Gerne wird ja das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von Anlegern benutzt, um einzuschätzen, ob eine Aktie "billig" oder "teuer" ist. Wie sehr dieses Kriterium aber bei Zyklikern in die Irre führt, will ich mit Ihnen heute besprechen.
Zyklische Aktien wie zum Beispiel Stahl, laufen ja in der Regel mit der Konjunktur in Wellen - auch Schweinezyklus genannt. Der Ablauf ist dabei immer der gleiche. Eine anziehende Konjunktur sorgt für erhöhte Nachfrage. Das treibt bei bestehendem Angebot die Preise und die Gewinne der Unternehmen. Was wiederum zur Kapazitätsausweitung und Investitionen der Zykliker führt - siehe die neuen Stahlwerke von ThyssenKrupp. Diese Kapazitätsausweitungen werden solange vom Markt aufgesogen, solange die Nachfrage weiter steigt, was wiederum zu erneuten Kapazitätsausweitungen führt.
Irgendwann steigt die Nachfrage nicht mehr, die Kapazität steigt aber weiter, weil diese Investionen ja Jahre brauchen bis sie den Markt erreichen. So trifft dann am Höhepunkt der Konjunktur eine seitwärts laufende oder leicht fallende Nachfrage auf immer weiter steigende Kapazitäten, was zwangsläufig den Preis ins Bodenlose drückt. Der sinkende Preis sorgt für die Abschaltung oder Aufgabe von Kapazitäten, solange bis die Nachfrage nicht mehr fällt und eine wieder steigende Nachfrage auf immer noch fallende Kapazitäten trifft. Und so setzt sich eine neue Runde des Schweinezyklus in Bewegung.
Der Grund für diesen Effekt liegt also in der zeitlichen Disparität zwischen der Entwicklung der Nachfrage und der Entwicklung der kapitalintensiven Produktionskapazitäten.
Schauen wie uns nun einmal an, wie sich die Aktien der Zykliker und das KGV entwickeln. Und hier haben wir auch eine massive Disparität zwischen den Gewinnschätzungen und dem Kursverlauf, die von unerfahrenen Anlegern immer wieder falsch interpretiert wird. Denn die Gewinnschätzungen laufen der Wirklichkeit um Monate nach. Die Kursentwicklung läuft aber der Konjunkturentwicklung vor, weil der Aktienmarkt ein ausgezeichneter konjunktureller Frühindikator ist.
Am Höhepunkt des Booms werden die Gewinne der Zykliker in die Folgejahre fortgeschrieben, was auf dem Papier zu sehr geringen KGVs führt. Auf dem Höhepunkt sehen die Aktien also "billig" aus. Und wenn dann der Frühindikator "Mr. Market" schon zu fallen beginnt, werden die Kurse optisch nur noch billiger, was viele veranlasst, dann 20% unter dem Zyklushoch die Aktien für "sehr billig" zu halten. Sie sehen aber nur so aus, weil die Gewinne des Aufschwungs einfach fortgeschrieben wurden. In Wirklichkeit hat der Absturz gerade erst begonnen.
Umgedreht ist es am Tiefpunkt. Der Tiefpunkt ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass die Firmen kein Geld mehr verdienen, weil der Marktpreis ins Bodenlose gefallen ist. Genau dann werden die Entscheidungen getroffen Kapazität abzubauen und aus dem Markt zu nehmen. Und genau dann sehen die KGVs extrem hoch aus, da sind 50 oder 60 durchaus möglich - was kein Wunder ist, wenn die Firmen kaum mehr Geld verdienen. Genau dann stabilisiert sich aber der Marktpreis und die Gewinne beginnen wieder zu fliessen, was die KGVs dann ganz schnell wieder in normale Regionen bringt.
Abweichend von dem was unerfahrene Anleger erwarten würden, gilt also:
-> Der beste Zeitpunkt einen Zykliker zu verkaufen ist dann, wenn die Aktie optisch billig aussieht und die Kurse aber schon fallen und sich gerade ein neuer Abwärtstrend etabliert.
Genau in diesem Moment kauft Otto Normalanleger aber, weil die vermeintlich billigen Kurse den "Buy-the-Dip" Reflex auslösen.
-> Der beste Zeitpunkt einen Zykliker zu kaufen ist dann, wenn die Aktie optisch teuer aussieht und die Kurse aber wieder steigen und sich gerade ein neuer Aufwärtstrend etabliert.
Genau in diesem Moment traut sich Otto Normalanleger aber nicht zu kaufen. Vielmehr ist der Kursanstieg bei so "hoher" Bewertung für ihn das Signal, nun endlich seine Verluste zu realisieren und endgültig auszusteigen, nachdem er den gesamten Absturz bis dahin brav ausgesessen hatte.
Sehr schön formuliert und zugleich sehr wahr. Das KGV ist in der Tat eine etwas problematische Zahl. Sie besagt, in wievielen Jahren nach heutiger Einschätzung der Jahresgewinn verdient wird. In einem wachstumsträchtigen Bereich wird dieser Wert immer höher liegen als, sagen wir, im Handel. Das bedeutet also, daß im Handel die Wachstumsschätzung bzw. das KGV lange nicht so hoch sein muss, um den heutigen Kurs zu rechtfertigen. Und das ist ja auch der Ausgangspunkt des „Value Investing“, nämlich daß man diese tiefe Bewertung als Maßstab nimmt für die Werthaltigkeit einer Firma. Wenn die Wachstumsperspektiven sich verbessern, steigt nämlich auch das KGV, so daß die Kurse dann schon zu steigen begännen, obwohl der tatsächliche Gewinn noch stagniert. Beispiel, wenn Kurs = KGV x Gewinn, und das KGV stiege von 10 auf 12 bei gleichbleibendem Gewinn, dann stiege der Kurs um 20 Prozent.
Das Problem mit dem KGV entsteht daraus, wenn man es als einziges zum Maßstab nimmt. Es gibt auch noch andere Maßstäbe, den Umsatz, den Buchwert, aber auch handfeste Gründe, wie von Dir geschrieben bei Nokia pder Thyssen. Außerdem ist es gefährlich, den Gewinn nur von einem Jahr zu betrachten. Eine Firma, deren Geschäftsmodell funktioniert, sollte es schaffen, innerhalb von 10 Jahren ihren Jahresgewinn deutlich zu erhöhen. Wenn das nicht der Fall ist, dann muß man von einem schwerwiegenden strukturellen Problem ausgehen.
Bezogen auf den deutschen Markt insgesamt habe ich allerdings noch immer das Gefühl, daß Aktien außer Mode sind, denn das langfristige KGV für Deutschland ist historisch noch immer sehr niedrig, und das bei rekordniedrigen Zinsen. Gleichzeitig hört man aber, der Immobilienmarkt deutlich anzieht, für mich ein deutlicher Hinweis für Inflationserwartungen und für eine noch immer allgemeine skeptische Einschätzung des Aktienmarktes. Zugleich aber ist dies auch ein Indiz, daß man bei Aktien nach unten doch relativ gut abgesichert ist. Insgesamt aber kommt die ungeheure Marktdynamik in der KGV-Zahl zuwenig zum Ausdruck.
Hallo Hari,
Die Aktie von Paragon (WKN 555869) hat mich heute wieder sehr an diesen guten Artikel von dir erinnert. Allerdings bin ich mir nicht sicher ob ich den Zusammenhang hier richtig verstanden habe.. einerseits deutet die niedrige Bewertung durch das KGV sowie der von dir genannte Abschlag von rund 20 % vom Hoch bei Paragon darauf hin, dass man nun Short gehen sollte. Auf der anderen Seite befindet sich die Aktie aber gerade auf der unteren Trendlinie des Trends aus 2009 und auch die Auto-Branche läuft mittlerweile wieder besser. Handelt es sich bei der besagten Aktie nun um ein Parade-Beispiel des von dir besprochenen Themas, oder irre ich mich und sie ist wohl nur ein Nachzügler, welcher von jetzt an wieder steigen sollte?
Soll wirklich keine Frage zur Anlageberatung sein, aber solche verzwickten Beispiele sind dann leider trotz deiner tollen Beiträge für mich nur schwer zu durchschauen und ich wüsste gerne, wie man in solchen Fällen Klarheit schaffen kann. Möglicherweise übersehe ich ja etwas und die Lage sollte eigentlich offensichtlich sein?!
@ Clash, weder noch. Paragon hat nur 32 Millionen € Marktkapitalisierung und ist damit weit unter meinem Radar. Abgesehen davon ist der Streubesitz bei 43%, was bedeutet die Aktie wird von wenigen kontrolliert. Bei solchen Titeln ist man immer hinten dran, weil der Newsflow nicht ausreicht. Paragon ist zwar kein Pennystock, die Argumente warum ich Pennystocks nicht anfasse, gelten aber auch hier. Und dann auch noch ein Neustart nach Insolvenz 2010 … naja ….
Lies vielleicht den Artikel -> hier <- noch einmal. Insofern will ich keine Sekunde anfangen nachzudenken, was Paragon ist oder nicht ist. Und Artikel zu solchen Aktien in Medien entsorge ich immer gleich in den Shredder. Nur wenn sie gehäuft als Jubelberichte auftauchen, wäre das interessant. Nur leider kann man so Mikro-Aktien mangels Instrument oft nicht shorten.
Deine Frage kannst Du besser an grösseren gut kapitalisierten Aktien nachvollziehen. Schau doch zum Beispiel mal auf Salzgitter oder Klöckner. Beide sind Zykliker und beide sehen nach den schlichten KGV Kriterien im Moment unglaublich teuer aus. Und beide sollte man kaufen, wie wir gesehen haben. Und erinnerst Du Dich, wie „billig“ nach KGV die Klöckner bei 22€ war, als alle Analysten noch „kaufen“ geschrieben haben ? Q.E.D 😉
Ich gebe zu, da hat es mich jetzt wieder erwischt.. dein Artikel über die Marktkapitalisierung ist ebenfalls einer meiner Favoriten, aber dieses mal habe ich aufgrund der interessanten charttechnischen Situation tatsächlich nicht darauf geachtet – definitiv ein Fehler auf den du mich mit deiner Antwort hingewiesen hast, wofür ich mich an dieser Stelle bedanken will 🙂
Ich dachte mir bereits, dass Klöckner momentan ebenfalls in dieses von dir beschriebene Zykliker-Muster passt, dummerweise hat man dann nicht den Mut zu investieren, sondern sucht sich vermeintlich bessere Chancen, weil man sich denkt, es wäre sonst auch irgendwie zu einfach.. ich denke das Problem haben Viele 🙂
Danke jedenfalls nochmal für deine ausführliche Antwort 🙂
Hari, zu diesem wunderbaren älteren Artikel nur ein kurzer Hinweis / aktueller Nachtrag:
Salzgitter ( 620200) hat aktuell (immer noch) ein KGV jenseits der 50. Die Aktie sendet aber in den letzten Tagen deutliche Lebenszeichen und bildet grade eine Umkehrformation aus, die mit dem Überschreiten der 32€ weiteres Potenzial nach oben ermöglicht.