Der Arzt in der Datenbrille

Börse ist keineswegs nur Daten und Charts, gewürzt mit der Psychologie des "unbehaarten Affen", der uns jeden Morgen im Spiegel anschaut.

Börse ist vor allem auch Zukunft, denn Kurse entstehen immer aus -> Erwartungen <- und die Kurse von heute beschreiben primär nicht was heute ist, sondern was die Marktteilnehmer für die kommenden 6-12 Monate erwarten.

Viele Gespräche und Themen der Community drehen sich daher auch um potentielle Entwicklungen, sei es kurz-, mittel- und langfristiger Art. Dabei darf man nicht in reine Spekulation und Besserwisserei abgleiten, weil die Zukunft ist unbestimmt, wandelbar und "et kütt wie et kütt".

Aber trotz dieser Demut einer unbestimmten Zukunft gegenüber macht es Sinn, sich immer wieder die großen Entwicklungslinien und Trends zu vergegenwärtigen, da man damit dann auch manche Bewegungen und Vorlieben des Marktes besser verstehen kann.

Immer wieder behandele ich daher solche Themen auch in Artikeln und so habe ich nun einen kleinen Teil einer Artikelreihe zur Zukunft für sie im freien Bereich, bei dem es um unser Gesundheitswesen und die Ärzteschaft geht.

Der Artikel ist im März 2020 erschienen, mitten im ersten Covid-Absturz. Bedenken sie das bei einigen Bezügen im Artikel, der weitgehend unverändert gegenüber von vor einem Jahr ist und den ich nur in Bereichen angepasst habe, die für den freien Bereich ohne verständlichen Kontext wären.

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Heute will ich ein weiteres Thema meiner Zukunfts-Reihe mit Ihnen besprechen. Diesen Artikel hatte ich schon vor Monaten vorbereitet, lange vor dem neuen Corona-Virus, er erlangt nun aber eine Aktualität, mit der ich damals wirklich nicht gerechnet habe.

Dieses Mal geht es um das Gesundheitssystem und was Technologie für dieses System in der Zukunft bedeuten wird. Während ich bei den voran gegangenen Themen recht deutlich eine Position eingenommen habe, dass sich die Welt mehr oder weniger schnell in diese Richtung entwickeln wird - Resistance is futile sozusagen - bin ich hier weniger eindeutig, weil das Gesundheitssystem extrem "politisch" ist, kein völlig freier Markt sein kann und daher auch in der Zukunft viele Formen annehmen kann, die eigentlich ineffizient oder unwirtschaftlich sind.

Hier sind eben auch andere Erwägungen im Spiel als Effizienz und das ist ja auch richtig so. Durch die aktuelle Pandemie kann es jetzt aber sein, dass Entwicklungen schnell in Gang kommen, die ansonsten noch 10 Jahre gedauert hätten. Und das ist gut so, denn die Abkehr vom "Wartezimmer-Gehocke" ist zum Beispiel schon lange überfällig!

Ich weiß im Übrigen auch, dass wir hier viele Ärzte mit eigenen Praxen in der Community haben, insofern würde ich mich über eine rege Diskussion dieser spannenden Thematik sehr freuen. Ich selber bin ein Bürger und Patient, habe keine spezielle medizinische Ausbildung, aber besitze das was man "Bildung" nennt und würde mich daher als sehr mündigen Patienten bezeichnen, der es schätzt Ärzte vor sich zu haben, mit denen man ein vernünftiges Gespräch über Wahrscheinlichkeiten und Möglichkeiten führen kann.

Ärzte die nie mal etwas nachschlagen müssen und sich auch bei obskuren Symptomen mit wenigen Blicken immer sofort sehr sicher sind, sind mir höchst suspekt, weil jeder Akademiker hat zwangsläufig immer nur einen Ausschnitt des Fachwissens sofort parat und muss bei Details oder Sonderfällen nachschlagen. Ein Arzt der nachdenkt, auch mal nachliest und einen Zusammenhangsgedanken an sich heran lässt und ihn prüft, ist mir dagegen als Gesprächspartner hoch willkommen.

Ich bilde mir selber nicht ein, etwas von Medizin zu verstehen, nur weil ich ein paar Artikel im Web gelesen habe, bin aber sehr wohl in der Lage mögliche Zusammenhänge herzustellen und damit dem Arzt gleich potentiell wichtige Informationen zu liefern, die für die Beurteilung bedeutsam sein könnten. Der Typus "Chefarzt" mit wehendem Rockschoß und 5 Assistenzärzten im Schlepptau, der über die Patienten als "Fälle" spricht, hat bei mir eher kommunikativ schmerzhafte Erlebnisse, außer es geht mir so dreckig, dass ich dazu nicht mehr in der Lage bin. Und der Typus "Patientenspringer", der immer nur 2 Minuten bei einem ist, dafür aber gerne alles was er macht mit Faktor 3,5 abrechnet, wird von mir auch nur einmal besucht und dann nie wieder.

Bis auf seltene Ausnahmen, die ich dann auch nicht mehr besuche, sind meine Ärzte kluge, offene und nachdenkliche Menschen, die auf mich eingehen und mir tatsächlich helfen. Zum Tanz gehören natürlich immer zwei und wenn man einem Patienten die Informationen aus der Nase ziehen muss, würde ich wahrscheinlich auch ein anderes kommunikatives Verhalten an den Tag legen.

Letztlich gilt für die Gesundheit ja das Gleiche wie für die Börse, wir müssen vor allem selber dafür Verantwortung tragen und Ärzte eher als qualifizierten Dienstleister wie einen Architekten sehen, statt als "Halbgötter in Weiss", die uns unsere Probleme lösen. Denn das tun sie nicht und können sie nicht, bei diffusen, systemischen Krankheitsbildern, die nicht eindeutig einer Disziplin zuzuordnen sind, wird das schnell überdeutlich und ein Patient der intelligent mitdenkt, kann erheblich zur eigenen Genesung beitragen, denn niemand kennt uns so gut, wie wir selber.

Das aber nur zur Einleitung, die Frage ist ja nun, was technologische Entwicklungen in den nächsten Jahren bewirken werden. Dabei denkt man zunächst natürlich an den naheliegenden Schritt zur "Telemedizin", die zunächst einfach nur ein geschütztes Videokonferenz-System bedeutet und als solches nun im Jahr 2021 nicht mehr so spannend ist, auch wenn der Gesundheitssektor in diesen Fragen eher noch im letzten Jahrhundert hängengeblieben ist. -> Dieser Artikel <- zeigt uns aktuelle Entwicklungen in der Corona-Krise und nennt mit Kry, Teleclinic und Zavamed auch drei Anbieter, die schon im Markt unterwegs sind. Und aus den US kennen wir ja schon Teladoc (TDOC) mit ähnlichem Profil.

Man darf beim Thema aber keineswegs nur an das Internet, Videotelefonie und damit "Tele-Medizin" denken, sondern man muss zwei grundlegende Entwicklungen im Auge behalten.

Auf der einen Seite den Aufstieg von überwachenden und optimierenden Sensoren und später Implantaten, den ich in -> Wir Cyborgs – Widerstand ist zwecklos <- skizziert habe.

Auf der anderen Seite den Trend der Augmented Reality, der nicht nur in Operationssälen, sondern auch in der Arzt-Patienten-Kommunikation eine große Rolle spielen wird. In beiden Bereichen ist übrigens Apple (AAPL) -> hoch aktiv <- und da hat Tim Cook das Unternehmen in meinen Augen genau richtig aufgestellt.

Was wird sich alles dadurch verändern? Der Versuch einer vollständigen Abhandlung ist Unsinn, zu viele Dinge sind dazu in Bewegung. Ich will in diesem Artikel einfach ein paar Gedankenbrocken einwerfen. So bin ich sicher, dass diese Technologien das Ende von etwas einleiten werden, das sowieso ein Anachronismus ist und dem man keine Sekunde nachweinen muss - dem Wartezimmer.

Neben der schieren Ineffizienz und Zeitvergeudung, die damit für Patienten einher geht und die in schlecht organisierten Praxen auch klar vom Arzt verschuldet ist, bleibt es mir völlig unverständlich, warum Wartezimmer bei den Ärzten die mit Infektionskrankheiten zu tun haben, überhaupt noch in dieser Form zulässig sind - die aktuelle Krise zeigt das Problem ja überdeutlich.

Neurologen oder Orthopäden, können ihre Patienten ohne negative, gesundheitliche Seiteneffekte in Wartezimmer warten lassen, aber bei Allgemeinärzten, HNO-Ärzten oder Kinderärzten gibt es dabei massive Probleme. Gerade bei Kinderärzten kommt man da gerne kränker heraus, als man hereingekommen ist, wenn man nicht eine strikte Hygiene pflegt und am Besten mit Mundschutz da sitzt. Es gibt da unzählige Queransteckungen und auch Todesfälle hat es schon gegeben, die eindeutig über das Wartezimmer verbreitet wurden.

Das ist ja auch kein Wunder, hochinfektiöse Patienten kommen zum Ersttermin und erst später wird ja festgestellt, dass es eine hochinfektiöse Krankheit ist - dann haben sich andere aber schon angesteckt. Da es dazu keine wirklichen Daten gibt, ist man sich des Problems gar nicht so bewusst, wie es angemessen wäre. Ganz absurd werden dann Ratschläge, die immer wieder zur Grippesaison kommen und auch in den Anfängen von Covid-19 noch verbreitet wurden, wenn man starkes Fieber habe, solle man einen Arzt aufsuchen. Ganz toll und gleich eine Handvoll andere mit anstecken. Augenverdreh - da sollte ein Arzt nach Hause kommen, das ist der einzig sinnvolle Weg!

Ins Bild passend sind dazu auch Berichte aus China zur Hochphase der Krise, wo westliche Korrespondenten in Kliniken zum Test geladen wurden, dort dann 3 Stunden in Menschenmassen warten mussten, die alle Symptome einer Infektion zeigten, nur um dann mit einer sinnlosen Fiebermessung etwas auszuschliessen, was man so gar nicht ausschliessen kann. Absurder geht es nicht, war man vorher gesund, dürfte man nach dieser "Behandlung" infiziert sein.

Wenn ich bei Ärzten die auch Infektionskrankheiten behandeln ein volles Wartezimmer sehe, bin ich schon immer - lange vor Corona - zuverlässig weg oder stelle mich - so es nicht anders geht - irgendwo in eine Ecke des Ganges. Wie man potentiell infizierte Kranke in solchen engen, oft warmen und schlecht durchlüfteten Brutstätten zusammenpferchen kann, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben und hat mit Infektionsprophylaxe so viel zu tun, wie ein Kuhfladen mit Hygiene.

Genau das wird aber verschwinden und zwar maßgeblich durch den Aufstieg der Implantate und Überwachsungssensoren, die wir in den nächsten Jahrzehnten zunehmend und 2050 alle völlig selbstverständlich bei uns haben werden - derzeit noch in Uhren, später dann in anderen Formen.

Praktisch alle 08/15 Messungen vom Herzrhythmus, über Blutdruck, Fieber, bis zu bestimmten Bluteigenschaften, wird man automatisch bei sich selber vornehmen können, manches geht ja schon heute. So wird es für einen potentiellen Grippepatienten in Zukunft genügen, seinen Arzt in einer Videokonferenz "anzurufen", ihm den Zustand zu schildern, die gewonnenen Daten zu übermitteln und schnell gemeinsam zum Schluß zu kommen, dass es vermutlich zu 90% auch wirklich eine Grippe ist. Medizin ist ja auch bei persönlichen Besuchen selten 100% exakt, sondern immer eine qualifizierte Abschätzung, deren Güte mit Erfahrung und Wissen des Artes steigt oder fällt.

Erst wenn man von diesem 08/15 Weg abweicht, wenn komplexere Untersuchungen nötig sind, muss und wird der Arzt den Patienten dann herein bitten oder aufsuchen, um selber "Hand anzulegen". Dieser Ablauf - Fernkonsultation mit Standarddaten als Erstes und dann erst Entscheidung, ob vor Ort Untersuchungen nötig sind - wird das Gesundheitswesen revolutionieren und wesentlich entspannter für alle Beteiligten machen, weil vieles schon vorher "weggefiltert" werden kann, was derzeit völlig unnötig die Wartezimmer befüllt.

Vor allem wird es den Ärzten ermöglichen, mehr Zeit für die wirklich wichtigen Fälle und Gespräche zu haben, dabei muss dann aber die Politik mitspielen. Es müsste in der GOÄ vor allem die Entlohnung für Gespräche deutlich angehoben werden, denn ein Gespräch ist oft die wichtigste Medizin überhaupt.

Wer kennt nicht den Effekt, dass man sich vor dem Termin krank fühlt und danach, wenn schlimme Möglichkeiten ausgeschlossen wurden, gleich besser? Das liegt schlicht daran, dass man vorher zu hellhörig ist und hinterher die Beruhigung zur einer Entspannung führt. Ein ganz normaler Effekt, ähnlich des Placebo-Effektes, der aber tatsächlich zur Heilung beitragen kann.

Lange Rede kurzer Sinn, automatisiert und lokal bei uns erhobene Standarddaten über unsere Körper, werden ein sinnvolles Vorscreening ermöglichen und viele unnötige Untersuchungen vermeiden. Das verbunden mit einer Zulassung der Telemedizin wird volle Wartezimmer verschwinden lassen und unnötige Fahrten und Zeitvergeudung verringern.

In der idealen Welt, wenn Sicherheitsfragen zu den Daten technisch geklärt sind, wird der Arzt während er mit Patienten Live über eine Videoverbindung spricht, via Augmented Reality relevante Daten aus dessen Implantaten und Sensoren übermittelt bekommen, so dass sofort ein sinnvoller Gesamteindruck entsteht, der durch das Gepräch ergänzt wird. Dann erst kann kompetent die Frage beantwortet werden, ob eine persönliche Vorstellung angesagt ist.

Achja und was die Patientendaten angeht, können in meinen Augen die ganzen öffentlichen, proprietären Projekte zur "Gesundheits-Aktie" oder wie die alle heissen gleich eingestampft werden. Viel zu kompliziert zu nutzen, viel zu viele Schnittstellen, viel zu aufwändig, die Menschen werden am Ende das nutzen, was sie sowieso jeden Tag in der Hand haben und was sowieso ihre "Implantate und Sensoren" steuert und das sind ihre heutigen Smartphones, bzw deren Nachfolger in der Zukunft. Apple und Co. werden sich hier also wohl als Plattformanbieter durchsetzen, das kann man gar nicht verhindern, zumal nur damit auch grenzüberschreitende Dienste möglich sein werden.

So .... das sind einfach nur ein paar meiner Gedanken in die Zukunft gerichtet. Wie gesagt will ich das nicht als umfassende Darstellung verstanden wissen, die es nicht ist, sondern eher als einen "Kickoff", einen Einstieg in eine Diskussion dieser spannenden Thematik, die unser Leben verbessern wird, neue Risiken im Bereich IT-Sicherheit schaffen wird, aber auch viele interessante Investitionsmöglichkeiten mit sich führt.

Ihr Michael Schulte (Hari)

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1 Gedanke zu „Der Arzt in der Datenbrille“

  1. Besten Dank für all die frei zugänglichen Infos! Eher zufällig bin ich auf Ihre Seite gestoßen und ich muss sagen, sie hebt sich weit von den üblichen Börsenseiten ab die man im Internet allgemein findet.
    Wie schade, dass ich mich als Süd-Tiroler nicht für den Premiumbereich registrieren kann! (Für politisch-geschichtlich Unbedarfte: Süd-Tirol gehört zum italienischen Staatsgebiet). Ausnahmen sind wohl nicht möglich, hm? 🙂
    Eigenartig, dass die Anmeldung als Schweizer möglich wäre wo doch die Schweiz nicht zur EU gehört und nach meiner Erfahrung alles Bürokratische gerade deshalb komplizierter ist.
    Nun gut, so ziehe ich halt aus Ihren frei zugänglichen Arbeiten Positives.
    Viel Erfolg und herzliche Grüße
    EJ

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