Sie wissen was KGV, P/E, KUV, P/S bedeuten und was nicht? Wirklich?
Das kann gut sein und dann gratuliere ich ihnen persönlich. Ich sage es aber mal ganz frank und frei, wenn ich sehe wie die Mehrheit der normalen Anleger bei Börsen-Twitter argumentiert, dann fehlt genau dieses Verständnis, denn die Dinge sind nicht so, wie sie der "gesunde Menschenverstand" interpretiert, der an der Börse sowieso oft auf der falschen Fährte ist.
Schauen wir uns das Thema doch mal grundlegend an.
Zunächst einmal heisst "Multiple" einfach "Vielfaches", wir sprechen hier also über einen Firmenwert als Vielfaches des Gewinns. Und wenn das Unternehmen börsennotiert ist, ist die Marktkapitalisierung - die sich aus dem Kurs x Anzahl Aktien errechnet - ja der Firmenwert und das sogenannte KGV bzw P/E also das "Gewinn-Multiple".
Ich werde im Folgenden mit Beispielen arbeiten und muss dafür die gerade bei Firmenbewertungen sehr komplexe Wirklichkeit stark vereinfachen.
Es gelten also hier nun folgende Vereinfachungsregeln:
Erstens gibt es gerade im außerbörslichen M&A viele Wege eine Firma zu bewerten und je nach Branche und Art des Unternehmens (Start-Up oder etabliertes Unternehmen zum Beispiel) muss man auch zwingend unterschiedliche Ansätze wählen, weil bei einem Start-Up ein Gewinn-Multiple beispielsweise keinen Sinn ergibt. Für unseren Zweck hier, betrachten wir aber *nur* das Gewinn-Multiple, das man bei börsennotierten Unternehmen auch im deutschen KGV oder im amerikanischen P/E (von Price vs Earnings) nennt.
Zweitens ist "Gewinn" ein sehr weit gefasstes Wort, in Zeiten von IFRS erst recht. Reden wir über den Vor- oder Nachsteuergewinn, über das EBIT, das EBITDA oder irgend eine andere "kreative" Form der Gewinnberechnung? Für unseren Zweck hier, nennen wir es einfach "Gewinn" und es ist egal, was es genau ist.
Drittens sind Steuereffekte bei Verhandlungen zu einem Firmenwert auch immer ein wichtiger Faktor, wir tun hier mal so, als ob es keine Steuereffekte gäbe.
Viertens müssen zukünftige Gewinne in die Gegenwart -> abgezinst (diskontiert) <- werden, weil man statt das Geld für zukünftige Gewinne zu investieren, dieses ja auch anlegen könnte. Für unseren Zweck hier tun wir also so, als ob es keinen Zins und damit keinen Diskontierungsfaktor geben würde.
Fünftens kann man das Gewinn-Multiple natürlich nur bei börsennotierten Firmen als KGV ausdrücken, weil es nur da ja einen "Kurs" gibt, der tagesgenau den Firmenwert visualisiert. Für unsere Zwecke und zur Vereinfachung benutze ich das Kürzel KGV hier als Synomnym für alle Gewinn-Multiple, auch von nicht börsennotierten Firmen.
Wenn wir all diese Voraussetzungen für dieses Gedankenexperiment als gegeben betrachten, haben wir nun die Grundlage um ganz einfach zu zeigen, was der Markt mit dem KGV (Gewinn-Multiple) da eigentlich bewertet und warum.
Machen wir es mal konkret und stellen wir uns eine konkrete Firma vor, die Sie - ja genau Sie - nun kaufen wollen. Sie stehen mit dem Inhaber in Verhandlungen.
Firma A
Firma A hat gar kein Geschäft mehr, sie ist praktisch stillgelegt, dafür besitzt die Firma aber noch im Lager eine Menge an Waren, die aktuell noch einen Marktwert von 1 Million haben.
Was würden Sie dem Inhaber dafür bieten?
Zunächst einmal gibt es hier kein Multiple mehr, weil sie innerhalb eines Jahres ja den gesamten Lagerbestand verkaufen werden und es keinen wiederholbaren Gewinn mehr gibt. Ist das Multiple hier also 1?
Natürlich nicht, weil warum sollten Sie sich den Stress machen und eine Firma mit Waren zum Marktwert von 1 Million für 1 Million kaufen? Sie wollen doch Gewinn machen, sonst macht es keinen Sinn Ihre Zeit zu vergeuden und außerdem haben Sie ja beim Verkauf noch eigene Kosten.
Also werden Sie dem Firmeninhaber vielleicht 500.000 bieten, dann kommen noch ihre Kosten darauf und es bleibt Gewinn übrig.
Das KGV in dem Szenario einer Firma ohne jede Zukunft ist also sozusagen 0,5, wobei das hier eine schiefe Formulierung ist, weil wir ja nicht von operativem Gewinn sondern Auflösung von Lagerbeständen - also Buchwerten - reden. Aber für die vereinfachte Darstellung hier ist das OK.
Firma B
Firma B hat ein ganz stabiles Geschäft, das absehbar auf Jahre stabil bleiben wird und auch der Gewinn von 1 Million pro Jahr wird stabil bleiben. Man kann aber auch nicht mit Wachstum rechnen, die Firma läuft voraussichtlich einfach weiter.
Was würden Sie dem Inhaber dafür bieten?
Jetzt müssen Sie rechnen, wie viele Jahre Gewinn Sie bereit sind zu zahlen, um diese Firma zu erwerben. Vereinfacht gesagt, sind das die Jahre die sie warten müssen, bis sich ihre Investition amortisiert hat.
Völlig klar ist, dass je stabiler das Geschäft ist, desto mehr Jahre sind sie bereit zu warten. Je unsicherer das Geschäft, aber trotzdem ohne Wachstumsperspektive, desto weniger sind sie bereit zu warten.
Denn mit jedem Jahr des "Wartens" steigt ja abstrakt das Risiko, dass doch etwas Negatives passiert und das Geschäftsmodell von Firma B zerstört wird.
Wenn solche Firmen im privaten Bereich die Besitzer wechseln - also das was wir kleinen Mittelstand nennen - haben sich dabei KGVs (Gewinn-Multiples) von 4-7 eingebürgert, wie Sie auch -> hier bei der KMU Unternehmerbörse <- sehen können.
Sie sind also beispielhaft bereit 5 Jahre zu warten, bis sich ihre Investition in das Unternehmen amortisiert und so lautet dann auch Ihr Angebot an den Firmeninhaber auf 5 Millionen.
Firma C
Wenn der alte Firmeninhaber es schafft, statt an Sie zum KGV von 5 zu verkaufen seine Firma an die Börse zu bringen, hat er gute Chancen dort eher ein KGV von 7-12 für das gleiche Geschäft zu erhalten, das von den Zeichnern beim IPO dann bezahlt wird. Das motiviert zum Börsengang, andererseits ist der administrative Aufwand und die Kosten so hoch, dass sich das nur für größere Firmen wirklich lohnt.
Der Unterschied in der Bewertung liegt unter anderem an der höheren Visibilität der Zahlen von börsennotierten Unternehmen, mit denen auch eine höhere Sicherheit für Investoren einher geht. Und wenn Sie sich an Firma B erinnern, sind Sie ja bereit mehr zu zahlen, wenn die Gewinnentwicklung langfristig sicherer ist. Außerdem verschafft Ihnen der Markt ja viel mehr Interessenten an ihrem Unternehmen, als sie es im direkten, außerbörslichen Verkauf erreichen könnten und mehr Nachfrage heisst höhere, durchsetzbare Preise.
Firma D
Bei Firma D verkauft Ihnen ein Gründer mit einer genialen Idee seine Firma, die aktuell 1 Million Gewinn macht. Aufgrund des tollen Geschäftsmodells und des starken Wachstums, können Sie aber fest davon ausgehen, dass der Gewinn stark steigen wird und sich alle 2 Jahre verdoppelt, wenn nicht mehr.
Jetzt wird es ganz schwierig, denn nun müssen Sie viele Annahmen machen. Einfach zu sagen das ist auch ein KGV von 5 ist Unsinn und der Verkäufer wird die Firma so nicht veräussern, weil das viel zu billig ist.
Denn mitverkauft wird ja nicht nur der Gewinn heute, sondern das immense Potential, das wenn realisiert in 5 Jahren zum Beispiel schon einen Gewinn von 5 Millionen generieren kann. Sie würden dann also die Firma fast geschenkt bekommen.
Umgedreht kann man das Wachstum ja aber auch nicht einfach in die Zukunft hochrechnen, weil bei Potentialen sind immense Risiken vorhanden und im Übrigen müssen *Sie* die Chancen ja erst erschliessen, der Verkäufer verkauft Ihnen ja nur die Gegenwart und nicht die Zukunft, die Sie erobern müssen. Und Sie wollen dem Verkäufer doch nicht eine unternehmerische Leistung vergüten, die Sie überhaupt erst erbringen müssen.
Kurz gesagt, ein Potential ist etwas wert, kann aber nicht einfach unbegrenzt hochgerechnet werden und muss daher stark diskontiert werden. Und klar, in der Realität des M&A Geschäftes ist ein Gewinn-Multiple für so eine Firma *kein* geeignetes Mittel um den Firmenwert zu bestimmen, man nutzt dann andere Techniken. Aber wie oben gesagt, bleiben wir hier im Beispiel mal dabei.
Am Ende werden Sie dem Inhaber im privaten Umfeld vielleicht ein Multiple (KGV) von 20 bieten und an der Börse würde vielleicht ein KGV von 30 oder 40 aufgerufen. Das macht Sinn.
Diese Firma geht also vielleicht für 30 Millionen über den "Tresen" und das vor allem aufgrund der positiven Erwartungen.
Firma E
Jetzt kommen wir zur Firma B mit ihren stabilen Gewinnen zurück, die Sie im außerbörslichen Umfeld vielleicht mit einem KGV von 5 gewürdigt hätten.
Aber jetzt hat der Firmenchef eine unangenehme Wahrheit für Sie. Ja, die Firma hat stabile Gewinne und ja, die halten ziemlich sicher noch 5 Jahre, aber die ganze Technologie der Firma ist überholt, es kommen Mitbewerber und vor allem ist zu befürchten, dass der Gesetzgeber das Geschäft der Firma in ca. 10 Jahren mit allerlei Abgaben und Erschwernissen belegen wird.
Zahlen Sie jetzt noch ein Multiple von 5? Auf gar keinen Fall!
Der Grund in die Firma zu investieren ist doch die Zukunft und mit so einer negativen Zukunftserwartung werden Sie sich die Frage stellen, ob Sie überhaupt noch in diese Firma investieren wollen!
In Realität, wenn Sie sich das Szenario real vorstellen, werden Sie es wahrscheinlich nicht mehr machen - wozu damit Zeit vergeuden? Und wenn doch, dann für ein Multiple von 2 oder 3, denn der Kauf macht für Sie nur noch Sinn, wenn Sie *ganz sicher* sein können, Ihre Investition über Gewinne wiederzubekommen.
Übertragen auf die Börse, wird durch diese Information aus einem Unternehmen das vorher vielleicht ein KGV von 12 wert war nun ein KGV von 6 oder 7, also eine Bewertung ohne jede Zukunftsperspektive.
So ..... ich hoffe der Punkt ist angekommen.
Sie haben gesehen, dass es Ihre *Zukunftserwartung* ist, die den Preis bestimmt, den Sie für das Unternehmen zu zahlen bereit sind. Nicht die Gewinne der Vergangenheit, sondern die erwarteten Gewinne der Zukunft!
In allen obigen Fällen betrug der Gegenwartsgewinn 1 Million, den Unterschied bei der Bewertung macht nicht die Vergangenheit, sondern die *Zukunftserwartung*!
Und je höher das KGV (das Multiple) ist, das Sie zu zahlen bereit sind, desto positiver ist Ihre Zukunftserwartung und desto sicherer gehen Sie von Gewinnwachstum aus.
Wenn diese Erwartung hoch ist wie im Fall von Firma D, dann sind Sie eben bereit auch ein hohes Multiple (KGV) zu zahlen. Und sonst nicht und wenn da keine Zukunft mehr ist, wird die Bewertung immer mehr zu der von Firma A, in der man nur noch den Wert der Abwicklung der vorhandenden Assets zum Maßstab macht.
Und noch eine wichtige Erkenntnis liegt in obiger Erklärung: Das KGV ist *kein* Maßstab dafür, ob eine Aktie attraktiv ist oder nicht!
Denn das KGV beschreibt nur den Konsens der diskontierten Gewinnerwartungen in der Zukunft, es ist eine Momentaufnahme. Und egal ob das KGV 10 oder 40 ist, können diese Erwartungen sich in Zukunft als zu hoch, zu niedrig oder genau richtig heraustellen.
Wer also Aktien mit niedrigem KGV kauft, kauft Firmen die aus Sicht des Marktes keine große Zukunft mehr haben. Nicht mehr und nicht weniger.
Zu glauben, dass der Markt sich dabei irrt, ist ohne wirklich tiefgehende Kenntnis der Branche und Firma eher naiv. Man kann bei der Bewertung von Einzelfirmen sehr wohl klüger als der Markt sein, dafür braucht es aber Wissen und Erfahrung bei Firmenbewertungen sowie intensive Kenntnisse der Branche und des Wettbewerbsumfeldes. Ideal auch Insiderwissen.
Die große Mehrheit der Anleger, die mit KGVs und KBVs zur fundamentalen Bewertung von Aktien operieren, haben dieses anspruchsvolle Wissen aber *nicht*, zumal der dafür notwendige Zeitaufwand für Anleger mit Job gar nicht zu leisten ist.
Und öffentlich allgemein bekannte Fundamentaldaten sind als Grundlage auch ungeeignet, um klüger als die anderen Marktteilnehmer zu sein. Trotzdem wird es sich furchtbar gerne eingebildet und lange „Analysen“ geschrieben, weil es ja dem Ego dient - wir sind doch alle ein wenig "Buffett" und „Investmenthelden“, oder nicht? 😛
Wer also meint, dass eine Aktie mit KGV 12 "günstiger" als eine mit KGV 30 wäre, hat ganz grundsätzlich etwas nicht verstanden und leider sind das weiter viel zu viele.
Beide Aktien sind vielmehr genau so bewertet, wie die Schwarmintelligenz Markt das unter Würdigung aller bekannten Fakten für angemessen hält. Und das kann sich in *beiden* Fällen in Zukunft als zu optimistisch oder zu pessimistisch herausstellen! In beiden Fällen, es ist im Vorfeld nicht klar, in welche Richtung sich der Markt irrt.
Wer das nicht glaubt, kann ja mal über 20 Jahre das KGV von Amazon vergleichen, ich habe oft darüber geschrieben, KGV, P/E, KUV, P/E sind kein Timing-Indikator!
Wenn ihnen also mal wieder jemand sagt, dass etwas "zu teuer" sei, dann fragen sie gleich zurück: Nach welchem Maßstab? Woran genau gemessen? 😉
Es gibt auf diese Frage intelligente Antworten, die absolute Höhe des KGV oder KUV ist es aber für sich alleine nicht!
Vielleicht hat dieser Artikel ja ein wenig Licht ins Dunkel gebracht.
Ihr Hari
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1 Gedanke zu „Die Firmenbewertung und das Gewinn-Multiple“
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