Vom Irrsinn des IFRS und einem zweifelhaften Buchwert – Reloaded

Es gibt Dinge, die kann man gar nicht oft genug erklären. Und da ich diese Woche noch Urlaub mache, schiebe ich heute einen Artikel wieder in den Vordergrund, der hier schon am 24.10.2012 - also vor fast 2 Jahren - veröffentlicht wurde.

Diese Erklärung ist aber nach wie vor topaktuell und erst heute habe ich wieder einen interessanten Artikel gesehen, der die Problematik der Buchwerte nach "Fair Value" erneut in Erinnerung ruft, dieses mal für die grossen Energiekonzerne mit ihren Reserven und deren Bewertung in den Bilanzen: -> Die 28 Billionen Abschreibung <-

Ein erneutes, schönes Beispiel, warum das Prinzip des "Fair Value" in der Praxis Augenwischerei ist und nur dazu führt, dass das Management zu grosse Gestaltungsfreiheiten hat und die Aussagekraft der Bilanzen verschmiert wird. Genau das, was der Artikel unten im Detail erklärt. Denn da es in der Gegenwart keine objektiven Fakten gibt, ob und wie die Reserven der oben im Artikel beschriebenen Energie-Konzerne in Zukunft überhaupt genutzt werden können, obliegen diese Bilanzposten mehr oder weniger der Gestaltung des Managements.

Viele der neuen Leser, die in den letzten zwei Jahren zu Mr-Market dazu gestossen sind, werden den Artikel vom Herbst 2012 nicht kennen. Das sollten Sie aber, daher hier der "Irrsinn des IFRS" reloaded. Viel Spass, Ihr urlaubender Hari.

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Heute möchte ich mit Ihnen mal wieder ein grundsätzliches Thema besprechen. Und zwar in Form eines persönlichen und höchst subjektiven Kommentars zum Thema IFRS.

Ausgelöst durch einen der zahllosen Artikel, in denen dem privaten Anleger mal wieder das KBV (Kurs-Buchwert-Verhältnis) als einfaches Mittel angedient wurde um "Value-Aktien" nach Graham und Buffet zu finden, habe ich mich dazu despektierlich geäussert und den Versuch so ein Thema auf das KBV zu reduzieren als "Plattheit" gebranntmarkt.

In diesem Artikel möchte ich genauer erläutern was ich damit meine. Und warum Sie sich nach meiner Erfahrung keinen Gefallen damit tun, Ihre Anlageentscheidungen alleine nach solchen trivialen Kennziffern zu treffen. Wenn mir die Welt so stark vereinfacht dargeboten wird, ist für mich eher sofort die Frage, "warum" man mir das so darlegt und welche Interessen die Beteiligten haben könnten.

Noch vor 15 Jahren, war die Welt der Bilanzierung in Ordnung. In Deutschland galt das HGB, das die Tendenz hatte, in den Bilanzen stille Reserven - also eine Sicherheitsmarge - aufzubauen. Kaufte man damals ein anderes Unternehmen oder Rechte oder oder, wurde der Aufwand als "Kosten" verbucht oder aktiviert und das Wirtschaftsgut langsam abgeschrieben. Irgendwann war das Wirtschaftsgut in der Bilanz bei Null angekommen, hatte aber immer noch einen realen Gegenwert. Manchmal war dieser Gegenwert sogar gestiegen.

Diese stillen Reserven schlummerten unerkannt in den Bilanzen und wurden erst dann gehoben, wenn das Wirtschaftsgut zum Beispiel verkauft wurde, wenn es also durch einen Preis einen "Wert" bekam. Das war auch im Wesentlichen die Bilanz-Welt, in der Benjamin Graham (der diesem Blog seinen Namen gab und dessen Schüler Warren Buffet war) seine berühmte "Value-Strategie" entwickelte, wie in seinem Buch "The intelligent Investor" ausgeführt. Sicher waren die Bilanzierungsregeln auch damals in den USA anders als das HGB, aber auch in den US war die Bilanzierung damals viel mehr vom Sicherheitsgedanken geprägt als heute.

Dann begann aber der Siegeszug der IFRS (International Financial Reporting Standards). Eigentlich ein richtiger Gedanke, die Rechnungslegungsvorschriften weltweit zu vereinfachen und damit vergleichbar zu machen. Ich zitiere mal einen Satz aus dem WiWo Artikel zum "grossen Bilanz Bluff", den ich Ihnen unten verlinkt habe: "Die 15-köpfige Gruppe ist privat organisiert. Sponsoren der Gruppe sind nahezu alle wichtigen internationalen Konzerne, Banken und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften. Die Europäische Union winkt deren Beschlüsse regelmäßig durch und gibt sie weiter in die Hauptstädte von Berlin bis Rom, wo sie in nationales Recht umgewandelt werden."

Meine Lebenserfahrung gebietet anzunehmen, dass es die Interessen der genannten Spieler sind, die indirekt Einfluss auf die Bilanzierungsregeln nehmen. Und das selbst, wenn man den 15 Personen individuelle Untadeligkeit und das Bemühen um Unabhängigkeit attestiert, was ich hiermit gerne annehme. Denn jeder Mensch ist durch sein Arbeitsumfeld geprägt, auch wenn er sich persönlich um Unabhängigkeit bemüht. Lässt man Bilanzstandards von den genannten Gruppen erarbeiten, wird man andere bekommen, als wenn das Standardisierungsgremium zum Beispiel aus den Finanzchefs von Mittelständlern besteht. Bezeichnend für die deutsche Politik ist übrigens, dass sie dieses so entscheidende Thema aus meiner Sicht mal wieder völlig verschlafen hat.

Und die Interessen der grossen Spieler sind für mich naheliegend. Indem man stille Reserven hebt, in dem man die Bilanzen aufbläht, erzeugt man höhere Kurse an Börsen (= mehr Boni) weil die Kennziffern wie zB KBV besser aussehen, erhöht man das Volumen der Mandate, erzeugt neue Beratungsfelder für Banken und Wirtschaftsprüfer und gibt dem Management Spielraum, sich die Bilanz nach Gusto zu bauen. Es entspricht meiner Lebenserfahrung anzunehmen, dass diese Interessen auch in die Entscheidungsprozesse einfliessen.

Das Schlüsselprinzip das seit IFRS dabei eingesetzt wird und das es vorher nicht gab, ist dabei das "Fair Value Measurement“. Theoretisch ein richtiger Gedanke, statt das stille Reserven wie oben in den Bilanzen schlummern und diese defensiv aufgebaut sind, sollen alle Bilanzpositionen mit ihrem aktuellen "fairen Wert" bewertet werden. Das Problem ist nur, wer legt denn fest wenn es keinen echten Marktwert gibt, was die Regel ist ? Wer hat die Kompetenz zu entscheiden, ob eine Investition zB in eine innovative Technologie diesen oder jenen "fairen" Wert hat ? Womit wir beim massiven Spielraum sind der nun entstanden ist und der die modernen Bilanzen eher zu einem Pudding macht, den man verzweifelt versucht an die Wand zu nageln.

Es übersteigt den Umfang eines solchen Artikels, hier auf alle Aspekte einzugehen. Ich will Ihnen mit diesen Worten auch nur ein Problembewusstsein schaffen. Und dazu braucht es Beispiele.

Nehmen wir also mal beispielhaft Daimler und die Brennstoffzelle. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass Daimler in das Thema schon mehr als 1 Milliarde Entwicklungskosten hinein gesteckt haben soll. Ich weiss nicht ob das stimmt und ich will vorausschicken, das ich keinerlei Ahnung habe wie Daimler das Thema bilanziert. Und ich will mit den folgenden Worten auch keine Behauptungen über die Bilanz bei Daimler aufstellen. Ich will Ihnen nur an einem Beispiel das jeder kennt ("Daimler" und "Brennstoffzelle") klar machen, was IFRS potentiell bedeutet.

Daimler hat also massive Investitionen in die Brennstoffzelle gesteckt, um in der Zukunft damit Geschäft zu machen. In der alten Welt des HGB wäre das ganz einfach gewesen. All die Investitionen in die Brennstoffzelle, all die Millionen an Entwicklerstunden, die gekauften Maschinen, Patente und Rechte, wären Kosten bzw aktivierbare Wirtschaftsgüter gewesen. Wirtschaftsgüter wie zb eine Testanlage wären bis auf Null abgeschrieben worden. Bilanziell wären also all diese Aktivitäten irgendwann nichts mehr "wert" gewesen, bis dann der Moment eintritt, an dem man mit der Brennstoffzelle Umsatz macht, Kunden gewinnt etc. So einfach, so defensiv, so konservativ.

Heute, im IFRS, darf man aber Entwicklungsaufwand aktivieren. Und muss den Wert dieser "virtuellen Wirtschaftsgüter" nicht zwingend auf Null abschreiben. Nein, man muss für die Bilanz bestimmen, was der "Fair Value" dieser Aktiva ist. Und bläht die Bilanz entsprechend auf, was bedeutet das KBV sieht optisch attraktiver aus. Nur wer entscheidet was die Investitionen in die Brennstoffzelle Wert sind ? Nach welchen Kriterien ?

Viel schlimmer, kann das überhaupt jemand kompetent entscheiden ? Ich behaupte ganz frech: NEIN ! Denn die entscheidende Frage wird sein, ob sich die Brennstoffzelle am Markt gegen die alternativen Antriebsformen durchsetzen kann. Und das hängt von unzähligen, auch politischen, Parametern ab und kann niemand vorher sehen. Und deshalb kann auch niemand seriös den "Fair Value" bestimmen.

Im Endeffekt masst sich IFRS damit ganz arrogant an, via Bilanz die Zukunft vorher sehen zu können. Klar, theoretisch soll es der aktuelle "Fair Value" der Gegenwart sein, nur ist der nicht zu bestimmen ohne Annahmen zur Zukunft zu machen. Das ist in meinen Augen die traurige Realität. Und Realität ist für mich auch, dass sich damit das Management der Konzerne nach meiner Erfahrung mehr oder weniger selber in die Bilanzen schreiben kann, was es will. Oder glauben Sie ein durchschnittlicher Wirtschaftsprüfer kann eine ernsthafte Diskussion mit dem Entwicklungsvorstand bestehen, welchen aktuellen Wert frische Innovationen in einem innovativen Spezialthema haben ? Sicher haben die Wirtschaftsprüfer "Krücken" zur Bewertung in ihrer Methodik, es sind und bleiben aber Krücken und am Ende entscheidet das Management.

Das ist nur ein Beispiel. Und um es noch einmal zu erwähnen, ich weiss nicht wie Daimler das real bilanziert, das ist nur ein theoretisches Gedankenszenario um einen Punkt klar zu machen. Und es ist auch keine Problematik von Daimler, sondern vor diesen Fragen stehen mit IFRS alle Unternehmen mit signifikanten Entwicklungsaufwendungen, egal aus welcher Branche. Aber von dieser Art "Bewertungen" nach "Fair Value" werden die Bilanzen der Konzerne seit IFRS bestimmt. Und es ist beileibe nicht nur das Thema aktivierter Entwicklungsleistungen um das es hier geht, weitere Stichworte sind der Goodwill bei Firmenkäufen, die Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen usw. usw..

Warum wohl weist Microsoft plötzlich, von einer Sekunde auf die andere einen Quartalsverlust aus und schreibt 6 Milliarden auf eine Akquisition ab ? Womit die Bilanz um diese 6 Milliarden verkürzt wird. Hat sich die Welt in dieser Sekunde so verändert ? War die Bilanz vor 3 Monaten also richtig ? Lesen Sie -> hier <-. Und warum wundern sich Redakteure, das der Markt dabei nicht mal zuckt ? Ganz einfach, weil die Redakteure den (Un)Sinn des IFRS nicht verstehen und noch denken, Bilanzen hätten Aussagekraft. Big Money weiss es aber und zuckt deshalb nicht einmal über die Abschreibung. Die Profis im Markt wissen : "sowieso Bullshit" und kümmern sich um die bedeutenden Dinge.

Am schlimmsten sind in diesem Zusammenhang übrigens nicht die Bilanzen von IT Unternehmen, sondern die von Banken. Da hier fast keine "realen" Güter dahinter stehen, bestehen die Bilanzen aus Bewertungen, der Bewertungen, der Bewertungen, der Bewertungen. Natürlich alles "Fair Value". 😉 Erfahrene Bilanzspezialisten, die bei einem Industrieunternehmen durchaus noch sinnvolle Schlüsse aus der Bilanz ziehen können, streichen bei Bankbilanzen die Segel. Denn die wissen, das sie *nicht* wissen, eben gerade weil sie kompetent sind. Um so absurder wird es dann, wenn man im Web von Laien "fundamentale Analysen" zu Banken anhand der klassischen Bilanzkennziffern liest. Da kann man in meinen Augen auch gleich wie im Mittelalter das Gekröse eines Frosches untersuchen, das läst ähnlich kompetente Rückschlüsse zu. 😉 Bank-Bilanzen sind einfach eine "Black-Box", die selbst für Insider extrem schwer zu durchdringen sind.

Faktum ist, dass man aufgrund dieser durch IFRS aufgeblähten Unternehmensbilanzen die Kennziffern wie KBV gar nicht mehr mit der Vergangenheit vergleichen kann. Wer Ihnen also erzählt, dass das KBV des DAX im historischen Massstab billig sei, ist nicht ernst zu nehmen. Die Bilanzen sind nicht vergleichbar und keiner kann Ihnen genau sagen, wie aufgebläht sie nun im Vergleich zu den 90er Jahren sind.

Und dann lächeln Sie Personen von Magazinen an und und implizieren, dass Sie ja nur das KBV und die Dividende anschauen müssen, um sich wie Graham und Buffet zu fühlen. Wenn Geldanlage so einfach wäre, wären wir alle Multimillionäre. Komisch nur, dass wir es nicht sind. 😉

Sage ich damit, dass eine Kennziffer wie das KBV gar keine Aussagekraft mehr hat ? Nein, wenn man das Geschäft des Unternehmens versteht, wenn man die Substanz der wesentlichen Bilanzpositionen einschätzen kann und wenn man weiss, wie "aggressiv" das Management bilanziert, dann hat eine Bilanzanalyse immer noch gute Aussagekraft. Das ist das was ein Buffet macht und mehr. Machen Sie das ? Können Sie das ? Wenn nein, lassen Sie sich nicht von den grossen Vereinfachungen blenden.

So weit meine hoffentlich deutliche und zugegeben spitzzüngige Rede zum Thema. Wie gesagt, ich wollte damit nicht in die Details der Bilanzierung einsteigen, sondern Ihnen nur eine sehr grundsätzliche Problematik klar machen.

Im Folgenden habe ich daher für Sie noch zwei Links um das Thema zu vertiefen. Gerade den ersten Link "Der grosse Bilanz Bluff" möchte ich Ihnen dringend zum intensiven Studium empfehlen. Danach sind Sie hoffentlich kuriert und können nur noch bitter lachen, wenn Ihnen einer mal wieder etwas vom KBV als entscheidendem Kriterium erzählt und dafür dann noch der arme Warren Buffet ungefragt als Testimonial benutzt wird.

-> Der grosse Bilanz Bluff <-

-> DAX Pensionen teure Versprechen <-

Ich hoffe ich konnte Ihren Horizont ein wenig erweitern. Und ich bedauere, dass ich Ihnen keine "einfachen" Lösungen anbieten kann. Das muss ich anderen überlassen.

Ihr Hari

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