Ich habe vor vielen Jahren einen wichtigen Artikel zur Reflexivität und ihrer -> grundlegenden Bedeutung <- geschrieben. Aber das wirklich Wichtige wird gerne überlesen, ist ja auch viel einfacher und weniger anstrengend die Welt oberflächlich mit simplen Kausalbeziehungen zu betrachten. 😉
Am Ende des Artikels habe ich dann im PS geschrieben:
Ach ja, kluge Köpfe, die es überhaupt bis hier unten zum PS geschafft haben und durchdrungen haben, wovon ich da oben schreibe, werden sich jetzt fragen, warum ich diese Erkenntnis in einem öffentlichen Blogeintrag teile, denn damit unterläge sie ja auch der Reflexivität. 😉 Guter Punkt, kann ich da nur sagen!
Die Antwort ist einfach, es wird sowieso kaum jemand wirklich durchdenken und schon gar keine Schlussfolgerungen für das eigene Handeln am Markt ziehen. Denn diese Erkenntnis läuft unseren menschlichen Gehirnstrukturen zuwider, wir mögen solche Wahrheiten nicht. Und was wir nicht mögen, strafen wir mit Nicht-Beachtung und sonnen unser Ego lieber in unserer kausalen Kontrollillusion, auch Prognose genannt. 😉
So dürfte es bei vielen auch gekommen sein und vor allem kann man dieses Unverständnis selbstreferenzieller sozialer Prozesse auch permanent in der Politik wiederfinden, die Gesetze verfasst, die sich durch ihre Existenz sofort selber unwirksam machen.
Und genau dazu will ich nun noch einmal kommen, gar nicht alleine auf die Börse bezogen, denn Reflexivität ist eine Eigenschaft *aller* sozialen Systeme, in denen die Beobachter bzw die Einflußfaktoren, selber Teil des Systems sind.
Lassen sie mich noch einmal erklären worum es geht, es ist wirklich wichtig - für die Börse, für die Politik und für das Leben überhaupt.
Bei nicht-sozialen Systemen ist es oft ganz einfach. Nehmen wir den berühmten Automotor. Den beobachten sie als Ingenieur genau und können im Laufe der Zeit seine Funktionsweise begreifen. Und Sie wissen, wenn Sie am Abend mit der Arbeit aufgehört haben und am Morgen wiederkommen, wird der Automotor noch genau so funktionieren.
Dann entwickeln sie dafür ein neues Ventil, von dem sie sich Verbesserungen erhoffen, setzen es ein und messen die Effekte. Die Messung liefert ihnen objektive Daten, die sie jedes Mal wenn sie unter identischen Bedingungen erneut messen, wieder erhalten werden.
Das ist ein System, das *nicht* selbstreferentiell, *nicht* reflexiv agiert. Ein System das kausal - nach bestimmten Naturgesetzen - funktionert und das auch unabhängig davon tut, ob sie es beobachten. So ein System kann man immer feiner verbessern und es macht, was wir wollen.
Und viele stellen sich vor, dass Gesellschaften oder eben die Märkte, genau so funktionieren würden und landen damit permanent auf der Nase. Der Sozialismus mit seiner Planwirtschaft hat auch diesen völlig verfehlten Ansatz von planbarer Kausalität sozialer Systeme, was völliger Quatsch ist, es gibt kein anderes Wort dafür.
Was passiert aber, wenn wir ein *soziales System* vor uns haben, bei dem die Teile des Systems selber zur Wahrnehmung und Anpassung befähigt sind, weil es zum Beispiel Menschen sind? Dann können sie ihre "Kausalität" vergessen, sie wird zur Illusion.
Das geht schon bei den berühmten Erdmännchen los, die ich im alten Artikel schon erwähnt hatte. Die führen ein reiches soziales Leben, wenn sie das als Tierforscher aber beobachten wollen, müssen sie das tunlichst so tun, dass die Erdmännchen davon nichts bemerken.
Denn wenn die Erdmännchen es bemerken, werden sie ihr Verhalten dem fremden Einflußfaktor anpassen und sich anders verhalten. Sie können Erdmännchen also systemimmanent nicht richtig beobachten, wenn die die Beobachtung bemerken!
Als kleiner Abstecher gibt es diesen "Beobachtereffekt" ja auch auf atomarer- bzw Quantenebene. Wenn sie sich klarmachen, dass unsere "Beobachtung" durch Mikroskope ja zwangsläufig selber aus Atomen bzw Wellen besteht, ist völlig klar, dass man auf dieser Ebene nicht mehr beobachten kann, weil die Beobachtung das Ergebnis verzerrt. Echte Beobachtung erfordert eben immer, dass das Ergebnis nicht verfälscht wird, kein Wunder dass niemand wissen kann, ob Schrödingers Katze tot oder lebendig ist. 😉
Aber zurück zu sozialen Systemen, das Verhalten der Erdmännchen ist doch bei Menschen nicht anders. Nehmen sie die Sozialdynamik einer unbeobachteten Schülergruppe auf dem Schulhof und dann stellen sie in der Nähe einen Lehrer zur Überwachung daneben - sie werden unterschiedliches Verhalten bekommen.
Das ist schon eine Abform der Reflexivität, denn alleine durch das Wissen um die Beobachtung hat das System - hier die Schülergruppe - seinen Zustand geändert. Eine objektive Beobachtung ist in einem reflexiven System eben unmöglich, weil schon die Beobachtung das System verändert - ausser diese bleibt völlig unerkannt und ohne jeden Einfluss.
Genau das passiert permanent in den Märkten, es ist unmöglich öffentlich etwas Analytisches über den Markt zu sagen, ohne ihn ein wenig zu verändern. Der Grad der Veränderung hat natürlich immer mit der Aufmerksamkeit zu tun, die der Botschaft entgegen gebracht wird, aber auch ich verändere den Markt nun ein wenig, weil vielleicht ein paar von ihnen nun auf neue Gedanken kommen und ihr Handeln anpassen.
Wenn Sie dann bekannte Investoren wie Ray Dalio nehmen, reicht es schon aus, dass der öffentlich eine Beobachtung äussert, um die Gelder wie mit Zauberhand in Bewegung zu setzen.
Wenn so jemand jetzt also sagt, die Aktie XYZ sei massiv unterbewertet und würde im nächsten Jahr sicher stark steigen, wird sich die Unterbewertung in kürzester Zeit auflösen, weil der Markt darauf schon reagiert!
Eine reine Beobachtung, hat im selbstreferentiellen (=reflexiven) System also sofort den Zustand des Systems verändert! Das hört sich vielleicht trivial an, ist es aber nicht, es ist zentral!
Es ist also unmöglich, den Markt öffentlich zu analysieren oder kommentieren, ohne ihn (zumindest ein wenig) zu verändern, weil wir Beobachter und Marktteilnehmer *gleichzeitig* sind und daher immer reflexive Auswirkungen generieren!
In dem Moment, wo wir die Beobachtung bzw Analyse öffentlich äussern und damit die Selbstreferentialität auslösen, ist der Markt - das Objekt der Analyse - also schon nicht mehr der Gleiche. Wenn alle fest davon ausgehen, dass der Markt steigen muss, kann er es deswegen gar nicht mehr, weil die Anpassung schon vorgenommen wurde - und umgedreht.
Also kann es auch keinen objektiven Marktzustand geben, im Gegensatz zum Automotor, dessen Zustand objektiv ist, weil er eben kein reflexives System ist.
Ich hoffe sie konnten mir bis hierhin folgen und jetzt will ich ihnen zeigen, dass diese wichtige Erkenntnis keineswegs auf den Markt begrenzt ist.
Gerade in der Politik - die Planwirtschaft habe ich oben schon erwähnt - führt das Unverständnis solcher reflexiven Prozesse zuverlässig zu Gesetzen, die bei Seiteneffekten das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich wollen.
Da gibt es zum Beispiel in vielen Gemeinden eine Baumschutzverordnung, nach der Bäume auch auf Privatbesitz nicht ohne (kaum erteilte) Genehmigung gefällt werden dürfen, wenn sie einen Umfang von zB 100cm erreichen.
Das schützt die Existenz bestehender Bäume. Stimmt. Gleichzeitig führt es aber dazu, dass Gartenbesitzer Bäume kurz unter der Grenze lieber still und leise abholzen und kleiner wieder neupflanzen, damit sie nie in diese Gängelung auf dem eigenen Grund hineinlaufen. Alte Bäume werden so geschützt, Neue werden gar nicht erst gross.
Das ist die Reflexivität sozialer Systeme. Alleine das Wissen um das Gesetz hat das Verhalten des Systems Baum-Grundstück-Mensch verändert und zwar anders, als erwünscht.
Dann haben wir natürlich die diversen "tollen" Gesetze rund um die Mietpreisbremse usw, die in Berlin ja besondere Urstände feiern. Es schützt die Mieter die drin sind. Stimmt.
Es führt aber dazu, dass kein vernünftiger privater Investor da neue Mietobjekte eröffnet. Langfristig wird es dort kaum mehr private Vermieter geben und Vermietung nur noch das Geschäft großer Konzerne sein, die sich das mit eigenen Rechtabteilungen leisten können. Der aktuellen Politik hilft dabei nur, dass diese systemische Veränderung nicht sofort sichtbar ist, sondern wegen der Trägheit der Immobilienmärkte ein Jahrzehnt brauchen wird. Mit den Folgen müssen sich dann andere herumquälen und es wird sich bestimmt wieder ein unschuldiger Schuldiger finden. Alte Mietverhältnisse werden geschützt, neue gibt es immer weniger.
Das ist die Reflexivität sozialer Systeme. Alleine das Wissen um das Gesetz hat das Verhalten des Systems Vermieter-Mieter verändert und zwar anders, als erwünscht.
Wir haben aber auch ein aktuelles Beispiel, da hat Jens Spahn aktuell -> diese Schnappsidee eines Immunitätsausweises <- vorgestellt. Theoretisch hört sich das ja vernünftig an, wer immun ist, kann sich frei bewegen.
Es führt aber zuverlässig dazu, dass die gefühlt 30% die das Virus sowieso für Humbug oder "nur eine Grippe" halten, alles versuchen werden um sich schnell anzustecken, damit man wieder alle Freiheiten geniessen kann. Gewollt war also ein leichteres Wiederanlaufen der Gesellschaft, bekommen wird man eine neue Ansteckungswelle, die man gerade vermeiden wollte.
Das ist die Reflexivität sozialer Systeme. Alleine das Wissen um das Gesetz wird das Verhalten des Systems Mensch-Virus-Gesellschaft verändern und zwar anders, als erwünscht.
Sie glauben mir sicher, dass ich mit unzähligen Beispielen weitermachen könnte, sie werden sicher selber eine Menge Beispiele finden.
Entscheidend ist dass wir verstehen, dass soziale System reflexiv auf sich selber reagieren, alleine die Beobachtung des Zustands des Systems reicht also, um es zu verändern.
Weswegen solche sozialen Systeme sich grundlegend einer objektiven Analyse entziehen und immer in Bewegung und im Fluß sind. Und das ist die Gesellschaft, aber eben auch der Markt.
Es gibt leider zu wenige Köpfe - gerade auch in der Politik - die das wirklich durchdringen. Egal was man von seinen Handlungen hält, Mario Draghi war so ein kluger Kopf, denn was genau war denn sein berechnendes "whatever it takes"?
In dem er glaubhaft ankündigte, dass die EZB unter seiner Führung zu allen Schandtaten bereit sei, hat er den Zustand des Marktes verändert und somit Dinge gar nicht erst tun müssen, die sonst nötig geworden wären.
Auch aktuell haben wir das erlebt, die Menschen haben schon vor dem Lockdown ihr Verhalten verändert und sich zurückgezogen und wenn das nur genügend diszipliniert in Breite passiert wäre, wären die Beschränkungen gar nicht nötig gewesen. Ohne die Beschränkungen und ohne das Risiko des Virus drastisch zu kommunizieren, hätte es aber diese Anpassung gar nicht gegeben! Die Dinge bedingen sich selbstreferentiell gegenseitig.
Der kluge Sinnspruch "There is no glory in Prevention" hat das erkannt, er beschreibt genau den reflexiven Effekt, dass in einem sozialen System eine erfolgreiche Prävention zwangsläufig in Frage gestellt werden wird, weil sie sich selber der sichtbaren Grundlage beraubt hat!
Das alles ist Reflexiviät. Sie liegt über dem Marktgeschehen, weswegen man wirklich nur lächeln kann über alle, die dem Marktgeschehen sozusagen mit "Exaktheit" und "Zollstock" auf Millimeterbasis zuleibe rücken wollen, wie einem Automotor.
Der reflexive Markt atmet und dreht sich in seinem eigenen Saft, Kurse machen Nachrichten und Analysen, die wiederum machen Kurse, die wiederum Nachrichten machen und so weiter und so fort, in einem ewigen Kreis. Und genau das macht den Markt so herausfordernd und spannend.
Da praktisch die gesamte neoklassische Wirtschaftstheorie diese reflexiven Effekte einfach ignoriert, obwohl sie der Kern des Marktes sind und da in diesen Theorien immer wieder versucht wird den Markt wie einen Automotor zu modellieren, sind deren Ergebnisse in der realen Anwendung auch so jämmerlich, weil sie mathematisch anspruchsvoll eine Wirklichkeit beschreiben, die so kausal gar nicht existiert.
Reflexive Systeme kann man eben nicht alleine mit Kausalitäten beschreiben, solche Systeme haben aber Muster, wie Strömungen im Fluß oder Wetterlagen. Und erfolgreiche Anleger sind in der Lage, diese zu identifizieren. Das ist aber eine andere Geschichte,
Ihr Michael Schulte (Hari)
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