegen haben wir eine Chance.

Ihr Hari

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