Streben ist gut!

Manchmal - als Ergänzung und Anreicherung zu den Börsenthemen - schreibe ich im Premium-Bereich auch längere Artikel zu philosophischen oder psychologischen Themen, oder erzähle "Schwänke aus meinem Leben", aus denen man dann grundlegende Schlußfolgerungen ableiten kann.

Derzeit, im Herbst 2022, werden wir medial *überrannt* mit schlechten, Angst machenden Nachrichten, wir befinden uns psychisch eigentlich nur noch im evolutionären Zustand von Kampf oder Flucht, erfüllt mit einem Cocktail an -> Stresshormonen <-, die uns zwar aktiv auf den Beinen halten, bereit jederzeit gegen den Säbelzahntiger zu kämpfen, uns aber auch den Blick verengen.

Dieser vibrierende Stress ist auch in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu spüren, es scheint immer um "Alles" zu gehen, dabei geht es oft nur um Aufgeregtheiten, die im großen Fluß der Zeit doch bestenfalls am Rande Relevanz haben. Wir würden gut daran tun, auch die langen Linien der Welt und unserer Existenz nicht aus den Augen zu verlieren.

Deshalb will ich nun einen Artikel in den freien Bereich stellen, den ich im Premium-Bereich vor 2 Jahren geschrieben habe. Mir ist völlig klar, dass nur eine kleine Minderheit sich darauf einlassen wird, sich mal aus den täglichen Aufgeregtheiten zu lösen und diesen langen Text an sich heranzulassen. Aber es geht mir hier ja nicht um Klicks und möglichst viele Leser, viel wichtiger ist mir, dass ich den Wenigen die sich darauf einlassen, dann auch wirklich etwas mitgeben kann.

Und so habe ich heute etwas zum "Knabbern" für sie, ein Teilstück einer Art Lebenseinstellung. Niemand zwingt sie diese zu teilen, ich schon gar nicht, das dürfen sie ganz anders sehen. Aber knabbern sie vielleicht mal und nehmen sie sich auch mal Zeit für das Grundsätzliche - um sich über den Politiker X und das Ereignis Y aufzuregen, ist Morgen wieder genügend Zeit. 😉

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Wenn Sie der Menschheit schon länger folgen und sich nicht von den vielfältigen, kleinen Problemen des Alltags den Blick verstellen lassen, dann ist die Entwicklung der Menschheit einfach beeindruckend.

Es ist erdgeschichtlich nur einen Wimpernschlag her, da hatten wir noch nicht einmal das Feuer entdeckt und waren einfach nur Tiere, allerdings mit dem von der Leistungsfähigkeit her größten Denkorgan gesegnet, das dieser Planet bisher zu vergeben hatte.

Wir waren nicht die Schnellsten, nicht die Größten und nicht die Stärksten, aber mit diesem Denkorgan haben wir Werkzeuge erfunden, den Widrigkeiten der Natur getrotzt und uns letztlich den Planeten untertan gemacht. Noch immer kann uns die Natur mit einem Fingerschnippen vernichten, aber dafür braucht es jetzt schon ganz große "Geschütze", wie einen riesigen Asteroiden, denn gegen viele der kleineren Gefahren sind wir zunehmend immun geworden.

Noch vor wenigen tausend Jahren, haben wir an Naturgötter geglaubt und noch vor wenigen hundert Jahren, war von all der Technologie die uns nun umgibt, nichts zu sehen. Würden diese Menschen uns heute sehen, wie wir durch die Luft fliegen, Worte und Bilder über große Entfernungen "teleportieren" und mit einem Fingerschnippen Vernichtung auslösen können, die alle damals vorstellbaren Kategorien weit übersteigt, hätten diese Menschen damals nur ein Wort für uns gehabt: Götter.

Der berühmte Science Fiction Autor -> Arthur C. Clarke <-, vom dem auch Odyssee 2001 stammt, hat den treffenden Satz geprägt:

„Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

Das ist wahr und die Geschichte geht doch aktuell weiter. Wir treten in den Bereich ein, in dem wir die Bausteine der Natur selber - die Gene - manipulieren können und damit in den Schöpfungsakt eingreifen und ihn irgendwann vielleicht auch vollziehen können. Und auch die Fusion, das Sonnenfeuer, werden wir irgendwann meistern und uns damit die Energie des Universums gefügig machen.

Gleichzeitig sind wir immer noch sterblich, aber auch das wird nicht ewig so bleiben, zumindest das was wir heute als normale Lebensspanne kennen, wird sich absehbar dramatisch verlängern und am Ende, werden wir vielleich sogar Wege finden dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.

Wohin das führt? Keine Ahnung, etwas treibt uns offensichtlich, wir kennen das Ziel nicht, aber wir bewegen uns unaufhaltsam in die Zukunft.

Wenn unser Dasein hier eine Simulation sein sollte, spricht viel dafür dass unsere "Aufgabe" ist *etwas* hervorzubringen - wie immer man das dann nennen will - dessen Wegbereiter wir alle sind. So lässt sich dieser unaufhaltsame Drang der das Leben nach vorne treibt zumindest erklären. Denn sonst wäre das eine bewusst statische Simulation, die diesen inhärenten Drang zur permanenten Verbesserung nicht in sich trägt.

Ob das wünschenswert ist? Keine Ahnung, jeder Wandel hat geschichtlich immer seine Vor- und Nachteile gebracht, sich aber am Ende durchgesetzt, weil die Vorteile überwogen.

Ob wir reif genug für diese Macht sind? Auch keine Ahnung, wir müssen es einfach werden, weil wir keine Wahl haben. Denn es passiert unaufhaltsam, dauerhaft lässt sich der Drang zum Fortschritt nicht stoppen und etwas das allen hilft, werden auch alle haben wollen. Vielleicht sind wir aber nicht reif genug, dann wird uns demnächst der -> Große Filter des Fermi-Paradoxons <- ereilen.

All diese Fragen sind es wert ethisch bedacht zu werden, aber das soll hier jetzt nicht Thema sein. Es geht hier um den rohen Fortschritt und seine Triebfeder, diese objektiv beeindruckende Entwicklung, die uns Fähigkeiten verliehen hat, die uns aus Sicht von Steinzeit-Menschen zu "Göttern" machen und die uns in Zukunft Fähigkeiten verleihen wird, die diesen zukünftigen Menschen aus unserer heutigen Sicht die Macht von "Göttern" verleihen wird.

Gleichzeitig hat es aber schon immer Strömungen gegeben, die der "Begrenzung" des Menschen das Wort geredet haben und ihn klein machen wollten, egal ob wir nun vor einem Gott unser demütiges Haupt senken sollten wie im Mittelalter, oder vor einer eingebildeten "Mutter Erde" in der Neuzeit - die dahinter stehenden Mechanismen sind identisch, nur die Begründungen wechseln. Auch in der Gegenwart sind solche Strömungen wieder stark, haben aber ihre historischen Vorbilder und kommen in bestimmten Phasen der Menschheitsgeschichte zuverlässig.

Es sind oft -> strukturkonservative Gedankenstrukturen <- die zu solchen Mustern führen, Gedankenstrukturen die den Wandel fürchten und sich eine stabile und unverändert bleibende Welt wünschen. Denn dieser Wandel ist natürlich anstrengend und natürlich wünschen wir uns mit zunehmendem Alter, dass die Dinge einfach bleiben wie sie sind - auch weil wir instinktiv wissen, dass der Wandel am Ende auch unseren eigenen Tod bringen wird.

Das geht mir wahrlich nicht anders, das ist verständlich und sehr menschlich, jeder von uns kennt diese Momente, wo man einfach nur Stabilität möchte und nicht schon wieder eine Änderung. Aber wir kleine Nußschalen auf dem Strom des Schicksals haben diese Wahl einfach nicht, es ist eine Illusion die unseren Seelen vielleicht gut tut und die wir in unserem kleinen "Schrebergarten" im direkten Umfeld auch temporär konservieren können, das Universum dreht sich trotzdem weiter - unerbittlich. Und Morgen sind die Dinge anders, unerbittlich.

Zeitweise haben diese strukturkonservativen Gedankenstrukturen die Oberhand, im Jahr 1600 vor nun 420 Jahren wurde zum Beispiel -> Giordani Bruno <- hingerichtet, weil er die Dreistigkeit und aus heutiger Sicht geistige Größe besaß, die Unendlichkeit des Weltraums und die ewige Dauer des Universums zu postulieren.

Und wenn heute jemand die Unendlichkeit von Energie und menschlichen Möglichkeiten laut nach vorne stellt, die nur durch unsere Phantasie begrenzt sind, wird er zwar nicht mehr physisch verbrannt, auf den Scheiterhaufen der sozialen Netze kommt er aber schon, weil die Ideologie der Begrenzung dagegen so leicht zu verstehen ist, wie die berühmte Sparsamkeit der schwäbischen Hausfrau. Es ist eben für manche besser, wenn wir alle Panik haben, statt an unsere Fähigkeiten zu glauben, Probleme lösen zu können.

Wenn aber das Universum unendlich ist, sind es auch die Möglichkeiten und einen Mensch mit unendlichen Möglichkeiten müssen die Mächtigen fürchten, weil er ihnen über den Kopf wachsen könnte.

So sind mit Lehren von der Begrenztheit historisch auch immer Machtfragen verbunden gewesen, die Mächtigen wünschen sich eben Untertanen, die brav den Kopf senken und sich an die eng gesteckten Regeln halten, alles andere könnte für die Mächtigen gefährlich werden.

Wurde Macht früher noch sehr physisch mit dem Schwert und der Guillotine exekutiert, wird sie heutzutage eben wirtschaftlich und politisch und damit subtiler ausgeübt. Machtfragen stehen aber immer noch im Zentrum, wenn es darum geht Zustände zu zementieren, die Macht der Deutungshoheit auf jeden Fall, gerade heute.

Und diese Machtinteressen werden von vielen Menschen unterstützt, weil Freiheit und "Grenzenlosigkeit" vielen eben auch Angst macht, ein von den Mächtigen schön organisierter und überall mit Grenzen und Regeln versehener "Nachtwächterstaat" gibt dem wohligen Gefühl Raum, ein "geschütztes Leben" zu leben. Dass das eine pure Illusion ist, geschenkt, es funktioniert trotzdem.

Und deshalb hatte Gordon Gekko in dem berühmten Film "Wallstreet" eben doch Recht, gerade weil die Aussage eben viel allgemeiner zu verstehen ist, als rein finanziell.

The point is, ladies and gentleman, that greed -- for lack of a better word -- is good.
Greed is right.
Greed works.
Greed clarifies, cuts through, and captures the essence of the evolutionary spirit.
Greed, in all of its forms -- greed for life, for money, for love, knowledge -- has marked the upward surge of mankind.

Ambition - nicht im rein monetären Sinne, sondern im generellen Sinne des Strebens nach *mehr* - ist gut. Sie bringt die Welt voran, es ist die Triebfeder, die uns von Homo Erectus zu "Göttern" gemacht hat, aus der Sicht des Homo Erectus allemal.

Natürlich hat man im Film bewusst den negativ konnotierten Begriff *Gier* benutzt, weil man eine politische Botschaft senden wollte. Denn eigentlich geht es in der Argumentation eindeutig um den moralfreien Begriff des *Strebens*, im englischen auch *Ambition* oder *Aspiration* genannt.

Diese eigentlich positiven Eigenschaften werden erst dann zur "Gier", wenn ein weiterer Faktor hinzukommt, die absolute Rücksichtslosigkeit gegenüber Anderen und/oder der Umwelt. Insofern ist Gier tatsächlich schlecht, weil von Rücksichtslosigkeit geprägt. Die Triebfeder dahinter, die Ambition, das Streben also, der Wunsch immer den einen Schritt weiter zu gehen, das ist dagegen gut! Diese Differenzierung war aber im Film wohl nicht gewollt.

Womit wir zu einer wichtigen Frage kommen, ob uns dieses Streben denn glücklicher macht? Ich denke nicht jeden Moment, aber im Saldo ja.

Natürlich wird man es nie beweisen können, aber ich bin sicher wir leben in Summe ein glücklicheres Leben als die Menschen des Mittelalters, für die jeder Tag ein Kampf ums Überleben voller Plackerei war - außer man war Adeliger oder Geistlicher.

Ganz anders sieht es im Vergleich mit Menschen vor 20 oder 40 Jahren aus, da sind wir nicht unbedingt glücklicher, das ist aber geschichtlich noch zu nahe an uns dran, die Entwicklung ist ja nicht linear. Und bei unserem subjektiven Glück spielt ja auch der Verlauf unseres individuellen Lebens eine Rolle, wie auch der Teil der Welt in dem man lebt - also der Zufall der Geburt.

Aber unabhängig von Fortschritt, Wohlstand und Gesundheit, die durch Streben erst möglich wurden, gilt auch, dass nur wer im Leben gestrebt hat, hinterher auch auf etwas zurückblicken kann, das erfüllt und stolz macht.

Es ist auch allgemein bekannt und in meinen Augen wahr, dass Menschen die im Alter noch eine "Profession" haben, die also gebraucht werden, die noch "streben" und sich als wichtiger Teil der Gesellschaft fühlen, am Ende glücklicher sind als die, die "an der Seite stehen". Streben ist also auch und gerade im Alter gut.

Man darf nur nicht den Fehler machen, dieses Streben rein wirtschaftlich zu definieren, denn das ist es nicht und Geld alleine macht nicht glücklich.

Streben kann aber alles sein, nicht nur das Streben nach finanzieller Freiheit. Es kann das Streben nach Erkenntnis sein, das Streben die Welt zu entdecken, ebenso wie das Streben möglichst vielen Menschen etwas Positives zu geben. Ja sogar das Streben nach Liebe und Harmonie kann es sein, wie auch schon Gordon Gekko bemerkte, nur wird das gerne überhört, weil man sich für die politische Botschaft auf die "finanzielle Gier" konzentrieren wollte.

Wer also seine Bestimmung darin findet, viele Kinder groß zu ziehen und die Gesellschaft mit mutigen, positiven Menschen zu bereichern strebt auch, ebenso wie beispielsweise der Arzt, der danach strebt möglichst viele Menschen zu heilen.

Und ein guter Arzt hat auch diese *Erkenntnis-Gier* - das Streben danach seine Methoden zu verbessern, neue Erkenntnisse zu gewinnen, auf seine Patienten einzugehen usw - um noch ein besserer Arzt zu werden und den Menschen noch mehr helfen zu können. Wer als Arzt diese "Gier" besser zu werden dagegen nicht mehr hat, bleibt stehen, zieht sich auf Bekanntes zurück und verliert damit über die Zeit den Anspruch, seinen Patienten optimal zu helfen. Er ist dann strukturkonservativ und veränderungsunwillig geworden.

Ich will mit diesen Beispielen zeigen, dass der negativ belegte Begriff "Gier" in die Irre führt, aber das Richtige meint. Nennen wir es besser Streben, denn Streben ist gut!

Und Streben macht glücklich, man schafft damit etwas, auf das man stolz sein kann und das die Welt ein wenig besser gemacht hat. Nur übertreiben darf man es nicht, der Einzelne ist nicht dafür gebaut nur zu streben. Und man darf nicht rücksichtslos Streben, dann wird es tatsächlich zu Gier.

Aber zurück zur Menschheit, lokale und temporär auftretende Begrenzungs-Ideologien werden dieses Streben ebensowenig aufhalten, wie in der Vergangenheit. Während hier in Deutschland vielleicht 10-20 Millionen der eigenen Begrenzung das Wort reden, streben in China und Indien 2.000 Millionen zu Wohlstand und Lebensqualität und lassen sich nicht aufhalten.

Dieses Streben das zu Fortschritt führt, ist eine Konstante der Menschheit im Sinne zwei Schritte vor, einer zurück.

Wir tun daher gut daran, diesen Wandel anzunehmen, in ihm das Positive zu finden und werden als Dank dafür im Alter ein Leben finden, in dem wir immer noch *mittendrin* sind und uns nicht abgeschoben oder zurückgelassen fühlen, weil wir wie so viele Alte meiner Eltergeneration, die moderne Welt nicht mehr verstehen.

Menschen können stehenbleiben, die Welt nicht. Wir sollten es geistig der Welt nachmachen und so lange "streben" wie wir können. Das Streben nach Erkenntnis ist immer gut investiert und es ist möglich, solange wir denken können.

Es gibt keinen Grund nach mehr Geld zu streben, wenn man -> wahre finanzielle Freiheit <- erreicht hat. Das wäre reine "Gier" und nicht mehr Streben.

Aber zumindest das Streben nach Erkenntnis sollte uns ewig begleiten, bis wir diese Welt verlassen.

Ihr Michael Schulte (Hari)

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1 Gedanke zu „Streben ist gut!“

  1. Vielen Dank für diesen hervorragenden Artikel, solche übergeordneten Gedanken kommen bei uns allen im Tagesgeschäft leider viel zu kurz.

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