Neue Anlegergeneration – Alte Fehler

60 Jahre habe ich nun auf dem Buckel, eigentlich konnte ich mir nie vorstellen mal so "alt" zu sein und ich fühle mich auch nicht so. 😉

In den Markt bin ich aus Interesse 1987 zum "Black Monday" gekommen, dem großen Crash an dem der Dow Jones Index an einem Tag um sage und schreibe 22% gefallen ist.

35 Jahre Markterfahrung haben sich da also nun aufgesammelt, wobei ich in den ersten 15 Jahren erst einmal selber alle typischen Fehler gemacht habe und erst danach zu einer - nach heutigen Maßstäben - professionellen Vorgehensweise gefunden habe.

Zwei große Baissen habe ich in dieser Zeit auch mitgemacht, die 2000-2003er Internet-Blase und 2007-2009 die Lehman-Krise, aber auch zwei massive Bullenmärkte, den der 90er Jahre insbesondere ab 1995 und den aktuellen, der eigentlich nach Lehman begann, spätestens aber seit 2013 klar zu sehen war, wie ich Ende 2013 hier im freien Bereich auch thematisiert hatte:

-> Steht ein neuer, säkularer Bullenmarkt bevor? <-

Mit Mr. Market habe ich mich seit nun mehr als 10 Jahren der Aufgabe verschrieben, Börsenwissen zu vermitteln. Bewusst habe ich dabei das geschlossene Format gewählt, weil Börsenwissen vor allem auch Erfahrungswissen ist, es gibt keinen rein theoretischen "Kurs" den man ein paar Wochen belegt und dann wird man Anlageerfolg haben.

Wirkliches Wissen kann man dem Markt gegenüber nur aufbauen, wenn man Erfahrung ansammelt und Quellen oder idealerweise einen Mentor hat, der die Geschehnisse auch so einordnet, dass wirklich relevantes Wissen daraus entstehen kann. Denn Erfahrung macht alleine noch kein Wissen, nur richtig reflektierte und eingeordnete Erfahrung bringt weiter.

Wer dazu nicht bereit ist, wer noch den "heissen Tipp" sucht und meint Börsenerfolg habe etwas mit Zukunftsprognosen zu tun, der ist noch nicht reif und hat vor allem auch nicht die Geduld, sich der langen aber nachhaltigen Reise zur Erkenntnis zu stellen.

Gerade dieser Tage erlebe ich es dabei wieder als besonders schmerzhaft, wie von jeder neuen Generation immer wieder der gleiche "Mist" gemacht wird und den gleichen Irrlehren nachgehangen wird, die zuverlässig wenige Jahre nach jeder Baisse wiederkommen, weil sie sich so verlockend und "logisch" anhören.

Es ist doch eine tolle Sache, dass viele jüngere Anleger nun zu den Börsen gefunden haben, schnell wurden ihnen aber durch die "Börsenpornographie" die schmackhaften Würste vor die Nase gehangen und natürlich haben sie danach gegriffen, weil diese Angebote ja gezielt auf diese menschlichen Schwächen abzielen, auf unser permanentes Schwanken zwischen Angst und Gier.

Wer Lehman erlebt hat und lernfähig war, sollten zum Beispiel gelernt haben dass Fundamentaldaten - weil immer nachlaufend - völlig ungeeignet sind um Timing-Entscheidungen zu treffen. Alleine der Preis ist der ultimative Richter, denn wenn die Kurse massiv fallen, dann fallen sie und dem kann man wie einem entgegenkommenden Laster nur dann ausweichen, wenn man rechtzeitig *reagiert* und das Steuer herumwirft.

Die Realität ist eben, dass "when the shit hit´s the fan", wenn die Liquidität austrocknet und *alles* nach unten geprügelt wird, es keinen Ort mehr zum Verstecken gibt. Die schönen Sprüche dass man seine Aktie ja "analysiert" habe, oder dass man ein "langfristiger Investor" sei, kann man sich dann sonstwohin schmieren und auch Indizes im Depot zu haben hilft dann nicht. Leider machen die Menschen diese Erfahrung aber erst nachdem sie schon 60, 70 oder 80% verloren haben und das völlig sinnlos, weil es nicht schwierig ist einem Absturz teilweise aus dem Wege zu gehen. Nicht vollständig, das gelingt nie, aber teilweise.

Schauen sie mal auf den Dow Jones hier, zwischen 1929 und 1932 hat der Index 89% seines Wertes verloren und es hat 26 Jahre gedauert, bis er überhaupt wieder auf "Break Even" war. 26 Jahre, haben sie so viel Zeit und Nerven zu warten, um überhaupt ihr Kapital wiederzubekommen? Und ist das nicht völlig idiotisch, wenn sie leicht Teilen des Absturzes hätten aus dem Weg gehen können und nach 1932 wieder einsammeln?

Und dann der naive Glaube - Augenverdreh - das könne nicht mehr passieren. Totaler Bullshit! Selbstverständlich kann das noch passieren, es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Und da man vorher nie weiss wie tief etwas geht, ist der einzige Schutz dagegen das disziplinierte und konsequente Risikomanagement, das einen irgendwann die "Reissleine" ziehen lässt und die Risiken zumindest verringert, statt sie 26 Jahre aussitzen zu wollen. Und dazu gehört dann natürlich auch die Strategie später (ideal tiefer) wieder einzusteigen und den neuen Bullenmarkt nicht zu verschlafen.

Diese Lehre haben viele Tech-Investoren gerade wieder gelernt, wobei ein großer Teil bisher lernresistent ist, sonst würde nicht in die fallenden Kurse eines ARKK ETFs immer wieder nachgekauft und dabei jede Woche wieder ein tiefer Zug der "Hopium-Droge" inhaliert.

Stonks only go up. Hehe. 😛

Die Straßen der Börsen sind gepflastert mit Anlegerleichen, die aus fundamentaler Überzeugung in fallende Messer hinein nachgekauft haben. Wer das in der Lehman-Krise gemacht hat und immer noch nichts daraus gelernt, hat in der Welt der "trigger-happy" sozialen Medien zwar nun vielleicht viele Follower, aber keine Ahnung.

Es war halt noch nie eine profitable Anlage-Strategie Hopium zu rauchen, es passiert trotzdem in jeder Anlegergeneration wieder, auch weil die Börsenpornographie ein Interesse daran hat, die Anleger in Fonds und bei der Stange zu halten - "sie müssen das langfristig sehen" ist dann die beliebte Beruhigungsdroge, ja ja. 😛

Aus dieser Fraktion kommt dann auch seit 35 Jahren immer das "Timing geht nicht" Geplapper, über das man nur noch Schultern zucken kann, weil es viel mit dem Fuchs und den Trauben zu tun hat, bei denen man selber vom Ast gerutscht ist. Oder weil eben wirtschaftliche Interessen damit verbunden sind, die Anleger in Provisions-Vehikeln zu halten.

Lustig ist daran, dass die Leute durchaus Recht haben, weil sie einem völlig irreal-naiven Zerrbild von Timing anhängen, nämlich dass das etwas mit *Prognosen* zu tun hätte, dass man nämlich die Zukunft kennen müsste um an der Börse mit Timing zu navigieren. Wenn man Timing als "Raten" definiert, dann geht es fraglos nicht, wir kennen die Zukunft nicht und kein Chart kann uns diese weisssagen, darum geht es aber doch gar nicht.

Es werden bei dem Thema also permanent Strohmann-Argumente wiederlegt, weil man damit so schön den eigenen Bias befriedigen kann. Übrigens, selbst Warren Buffett hat immer Timing betrieben, langfristig, mit bestimmten Methoden die ihm besonders liegen, es war aber immer Timing, denn auch er kauft und verkauft und hat 2009 nach Lehman was gemacht? Pointiert genau da zugeschlagen (Opportunity of Lifetime). Oder warum wohl hat er genau im Absturz 2008 den berühmten -> Options-Deal mit Goldman <- gemacht? Timing, was sonst? Die Gelegenheit war da einfach günstig für ihn, wie für ihn aktuell auch bei Citigroup (C). Die Methoden wie man erkennt ob eine Gelegenheit da ist mögen unterschiedlich sein, eine Gelegenheit zu ergreifen oder einem Risiko aus dem Wege zu gehen ist aber immer Timing.

Diese Timing-Diskussion ist wirklich lustig, weil wenn das gar nicht ginge, könnte man auch nicht unfallfrei Auto fahren. Denn natürlich weiss niemand was hinter der nächsten Kurve kommt, vielleicht ja ein überbreiter Lastwagen. Den sieht man erst wenn er näher kommt und dann kann man *reagieren* und darum geht es auch beim echten Timing an der Börse. Es geht ums *Reagieren*, nämlich ums Bremsen, Beschleunigen und Ausweichen und natürlich geht das mit Übung, ich mache das den Mitgliedern nun seit bald 11 Jahren jeden Tag vor. Es kann aber nicht klappen, wenn man sich lieber einredet, dass der entgegenkommende Lastwagen ja gar nicht existieren würde, weil man ja ein "langfristiger Autofahrer" sei. 😛

Im Konsens stirbt es sich halt nur schöner, weil man mit anderen über die Klippe geht, siehe Wirecard - tot ist man trotzdem. Übrigens hat auch bei Wirecard die Price-Action deutlich zum Ausstieg geraten, siehe auch -> Wirecard und wir im Spiegel <-. Aber schon klar, Charts sind bunte Linien, Timing geht nicht und die Welt ist ein Scheibe. 😛

Ist der Spruch "Hin und her macht Taschen leer" also Quatsch? Jain. Inkompetentes, von Emotionen getriebenes Hin und Her macht fraglos Taschen leer, so wie ein Auto im Graben landet, bei dem sinnlos am Lenkrad hin und her gedreht wird. Das stimmt. Aber daraus abzuleiten dass man das Lenkrad gar nicht anfassen sollte ist absurd, Fahren kann man lernen und Börse auch, man muss es nur wollen. Das Problem ist halt, dass die Mehrheit sich in ihren Entscheidungen von Angst und Gier treiben lässt, lernresistent ist und keine durchdachte Strategie besitzt und natürlich macht dieses Hin und Her dann die Taschen leer, was sonst?

Was es für die jungen Anleger der neuen Generation aber besonders schwierig macht, sind die asozialen Netze, in denen der "gesunde Menschenverstand" zum Thema Geldanlage so verlockend wabert, nur ist der aufgrund der -> Reflexivität <- des selbstreferentiellen Systems Markt zuverlässig immer auf der falschen Seite - er muss es geradezu sein, weil die Reflexivität dafür sorgt.

Wenn wir mal Twitter als Beispiel nehmen, dann fördert der Algorithmus von Twitter zwei Dinge, mit denen man schnell seine Followerzahl steigern kann.

Erstens das "Bauchpinseln", indem man einer Blase also wieder sagt, was sie sowieso hören will. Das löst viel Kopfnicken und viele Likes aus und schafft neue Follower. Oder alternativ die "Aufreger", die "Meinungsschlachten" an denen sich dann jeder mit seiner "Meinung" beteiligen kann.

Deshalb gibt es in Finanz-Twitter ja lustigerweise auch nur "echte Checker" 😛 , man muss nur einen Account eröffnen und täglich selbstbestätigend die "Urban Legends" nachbrabbeln die die Herde hören will und ganz schnell hat man 10.000 Follower.

Selbstbestätigung und Krawall fördern in den asozialen Netzen halt Aufmerksamkeit, Follower und Likes, dummerweise ist beides für Erkenntnis kontraproduktiv. Denn die echten Wahrheiten zum Marktgeschehen sind in der Regel differenziert und passen nicht in 256 Zeichen.

Wobei man zu Finance-Twitter wirklich sagen muss, dass es als schneller Überblick auch echten Mehrwert schaffen kann und da auch richtig gute Quellen unterwegs sind, weswegen ich es dafür auch nutze. Um den Mehrwert zu realisieren muss man aber die kompetenten Accounts vom Geschwätz unterscheiden können und wie will das ein Einsteiger können? Der läuft zuverlässig dem nach, was ihn bei seinen Ängsten und Vorurteilen abholt, was sonst? Und das sind seit 35 Jahren halt immer die gleichen Geschichten und Logiken, die vor allem von den Bauernfängern ausgehen.

Weswegen bei Twitter auch *keinerlei* Korrelation zwischen Followerzahl und Kompetenz besteht, weder im Positiven, noch im Negativen. Jemand mit vielen Followern kann durchaus kompetent sein, muss es aber nicht, es gibt einfach keine Korrelation dazu. Die Followerzahl sagt nur, dass der Twitter-Account mit seinen Tweets vielen gefällt und Aufmerksamkeit erzeugt. Nur hat die größte Zahl der Fliegen an der Börsen eben nicht immer recht und manchmal umkreisen sie halt auch .... ummh .... sie wissen schon. 😉

Womit wir beim Kernproblem jeder Generation sind, die neu an die Börsen findet.

Um medial erfolgreich zu sein, müssen Anbieter eher laut und "marktschreierisch" sein. Differenzierte Sichten und komplexe Zusammenhänge bekommen keine Klickzahlen. Extreme Prognosen zur kommenden Inflation oder dem nächsten Crash aber schon.

Ich habe diesen Zyklus ja nun schon mehrfach mitgemacht und aktuell sind wir im SPX schon 20% und im NASDAQ schon 30% gefallen. Wenn wir jetzt noch einmal 20-30% fallen - was nicht passieren muss, aber auch nicht völlig ausgeschlossen ist - dann werden diese ganzen "Checker" erst einmal verstummt sein wie 2003 und 2009. Wenige Jahre danach, gehen diese immer gleichen Geschichten dann aber wieder los, da kann man eine Uhr nach stellen. Und das liegt einfach daran, dass die Kontrollillusionen die damit vermittelt werden, ganz tief in unserer ängstlichen Psyche räsonieren und den "Affen" in uns abholen.

Gute Werbung im Finanzmarkt appelliert eben immer an die Emotion, sie lässt den Anleger sich wohlig und "wissend" fühlen, sie vermittelt Kontrollillusion. Was ich hier gerade mache ist dagegen eindeutig keine gute Werbung. 😉

Dauerhaften Erfolg am Markt bekommt man aber nur mit Demut und der Bereitschaft dem Markt zu folgen und ihn zu lesen. Man muss sich ihm opportunistisch anpassen und darf sich ihm nicht entgegen stellen, weil man sich für klüger hält. Und man muss lernen sinnvoll zu *reagieren*, sich anzupassen eben, genau das ist gutes Timing und nichts sonst, das will aber gelernt sein, sonst ist man immer zu spät dran.

Demut und die Bereitschaft sich opportunistisch dem Markt anzupassen, steht aber eher im Gegensatz zu den Erfordernissen der medialen Aufmerksamkeit, die starke Meinung und laute Überzeugungen selektiert.

Damit muss man leben, weil man sich entscheiden muss, ob man sein Geld mit medialer Aufmerksamkeit oder durch Börsenerfolg verdient. Ganz ehrlich, beides gleichzeitig geht nicht wirklich und wenn Ihnen jemand etwas anderes weiss machen will, sollten Sie skeptisch werden.

Wenn Sie nun die Geduld hatten, mir bis hierher zu folgen, dann unterscheiden Sie sich schon markant von vielen Anderen. Nun müssen Sie den nächsten Schritt tun und ganz klar und eindeutig Ihren Anlageerfolg von "Börsen-Entertainment" trennen. "Börsen-Entertainment" kann ja immer noch Spass machen, die grossen Erzählmodelle, die da als Sau durchs Dorf getrieben werden, sind aber bestenfalls Kontraindikatoren für die echte Anlage.

Selektieren Sie statt dessen wenige, aber gute Quellen, die Ihnen nichts verkaufen wollen und beziehen Sie Ihre Marktinformationen dort. Und entwickeln Sie dann Ihre eigene Strategie. Oder alternativ, wenn ihnen das zu viel Arbeit ist, geben Sie Ihr Geld in die Hände von Vermögensverwaltern mit gutem Track-Record, die ruhig und seriös arbeiten und ihre Zeit dafür verwenden, still und leise Opportunitäten zu finden, statt sich medial zu spreizen.

Sie müssen wirklich nicht zu Mr. Market dazu stossen, ich verspreche ihnen hier nur Erkenntnis und sonst nichts. Aber tun sie sich wenigstens den Gefallen mehr auf die Qualität der Quellen zu achten. Ihr Depot wird es Ihnen danken!

Ihr Michael Schulte (Hari)

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