Der Paradigma-Wechsel oder warum auch ein „Burggraben“ wertlos werden kann

Diesen Artikel habe ich im Premium-Bereich vor einem Jahr, im September 2019 geschrieben. Er ist aber unverändert gültig, nein noch viel mehr, die Covid-Krise hat die Wahrheit so richtig offenbar gemacht.

Damals vor einem Jahr, zum Jubiläum von Windows 1995, wurde ich daran erinnert, wie idiotisch - es gibt kein anderes Wort dafür - die IBM in den 90ern mit ihren riesigen Chancen umgegangen ist:

Erinnern wir uns, IBM beherrschte noch in den frühen 80er Jahren die Computerwelt mit seinen Großrechnern. Ich erinnere mich an Wirtschaftsmagazine mit Covern, die fragten, ob IBM bald die ganze Welt beherrschen würde.

Gleichzeitig gab ein "kleines Würstchen" namens Steve Jobs damals zum Besten, dass IBM "arrogant und kurzsichtig" sei und bald "gedemütigt" würde. Wahre, prophetische Worte, die aber 10 Jahre brauchten, bis das Ergebnis so richtig durchschlagend zu sehen war.

Wir alle kennen die Geschichte, wie IBM Anfang der 80er Jahre eben genau "arrogant und kurzsichtig" das "Bröselgeschäft" mit den kleinen Computern so unbekannten Firmen wie Intel und Microsoft überlassen hat, ja sogar denen geholfen, auf die Beine zu kommen.

Aber große, zu erfolgreiche Organisationen machen eben solche Fehler, das ist aber kein Grund für das, was dann 10 Jahre später wieder in Sachen Windows passiert ist und das soll hier Thema sein. Und auch, was das generell für uns bedeutet.

Denn zu dieser Zeit war IBM 1994 in seiner schwersten Krise und nicht weit vom Exitus entfernt, den Lou Gerstner mit einer radikalen Kehrtwendung abwenden konnte. Gleichzeitig war der Stern von Microsoft schon steigend und mit Windows 3.0 bzw 3.1 gab es eine Klick-Oberfläche für DOS, die sich zunehmender Beliebtheit erfreute, technisch gesehen aber ein ziemliches Stückwerk war.

IBM sollte seinen Fehler von Anfang der 80er also nun grundlegend verstanden haben und hatte eine gewaltige Chance vor sich. Denn DOS und damit auch Windows 3.x waren noch antiquierte 16-Bit Betriebssysteme, die mit ihrem mickerigen Adressraum zukünftig nur noch "Mickey-Maus-Computer" unterstützen konnten.

Wer sich nun also mit einem 32-Bit Betriebssystem für die neue Gattung der x86 Personal Computer durchsetzen konnte und die Marktführerschaft erringen, dem war diese Dominanz nicht mehr zu nehmen. Und IBM hatte alle Voraussetzungen und die riesige Chance, damit die Scharte von Anfang der 80er Jahre wieder auszuwetzen.

Denn innerhalb IBMs gab es viele gute 32-Bit Betriebssysteme und so viel Knowhow zur Betriebssystem-Entwicklung, wie mit Abstand in keiner anderen Firma des Planeten. Ich selber war damals als Abteilungsleiter an der Entwicklung des Großrechner-Betriebsystems MVS beteiligt und hatte einige Kontakte zur OS/2 Fraktion.

Genau, OS/2 - denn damit hatte IBM schon das perfekte 32-Bit PC-Betriebssystem, das spätestens mit OS/2 3.0 genannt "Warp" ein rundum gelungenes Produkt und technisch um Welten besser, als das erst später erscheinende, noch voller technischer Krücken steckende Windows 95 war.

Schon 1996 war es aber mit OS/2 faktisch zu Ende, Windows 1995 dominierte alles und IBM stellte seine Versuche ein, damit Marktanteile zu gewinnen. Sie können an andere Stelle die vielen Fehler nachlesen, die da gemacht wurden und die sich im Nachgang teilweise als absurd darstellen.

So konnte sich IBM zum Beispiel nie dafür entscheiden, das Betriebssystem wirklich für die Massen, also auch für Spieler und Kids anzubieten, weil die "Blauhemden-Manager" dazu schlicht keinen Zugang hatten. Die Folge war, dass wichtige Unterstützung für populäre Anwendungen der Zeit fehlte, die teilweise noch auf 16-Bit fussten.

Sie können diese vielen Details des Durcheinanders und der teilweise lächerlichen Fehlentscheidungen woanders nachlesen, die -> Wikipedia hat hier <- eine ganz brauchbare Zusammenfassung dafür:

... Eines der größten Probleme war, dass IBM nun versuchen musste, das Betriebssystem selber zu vermarkten. Als ein typisches Großunternehmen vermarktete IBM seine Produkte zu einem großen Teil an andere Unternehmen und wusste so im B2B-Bereich zu bestehen. IBM hatte jedoch keinerlei Erfahrung damit, Produkte an Endanwender zu verkaufen, und beging dadurch zahlreiche große Fehler ....

... Mit OS/2 Warp versuchte sich IBM an einer neuen Marketingkampagne. Schon zuvor nutzte das Unternehmen intern Begriffe aus dem Star-Trek-Universum als Codenamen und so wollte IBM das Betriebssystem mithilfe von Darstellern aus der Serie offiziell veröffentlichen. Jedoch vergaß das Unternehmen dabei, sich die notwendigen Rechte von Paramount Pictures zu sichern. Paramount drohte mit einer Klage und so musste IBM die geplante Werbekampagne fallen lassen....

... Als IBM bemerkte, dass erste Entwickler Spiele für das Betriebssystem entwickelten und diese eine große Resonanz entwickelten, fasste das Unternehmen den Beschluss, Warp für jugendliche Computerfreaks zu bewerben. Damit stand IBM jedoch im Konflikt zu den bisherigen Kunden des Betriebssystems, die größtenteils Unternehmen waren und ganz andere Anforderungen an das Betriebssystem stellten. Dazu kamen die vor allem in den USA ausgestrahlten und von allen Seiten stark kritisierten Werbevideos, die die Stärken des Betriebssystems überhaupt nicht darstellten, dazu zählte etwa ein Werbevideo, das Nonnen in einem tschechischen Kloster zeigt ...

Ich habe das frustrierende Chaos damals hautnah erlebt, weil ich damals Kontakt zum damaligen OS/2 Chef Richard Seibt hatte, an dem das Scheitern wirklich nicht gelegen hat, sondern an den übergeordneten Strukturen.

Warum ich Ihnen das hier aber erzähle ist, weil die ganzen Fehlentscheidungen in meinen Augen gar nicht ursächlich für das Scheitern waren. Diese Fehlentscheidungen waren nur Symptome des wahren Metaproblems und wenn es diese Fehlentscheidungen nicht gegeben hätte, wären andere gemacht worden.

Das Metaproblem war schlicht, dass IBM von seiner Organisation, seiner Kultur und seinen Menschen her, unfähig war, diese neue Welt zu verstehen, die sich da entwickelte.

Überall sassen ergraute Manager, fraglos immens fähig, wenn es darum ging, Firmen eine perfekte und "state-of-the-art" Infrastruktur hinzustellen, die aber völlig blind dafür waren, wie sie von der kleinen wuseligen Welt der PCs und ganz neuen Marketing-Methoden überrannt wurden.

Diese IBM, mit dieser Organisation und dieser Kultur war schlicht nicht in der Lage, mit Apple und Microsoft zu konkurrieren. Wer jetzt Ähnlichkeiten zu dem erkennt, was heute zum Beispiel mit den sozialen Netzen und den alten Medien passiert, hat Recht. Und wer Ähnlichkeiten zu dem erahnt, was das autonome Fahren mit den heutigen Mobilitätskonzepten anstellen wird, zeigt Weitsicht.

Denn wir hatten es damals mit einem grundlegenden Paradigma-Wechsel zu tun, der die Computernutzung aus den Händen der Rechenzentren in die Hände der Konsumenten gegeben hat. Das Smartphone ala Steve Jobs, ist dabei nur der logische Schlusspunkt.

Und gerade die Firmen, die in einer "alten" Welt sehr lange, sehr erfolgreich waren, haben es bei einem Paradigma-Wechsel mit Abstand am Schwersten, diesen Wechsel nachzuvollziehen. Viele dieser Firmen scheitern und gehen unter, der Lauf der Welt.

Dass IBM halbwegs erfolgreich überlebt hat, ist primär der radikalen Wende von Gerstner zu verdanken, die IBM faktisch zu einem "anderen" Unternehmen gemacht hat als vorher. Eine starke Firmenkultur und Identität hat dabei geholfen. Insofern war es dann 1996 auch logisch, die PC-Aktivitäten gehen zu lassen, der Zug war einfach abgefahren.

Für uns als Anleger ist es wichtig, sich das bewusst zu machen. Ich sage es mal ganz deutlich, wer aus der Tatsache, dass es eine Firma erfolgreich 100 Jahre schon gibt schliesst, dass es diese auch die nächsten 20 Jahren zwingend geben wird, ist mit Verlaub ahnungslos. Wie heisst es so schön:

Past performance is not indicative of future results

Gerade die Autobauer sind dafür ein schönes Beispiel, denn faktisch werden seit den seeligen Zeiten von Carl Benz und August Otto mehr oder weniger die gleichen Autos gebaut, es hat nie einen echten Paradigma-Wechsel gegeben.

Natürlich sind die heutigen Fahrzeuge immens weiterentwickelt und um Faktoren besser als die vor 100 Jahren, das Grundprinzip ist aber identisch geblieben, wir haben über 100 Jahre nur evolutionäre Verbesserungen gesehen. Wir bauen immer noch die vom Grundkonzept her gleichen, fahrerzentrierten Fahrzeuge wie vor 100 Jahren, nur erheblich weiterentwickelt.

Der Paradigma-Wechsel, der kommt da aber erst und erst dann wird sich zeigen, wer das überleben kann. In der neuen Welt reden wir nicht mehr über "Autos", wir reden über vernetzte Mobilitätskonzepte.

Aber selbst bei den als praktisch "unzerstörbar" geltenden Nahrungsmittelkonzernen wie Nestle und Unilever, kann man sich zukünftige Paradigmawechsel rein theoretisch vorstellen, in denen man sich Essen zB vor Ort selber ala "3D Drucker" herstellt, die deren Geschäftsmodell völlig zerstören könnten. So eine Technologie gibt es noch nicht, aber wer weiss was kommt.

Der Punkt den ich machen will ist, dass jedwede Geldanlage die regelmässige Prüfung braucht. Wer sehr langfristig agiert und Qualitätsaktien hält, braucht seine Anlagen vielleicht nur einmal jedes Jahr einer Prüfung unterziehen, aber das sollte er tun!

Markenstärke und ein "Burggraben" im Geschäftsmodell, sind eine große Stärke und des Anlagevertrauens wert. Aber auch ein "Burggraben" wirkt nur so lange, wie die Welt die Gleiche geblieben ist. Ein Paradigma-Wechsel zerstört das alles und nichts ist ewig.

Denken Sie daran, IBM hatte einen immens breiten Burggraben. Aber eben nur bei den Großrechnern und den Geschäftskunden, bei der IT eben, die in den Rechenzentren stand. Keiner konnte da mit IBM mithalten. Niemand.

Und auch in der aktuellen Covid-Krise sind einige bewährte Geschäftsmodelle ganz plötzlich in Gefahr, die man noch vor einem Jahr für sicher gehalten hätte.

Die Franzosen hatten übrigens auch einen "unüberwindbaren Burggraben" und der hiess -> Maginot-Linie <- und war statische Defensive nach dem Muster des 1. Weltkriegs.

Und dann kam der Paradigma-Wechsel in Form von schnellen Panzerverbänden. Und alles war anders.

Beständig, ist eben nur der Wandel. Alles andere ist eine Illusion von uns kleinen Nussschalen auf dem Strom des Schicksal.

Gerade ängstliche Anleger, werden von der Verheissung der "dauerhaften Sicherheit" magisch angezogen, die von Aktien vermittelt wird, die es schon Jahrzehnte gibt. Das ist aber für sich alleine eine Illusion, ein Selbstbetrug. Es macht fraglos Sinn solche Aktien zu haben, blind vertrauen kann man ihnen aber auch nicht!

Nichts ist sicher, außer der Wandel und der Tod, aber der Tod auch nur nach jetzigem Wissenstand, wer weiss was noch mit dem Fortschritt kommt. 😉

Was unvermeidbar bleibt, ist dagegen nur der Wandel.

Ihr Michael Schulte (Hari)

*** Bitte beachten Sie bei der Nutzung der Inhalte dieses Beitrages die -> Rechtlichen Hinweise <- ! ***

2 Gedanken zu „Der Paradigma-Wechsel oder warum auch ein „Burggraben“ wertlos werden kann“

  1. Ich würde noch die Steuer als unvermeidlich hinzufügen und fühle mich bezüglich der Disruption ganzer Branchen und Burggraben-Unternehmen auch an die Blockchain Entwicklung im Finanzbereich erinnert. Wer will heute noch Bankentitel in seinem Investment-Depot? Aber das ist eine andere Geschichte, die hoffentlich in 5 Jahren erzählt wird.

  2. In der Dokumentation ‚Silicon Cowboys‘ (siehe https://www.imdb.com/title/tt4938484/), die sich im wesentlichen mit dem Aufstieg der Fima Compaq beschäftigt, kommen auch einige ehemalige IBM-Mitarbeiter zu Wort und berichten von haarsträubend klingen Dingen. Wenn ich mich richtig entsinne ging es darum dass IBM bestimmte Software entwickelt hat, die zwar auf den Desktop-PCs lief, aber auf den ersten „mobilen“ Computern, bei denen die Firma mit Compaq konkurrierte, nicht lief und daher die Akzeptanz dieser IBM-Geräte ziemlich gering war. Auch wenn ich die Details nicht mehr richtig zusammenbringe war der Film sehr interessant, weil er eben den Auftstieg von Firmen wie Microsoft und die schwindende Dominanz von IBM zeigt (insbesondere für diejenigen, die damals vielleicht nocht zu jung waren um das mitzuerleben).

Schreibe einen Kommentar