Natürlich wollen nun alle wissen, wie das Anlagejahr 2023 werden wird und sobald man eine mediale Überschrift einer markanten Prognose sieht, sind wir als Anlager mit "Affenhirn" schon fast dazu gezwungen, darauf zu klicken.
Abgesehen davon macht es auch selber Spaß Prognosen abzugeben, weil da ist dann sogleich unser Ego im Sinne "Recht haben" beteiligt und wenn dann noch ein Forum existiert, kann man sich mit anderen Foristen darüber streiten, wer nun mehr Weisheit als die anderen mit Löffeln gefressen hat. 😛
Wenn man dann aber gierig auf den "Prognose-Artikel" klickt, steht das meistens ein sowohl-als-auch, ein viele-Worte-um-zu-sagen-dass-alles-offen-ist. Enttäuschend, trotzdem will unser "Affenhirn" immer wieder klicken, lustig nicht?
Ich denke Sie kennen das alle, so war es immer und so wird es auch in 2023 sein. Weswegen ich gleich am Anfang mal eine klare Linie ziehe und betone, dass ich auch keine Glaskugel habe und mich nicht mit "Prognosiritis" beschäftigt, die eher eine ansteckende Krankheit darstellt, die gerne naive Gehirne befällt. 😉
Der Fehler der dann gerne von den "Prognose-Süchtigen" gemacht wird, ist in der Enttäuschung gleich ins Gegenteil zu kippen und dann im gleichen Brustton des Egos aggressiv zu verlautbaren, dass das ja alles Unsinn sei und man am besten sowieso nur blindes Buy&Hold machen würde. Wie war das mit dem Fuchs und den Trauben? 😉
Denn man kann schon sinnvolle Überlegungen für 2023 anstellen, man kann Szenarien kreieren, die dabei helfen unsere Gedanken und Handlungen zu leiten und man kann die Menge der Möglichkeiten deutlich auf eine Handvoll reduzieren. Und das macht nicht nur jede Menge Sinn, es ist die *Grundlage* erfolgreichen Handelns in Unsicherheit!
Betrachten sie das neue Jahr daher gedanklich zunächst einmal als eine "Black Box" an unendlichen Möglichkeiten. Dabei muss es aber nicht bleiben, denn durch sinnvolle Überlegungen, die sich am "Spiel auf dem Platz" und nicht an Phantastereien orientieren, kann man diese Möglichkeiten so reduzieren, das man vor einer begrenzten Menge an Szenarien steht. Und damit kann man dann auch intelligent umgehen, das ist die Kunst.
Ich will heute daher mal einen einzelnen, aber wichtigen Aspekt herausgreifen, an dem ich ihnen das oben abstrakt Gesagte aufzeigen will. Nachdem sie meine folgenden Darstellungen gelesen haben, wissen sie immer noch nicht, was die Kurse konkret in einer Woche oder einem Monat machen, es fällt ihnen aber vielleicht leichter, bestimmte Entwicklungen einzuorden und darum geht es im Kern bei der Geldanlage, um das *intelligente Navigieren in Unsicherheit*.
Ich denke sie kennen alle die Regel "Don´t fight the FED", die in Kurzform beschreibt, dass man sich nicht gegen die Politik der Notenbank stellen sollte. Denn es ist -> Liquidität <- die als wichtigster Faktor die Kurse bewegt und die wird in hohem Maße von der Notenbank bestimmt.
Im oben verlinkten Artikel hatte ich das mit einem Beispiel erklärt:
... stellen wir uns die schlimmste Krise vor, die es gibt, die Welt geht unter! Stellen wir uns weiter vor, in diese Krise beginnen die Notenbanken jeden Tag Billionen zu "schöpfen" und damit massiv am Aktienmarkt auf Kauftour zu gehen. ...
Die Kurse werden dann steigen, weil die Nachfrage das vorhandene Angebot überwältigt. Die Kurse werden mitten in der schlimmsten Krise der Menschheit steigen, denn der Markt ist *nicht* die Wirtschaft!
Und weil das so ist, sollte man die FED nicht bekämpfen und die FED hat sich zuletzt immer wieder eindeutig festgelegt, dass ihr Kampf gegen die Inflation mit höheren Zinsen noch nicht vorbei sei. Ja noch deutlicher, sie warnt ausdrücklich davor, zu früh schon auf eine Wende bei den Zinsen zu setzen. Ich zitiere mal aus den Protokollen der letzten FED-Sitzung:
“Participants noted that, because monetary policy worked importantly through financial markets, an unwarranted easing in financial conditions, especially if driven by a misperception by the public of the Committee’s reaction function, would complicate the Committee’s effort to restore price stability.”
Das ist doch deutlich, es sagt dass die FED weiter auf der Bremse bleibt und auch ihre Bilanz weiter verkleinert und das entzieht dem Markt Liquidität und wird weiter vor allem den Tech-Sektor treffen, der weiter im Bären-Markt ist.
Auch die Großbanken hauen in diese Kerbe, JP Morgan formulierte am Freitag:
We believe the market is approaching a bifurcation, at which point stocks risk seeing a more accelerated leg of the bear market that is associated with falling earnings expectations and break in correlation from interest rates. We ultimately expect a 1H23 bear market bottom.
Aber Teile des Marktes glauben das einfach nicht, diese "bekämpfen" derzeit in Teilen die FED, sie trauen deren Aussagen nicht und gehen eher davon aus, dass der bisher starke US-Arbeitsmarkt schon bald nach unten folgen wird und die FED dann schon bald mit den Zinserhöhungen endet, ja im Zuge der kommenden Rezession sogar schon in 2023 wieder die Zinsen senkt. Hope springs eternal!
Und so reichte am Freitag ein Arbeitsmarktbericht mit langsamer werdenden Lohnsteigungen und ein schwacher Einkaufsmanagerindex, dass der Markt *sofort* eine Rally hingelegt hat. Die Logik dahinter ist einfach, wenn die Rezession kommt und der Arbeitsmarkt auch schwächelt, kann die FED vom Kriegspfad herunter. Und das ist eben der entscheidende Faktor, der große Elefant im Raum, die Geldpolitik und damit verbunden die Liquidität.
Aber kaum poppte der Markt nach oben, lies sich Fed Governor Lisa Cook am Freitag -> wie folgt zitieren <-:
"Inflation remains far too high, despite some encouraging signs lately, and is therefore of great concern."
"I would caution against putting too much weight on the past few favorable monthly data reports."
Das war erneut deutlich und ich bin sicher, in den kommenden Tagen werden noch viele FED-Mitglieder versuchen, kaltes Wasser auf einen vorfreudigen Markt zu kippen, vielleicht gleich am Dienstag Jerome Powell himself. Don´t fight the FED?
Sie sehen, dass Teile des Marktes derzeit die FED "bekämpfen", sie trauen ihr nicht, glauben dass diese wieder zu spät dran ist und schon bald den Hebel umlegen muss. Und das treibt dann die Kurse bei jeder Gelegenheit, die geeignet ist Phantasie anzufachen.
Und es drückt die Renditen wieder, die zum Beispiel bei den 10-jährigen US-Staatsanleihen nun nach einem Top ausschauen, die 4% könnten der Höhepunkt gewesen zu sein:
Wer setzt sich hier in den kommenden Wochen durch, die FED oder der hoffnungsfrohe Markt? Sich da festzulegen, wäre genau Prognosiritis. Denn klar, die FED zu bekämpfen macht keinen Sinn, der Gedanke dass die FED im Zuge einer Rezession schon bald wieder ihre Meinung ändert, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Genau genommen bekämpft man die FED damit auch nicht, man versucht zu antizipieren, was ihre nächsten Schritte sein werden.
Wenn man nun diesen Mechanismus verstanden hat, kann man sehr wohl schon ein paar sinnvolle Schlußfolgerungen ziehen:
Erstens macht es Sinn, bei allem berechtigten und von mir geteilten Optimismus für das Anlagejahr 2023, zur Sicherheit doch davon auszugehen, dass wir zumindest noch eine Schwächephase erleben, weil die FED zunächst weiter auf dem Kriegspfad bleibt und davon vor dem Frühjahr kaum abweichen wird. Hope for the best and prepare for the worst! Stärke zum Jahresanfang steht also unter dem Risiko im Februar noch einmal "aufs Haupt" zu bekommen.
Zweitens wird dieser belastende Effekt durch die Geldpolitik weiter vor allem bei den "gewinnlosen" Aktien des NASDAQ wirken, dafür sorgt der *Diskontierungseffekt* bei zukünftig erwarteten Gewinnen. Auf Aktien der Kategorie "Quality Value" wirkt dieser Effekt weniger, was man zum Beispiel seit Anfang 2022 auch an einer klaren Überperformance des Dow Jones zum NASDAQ sehen kann:
Drittens, wer sich gegen eine mögliche Rezession in den US wappnen will, sollte nun die US Staatsanleihen im Auge haben. Wenn die Rezession kommt, werden deren Renditen wieder in klassischer Manier fallen und die Anleihenkurse damit steigen. Sich bei rund 4% in langlaufende Dollar-Anleihen einzukaufen, war und ist wohl nicht die dümmste Idee, ich verweise dazu auf meinen wegweisenden Artikel von Ende September 2022:
-> Anleihen als Chance und wie sie funktionieren <-
Sie sehen, das sind doch sinnvolle Schlußfolgerungen, die Handlungsoptionen aufzeigen und Leitplanken definieren. Und das ist ja nur ein Beispiel für eine ganze Reihe wichtiger Faktoren, die man sinnvoll durchdenken und antizipieren kann.
So sieht es nach Jahren, wenn nicht Jahrzehnten der Überperformance der US Märkte in 2023 nun auch so aus, als ob wir mal eine Gegenbewegung und eine relative Aktienmarkt-Überperformance Europas und der Emerging Markets bekommen könnten. Das ändert überhaupt nichts daran, dass langfristig die US und der Dollar-Raum für Geldanlage vorzuziehen sind, weil die Wirtschaft da einfach freier und dynamischer ist.
Aber Gegenbewegungen gehören auch in langfristigen Trends dazu und wenn wir uns hier mal in Dollar normiert das Verhältnis des deutschen Aktienmarktes zum S&P500 anschauen, dann liegt über ein Jahrzehnt der US-Überperformance hinter uns und eine mögliche Gegenbewegung hätte noch einige Luft, ohne den übergeordneten Trend zu gefährden:
So weit als "Teaser" hier im freien Bereich. Sie sehen, man kann eine Menge sinnvoller Erkenntnisse gewinnen und trotzdem kennen wir die konkreten Kurse in einer Woche oder einem Monat nicht und werden sie nie vorhersagen können.
Beides gleichzeitig ist wahr und wer das nicht verstehen will, sondern sich lieber in binär-naiven Gedanken zwischen Kursprognose und völligem Nichtwissen ergeht, wird bei der Geldanlage langfristig keinen Fuß auf den Boden bekommen.
Erfolgreiche Geldanlage bedeutet das intelligente Navigieren in unvermeidbarer Unsicherheit. Das ist einfach so, Punkt, kein Aber. 😀
Ich wünsche ein erfolgreiches 2023!
Ihr Michael Schulte (Hari)
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