Zum ESM Entscheid des BVG: Ja, aber – oder wie man sich selber abschafft.

10:30 Uhr

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat in Sachen der einstweiligen Anordnung wie von Mr. Market erwartet mit "Ja, aber" geurteilt. Damit kann der ESM in Kraft treten. In der Urteilsbegründung hat der Vorsitzende Vosskuhle zum Ausdruck gegeben, dass beim ESM für sich voraussichtlich kein Verfassungsverstoss vorliegt, was das Verfahren in der Hauptsache im wesentlichen präjudiziert.

Ich kann mich dazu ein paar persönlicher, wertender Worte nicht enthalten. Betrachten Sie die folgenden Zeilen also als meine höchst subjektive Meinung.

Wie Sie als regelmässige Leser wissen, habe ich dieses Ergebnis schon vor Wochen vorher gesagt, weil in meinen Augen das BVG mittlerweile zu stark durch Politik und damit politische Erwägungen durchsetzt ist. Der ehemalige Ministerpräsident Müller ist dafür ein gutes Beispiel, als herausragender Jurist ist er - zumindest mir - nicht aufgefallen. Wenn Sie sich nicht erinnern, können Sie in meinem Artikel vom -> 09. Juli <- das heutige Ergebnis schon vor 2 Monaten nachlesen.

Nach der Bundesbank hat sich für mich damit die zweite bedeutende Institution der alten Bundesrepublik Deutschland aus dem Kreis der ernst zu nehmenden Faktoren verabschiedet. Denn das Problem hier ist kein juristisches, sondern hat mit der grundsätzlichen Positionierung zu tun, die sich das BVG als Verfassungshüter gibt. Es steht dem BVG frei, seine Rolle eng auszulegen und nur die Gesetze auf den Wortlaut zu prüfen. Oder sie weit auszulegen und den Gesamtzusammenhang einer komplexen Entwicklung auf die Verfassung zu würdigen. Es geht also um die Frage, ob nur über die Bäume oder auch über den Wald verhandelt wird.

Die Verfassung macht hierzu keine eindeutigen Vorgaben und gibt dem BVG durchaus den Rahmen, sich auch zum Wald ein Urteil zu machen. Denn auch wenn einzelne Gesetze verfassungsgemäss sind, kann das Zusammenspiel mehrerer Gesetze in Summe gegen die Verfassung verstossen. Die Kraft das Thema so grundsätzlich anzugehen, hat dieses BVG, mit diesen Mitgliedern, offensichtlich nicht (mehr) und hat sich dafür entschieden nur die Bäume zu betrachten. Frühere Senate des BVG waren da nach meiner Erinnerung selbstbewusster. Und damit hat sich das BVG als entscheidende Institution, die über den Geiste unserer Verfassung wacht, nach meiner persönlichen Ansicht defecto selber abgeschafft. Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang mal Jörg Krämer, den Chefvolkswirt der Commerzbank zu -> zitieren <-: "Wir bekommen eine Haftungsunion, die den Charakter der Währungsunion ändern wird - hin zu einer italienisch geprägten Währungsunion. Sie wird Parallelen aufweisen zum Italien der siebziger und achtziger Jahre." Das nenne ich einen Wald. Wer da über die Bäume verhandelt und nicht den Wald im Blick hat, versagt in meinen Augen vor der historischen Verantwortung.

Denn in Wirklichkeit geht es hier um den Wald. Mit dem was im Rahmen der Eurokrise passiert, haben wir es mit einer klassischen Aushöhlung unseres Staates von innen zu tun. Es sind viele kleine Schritte, die in Summe einen systemverändernden Charakter haben. Jeder einzelne Schritt, egal ob EFSF, ESM, die Rechtlosigkeit der Bundesbank in der EZB trotz 27% Anteil oder andere Massnahmen, können für sich begründet werden und sind mit einigem Wohlwollen auch verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Der Wald aber, das Zusammenspiel dieser Massnahmen, zum Beispiel mit einer EZB die nun unkontrolliert die Druckerpresse anwirft und damit defacto Lasten auf Deutschland verteilt, hat die Grenzen der Verfassung für mich persönlich schon lange überschritten. Wer das noch nicht sieht, dem empfehle ich beispielhaft -> diesen <- Artikel zur EZB.

Ich kann daher nur an meinen Artikel vom 29.06.12 erinnern, der mit dem Titel: -> Das Ende Deutschlands wie wir es kennen <- die Konsequenzen der Entwicklung schon thematisierte. Heute sehen wir einen weiteren Baustein auf diesem Weg, der nun unumkehrbar sein dürfte.

Es fehlt den Institutionen unseres Staates offensichtlich die Kraft oder auch die Kompetenz zu erkennen, dass die Massnahmen, die die Politik schon ergriffen hat, in Summe einen anderen Staat bedeuten, als den den die Verfassungsväter gegründet haben. Und es ist nach meiner Meinung offensichtlich, dass Artikel 20 des Grundgesetzes - nach dem alle Macht vom Volke ausgeht - in dieser entscheidenden Frage nicht mehr wirksam ist. Denn die absehbare Summe der Veränderungen, hat für mich einen verfassungsändernden Charakter und würde in meinen Augen eine Volksabstimmung bzw eine verfassungsgebende Versammlung als Legitimierung zwingend nötig machen. Ich bin ganz sicher, nicht anders hätten die Verfassungsväter das gesehen.

Mein persönliches Fazit lautet daher: Die Bundesrepublik Deutschland nähert sich ihrem Ende. Was danach kommt muss keineswegs schlechter sein und ich habe keine Angst vor einem gemeinsamen Europa, wenn es wirklich demokratischen Prinzipien folgt. Aber für mich ist nach dem BVG Entscheid nun auch klar, dass das deutsche Volk erst dann dazu gefragt werden wird, wenn der Prozess unumkehrbar ist. Dem Souverän obliegt dann die "Ehre" abzunicken, was sowieso schon nicht mehr realistisch änderbar ist. Mit dem Geist von Artikel 20 des Grundgesetzes hat das für mich nichts mehr zu tun. Und das das BVG nicht die Kraft hat, diesen entscheidenden Sachverhalt in Anbetracht des Rubicons ESM zu thematisieren, empfinde ich als endgültigen Sargnagel dieser Republik. Aber wer bin ich, dem BVG zu erklären, was seine Rolle ist ?

Was bedeutet das für die Märkte ? Kurze Feierstunde, dann dürfte sich der Blick auf die FED morgen richten. Denn dieses Ergebnis hatte der Markt im wesentlichen vorher schon eingepreist. Morgen ist das Risiko einer Enttäuschung oder "sell the news" Reaktion weit höher als heute.

Ich wünsche uns allen viel Glück in diesem neuen Staat der sich nun entwickelt, wie immer er ausgestaltet sein wird. Bundesbank und Bundesverfassungsgericht - und damit die Bundesrepublik Deutschland - haben aber mit dem heutigen Tag den Rubicon überschritten. Was danach kommt, wird Teil der Geschichtsbücher sein.

Ihr Hari

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8 Gedanken zu „Zum ESM Entscheid des BVG: Ja, aber – oder wie man sich selber abschafft.“

  1. @Hari, ich stimme Dir zu. Zwar ist das Karlsruher Urteil für sich genommen noch nicht ein Wendepunkt, aber er ist ein Baustein in einer Serie von Entscheidungen, die dazu führen, daß sich der Charakter unseres Gemeinwesens grundlegend ändert. Die Verabschiedung von EFSF/ESM und die Entscheidung vom letzten Donnerstag gehören wesentlich mit dazu. Das dolle daran ist, daß diese Entscheidungen mehr oder minder durchgewunken worden sind. Das hat für mich etwas hochgradig obrigkeitsstaatliches und auch anmaßendes. Die Anmaßung liegt dabei in dem vermeintlichen Wissen der sogenannten Alternativlosigkeit der verabschiedeten Maßnahmen, mit denen dann „die Märkte“ beschwichtigt werden sollen.

    Übrigens kann man dafür nicht der Regierung Kohl die Schuld geben, deren Projekt der Euro maßgeblich war. Kohl wußte, daß der Euro ein politischer Preis der deutschen Einigung war, ein Preis, den er als überzeugter Europäer gerne zu zahlen bereit war. Der Verzicht auf die Mark wurde erkauft mit der Beibehaltung der deutschen Stabilitätskultur. Eben diese Stabilitätskultur steht aber immer mehr zur Disposition. Ist dies das Europa, welches unser Land möchte? Dies muß zumindest diskutiert und es muß auch darüber abgestimmt werden. Dieses Europa darf in keinem Fall so einfach durchgewunken werden.

  2. Fuer’s Depot war’s gut, fuer den deutschen Steuerzahler weniger. Ich zaehle ja schon laenger zu denen, die das ganze Theater nur noch mit einem Kopfschuetteln quittieren, aber keine mehr Energie verspueren, noch mit viel Elan in die Diskussion einzusteigen. Weil’s einfach nix bringt. Man fragt sich wirklich, ob man ueberhaupt nochmal nach Deutschland zurueckkehren will. Andere Laender behandeln ihre Buerger einfach besser, der Einzelne zaehlt mehr…

    Was ich aber eigentlich sagen wollte: präjudizieren, DAS musste ich erstmal nachschlagen 🙂 Hier lernt man nicht nur Boerse, sondern auch deutsch!

  3. Was da seit Jahren passiert ist eben ein psychologischer Prozess, den die Entscheidenden diszipliniert abarbeiten. Das Konzept hat damit zu tun Grenzen langsam zu verschieben, man kann es vlt. mit dem Flirten vergleichen (die Frau aus meiner Metapher wäre Deutschland vor dem Euroentscheid).

    Du kannst nicht zu einer unbekannten Schönheit gehen und sie sofort Küssen (Deutschland fragen: „Willst du Transfers an den Süden zahlen?“) – Die Antwort wäre eine Ohrfeige.

    Aber Step by Step: Blickkontakt, Annäherung, Unterhaltung, Berührung, dann kanns schon mal zu nem Kuss kommen

    und jetzt…
    …jetzt kommt Deutschland zum Kuss

    greeZ

  4. Hallo Holgersen, nicht zu früh zu negativ werden, denk an den Oktober 2011. Erst einmal geniessen. Die Zeit wird kommen um sich mulmig zu fühlen, jetzt werden aber erst einmal alle Skeptiker gesqueezed und von denen gibt es genug ! Siehe meine Kommentare in den Tips. Kurzfristig (Morgen) ist eine Markt-Erschöpfung durchaus drin.

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