Dieser grundlegende Artikel erschien im Mai diesen Jahres im Premium-Bereich und zeigt, dass wir uns bei Mr-Market auch jenseits von Börse und Finanzen mit Grundsätzlichem beschäftigen.
Der Artikel wurde nur marginal um interne Referenzen bereinigt und steht Ihnen im freien Bereich nun nahezu unverändert zur Verfügung.
Ihr Michael Schulte (Hari)
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Die Gedanken, die ich heute mit Ihnen teilen will, habe ich eigentlich alle schon geäussert, in kurzen Kommentaren, in Streams, oder im Forum. Nur nicht als ein zusammenhängender Gedankengang und heute will ich den aufschreiben.
Denn das was gerade in der Welt passiert, erscheint mir so bedeutend - auch für unsere Anlagen bedeutend - dass ich dem Thema einen eigenen Artikel widmen will, damit es genügend Aufmerksamkeit bekommt und wir auch idealerweise in eine spannende Diskussion dazu einsteigen.
Denn in den letzten Jahrzehnten, eigentlich seit dem Fall des eisernen Vorhangs vor knapp 30 Jahren, hat die Welt nur eine Richtung gekannt, das Zusammenwachsen. Gerade auch im Handel hat man das gemerkt, neue Absatzmärkte wurden erschlossen, für die Firmen wurden große, neue Umsatzpotentiale erschlossen. Und der Aufstieg Chinas, wäre ohne freien Handel gar nicht denkbar gewesen, denn nur so konnte China erst zur Werkbank der Welt aufsteigen und sich dann gezielt Technologien aneignen, deren Eigenentwicklung ansonsten eher Jahrzehnte gedauert hätte.
Der Welthandel war also eine Win-Win-Situation für alle und gerade China hat davon am meisten profitiert, weil es Jahrzehnte des technologischen Aufholens einfach überspringen konnte und ihm der Westen dafür in einer Mischung aus Wohlwollen und Naivität, noch den roten Teppich ausgelegt hat.
Ich persönlich vermute, dass wir nach knapp 30 Jahren gerade das Ende dieser weltgeschichtlichen Phase erleben und in eine neue Phase eintreten. Und der derzeit laufende Handelskonflikt, ist nur ein Symptom einer weit generellen Entwicklung, das Pendel schwingt sozusagen zurück.
Der Grund ist, dass das Zusammenwachsen der Welt überdreht hat, es ist zu schnell, zu übertrieben abgelaufen und die Gegenbewegung hat schon begonnen.
Auf der gesellschaftlichen bzw politischen Ebene, erleben wir das mit dem Aufstieg von Identität stiftenden Bewegungen in allen politischen Lagern, die offensichtlich das Herz der Menschen erreichen.
Auf der "rechten" Seite nennen sich diese "Identitär" und vertreten einen "Ethnopluralismus", der den alten Rassenbegriff durch eine kulturelle Identität ersetzt, diese aber wie beim alten Rassebegriff auch gegen "Verfremdung" beschützen und zu anderen Kulturen deutlich abgrenzen will. Es ist diese Ähnlichkeit der Abgrenzung zu anderen, die der Denkschule den Vorwurf des "Rassismus" einbringt.
Wenn man so will, ist der "Ethnopluralismus" die politische Entsprechung zum allgemein akzeptierten Bild einer multipolaren Welt, die aus wenigen, mächtigen Blöcken besteht. Und diese Blöcke haben eine hohe kulturelle Identität, wie eben "der Westen" gegenüber China und seinen Satelliten. Das zu erkennen, heisst ja aber noch nicht, die Kulturen gegen andere abzuschotten, insofern gibt es bei dieser Denkschule viele Facetten, von denen einige harmlos und andere nahe an alter Rassenlogik sind.
Auf der "linken" Seite, wird in extremer Form eine entgrenzte Welt im Sinne "Niemand ist illegal Nirgendwo" vertreten, gleichzeitig entfaltet die Linke aber auch massiv Identität stiftende Aktivitäten, die sich in immer feiner ziselierten Minderheiten zeigen, zu denen man sich zugehörig fühlen und durchaus aggressiv zu anderen abgrenzen kann.
Wenn man so will ist das ein Widerspruch in sich, denn in einer entgrenzten, "flachen" Welt, sollte die Betonung des "Anderssein" gar nicht mehr nötig sein. Das wärmt aber nicht das Herz der Menschen, die sich als soziale Wesen zu einer (idealerweise herausgehobenen) Gruppe zugehörig fühlen wollen, weswegen auf der Linken die "Minderheiten" spriessen, zu denen sich jeder irgendwie zugehörig fühlt.
Dieses irreale Menschenbild, war schon einer der Widersprüche des Sozialismus. Die Menschen wollen aber gar nicht alle "gleich" sein, sondern legen großen Wert darauf "besonders" und "anders" zu sein. Sie wollen nur nicht, dass es anderen besser geht als ihnen. In einer gemässigten Form ist das eine positive Triebfeder sich zu engagieren, in einer übersteigerten Form, nennt man das auch Neid. 😉
Beide Denkschulen, die Identitären wie die Identitätsströmungen, fussen aber imho auf einem Grundbedürfnis der Menschen, dem Zugehörigkeitsgefühl zu einer halbwegs homogenen Gruppe. Gerade auch in der Abgrenzung zu anderen, definieren wir soziale Wesen ja unser Selbst, denn wer wir sind, wird auch dadurch definiert, zu welcher Gruppe wir gehören.
Nebenbei gesagt, ist der neue Aufstieg religiösen Denkens nach meinem Eindruck auch Folge dieser Suche nach Identität, denn Religionen stiften sozialen Zusammenhalt und erlauben sich gegen "die Anderen" abzugrenzen und zu "erheben".
Insofern ist der politische Aufstieg dieser Denkschulen auf beiden Seiten Ausdruck einer zu weit und zu schnell gegangenen Entgrenzung der Welt in den letzten Jahrzehnten, für die auf der Linken der "weltweite Kapitalismus" und auf der Rechten die "Entgrenzungs-Ideologie" verantwortlich gemacht wird.
Ich denke beide Seiten haben da nicht ganz Unrecht, die Welt hat sich einfach zu schnell aufeinander zu bewegt und da wir als Menschen noch keine globale Identität besitzen - die bräuchte wohl die Herausforderung bzw Gefahr von außen, die "Aliens" sozusagen - werden menschliche Urbedürfnisse der Zugehörigkeit derzeit nicht ausreichend befriedigt und brechen sich Bahn. Die unterschiedlichen politischen Label sind aber nur Ausprägungen, des gleichen Grundproblems, auch wenn das beide Seiten vehement abstreiten werden.
Ein etablierter, saturierter Bürger in einem homogenen, kulturellen Umfeld, braucht diese Denkschulen auf beiden Seiten nicht, weil er sich eingebettet in einer Identität stiftenden Kultur wohl fühlt, die ihn umgibt. Er kann Fremden daher aufgeschlossen und interessiert gegenüber treten und braucht sich auch nicht über Kleingruppen oder die Zugehörigkeit zu einer konstruierten Minderheit definieren.
Das war zum Beispiel eher die Welt der Bundesrepublik vor dem Fall des eisernen Vorhangs, sie hatte zwar auch etwas Spiessiges, es gab aber genügend bürgerliche Stabilität um einen herum, so dass nicht Zugehörigkeit und Abgrenzung, sondern die Neugier und das persönliche Erobern der Welt, erstrebenswert erschienen.
Auch auf der Linken gab es diese Identitätspolitik damals nicht so stark, dabei waren doch spezifische Gruppen wie beispielsweise LGBT, damals unter weit stärkerem Druck als heute und damals noch wirklich gesellschaftlich geächtet.
Wenn man so will, steigt das Ausmaß der lautstark deklamierten Identität, mit der sinkenden Diskriminierung dieser Gruppen. Ein Widerspruch in sich, der eben nur wie oben als die Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses erklärt werden kann.
Denn in einer flachen Welt würde es genügen, dass alle genügend Toleranz haben, um jedem seine Vorlieben zu lassen und niemanden deswegen zu diskriminieren. Die neuzeitliche Obsession, sich über immer kleinere Spezialgruppen zu definieren, die wir ja auch bei den -> mittlerweile bis zu 60 <- phantasierten "Geschlechtern" finden, ist für mich nur vor dem Hintergrund der Lust an der eigenen Identität, der Abgrenzung zu anderen also, zu erklären.
Zusammenfassend kann man in meinen Augen sagen, dass viele Menschen die "Entgrenzung" der Welt der letzten Jahrzehnte als einen unguten Stressfaktor empfinden. Die einen suchen kulturelle Identität, die anderen Zugehörigkeit zu einer Subgruppe (Minderheit), beide versuchen aber nach meinem Eindruck ein unbewusstes Unbehagen aufzulösen, das uns fast alle befallen hat, weil es eben menschlich ist. Jemand der gelassen und selbstbewusst in sich ruht, muss sich weder schnell vor Fremden fürchten, noch seine Identität über die Zugehörigkeit zu immer kleineren Minderheiten definieren.
Diese Parallelität einer Identitätssuche in beiden politischen Lagern, würde natürlich vehement bestritten werden, weil jeweils immer nur die anderen "bekloppt" sein können. Auch das ist ja Identität, wie bei verfeindeten Fussballvereinen. Ich bin aber sicher, wenn man mal unvoreingenommen darüber nachdenkt, wird man ähnliche, höchst menschliche Instinkte hinter diesen Mechanismen finden.
Der Mensch braucht Zugehörigkeit und Zugehörigkeit kommt mit Abgrenzung.
Die Auswirkungen dieser Bedürfnisse, können wir auf jeden Fall überall im westlichen Politbetrieb wiederfinden. Auch Trump ist selbstverständlich Produkt dieser Entwicklung, er ist eine Reaktion auf Entgrenzung und mangelnden Halt.
Ebenso wie übrigens die Aggressivität der "Schneeflöckchen" gegen alles, was die eigene Weltsicht in Frage stellen könnte, ein Symptom dieser Haltlosigkeit und der Identitätssuche ist. Denn man kann nur dann offen und aufgeschlossen anderen Gedankenwelten begegnen, wenn man selber auf stabilem, psychologischem Grunde steht.
So unmittelbar ist der Zusammenhang zwischen diesem unter der Oberfläche schwärenden Zeitgeist und den Handlungen der Mächtigen wie Trump oder Merkel nicht zu sehen, er ist aber da, denn der Zeitgeist bringt bestimmte Mehrheiten und mit ihnen auch eine Politikertypologie, die auf der einen Seite die Rückkehr in die überschaubaren Verhältnisse der "Nation" propagiert und sich auf der anderen Seite durch moralische Überhöhung und Abgrenzung Identität verschafft.
Zeitgleich mit diesen Entwicklungen, hat nun aber auch der Vorteil des entgrenzten Welthandels seinen Zenit überschritten. Wenn man so will, hat der Welthandel die leichten Früchte vom Baum herunter geholt, nun geht es zunehmend auch um Konflikte. Mit China erhebt sich nun auch ein Widersacher des "Westens", der die Größe, Bevölkerung und kulturelle Kapazität besitzt, die Vorherrschaft der westlichen Kultur in Frage zu stellen.
An China sieht man auch sehr schön, welchen massiven und immer wieder unterschätzten Einfluss Kultur hat, der weit über das hinausgeht, was uns Eltern vermitteln. Chinas Jahrtausende alte Kultur funktioniert auch wie eine Identitätsklammer, die den erneuten Aufstieg befördert, während andere Teile der Welt wie zum Beispiel in Afrika, die keine stabile kulturelle Identität besitzen und noch im Stammesdenken verharren, dazu verdammt sind, gegenüber China immer weiter zurückzufallen.
Mit dem Aufstieg Chinas ist die multipolare Welt auf jeden Fall da, die Gezeitenwende ist schon im vollen Gange. Und der Zeitgeist der Identitätsbedürfnisse, wird diese Abgrenzung weiter treiben, weil er politische Mehrheiten befördert, die diese Abgrenzung symbolisieren. Aus den alten Nationen, werden nach meinem Eindruck also kulturell ähnliche "Blöcke" hervorgehen, nicht die Einigkeit der Welt ohne Grenzen - dafür ist es noch zu früh.
Wenn man sieht, wie Chinas Xi gerade innenpolitisch ganz aktuell den "langen Marsch" als Bild benutzt, um Unruhe im Handelskonflikt zu beruhigen, dann spricht daraus die Überzeugung, dass ein langfristiges, kulturelles Ringen schon in Gang gekommen ist.
Die Einigkeit der Welt ohne Grenzen, kommt dann wohl erst in einem nächsten Schritt, den vielleicht unsere Enkelkinder gehen werden, vielleicht wie gesagt getriggert durch die Erkenntnis, dass wir nicht alleine im Universum sind. Denn gerade Theisten müsste klar sein, dass es ja wirklich absurd wäre, wenn dieses gigantische Universum nur "für uns" auf diesem unbedeutenden Planeten, eines unbedeutenden Sonnensystems, in einem unbedeutenden Arm, einer unbedeutenden Galaxis, in einem unbedeutenden Superhaufen, "geschaffen" worde wäre. Auf gut Deutsch, das wäre dann auch ein paar Nummern kleiner gegangen. 😉
Was aber vor uns liegt, ist eher keine Rückkehr zur Nation, auch keine grenzenlose Welt, sondern eine Vertiefung einer Blockbildung einer multipolaren Welt und damit sind wir bei der Wirtschaft und Börse angekommen.
Denn in den Bereichen, die für den Ausbau und Erhalt der Macht entscheidend sind, wird sich die Welt handelstechnisch entlang dieser Blöcke in teilweise abgeschottete Lager aufspalten. Im Bereich Aerospace&Defense ist das aus naheliegenden Gründen ja schon heute so. Was nicht heisst, dass der Handel völlig zum Erliegen kommt, aber bedeutet, dass stärker zwischen strategischen Technologien und Assets unterschieden wird und solchen, die man frei handeln kann.
In der zentralen Mitte dieser Entwicklung wird die IT-Technik stehen, also Chips, aber auch Software. Denn in der Welt auf die wir zusteuern, werden Kriege ebenso mit elektronischen Mitteln geführt, wie auch alle Prozesse eines Staatswesen dieser zwingend bedürfen.
Die Kontrolle der IT ist damit mit der Kontrolle über die Macht-Blöcke gleichzusetzen, denn ohne IT ist alles nichts im 21. Jahrhundert.
Und das ist schon heute viel weiter fortgeschritten als wir uns klar machen. Was wäre zum Beispiel, wenn nun per Dekret der Vertrieb von Intel-Prozessoren nach Europa verboten und das Windows-Betriebssystem durch einen Patch eingefroren wird und nicht mehr arbeitsfähig ist, so man nicht zu einer definierten Positiv-Liste von Nutzern gehört, die dafür weiter von der US Regierung freigeschaltet sind?
Panzer und Armeen braucht man dann nicht mehr, das Leben bricht hier auch so zusammen und wenn das nicht reicht, wird ein Trojaner in die Rechner der Energieversorgung eingeschleust und das wars dann.
Das sollen nur Beispiele sein um zu zeigen, welche Macht in der Kontrolle der IT liegt und die steigt ja im Zuge der Digitalisierung weiter und sinkt nicht.
In der Mr-Market Community wurde das Thema der Blockbildung im Chip-Bereich schon letzten Dezember angeschnitten, heute möchte ich mit diesem Artikel erneut klar machen, wie zentral das ist und gleichzeitig den Blick auf grundlegende Entwicklungen weiten.
Damit möchte ich zum Abschluß kommen, denn Sinn dieses Artikels ist primär, ein Bewusstsein zu schaffen, in welche Form von Welt wir nun nach meiner Erwartung hinein wandern. Beziehungsweise einen Anker zu schaffen, damit wir das hier diskutieren können.
Denn das Thema ist eigentlich das Thema aller Themen, es geht um die zukünftige Entwicklung der Welt in den kommenden Jahrzehnten.
Und ich habe bei der Überschrift zur "weltgeschichtlichen Zeitenwende" bewusst kein Fragezeichen gesetzt, weil diese nach meiner Einschätzung zwangsläufiges Faktum ist und schon läuft.
Trotzdem ist die Zukunft unbestimmt, denn ein China, das doch an den inneren Widersprüchen zugrunde geht, würde beispielsweise zu einem anderen Weltverlauf führen, als ein China, das zu dem großen Koloss wird, den wir nun alle erwarten.
Für die Börsen bedeutet das aber so oder so erneuten Wandel. Es wird Firmen und Sektoren geben, die davon profitieren und ebenso Firmen und Sektoren, die mit dieser Gezeitenwende ihre "Friedensdividende" wieder verlieren und vor einem Jahrzehnt unerfreulicher Kursentwicklung stehen.
Beständig ist eben nur der Wandel und ich glaube, dass die Welt auf dem Weg hin zu einer multipolaren Welt großer, kulturell ähnlicher Machtblöcke ist, die durch gemeinsame IT-Struktur verknüpft sind.
Und das wird an den Märkten nicht ohne Folgen bleiben. Denn was die eigene Macht zementiert, kann und darf man den konkurrierenden Blöcken nicht zur Verfügung stellen. Die Globalisierung wird in diesen kritischen Bereichen teilweise rückabgewickelt werden.
Ihr Michael Schulte (Hari)
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