Vor und nach der Hochzeit

Die Auszählungen laufen noch, aber seit Mittwoch Mittag wird immer wahrscheinlicher, dass die Waage am Ende zu Gunsten Bidens ausschlagen wird.

Zeit auch im freien Bereich mal ein paar Gedanken zum Markt und der Wahl zu teilen, in der Community besprechen wir das natürlich täglich in Tiefe und Breite.

Da wir es beim Geschehen aber immer noch mit einem "Moving Target" zu tun haben, also einer Situation die sich dynamisch entwickelt, will ich mich hier im freien Bereich vor allem auf das Verständnis konzentrieren, warum der Markt überhaupt bestimmte, markante Bewegungen zeigt. Dazu wird medial nämlich viel Unsinn verbreitet und die Frage wer Präsident wird, war dafür in den letzten Tagen nur indirekt entscheidend.

Zunächst einmal haben wir letzte Woche die "Angst in der Nacht vor der Hochzeit" erlebt. Es ist ganz oft so, dass der Markt vor wichtigen Wegscheiden etwas zu stark in die Gegenrichtung ausschlägt. Auch vor 4 Jahren gab es zunächst einen Ausverkauf als Trumps überraschender Sieg bekannt wurde, dann aber begannen die Käufe die dann 15 Monate lange bis in den Januar 2018 hinein praktisch nicht aufgehört haben.

Auch bei technischen Konsolidierungs-Formationen - zum Beispiel sogenannten "bullischen Flaggen" - sieht man am Ende gerne einen Fakeout nach unten, bevor die Kurse dann mit Macht doch nach oben drehen.

Etwas Ähnliches haben wir letzte Woche gesehen und die Schärfe der Abgaben war letzte Woche auch für mich überraschend. Denn ich bin schon vor 2 Wochen mit Präferenz von einer Erleichterungs-Rally nach der Wahl ausgegangen, die scharfen Abgaben letzte Woche waren da irritierend, haben mich aber von der bullischen Erwartung nicht abgebracht, weil diese das Setup für Stärke danach nur verbessert haben:

Jetzt sehen wir, dass es letzte Woche wirklich nur ein "Fakeout" war, die bekannte "Angst vor der Hochzeit", also vor einem wichtigen Ereignis. Und wenn wir nun in bestimmten Sektoren eine massive Rally erleben, dann hat das genau auch damit zu tun, dass die schon eingepreiste Angst sich nun auflösen kann - eine klassische Erleichterungsreaktion.

Denn es war klar zu sehen und wurde im Rahmen meiner Artikel im Premium-Bereich ausführlich thematisiert, dass der Markt schon längst viele Sorgen in die Preise eingebacken hatte. Wenn sie meinen Artikel -> Der Markt und die Erwartungen <- im freien Bereich gelesen haben dann wissen sie, dass die Kurse sich aufgrund veränderter Erwartungen bewegen und nicht aufgrund des Inhalts von Nachrichten!

Nachrichten verändern zwar die Erwartungen, wenn aber die Erwartung vorher katastrophal schlecht war, wird eine marginal schlechte Nachricht dann trotzdem zu einer positiven Anpassungsreaktion führen.

Wenn also alle eine "Blaue Welle", einen durchschlagenden Erfolg der Demokraten erwarten, mit dem beide Häuser - auch der Senat - in die Hände der Demokraten fallen und die dann "durchregieren" könnten, dann stellen sich die Marktteilnehmer auch auf die damit verbundene und zu erwartende Regulierung zum Beispiel für Big Tech ein, die auch auf Zerschlagungen herauslaufen kann. Und so wurden diese Aktien in der Vorwoche ebenso abverkauft, wie alle Aktien die besonders unter wieder erhöhten Steuersätzen leiden würden.

Wenn diese Erwartung sich dann aber durch die ersten Ergebnisse nicht bestätigt und widerlegt wird, wenn klar wird, dass die US weiter ein "Split Government", einen "Gridlock" haben, dann können diese Sorgen ausgepreist werden und führen zu massiv steigenden Kursen - neben anderen Faktoren natürlich, der Markt ist immer die Überlagerung vieler Einflussfaktoren.

So zum Beispiel bei den Schwergewichten des NASDAQ wie hier bei Facebook (FB):

So auch zum Beispiel bei "Big Pharma", die bei einer demokratischen "blauen Welle" auch dem Risiko scharfer Regulierung bei den Medikamentenpreisen ausgesetzt waren. Und so kommen dann Charts wie bei Abbvie (ABBV) zustande.

Der Markt hatte seit dem Sommer mit steigenden Umfragen für Biden regulatorische Risiken eingepreist und von dieser Sorge wurde er nun mit einem Schlag befreit:

Wenn sie genau hinhören dann bemerken sie auch, dass es dabei gar nicht primär um die Frage Biden oder Trump geht. Der Markt hat kein Problem mit der Person Biden, er hatte ein Problem mit grundlegenden Eingriffen in Steuergesetze und in die Preisfindung im Gesundheitssektor.

Unabhängig vom Wahlausgang gab es ja aber auch große Sorgen vor gesellschaftlichen Unruhen nach der Wahl, auch das war in den Kursen, zum Beispiel der kleineren Unternehmen, die darunter leiden würden.

Auch das ist ausgeblieben und auch das rechtfertigt eine Erleichterungsreaktion unabhängig vom neuen Präsidenten, die man unter anderem im Russell2000 Index der kleineren Unternehmen (hier als ETF IWM) gut sehen kann:

Deshalb setzte sich die Erleichterungsreaktion auch unabhängig vom noch unsicheren Ausgang bei der Präsidentenwahl in Gang, es genügte zu wissen, dass ein demokratischer Durchmarsch (blue Wave) nicht stattfinden würde und damit die befürchteten Gesetzesänderungen nicht oder nur verwässert kommen werden. Und es genügte zu wissen, dass die Wahl ruhig verläuft, um Ängste vor Unruhen auszupreisen.

Sie sehen, wie wichtig es ist sich die Erwartungen des Marktes klarzumachen, es genügt einfach nicht auf Nachrichten zu reagieren. Denn der Markt ist klüger und antizipiert Nachrichten im Vorfeld, was bedeutet dass die erwarteten Geschehnisse schon zu guten Teilen in den Kursen sind. Eine Nachricht die von allen erwartet wurde ist also nicht mehr kursrelevant, egal was die Nachricht ist.

Wenn wir von hier nun vorsichtig in die Zukunft schauen, ist noch zu viel offen, um schon eine klare Richtung für die nächsten Jahre zu definieren. Wie fest Biden im Sattel sitzen wird, macht einen großen Unterschied und es gibt auch theoretische Pfade, in denen Trump mit einer Verzögerungstaktik doch noch im Amt bleiben kann - um den Preis einer schweren Verfassungskrise, die dann den Markt schwer treffen würde. Auch gibt es noch Varianten, in denen es doch zu einem demokratisch dominierten Senat kommen würde, was die Gleichung deutlich verändern würde.

Wichtig ist aber sich die Marktmechanik und den vorhandenen Anlagedruck klarzumachen, wie ich das im freien Bereich in -> Warum steigen (und fallen) Kurse eigentlich? <- erklärt habe.

Denn durch den nun einsetzenden Schub, geraten ganz viele institutionelle Anleger zum Jahresende unter Druck, die sowieso schon hinter dem Markt hängen. Die können nicht einfach abwarten, weil sie sonst zum Jahresende potentiell mit "herunter gelassenen Hosen" dastehen und böse Fragen ihrer Investoren über sich ergehen lassen müssen - die hinterher natürlich klüger sind. 😉

Man nennt das auch FOMO - die "Fear Of Missing Out" - die Angst zu verpassen.

Das macht Anlagedruck und so kann dieser bullische Aufschlag, den der Markt nun vollzogen hat, durchaus zu einer sich selbst verstärkenden Welle zum nur noch 6 Handelswochen entfernten Jahresende führen, die Liquidität und der Anlagedruck ist dafür fraglos vorhanden.

Sicher ist das Szenario natürlich nicht, nichts ist am Markt je 100% sicher und wenn es doch noch zu einer Verfassungskrise kommen sollte, wird das am Markt nicht spurlos vorbei gehen. Ich rate aber diesen Anlagedruck in den kommenden Wochen auf dem Radar zu behalten und nicht ohne Grund zu bärisch zu werden.

Ihr Michael Schulte (Hari)

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