Das immer gleiche Problem der Anleger

Viele neue Anleger strömen derzeit auch in Deutschland in den Aktienmarkt, getrieben von der Not im Zeitalter der Nullzinsen und Inflation irgendwo noch ein wenig Rendite zu finden.

Und eine hungrige Finanzindustrie wartet nur darauf, diese neuen Anleger an sich zu binden. Das ist wie früher im Western wenn der Unbedarfte an einen Poker-Tisch tritt und interessiert fragt: "Ist das das Spiel mit den 5-Karten?"

Die Pokerprofis sehen sich dann an, vermeiden jedes Grinsen und der mit der Uhr am Goldkettchen in der Weste sagt betont freundlich lächelnd: "Setzen sie sich, sie können Poker! 😛

Und das Angebot das neuen Anlegern geboten wird ist riesig, es bedient all deren bewusste und unbewusste Bedürfnisse. Da werden Prognosen geboten und raunende Weissagungen, tiefgehende "Value-Analyse" die einer Aktie "auf den Grund" gehen, Charts gespickt mit bunten Linien, so dass man schon gar nicht mehr weiss wo der Preis überhaupt dargestellt wird, "heisse Tipps" für die neuesten "10-Bagger" und vieles mehr. Da tummeln sich "renomierte Experten"an jeder Ecke und die Anzahl der Follower auf irgendeiner Plattform wird zum Qualitätskriterium erhoben, als ob die Anzahl der Fliegen ... na sie wissen schon, ich muss das nicht vertiefen. 😛

Die Anleger sind dann im Süßwarenladen und alle wollen scheinbar nur ihr Bestes, was ja mit anderer Bedeutung dann auch wieder stimmt. 😉

Ein paar Jahre später haben diese Anleger dann im besten Fall eine durchwachsene Anlagegeschichte und im schlechtesten Fall sind sie enttäuscht wieder weg, weil "Börse ist Mist".

Das ist der Lauf der Welt und er ist es aus einem Grund. Dem Grund, dass in Realität all die "Value-Analysen", Weissagungen und tausend Indikatoren wenn überhaupt bestenfalls die halbe Miete sind, dass diese nur eine *Kontroll-Illusion* vorgaukeln.

Denn die wirkliche Kunst der Geldanlage ist die Fähigkeit, sich in Unsicherheit zielgerichtet und profitabel zu bewegen.

Die Unsicherheit bleibt aber und alle Versuche diese zu beseitigen sind von vorne herein zum Scheitern verurteilt. Und Angebote für Unbedarfte erkennt man daher zuverlässig daran, dass "Sicherheit" versprochen wird, mit nichts kann man zuverlässiger die unsicheren Anlegerseelen abholen.

Weswegen wirklich erfahrene Anleger auch gar nicht mehr nach Sicherheit und dem "heiligen Gral" suchen, sondern gelernt haben mit der Unsicherheit erfolgreich zu leben.

Und das wirkliche, schwierige Problem vor dem Anleger dabei stehen wird typischerweise *nicht* thematisiert und das ist unsere Psychologie, die uns Menschen evolutionär nicht dafür vorbereitet hat systemisch in Wahrscheinlichkeiten und Szenarien zu denken.

Wir denken im Angesicht von Unsicherheit stattdessen so wie es in der Evolution nötig war um unsere Fortpflanzung sicherzustellen, dummerweise ist das am Markt eher kontraproduktiv. Wir sind eben "unbehaarte Affen" und denken bei Krisen und Risiken auch noch so, weswegen wir hier bei Mr. Market diese Denkstrukturen ja liebevoll-spöttisch unser "Affenhirn" nennen.

Dieses "Affenhirn" tragen wir alle mit uns herum, jeder von uns, auch ich. Man kann aber lernen das zu erkennen und sich darüber zu erheben. Das verbessert Entscheidungen in Unsicherheit und ist der *zentrale Faktor* der zwischen Erfolg oder Mißerfolg am Markt steht. Irgendwelche Indikatoren oder die Unterschiede von Techniken sind demgegenüber sekundär und wenn man das nicht angeht, wenn man nicht erkennen will wie falsch unsere instinktiven Reflexe bei der Geldanlage sind, wird man nie konsistenten Erfolg abseits von Glückstreffern finden können.

Ganz konkret in den letzten Wochen war das bei den Anlegern wieder zu beobachten. Dazu muss man sich in Erinnerung rufen, wie unser instinktives Verhalten gegenüber schweren Risiken evolutionär gepolt ist. Ich habe das folgende Beispiel des Wasserlochs in der Savanne auch schon in -> Der Messerträger, die Glatze und das Gesicht des Chinesen <- benutzt.

Denn unser Risikoverhalten ist evolutionär darauf gepolt in jedem Fall zu überleben. Wenn da also ein für uns wichtiges Wasserloch ist und daneben ein Gebüsch und in dem raschelt es so, dass da ein Löwe darin sein könnte, dann sind wir darauf trainiert in so Momenten zögerlich zu sein, weil unser Überleben damals davon abhing!

Lieber 100x zu lange gezögert als 1x tot! Das war und ist das richtige Risikomanagement für die Savanne, das wurde in uns "hineingemendelt". Für die Börse ist es aber grottenfalsch!

Denn wer so an der Börse denkt, zögert immer zu lange und ist immer zu spät dran, nach oben wie nach unten. Na, kommt das jemandem bekannt vor? 😛

Der Wunsch in uns abzuwarten bis "die Luft rein ist" ist überwältigend, abzuwarten bis der Löwe ganz sicher weg ist! Für die Savanne eine goldrichtige Verhaltensweise, für die Börse die Garantie einen Bullenmarkt zu guten Teilen zu verpassen und dann als Letzter einzusteigen, bevor die Kurse wieder fallen!

Denn weil wir uns gerne "sicher" fühlen wollen, warten wir bis der Markt schon zu weit gelaufen ist und alle die kaufen wollten, es schon getan haben. Deswegen dreht der Markt dann nach unten, nachdem wir Sicherheitssucher auch noch gekauft haben, wir "Bagholder", die wir dann den Schwarzen Peter bekommen.

Und so einen klassischen Moment hatten wir im Markt nun auch Mitte Oktober am 14.10. Ich hatte sie hier auch im freien Bereich mit dem Artikel -> Das 4. Quartal – Gestern, Heute, Morgen <- darauf vorbereitet, dass die Korrektur im Laufe des Oktobers zu kaufen sein dürfte.

Auch auf Twitter habe ich -> hier <- und -> hier <- deutlich die Signale gezeigt.

Trotzdem werden viele gezögert haben, dann haben die Kurse am 14.10. aber mit Macht abgehoben und man hat als Mensch der Savanne weiter gewartet um "sicher zu gehen". 5 Tage später waren aber schon wieder Allzeithochs erreicht und die Zögerer hatten mal wieder zu lange gewartet.

Das genau ist das Affenhirn, das ist genau das Verhalten in der Savanne, wenn im Gebüsch eine Löwe sein könnte. Wir müssen einfach erkennen, dass unser instinktives Verhalten für die Börse *in der Regel falsch und ein Kontraindikator ist*!

Richtig wäre hier stattdessen gewesen schon drin zu sein, aber direkt darunter unter den letzten Tiefs abgesichert zu haben. Oder so agil und vorbereitet zu sein, dass man sich direkt in den ersten Schub am 14.10. eingekauft hätte. Beides waren sinnvolle Ansätze, einfach darauf zu warten bis die "Luft rein ist" dagegen nicht, das ist die Garantie für Verluste.

All das, all diese psychologischen Probleme sind bei uns bei Mr. Market immer wieder Thema, weil es das zentrale Problem von uns allen ist, wir haben alle diese evolutionäre Prägung mit Unsicherheit umzugehen. Wer das nicht sehen kann und will, dem werden auch tausend weitere Indikatoren nicht helfen, der wird immer wieder die gleichen Fehler machen.

Sie müssen nicht zu uns stossen, suchen sie sich ihre Lehrer und Coaches wo immer sie wollen. Aber eines kann ich ihnen mit Bestimmtheit sagen: Wählen sie Quellen, die sich auch intensiv und kompetent mit der psychologischen Seite des Börsenhandels befassen und sich nicht nur mechanistisch in Zahlen oder Bunte-Linien-Befriedigung ergehen. Denn unsere Psychologie ist der zentrale Faktor, der mindestens 50% des Erfolges oder Mißerfolges bei der Geldanlage ausmacht. Theoretiker bringen sie hier nicht weiter, Zahlenfetischisten auch nicht, wäre es anders, wären Buchhalter die erfolgreichsten Trader der Welt - sind sie aber nicht.

Das wirkliche Problem das viele Anleger scheitern lässt schaut uns im Spiegel an und sind die unreflektierten Handlungsreflexe der Evolution, die für ein reflexives Systemgeschehen völlig ungeeignet sind.

Und wenn sie jetzt glauben, dass das ja nur die Trader beträfe, die "bösen Zocker", dann irren sie völlig. Die selbsternannten Investoren betrifft das ganz besonders, wunderbar zuletzt während des Covid-Crash im März 2020 zu bewundern. Da hat man sich erst die Lage schöngeredet, bei 20, 25 und 30% Minus dann doch kalte Füße bekommen und dann das verdrängend von draußen weggeschaut, wie die Kurse wieder stiegen. Zu spät dran, nach oben wie nach unten - mal wieder. 😉

Und weil das nicht so leicht zu akzeptieren ist und nicht jeder bereit ist, die eigenen Schwächen auch zu erkennen und anzugehen, wird darüber auch vergleichsweise wenig geredet und geschrieben. Denn Klicks und Abos verkauft man leichter mit der Kontrollillusion des "geheimen Indikators", "heissen Tipps" oder des "sicheren Systems".

Dumme Frage, warum muss jemand mit "sicherem System" überhaupt Kunden mit Werbung fangen? Warum ist der in seiner eigenen Gulfstream nicht schon längst auf dem Weg zur Privatinsel auf den Bahamas? Eben. 😉

Der Mensch der Savanne wartete vor dem Busch, bis das Risiko des Löwens wirklich verschwunden war. Und das war richtig so.

Der moderne Anleger im reflexiven Markt wertet dagegen kalt Chancen und Risiken und wenn die Chancen überwiegen, marschiert er schnurstracks durch den Busch und sichert sich mit einer Rüstung (Risikomanagement) derart ab, dass die Bisse des Löwens ihm nie lebensbedrohlich werden können.

Denn zu Chancen gehören auch immer Risiken, die Kunst ist damit umzugehen und *nicht* diese zu vermeiden!

Das ist der Weg! Den kann man trainieren, aber der wird einem nicht geschenkt.

Ihr Michael Schulte (Hari)

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